Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Erster Timotheusbrief

Erster Brief des Paulus an Timotheus

1 Tim 5,1-2

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

1 Tim 5,1-2



Übersetzung


1 Tim 5,1-2 : 1 Einen älteren Mann sollst du nicht schroff anfahren, sondern wie einen Vater ermahnen, jüngere Männer wie Brüder, 2 ältere Frauen wie Mütter, jüngere Frauen wie Schwestern in aller Reinheit.



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V. 1/2


Beobachtungen: Nachdem „Timotheus“ dazu angehalten worden ist, eine Vorbildfunktion einzunehmen, und so ein Idealbild des Bischofs skizziert worden ist (4,12-16), geht „Paulus“ in seinen persönlichen Anweisungen (4,12-6,2) zum rechten Umgang mit verschiedenen Personengruppen in der Gemeinde über (5,1-16). Dabei befasst er sich zunächst mit dem Umgang mit Menschen verschiedenen Alters. Der rechte Umgang mit verschiedenen Personengruppen in der Gemeinde gehört wesentlich zu vorbildlichem Verhalten dazu.


Die altgriechische Bezeichnung „presbyteros“ kann einen älteren Mann bezeichnen, aber auch ein Mitglied des Ältestenrates. Dass es sich um ein Mitglied des Ältestenrates handelt, lässt zunächst die Erwähnung des Ältestenrates (presbyterion) in 4,14 annehmen. Dass ein älterer Mann im Blick ist, erscheint dann aber doch angesichts der Erwähnung von „jüngeren Männern“, „älteren Frauen“ und „jüngeren Frauen“ wahrscheinlicher.


Das Verb „parakaleô“ kann in V. 1 „ermahnen“ bedeuten, aber auch „ansprechen“. Im NT ist die gewöhnliche Bedeutung „ermahnen“ (oder „trösten“), weshalb wir auch hier zunächst diese Bedeutung annehmen. „Ermahnen“ ist die sanftere Form von „schroff anfahren“. Beide Verben lassen jedoch eine Konfliktsituation oder zumindest eine angespannte Situation annehmen. Und beide Verben lassen erkennen, dass „Paulus“ von einer Situation ausgeht, in der „Timotheus“ Recht hat. „Timotheus“ kann den „älteren Mann“ zurechtweisen, daran besteht kein Zweifel. Er soll ihn aber nicht schroff anfahren, sondern ermahnen. Was der Grund für den Konflikt oder die Anspannung ist, bleibt offen. Da wir es wohl nicht mit einem Mitglied des Ältestenrates, also einem Ältesten, zu tun haben, wird es wohl nicht konkret um Kritik an der Episkopalverfassung gehen, die „Timotheus“ mit Recht zurückweisen kann. Vielmehr haben wir es wohl mit einer unbestimmten Konfliktsituation oder angespannten Situation zu tun. Es scheint grundsätzlich darum zu gehen, wie „Timotheus“ mit „älteren Männern“ und auch anderen Personengruppen umgehen soll, wenn es Grund zur Ermahnung gibt.


Aus 4,12-16 ließ sich entnehmen, dass mit dem fortgeschrittenen Alter Lebenserfahrung und Weisheit verbunden wurden. Aus 5,1-2 geht jedoch hervor, dass das fortgeschrittene Alter nicht grundsätzlich positiv gesehen wurde. Einem alten Menschen wurde also nicht grundsätzlich mit Respekt begegnet; er konnte auch abschätzig behandelt werden. Abschätzige Behandlung konnte ihm wegen Begriffsstutzigkeit, beeinträchtigtem Hör- und/oder Sehvermögen oder körperlicher Gebrechlichkeit zuteil werden. Aber sie konnte auch einfach nur in Gedankenlosigkeit, mangelnder Selbstdisziplin oder grundsätzlich schroffen Umgangsformen begründet liegen.


Es stellt sich die Frage, was der Vergleichspunkt von „älter“ ist: Älter als wer oder welches Alter? Da „Timotheus“ angesprochen ist, liegt es nahe anzunehmen, dass der Mann älter als „Timotheus“ ist. Aber wie alt ist „Timotheus“ überhaupt? Da „Timotheus“ wohl beispielhaft für alle Bischöfe steht: Wie alt sind die Bischöfe? Sind sie überhaupt in etwa gleichen Alters? Alle diese Fragen legen nahe, „älterer Mann“ im Sinne von „im Alter fortgeschrittener Mann“ zu deuten. Für eine solche Deutung spricht auch, dass nachfolgend von „jüngeren Männern“ die Rede ist. Wären sie jünger als „Timotheus“, würden die Gleichaltrigen nicht erwähnt. Die „jüngeren Männer“ sind folglich wohl Männer, die im Alter noch nicht fortgeschritten sind. Dementsprechend handelt es sich bei den „älteren Frauen“ wohl um Frauen, die im Alter fortgeschritten sind, und bei den „jüngeren Frauen“ um Frauen, die im Alter noch nicht fortgeschritten sind.


„Paulus“ liegt am Herzen, dass „Timotheus“ alle genannten Personengruppen respektvoll ermahnt bzw. anspricht. Vater, Brüder, Mütter und Schwestern sind Verwandte. Die Kirche ist als „Haus Gottes“ gedacht (vgl. 3,15), wobei dem Ausdruck die antike Vorstellung des „Hauses“ als Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zugrunde liegt. Vater, Brüder, Mütter und Schwestern sind Glieder der Kirche, gehören jeweils einer bestimmten Gemeinde an. Und der Bischof ist der Aufseher einer Gemeinde.

Dem Wechsel vom Singular „älterer Mann“ zum Plural „jüngere Männer“, „ältere Frauen“ und „jüngere Frauen“ ist wohl keine Bedeutung beizumessen. Er ist wohl ohne besonderen Hintergedanken erfolgt, denn „ein älterer Mann“ ist wohl im Sinne „ältere Männer“ zu verstehen. Nicht auszuschließen ist allerdings, dass der Singular die Doppeldeutigkeit des Begriffs „presbyteros“ verdeutlicht und zu erkennen gibt, dass der „presbyteros“ nicht nur ein „älterer Mann“ sein kann, sondern auch ein „Ältester“. Der Singular lässt aufmerken, was der Plural „presbyteroi“ („ältere Männer“, „Älteste“) nicht getan hätte. „Ein Älterer“ bzw. „ein Ältester“ wäre demnach nicht einfach mit „älteren Männern“ gleichzusetzen, obwohl die Aussage natürlich im Hinblick auf alle älteren Männer und auch Ältesten gilt.


Die Verwandtschaftsverhältnisse zeugen von gemeinsamer Glaubensbande und von Vertrautheit. Gerade im Hinblick auf die „jüngeren Frauen“ mag die Vertrautheit aber zu dem Gedanken verleiten, dass „Timotheus“ eine zu große Nähe an den Tag legen könnte, die schlimmstenfalls zu sexuellem Missbrauch führen könnte. Deshalb merkt „Paulus“ an, dass die Ermahnung „in aller Reinheit“ erfolgen solle. Das gilt im Hinblick auf alle genannten Personengruppen, besonders aber für die an letzter Stelle genannten „jüngeren Frauen“.

Der altgriechische Begriff „hagneia“ („Reinheit“) taucht im NT nur in 4,12 und 5,2 auf. Er ist ein Beispiel dafür, dass sich im 1 Tim ein in hohem Maße anderes Vokabular als in den gemeinhin für echt gehaltenen paulinischen Briefen findet. Das weist darauf hin, dass der Autor des 1 Tim, „Paulus“, vermutlich nicht mit dem Apostel Paulus identisch ist. Der Apostel Paulus dürfte bei der Entstehung des 1 Tim bereits verstorben sein. In der Septuaginta (LXX) bezeichnet „hagneia“ in erster Linie die kultische Reinheit (vgl. Num 6,2.21LXX; 2 Chr 30,19LXX; 1 Makk 14,36). Auch 1 Tim 4,12 dürfte der Gedanke der kultischen Reinheit zugrunde liegen, denn „Timotheus“ dient im „Haus Gottes“, hat als Bischof ein kirchliches Amt inne. Damit dürfte aber auch die Reinheit im ethischen und moralischen Sinn, die Lauterkeit, verbunden sein. Der lautere Bischof behandelt seine Glaubensgenossen grundsätzlich mit Respekt. Bei aller Vertrautheit hütet er sich aber vor zu großer Nähe. Anzügliches Verhalten und erst recht sexueller Missbrauch sind mit einem kirchlichen Amt unvereinbar.


Weiterführende Literatur: A. J. Malherbe 1994, 197-207 merkt an, dass trotz des wachsenden Interesses am Thema Altern und Leben im Alter bisher den biblischen Aussagen dazu nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden sei. A. J. Malherbe geht kurz auf die antike Diskussion dazu ein, weist auf die besondere Beachtung hin, die die Pastoralbriefe den verschiedenen Generationen schenkten, und befasst sich dann mit den Aussagen des alten Paulus in seinen Briefen. Paulus mache sich zwar konventionelle Aspekte der antiken Diskussion bezüglich des Alters zu eigen, aber tue dies stets aus der Perspektive von Gottes rettendem Handeln in Christus und seiner Ermächtigung der Gemeindeleiter. Paulus stehe zwar kurz vor dem Tode, aber er sei noch energisch in die Angelegenheiten seiner Gemeinden verwickelt.


Zu den antiken Haltungen gegenüber betagten Menschen siehe A. J. Malherbe 2008, 270-275. Speziell zum Verb „epiplêssein“: Die ursprüngliche Bedeutung des Verbs sei „nach jemandem ausschlagen“, nehme dann aber die Bedeutung „zurechtweisen/tadeln“ oder „bestrafen“ an. Gemäß 1 Tim 5,1-2 sei es einem jungen Menschen unangemessen, in dieser Form mit einem alten zu sprechen.


Gemäß I. L. E. Ramelli 2011, 562-581 würden im Hinblick auf den Respekt gegenüber betagten Menschen gewöhnlich aus der klassischen antiken Literatur insbesondere Ciceros Schrift Von den Pflichten (De officiis; 1,34) und die Historien (Historiae) des Polybios und aus der biblischen Literatur insbesondere Lev 19,32 und Sir 8,6 herangezogen. Diese Schriften seien zwar in einem gewissen Maße hinsichtlich 1 Tim 5,1-2 relevant, aber zu allgemein. Spezifischer sei der Bezug zu 1 Tim 5,1-2 in den Gesetzen (Nomoi/Leges) des Platon (9,879C) und in den Attischen Nächten (Noctes Atticae; 2,15) des Gellius. Eine besonders interessante, meist übersehene Parallele stelle jedoch Hierokles der Stoiker dar, der wahrscheinlich zur gleichen Zeit wie der Verfasser des 1 Tim oder etwas früher gelebt habe. Die Übereinstimmung mit 1 Tim 5,1-2 betreffe nicht nur den respektvollen Umgang mit betagten Menschen – mit einer Bevorzugung der Ermahnung gegenüber der brüsken Zurechtweisung -, sondern auch die umfassendere und tiefer gehende Vorstellung von der „Kontraktion der Kreise“. Diese Theorie sei bei Hierokles dem Stoiker zu finden und sei auf die frühen Stoiker und Plato zurückzuführen. Sie baue auf der fundamentalen stoischen Lehre der „oikeiôsis“ („Wahrnehmung von etwas als das Eigene“; dazu bietet I. L. E. Ramelli eine Literaturübersicht) und „kathêkonta“ („angemessene Handlungen“) auf, die den philosophischen Rahmen von 1 Tim 5,1-2 bilde. In diesem philosophischen Rahmen gelesen gehe es in 1 Tim 5,1-2 nicht einfach nur um respektvolles Verhalten gegenüber betagten Menschen, sondern konkret um deren Ermahnung, Trost und Stärkung. Und es gehe auch nicht nur um betagte Menschen, sondern um den angemessenen Umgang mit verschiedenen Menschengruppen, der gemäß dem Verfasser des 1 Tim die Distanz zwischen ihnen verringern helfen solle.



Literaturübersicht


Malherbe, Abraham J.; Paulus Senex, RQ 36 (1994), 197-207

Malherbe, Abraham J.; How to Treat Old Women and Old Men: The Use of Philosophical Traditions and Scripture in 1 Timothy 5, in: P. Gray, G. R. O’Day [eds.], Scripture and Traditions (NT.S 129), FS C. R. Holladay, Leiden 2008, 263-290

Ramelli, Ilaria L. E.; The Pastoral Epistles and Hellenistic Philosophy: 1 Timothy 5:1-2, Hierocles, and the "Contraction of Circles", CBQ 73/3 (2011), 562-581

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