1 Tim 5,17-25
Übersetzung
1 Tim 5,17-2 5 : 17 Die Ältesten, die gut vorstehen, sollen einer doppelten Vergütung gewürdigt werden, besonders die, die sich in Wort und Lehre abmühen. 18 Denn die Schrift sagt: „Du sollst [dem] Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden“, und „Der Arbeiter ist seines Lohnes wert“. 19 Gegen einen Ältesten nimm keine Klage an außer bei zwei oder drei Zeugen! 20 Diejenigen, die sich etwas zuschulden kommen lassen, weise vor allen zurecht, damit auch die anderen Furcht haben. 21 Ich beschwöre dich vor (dem) Gott und Christus Jesus und den auserwählten Engeln, dass du dies beachtest ohne Vorurteil und ohne jede Parteilichkeit handelst. 22 Lege niemandem vorschnell [die] Hände auf und lass dich nicht in fremde Sünden verstricken. Bewahre dich rein. 23 Trinke nicht länger [nur] Wasser, sondern nimm auch etwas Wein zu dir wegen des Magens und deiner häufigen Krankheiten. 24 Bei einigen Menschen sind die Sünden offenbar und gehen [ihnen] zum Gericht voran, einigen aber folgen sie auch nach. 25 Ebenso sind auch die guten Werke offenbar, und auch die, bei denen es anders ist, können nicht verborgen bleiben.
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Beobachtungen: Die altgriechische Bezeichnung „presbyteros“ kann einen älteren Mann bezeichnen, aber auch ein Mitglied des Ältestenrates. In 5,1 ist damit vermutlich ein älterer Mann gemeint. Allerdings war schon in 4,14 von einem Ältestenrat (presbyterion) die Rede. Da in 5,17 von einer doppelten Anerkennung, einer doppelten Versorgung oder einem doppelten Lohn die Rede ist und außerdem von einem guten Vorstehen, haben wir es wohl mit „Ältesten“ zu tun, also mit Mitgliedern des Ältestenrates. Der Abschnitt 5,17-25 enthält also Anweisungen zum Ältestenamt. Er folgt auf den Abschnitt zum rechten Umgang mit verschiedenen Personengruppen in der Gemeinde (5,1-16).
Das Substantiv „timê“ bedeutet zunächst einmal „Ehre“ oder „Wertschätzung“. Älteste, die gut vorstehen – gemeint ist wohl: gut der Gemeinde vorstehen -, sollen also doppelte Wertschätzung erhalten. Dabei stellt sich die Frage, wie diese Wertschätzung beschaffen ist, immateriell oder materiell. Wir haben davon auszugehen, dass sie mittels Worten und Verhalten bezeugt werden soll. Die genaue Quantifizierung der Ehre als „doppelt“ weist aber darauf hin, dass sich die Wertschätzung auch materiell ausdrücken soll. Allerdings bleibt offen, wie wir uns diese materielle Wertschätzung vorzustellen haben. Handelt es sich um eine materielle Wertschätzung durch Sachgeschenke, zu denen auch Lebensmittel gehört haben könnten, oder durch Geldzahlungen? Wenn es sich um Geldzahlungen handelt, stellt sich die Frage nach der Höhe. Erhalten „Älteste“ einen geringen Betrag im Sinne einer Aufwandsentschädigung oder handelt es sich um eine höhere Summe im Sinne eines Honorars oder gar eines Lohnes? Je nach Antwort sollen die Ältesten, die gut vorstehen, eine doppelte Aufwandsentschädigung, ein doppeltes Honorar oder einen doppelten Lohn bekommen. Vermutlich wurde in der frühchristlichen Zeit das kirchliche Amt nicht als mehr oder weniger gut bezahlter Job verstanden, sondern eher als ein besonderer Dienst für die Kirche und letztendlich für Jesus Christus. Der Dienst hatte ehrenamtlichen Charakter. So hat Paulus neben seiner Missionstätigkeit auch handwerklich gearbeitet und vermutlich beides miteinander verknüpft. Aber dennoch wurde denen, die besonderen Einsatz für die Kirche und Jesus Christus brachten, durchaus die Annahme von Speise und Trank und auch einer kleinen Aufwandsentschädigung bzw. einer Vergütung zugestanden. Der Aspekt des Zugeständnisses dürfte – neben dem Aspekt der Wertschätzung - auch für den Begriff „timê“ in 1 Tim 5,17 wesentlich sein. Die Übersetzung „Honorar“ trifft den Sachverhalt auch in etwa, allerdings verlegt er zu stark das Gewicht auf eine zu vergütende Leistung. Der Aspekt des Dienstes tritt dagegen zu stark in den Hintergrund. Man kann alle genannten Zahlungen als eine „Belohnung“ verstehen. Die Übersetzung „Belohnung“ ist allerdings insofern problematisch, als eine Belohnung für eine gute oder besonders mühevolle Arbeit erfolgt, nicht für durchschnittliche Arbeit ohne besondere Mühen. Insofern müsste in V. 17 von einer „Belohnung“ die Rede sein, nicht von einer „doppelten Belohnung“.
„Doppelt“ scheint sich auf den ersten Blick auf die Vergütung zu beziehen, die die Ältesten als eine Art Grundvergütung grundsätzlich bekamen. „Doppelt“ würde dann die zusätzliche Vergütung für besondere Leistungen bezeichnen. Je höher man die Grundvergütung ansetzt, desto größer wäre die zusätzliche Vergütung. Es stellt sich die Frage, ob „doppelt“ im wörtlichen Sinne zu verstehen ist, womit eine genau doppelt so hohe Vergütung auszuzahlen wäre. „Doppelt“ kann aber auch im Sinne von „deutlich höher“ verstanden werden. Bei einer solchen Deutung bliebe aber die Unklarheit, wie hoch denn genau die zusätzliche Vergütung sein soll. Und wer bestimmt die Höhe der zusätzlichen Vergütung und wer zahlt sie (ebenso wie die Grundvergütung) aus? Als weitere Deutungsmöglichkeit ist auch ein Bezug von „doppelt“ auf eine Geldzahlung an eine andere Personengruppe als die Ältesten, z. B. an die Witwen, zu denken. Allerdings wäre das schon eine arg vage Formulierung seitens des Verfassers des 1 Tim. Ein anderer Bezug als auf die Grundvergütung der Ältesten ist schon deshalb unwahrscheinlich, weil Geld bzw. Lohn ein sensibles Thema ist, das in seinen Formulierungen Klarheit erfordert, um nicht Streit hervorzurufen.
Die Angabe „doppelt“ erscheint sehr starr angesichts der Tatsache, dass Leistung unterschiedlich definiert und gemessen werden kann. Was und wie viel muss geleistet werden, damit eine doppelte Vergütung ausgezahlt wird? Und was ist mit einem Ältesten, der zwar etwas bessere Arbeit als der Schnitt leistet, aber nicht „doppelt“ so gute Arbeit. Ist dieser nur mit dem Grundvergütung zu entlohnen oder auch mit der zusätzlichen Vergütung?
Schließlich ist zu überlegen, ob die Rede von „Leistung“ im Zusammenhang der Vergütung von frühchristlichen Amtsinhabern überhaupt angemessen ist. Können wir von einem „leistungsorientierten Honorar“ sprechen? „Paulus“ scheint einem gewissen Leistungsdenken zugeneigt zu sein, wahrscheinlich aus dem Bestreben heraus, dass die Kirche gut geführt sein soll und es dafür Anreize geben muss. Er scheint das Problem unterschiedlicher Qualität der Gemeindeführung gesehen zu haben. Was aber nun die Übersetzung „Honorar“ angeht, so wird „Paulus“ seine Formulierungen so gewählt haben, dass sie beim Empfänger bzw. den Empfängern mit Wohlwollen aufgenommen wurden. Ein „leistungsorientiertes Honorar“ stellt in der Entwicklung der Vergütung für Kirchenämter einen zweiten Schritt dar. Der erste Schritt dürfte die Einführung einer Vergütung gewesen sein. Schon die Einführung einer Vergütung dürfte nicht unumstritten gewesen sein, denn man konnte durchaus vorbringen, dass Dienste an der Kirche und Jesus Christus eigentlich unentgeltlich erbracht werden sollten. Hier war also schon Überzeugungsarbeit zu leisten. Die Formulierungen in V. 17 lassen annehmen, dass sich mindestens in Ephesus der Gedanke einer Vergütung für kirchliche Amtsträger etabliert hatte. Ob sich allerdings der Lohn- und Leistungsgedanke schon so etabliert hatte, dass die Vorstellung eines „Honorars“ oder gar eines „leistungsorientierten Honorars“ auf Wohlwollen stieß, ist fraglich. Das spricht dafür, vorsichtig die Übersetzung „doppelte Vergütung“ statt „doppeltes Honorar“ zu wählen.
„Wort und Lehre“ dürfte im Sinne von „Verkündigung des Evangeliums und Lehre“ zu verstehen sein. Es fällt auf, dass Verkündigung und Lehre zusammengehören. Es wird also nicht zwischen Verkündigern und Lehrern unterschieden, sondern die Verkündiger scheinen zugleich Lehrer zu sein. Die Verkündigung des Evangeliums kann außerhalb der Gemeinde gegenüber Juden oder Heiden erfolgen, aber auch innerhalb der eigenen Gemeinde oder in einer anderen Gemeinde, sozusagen als Gastprediger oder Gastlehrer. Die Verkündigung und Lehre sind keine Tätigkeiten, die sich eben mal mit links erledigen lassen, sondern sie bedürfen der Mühe. Wenn wir davon ausgehen, dass Verkündigung und Lehre auch oder sogar schwerpunktmäßig in der eigenen Gemeinde erfolgen, dann wird deutlich, dass Gemeindearbeit selbst in einer schön länger bestehenden Gemeinde kein leichtes Unterfangen ist. Ein wesentlicher Punkt, der Mühe verursacht, geht aus dem 1 Tim deutlich hervor, nämlich der Kampf gegen Irrlehren und die Stabilisierung der Gemeinde auf der Grundlage der „paulinischen“ Theologie.
Alle Ältesten erscheinen als Vorsteher der Gemeinde, wobei einige von ihnen als gute Vorsteher der Gemeinde erscheinen. Diese guten Vorsteher verkündigen und lehren aber nicht allesamt, sondern diejenigen, die verkündigen und lehren, sind eine Teilmenge der guten Vorsteher. Die Verkündigung und das Lehren erscheinen als besondere Mühen, die in besonderem Maße eine zusätzliche Vergütung rechtfertigen. Darüber hinaus scheint es noch weitere Zusatzaufgaben zu geben, die nicht ganz so große Mühe wie die Verkündigung und Lehre bereiten, aber ebenfalls einer zusätzlichen Vergütung begründen können. Um was für Zusatzaufgaben es sich handelt, ist nicht zu erkennen. Weniger wahrscheinlich ist, dass besondere Beteiligung bei den Versammlungen der Ältesten ohne Übernahme zusätzlicher Aufgaben schon einer zusätzlichen Vergütung rechtfertigen kann. Aber natürlich können vor, bei oder nach den Versammlungen der Ältesten besondere Aufgaben anfallen, wie Vorbereitung der Versammlungen oder Protokollführung.
Weiterführende Literatur: Y. Redalié 2009, 295-303 macht deutlich, dass Paulus in Apg 20,33-35 nicht nur ablehne, sich von der Gemeinde unterhalten zu lassen, sondern dass er hiernach – dieser Hinweis fehle in den paulinischen Briefen – auch seine Begleiter versorgt habe. Durch seiner Hände Arbeit werde Paulus zu einem normativen Vorbild der Solidarität, an dem sich auch die Gemeindeältesten orientieren sollten, um selbst Vorbilder für alle anderen Christen zu werden. 1 Tim 5,17-18 gehe im Gegensatz dazu von einer Entlohnung der Gemeindeältesten aus, die Selbstversorgung des Paulus sei demnach also eine Ausnahme. 2 Thess 3,7-10 gehe zwar ebenfalls von einem Recht der Versorgung der Gemeindeältesten aus, jedoch werde die Selbstversorgung als vorbildhaft dargestellt. So solle die Zahl derer, die sich ungebührlich auf Kosten der Gemeinde versorgen lassen, reduziert werden, und zwar bis hin auf Null.
Mit der Bedeutung von „malista“ befasst sich H. B. Kim 2004, 360-368. Traditionell werde „malista“ mit „besonders“ übersetzt. Demnach würden also besonders diejenigen Ältesten als gute Vorsteher gewürdigt, die sich in Wort und Lehre abmühen. R. A. Campbell 1979, 200-201 versteht dagegen „malista“ im Sinne von „das heißt“ und liest somit „Die Ältesten, die gut vorstehen, sollen einer doppelten Vergütung gewürdigt werden, das heißt die, die sich in Wort und Lehre abmühen“. Er identifiziert also die Ältesten, die gut vorstehen, mit denjenigen, die sich in Wort und Lehre abmühen. Dass diese Deutung möglich ist, habe T: C. Skeat 1979, 173-177 in Hinblick auf 2 Tim 4,13 hinlänglich bewiesen. Es ergebe Sinn, in den Pastoralbriefen bei jedem Vorkommen von „malista“ die Bedeutung „das heißt“ anzunehmen. H. B. Kim analysiert den Artikel von T. C. Skeat und kommt zu dem Ergebnis, dass dessen These nicht überzeuge. Die als Belege herangezogenen Schriftstellen u. a. aus den Pastoralbriefen würden die Bedeutung „das heißt“ nicht hergeben. Das gelte erst recht für 1 Tim 5,17, zumal T. C. Skeat diesen Vers gar nicht als Belegtext heranziehe. Insofern liege R. A. Campbell mit seiner Deutung falsch.
G. Schöllgen 1989, 232-239 vertritt die These, dass „diplê timê“ eine Ehrenportion bei den Gemeindemählern meine. Diese Deutung könne sich sowohl auf die Praxis der griechisch-römischen Vereine berufen, verdiente Mitglieder und besonders Amtsträger bei gemeinsamen Mahlzeiten mit Ehrenportionen für ihre Mühen zu entschädigen, als auch auf die Übertragung dieser Gepflogenheit auf christliche Agapefeiern, wie sie Tertullian für die karthagische Großkirche bezeuge.
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Beobachtungen: „Paulus“ begründet seine Anweisung mit zwei Zitaten, und zwar aus Dtn 25,4 und Lk 10,7. Als Zitat der Quelle nennt er nur allgemein die „Schrift“, wobei es sich um eine Bezeichnung für die hebräische Bibel (= AT) handelt. Das Buch Deuteronomium gehört als Bestandteil der Tora tatsächlich der hebräischen Bibel an, das Lukasevangelium jedoch nicht. Das Lukasevangelium ist Bestandteil der griechischen Bibel (= NT), die es aber zur Zeit der Abfassung des 1 Tim noch nicht in der heutigen Form gab. Die Schriften des heutigen NT waren allesamt gerade erst entstanden, in der Entstehung begriffen oder noch nicht entstanden. Die Kanonisierung befand sich noch in den ersten Anfängen, so dass sie noch nicht zur „Schrift“ gezählt wurden. Aber wie ist dann der Verweis auf die „Schrift“ zu verstehen? Die erste Möglichkeit ist, dass sich „Schrift“ nur auf das erste Zitat, nämlich Dtn 25,4 bezieht. Die zweite Möglichkeit ist, dass dem Verfasser des 1 Tim, der sich selbst als „Paulus“ bezeichnet (vgl. 1 Tim 1,1), das Lukasevangelium bekannt war und er dieses der „Schrift“ zurechnete oder gleichstellte. Die dritte Möglichkeit ist, dass der Verfasser des 1 Tim zwar nicht das Lukasevangelium kannte, aber eine Quelle, die Aussagen Jesu enthielt und gleichermaßen dem Lukasevangelium wie auch dem Ersten Timotheusbrief als Vorlage für das Zitat diente. Die vierte, allerdings eher unwahrscheinliche Möglichkeit ist, dass der Verfasser des 1 Tim fälschlicherweise angenommen hat, dass sich die Aussage „Der Arbeiter ist seines Lohnes wert“ (auch) in der hebräischen Bibel findet.
Wenn der Ochse drischt, dann soll er während der Arbeit fressen und sich so stärken können. Dafür muss er zwischenzeitlich stehenbleiben oder langsamer arbeiten können, um herumliegende Ähren oder Körner aufzunehmen. Wenn dem Ochsen das Maul verbunden wird, kann das nicht mehr geschehen. Der Ochse arbeitet zwar schneller und effizienter und es wird auch nicht die Menge an Ähren und Körnern reduziert, doch kann er sich nicht mehr stärken. Auf diese Weise wird er um seinen Lohn gebracht, wobei der Lohn in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Arbeit steht. Natürlich kann der Ochse vor oder nach der Arbeit eine Zusatzportion Futter bekommen, aber das kommt nicht in den Blick und war möglicherweise auch nicht üblich.
Strenggenommen geht es in beiden Zitaten darum, dass jemandem, der arbeitet, sein Lohn zusteht, wie immer dieser auch beschaffen sein mag. Konkret ist dabei das Essen und Trinken im Blick, aber die Aussagen lassen sich auch grundsätzlich auf den Lohn übertragen. Um eine Zusatzration an Speise und/oder Trank oder um zusätzlichen Lohn geht es in den Zitaten nicht. Aber wenn jemandem, der arbeitet, sein Lohn zusteht, dann kann man auch schlussfolgern, dass jemandem, der viel arbeitet, auch viel Lohn zusteht.
Im Zitat Lk 10,7 ist ebenfalls vom „Lohn“ die Rede, allerdings wird – anders als in 1 Tim 5,17 - nicht der Begriff „timê“ verwendet, sondern der Begriff „misthos“. Es geht also weniger um Wertschätzung und Dienst als um eine Arbeit, die entlohnt werden muss. Dieser Lohngedanke wird auf die Kirche übertragen. Die Ältesten tun also einen Dienst, für den sie ihren Lohn nicht erst im Himmelreich bekommen, sondern schon auf Erden. Und wer den Dienst gut und mit besonderen Mühen tut, bekommt den doppelten Lohn.
Weiterführende Literatur: Laut A. J. Malherbe 2008, 263-290 liege den moralischen Anweisungen von Paulus in 1 Tim 5,18-19 hellenistische Moraltradition zugrunde. Sie verlange, dass betagte Frauen und Männer geehrt werden. Das bedeute, dass diese von der Gemeinde wegen ihrer Bedürftigkeit oder ihres fortdauernden Dienstes finanzielle Unterstützung bekommen müssen.
T. Haraguchi 1993, 178-195 meint, dass eindeutig sei, dass „ergatês“ („Arbeiter“) ein Terminus technicus für den urchristlichen Missionar gewesen ist. Die Bezeichnung sei dabei mit einer bestimmten Lebensweise, dem Leben auf Wanderschaft für die Verkündigung, eng verbunden. Die Bezeichnung weise sowohl auf die Pflicht zum schutzlosen Wanderleben als auch auf das Recht zum Unterhalt hin (vgl. besonders Lk 10,7; Mt 10,10). Paulus verstehe das Recht nicht als Pflicht, sondern als Privileg, auf das er freiwillig verzichten kann (vgl. 1 Kor 9,3-18). 1 Tim 5,17-18 spiegele eine spätere Situation der Kirchengeschichte wider. Hier handele es sich nicht mehr um das Unterhaltsrecht der Wanderprediger, sondern um die Honorierung der Leiter der Ortsgemeinde (vgl. Gal 6,6).
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Beobachtungen: Wenn eine Klage nur von einem einzigen Zeugen vorgebracht wird, ist die Gefahr der Verleumdung groß. Es kann sich nämlich nur um einen scheinbaren Zeugen handelt, der in Wirklichkeit durch Falschaussage den Angeklagten schädigen will. Um diese Gefahr zu verringern, müssen (mindestens) zwei oder drei Zeugen aussagen. Damit auch der zweite und dritte Zeuge falsch aussagen, müssten schon die falschen Zeugen allesamt unter einer Decke stecken oder der zweite und dritte Zeuge von dem ersten bestochen werden. Dass zwei oder drei Zeugen falsch aussagen, ist auf jeden Fall unwahrscheinlicher, als dass nur ein Zeuge falsch aussagt. Das Erfordernis von (mindestens) zwei oder drei Zeugen ist für alle Gerichtsverfahren in Dtn 19,15 festgeschrieben und von dort übernommen. Es wird in 1 Tim 5,19 konkret auf Anklagen gegen Älteste bezogen.
Weiterführende Literatur: D. A. Mappes 1997, 333-343 geht folgenden Fragen nach: Sollten die Zeugen die Verfehlung des Ältesten bezeugen oder sollten sie einen fairen Prozess sicherstellen? Meint das Partizip „tous hamartanontas“ („die sündigen / die sich etwas zuschulden kommen lassen“) eine fortwährende Sünde oder meint es ein bestimmtes Vergehen und die damit verbundene Schuld? Findet die Zurechtweisung des Ältesten in einem öffentlichen oder privaten Rahmen statt? Ergebnis: Das Erfordernis von zwei oder drei Zeugen habe ungerechtfertigte öffentliche Anklagen verhindern sollen. Das Partizip „tous hamartanontas“ beziehe sich auf tatsächliche Vergehen, gleich ob sie in der Vergangenheit begangen wurden oder in der Gegenwart begangen werden. Es sei nicht unbedingt eine fortwährende Sünde gemeint. Das Wesen der öffentlichen oder halböffentlichen Anklage eines Ältesten, die im Buch Deuteronomium beabsichtigte Konsequenz der öffentlichen Zurechtweisung und die Tatsache, dass die Ältesten Vorbilder hinsichtlich des gottgefälligen Lebens sein sollten, legten eine öffentliche Zurechtweisung vor der ganzen Gemeinde nahe.
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Beobachtungen: Es ist unklar, wer bei denen, die sich etwas zuschulden lassen, im Blick ist. Da es in den unmittelbar vorausgehenden Versen um die Ältesten ging, dürfte an Älteste gedacht sein. Wenn sich Älteste etwas zuschulden kommen lassen, sollen sie also vor allen zurechtgewiesen werden.
Wer ist mit „alle“ gemeint? Bleiben wir bei den Ältesten, dann sollen sie vor allen Ältesten zurechtgewiesen werden. Deuten wir aber „alle“ weiter, dann sollen sie vor allen Gemeindegliedern zurecht gewiesen werden. Das könnte bei einer Versammlung der Gemeinde geschehen, sei es ein Gottesdienst oder eine andere Versammlung.
Es wird nicht gesagt, wer „die anderen/übrigen“ sind. Nimmt man die Gesamtheit der Gemeindeglieder, dann sind „die anderen“ alle diejenigen, die der Zurechtweisung als Zuschauer bzw. Zuhörer beiwohnen. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die anderen Ältesten, also die nicht zurechtgewiesenen Ältesten gemeint sind, denn es geht ja um die Ältesten und deren Amtsführung.
Die Zurechtweisung vor „allen“ ist für die Zurechtgewiesenen sehr unangenehm. Um sich eine erneute Schmach zu ersparen, werden sich diejenigen Ältesten, die sich etwas zuschulden haben kommen lassen, vor einer weiteren Verfehlung hüten. Aber auch diejenigen Ältesten, die der Zurechtweisung als Zuschauer bzw. Zuhörer beiwohnen, werden abgeschreckt und Verfehlungen vermeiden. Diese Abschreckung stellt wohl einen wesentlichen Aspekt der Aussage dar, aber es wäre doch zu kurz gegriffen, die Formulierung „Furcht haben“ („phobon echein“) auf sie zu beschränken. Bei der „Furcht“ klingen auch Ehrfurcht und Angst mit. Zunächst einmal ist an Ehrfurcht vor dem übergeordneten Bischof, dem das Recht der Zurechtweisung zukommt, zu denken. Dann ist aber auch an die Furcht zu denken, ebenfalls vor „allen“ zurechtgewiesen zu werden. Aber auch Furcht und Furcht/Angst vor dem Bischof dürfte nur ein Aspekt des gesamten Deutungshorizontes von V. 20 sein. Biblische Aussagen sind nämlich gewöhnlich nicht rein irdischer Art, d. h. es geht nicht in erster Linie um die Vermeidung von Schmach oder um irdische Hierarchien, sondern es geht zuvörderst um das rechte Verhalten vor Gott und Jesus Christus. Vor Gott und Jesus Christus müssen sich die Menschen – und speziell die Ältesten – rechtfertigen. Insofern geht es in V. 20 wohl in erster Linie um „Furcht“ vor Gott und Jesus Christus. Es geht um Ehrfurcht vor den Verehrten und um Furcht, weil die Verehrten letztendlich das Urteil sprechen. Die Zurechtweisung soll also dazu führen, dass den Ältesten eingeschärft wird, dass sie ihr Verhalten vor Gott und Jesus Christus rechtfertigen müssen. Ihr Amt ist letztendlich ein Dienst für Gott und Jesus Christus. Es ist die Kirche Christi, die recht geleitet werden muss. Es geht nicht um Angstmacherei, sondern um das Einschärfen der Verantwortung, die ein kirchliches Amt mit sich bringt. Das ist das vorrangige Ziel der Zurechtweisung.
Weiterführende Literatur: M. Villalobos Mendoza 2014, 171-189 geht davon aus, dass die kirchlichen Amtsinhaber ihr Amt nicht nach den Vorstellungen des Verfassers des 1 Tim ausgeübt, sondern Amtsmissbrauch begangen haben.
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Beobachtungen: V. 21 enthält eine dringende Bitte/Aufforderung, die vor Gott, Jesus Christus (= Christus Jesus) und auserwählten Engeln erfolgt. Gott, Jesus Christus und die auserwählten Engel sind wohl als Zeugen gedacht. Aufgrund der Zeugen kann „Paulus“ von niemandem vorgeworfen werden, er habe „Timotheus“ nicht richtig instruiert und daher mögliche Missstände bei der Gemeindeleitung zu verantworten. Bei der dringenden Bitte handelt es sich also um ein eindringliches Zeugnis, wie das Verb „diamartyromai“ (= „ich bezeuge eindringlich“ oder „ich beschwöre“) erkennen lässt. Der Wandel in der Gemeindeleitung wird so legitimiert und die Gefahr von Fehlverhalten bei Amtsträgern minimiert. Es wird deutlich: Fehlverhalten von Amtsträgern ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine große Gefahr für die Kirche. Der Wandel in der Gemeindeleitung ist legitim und entspricht der Heilsgeschichte, muss aber sehr sorgsam erfolgen.
Bezüglich der „auserwählten Engel“ bleiben viele Fragen offen. Wer sind diese Engel? Nach welchen Kriterien wurden sie auserwählt? Wurden sie nur auserwählt, um als Zeugen dem eindringlichen Zeugnis beizuwohnen oder sind die Engel grundsätzlich auserwählt?
Es bleibt offen, was genau mit „dies“ („tauta“) gemeint ist. Sind sämtliche in den V. 17-20 enthaltenen Ermahnungen gemeint? Oder – und dies lässt die Dringlichkeit der Bitte/Aufforderung annehmen – sind nur oder zumindest in erster Linie die beiden Ermahnungen V. 19-20 gemeint, die Konflikten und Fehlverhalten in der Gemeindeleitung einen Riegel vorschieben sollen?
Das Verb „phylassô“ bedeutet hier „beachten“. Die Grundbedeutung des Verbs ist allerdings „bewachen“ oder „beschützen“. Zu bewachen bzw. beschützen ist etwas, was von Wert oder großer Bedeutung ist. Das mit „dies“ Gemeinte ist also wertvoll, hat große Bedeutung. Daher muss es unbedingt „bewacht/beschützt“, d. h. beachtet werden.
Was ist genau mit dem „Vorurteil“ („prokrima“) gemeint und was unterscheidet es von der „Parteilichkeit“ („prosklisis“)? Ein Vorurteil ist eine Bewertung einer Sache oder Person, die ohne objektive Prüfung der Tatsachen vorgenommen wird. Ein Vor-Urteil muss nicht unbedingt negativ sein, wenn es im Sinne eines vorschnell gefassten Urteils verstanden wird, das ja positiv oder negativ ausfallen kann. Gewöhnlich verstehen wir aber ein Vorurteil im Sinne eines vorschnell gefassten negativen Urteils gegenüber einer Sache oder einer Person, also als ein „Abstempeln“. Dieses beruht nicht auf Erfahrung oder Wissen, sondern auf Abneigung oder gar Hass. Mit Blick auf eine Klage gegenüber einem Ältesten oder auf das Zurechtweisen legt sich die negative Bedeutung im Sinne des „Abstempelns“ nahe: Aufgrund des „Abstempelns“ kann es dazu kommen, dass ein Ältester verurteilt wird, obwohl die Klage nur von einer Einzelperson vorgebracht wird und eine Verleumdung darstellt. Dies darf gemäß „Paulus“ nicht sein. Die Zurechtweisung eines Ältesten aufgrund einer Klage oder unabhängig von einer Klage kann ebenfalls nur aufgrund von Abneigung gegenüber dem betreffenden Ältesten erfolgen. Auch dies darf gemäß „Paulus“ nicht sein.
Die „Parteilichkeit“ kann ebenfalls negativer oder positiver Art sein. Jemand kann aufgrund von Parteilichkeit benachteiligt oder bevorteilt werden. In V. 21 scheint aber vorrangig die Bevorteilung im Blick zu sein, denn V. 22 kommt sogleich auf eine vorschnelle Handauflegung zu sprechen. Bei ihr handelt es sich um eine Bevorteilung. Das „Vorurteil“ unterscheidet sich also von der „Parteilichkeit“ insofern, als es eine Benachteiligung mit sich bringt. Die „Parteilichkeit“ dagegen bringt eine Bevorteilung mit sich. Wäre aber „Parteilichkeit“ nur hinsichtlich einer Bevorteilung verstanden, hätte die Formulierung „… dass du dies beachtest ohne Vorurteil und ohne Parteilichkeit“ lauten können. Die Formulierung lautet aber „… dass du dies beachtest ohne Vorurteil und ohne Parteilichkeit handelst“. „Parteilichkeit“ ist also vermutlich nicht nur auf Bevorteilung bestimmter Personen bezogen, sondern auch auf Benachteiligung. „Parteilichkeit“ kann darin bestehen, einer Klage einer Einzelperson unkritisch von vornherein zu vertrauen und die klagende Person unkritisch für vertrauenswürdig zu halten. Sie kann aber auch darin bestehen, den angeklagten Ältesten von vornherein für schuldig zu halten, ihn „abzustempeln“. In diesem Fall würde „Timotheus“ von vornherein für die klagende Person Partei ergreifen. „Parteilichkeit“ kann aber auch zu ungerechter Zurechtweisung führen: Der eine Älteste wird (aufgrund einer Klage) zurechtgewiesen, der andere trotz eines gleichen oder ähnlichen (angeblichen) Vergehens nicht. Und jemand kann durch Handauflegung ordiniert werden, obwohl er nicht geeignet ist, wogegen eine geeignete(re) Person nicht berücksichtigt wird. Auch in diesen Fällen würde „Timotheus“ parteilich handeln. Nicht ausgeschlossen ist, dass auch die Vergütung für die Ältesten im Blick ist. Die Vergütung soll sich nach der Güte der Gemeindeleitung richten, nicht nach persönlichen Vorlieben.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Das Auflegen der Hände ist wohl Bestandteil der Ordination (von kirchlichen Amtsträgern, hier speziell auch Ältesten). Mit ihm erfolgt der Amtsauftrag, mit dem auch die Gabe des heiligen Geistes bzw. Geistes Gottes/Christi und eine geistliche Stärkung verbunden sein kann (vgl. 4,14). Offen bleibt, wie die Handauflegung genau erfolgt, ob es ein leichtes Auflegen der Hände ist oder ein Aufstemmen der Hände. Und wir wissen auch nicht, auf welchem Körperteil die Handauflegung erfolgt. Wenn der angehende kirchliche Amtsträger bzw. Älteste steht oder kniet, dann dürfte die Handauflegung am ehesten auf dem Kopf oder auf den Schultern erfolgen.
Anders als bei der Ordination des „Timotheus“ (4,14) erfolgt das Auflegen der Hände nicht durch ein Gremium, sondern durch eine Einzelperson, nämlich „Timotheus“. Das kann so verstanden werden, dass die anderen an der Handauflegung beteiligten Personen (evtl. Bischöfe) nicht erwähnt werden. Das kann aber auch so verstanden werden, dass tatsächlich nur eine Einzelperson, nämlich „Timotheus“, die Hände auflegt. In letzterem Fall würde zunehmende Machtkonzentration bei einer Einzelperson deutlich. Mit einer größeren Machtkonzentration ist größere Verantwortung verbunden und auch eine größere Gefahr des Missbrauches von Macht. In einem Gremium könnten die anderen Gremiumsmitglieder als Korrektiv fungieren.
„Vorschnell“ dürfte im Sinne der nicht ausreichenden Prüfung der Qualifikationen, Fähigkeiten und charakterlichen Beschaffenheit von angehenden kirchlichen Amtsinhabern gemeint sein. Damit könnte das Übersehen oder gar die Tolerierung von „Sünde“ verbunden sein, wobei offen bleibt, was unter „Sünde“ zu verstehen ist. Ganz allgemein gesagt dürfte es ein Wesen und Verhalten meinen, das nicht mir einer christlichen Lebensweise zu vereinbaren ist. Speziell könnte an ein Wesen und Verhalten gedacht sein, das dem in 3,8-13 von Diakonen (und Diakoninnen oder Frauen der Diakone) und in 3,1-7 von Bischöfen geforderten Qualifikationen, Fähigkeiten und charakterlichen Beschaffenheit widerspricht. Dabei ist aber unklar, ob an die Ältesten die gleichen Maßstäbe wie an die Diakone oder gar Bischöfe angelegt werden. Indem „Timotheus“ „Sünde“ übersieht oder gar toleriert, lässt er sich selbst in sie verstricken.
Das Adjektiv „hagnos“ kann mit „rein/lauter“ oder mit „heilig“ übersetzt werden. „Paulus“ nennt keine konkreten Aspekte der Reinheit (moralisch, sexuell usw.). Daher sollte „hagnos“ auch nicht in der Bedeutung eingeengt werden. Vermutlich sind hier eine reine Gesinnung und ein reines Verhalten gemeint, speziell auch mit Blick auf die Gemeindeleitung. Die reine Gesinnung und reines Handeln sind Voraussetzung dafür, dass es bei der Ämtereinsetzung nicht zu Missständen kommt, zu der auch die genannte Parteilichkeit gehört. Weil Bischöfe nicht unverheiratet sein müssen (vgl. 3,1-7), kann „rein“ nicht im Sinne der sexuellen Enthaltsamkeit gemeint sein, sondern nur im Sinne der Enthaltung von außerehelichem Geschlechtsverkehr. Dieser Aspekt ist aber sicherlich nicht vorrangig im Blick.
Weiterführende Literatur: Das Interesse von O. Hofius 2010, 261-284 gilt der Frage nach Gestalt und Bedeutung der in den Pastoralbriefen bezeugten Ordination. Diese Frage lasse sich ohne Rekurs auf den rabbinischen Ordinationsritus beantworten. O. Hofius befasst sich mit der Terminologie, dem ordinationsgebundenen Amt, dem Ordinator, der Voraussetzung für den Empfang der Ordination, der Handauflegung und der Verleihung des Amtscharismas, der Übergabe der apostolischen Lehrtradition und dem Bekenntnis der Ordinanden, der apostolischen Sukzession und abschließend mit dem soteriologischen Aspekt. Wie insbesondere 2 Tim 2,2 zeige, sei mit den Ordinationsaussagen der Pastoralbriefe die Vorstellung einer Sukzession verbunden – nämlich der Gedanke, dass die apostolische Lehrtradition in kontinuierlicher Abfolge von Amtsträger zu Amtsträger weitergegeben wird. Paulus sei von Gott selbst mit dem Evangelium und seiner Verkündigung betraut. Nur er werde als „Apostel“ (vgl. 1 Tim 2,7; 2 Tim 1,11) bezeichnet, nicht jedoch Timotheus. Die „apostolische Sukzession“ bestehe nicht darin, dass das Amt der Apostel an „Nachfolger“ übertragen und dann durch die Zeit der Kirche hindurch in einer ununterbrochenen Kette weitergegeben wird, wobei die in die Sukzession Eingetretenen durch einen besonderen hierarchischen Status und durch nur ihnen verliehene Vollmachten wie etwa die Weihegewalt ausgezeichnet wären. Die „apostolische Sukzession“ habe ihr Wesensmerkmal vielmehr in der strengen Bindung an das von den Aposteln authentisch und verbindlich bezeugte Evangelium, und sie sei somit als die Sukzession in der gehorsamen Bezeugung und unverfälschten Weitergabe der Wahrheit des Evangeliums zu bestimmen.
R. Schwarz 2010, 145-159 befasst sich mit den Vorstellungen von Ordination in den Pastoralbriefen und mit der Ordination unter der Voraussetzung der Unechtheit der Pastoralbriefe. Zum letzteren Punkt: Erklärbar seien die in den Pastoralbriefen geschilderten Fakten bezüglich der Amtsträger und ihrer Ordination letztlich durch ein starkes Interesse an einer Rückbindung der „rechten Lehre“ an die Autoritäten des Anfangs, hier besonders an Paulus und seine Schüler Timotheus und Titus. Die Pastoralbriefe (besonders die beiden Timotheusbriefe) seien Zeugen einer den Adressaten bekannten Praxis der Ordination ihrer Amtsträger.
Laut B. P. Irwin 2008, 123-129 werde die Handauflegung gewöhnlich mit einer Handlung in Zusammenhang mit der Ordination oder mit der Wiederaufnahme von sündigen Gemeindegliedern in die Gemeinschaft in Verbindung gebracht. Beide Sichtweisen würden jedoch exegetische Probleme aufwerfen. B. P. Irwin untersucht den unterschiedlichen Gebrauch der Formulierung „die Hände auflegen“ in der Septuaginta und im NT und kommt zu dem Ergebnis, dass die Handauflegung in 1 Tim 5,22 am ehesten als Akt der öffentlichen Entschuldigung zu deuten sei. Es werde davor gewarnt, einen Ältesten voreilig einer Verfehlung zu beschuldigen. Wer dies tue, lasse sich in die Sünden derjenigen verstricken, die gegen einen Ältesten eine falsche Klage vorbringen und Meineid schwören.
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Beobachtungen: V. 23 stellt eine Aufforderung dar, die nicht unmittelbar mit den Ältesten zu tun hat. Wenn wir davon ausgehen, dass „Timotheus“ ein Bischof ist bzw. alle Bischöfe repräsentiert, dann haben wir es wohl mit einer Konkretisierung der Bestimmung zu tun, dass der Bischof kein Säufer sein soll (3,3). Auch Diakone sollen nicht vielem Weingenuss ergeben sein (3,8). „Timotheus“ scheint sich sorgsam daran gehalten zu haben, so sorgsam, dass er überhaupt keinen Wein (mehr) zu sich genommen hat. So streng braucht die geforderte Enthaltsamkeit aber nicht definiert zu werden. Aus gesundheitlichen Gründen kann in Maßen Wein konsumiert werden.
Ob mit der Aufforderung auch eine Abgrenzung gegenüber asketischen Irrlehrern verbunden ist, lässt sich nicht sagen. Möglich ist dies, aber es würde sich die Frage stellen, warum „Timotheus“ dem Verhalten von Irrlehrern gefolgt ist. Sollte dies absichtlich geschehen sein, hätte „Paulus“ sicherlich härter formuliert. Insofern haben wir davon auszugehen, dass er sich höchstens versehentlich aufgrund seiner allzu strengen Definition der geforderten Enthaltsamkeit wie die Irrlehrer verhielt.
Die Formulierung „Mêketi hydropotei“ kann im Sinne von „Trinke nicht länger Wasser“ oder im Sinne von „Trinke nicht länger nur Wasser“ verstanden werden. Bei ersterer Bedeutung würde sich die Frage stellen: Was soll er denn stattdessen trinken? Die naheliegende Antwort wäre: Wein. Da aber außer Wein kein weiteres mögliches Getränk genannt wird, würde das bedeuten, dass „Timotheus“ ausschließlich Wein trinken soll. Das ist aber ausgeschlossen, weil er damit zum Säufer und vielem Weingenuss ergeben würde. Insofern muss die Bedeutung „Trinke nicht länger nur Wasser“ sein.
Es fällt auf, dass die Aufforderung einen sehr persönlichen Charakter hat, was nach den vielen allgemeinen Anweisungen erstaunlich ist. Es ist umso erstaunlicher, als „Timotheus“ ja nicht nur für den ganz bestimmten Mitarbeiter des Paulus zu stehen scheint, sondern stellvertretend für alle Bischöfe. Haben etwa alle Bischöfe Magenbeschwerden und sind etwa alle Bischöfe häufig krank? So dürfte das nicht zu verstehen sein. Vielmehr haben wir davon auszugehen, dass „Paulus“ dem Brief den Anstrich eines authentischen Briefes des Paulus an seinen Mitarbeiter Timotheus geben will. Insofern kann er eine allgemein gültige Konkretisierung zum Weingenuss in persönliche Worte packen. Damit erreicht er zweierlei: Der Brief erscheint authentisch und persönlich und zugleich wird allen Bischöfen und auch anderen Amtsträgern der rechte Umgang mit dem Wein vermittelt.
Wörtlich heißt es „des Magens“, nicht „deines Magens“. Weil aber eindeutig die häufigen Krankheiten des „Timotheus“ gemeint sind, haben wir sicherlich davon auszugehen, dass der Magen des „Timotheus“ gemeint ist. Dementsprechend findet sich eine Variante, die verdeutlichend „deines Magens“ statt „des Magens“ liest.
Genaueres über die Magenbeschwerden und häufigen Krankheiten erfahren wir nicht. Vermutlich geht es aber „Paulus“ auch nicht um medizinische Aussagen zu Magenbeschwerden und Krankheiten. Ihm geht es nur darum deutlich zu machen, dass aus gesundheitlichen Gründen maßvoller Weingenuss erlaubt ist.
Magenbeschwerden und andere Krankheiten können alle kirchlichen Amtsträger haben. Insofern handelt es sich um eine Aufforderung, die durchaus auch die Ältesten betrifft, um die es ja in den V. 17-22 geht. V. 23 steht also mit den V. 17-22 in Verbindung und ist nicht einfach nur eine lose angefügte einzelne Aufforderung. Maßvoller Weingenuss aus gesundheitlichen Gründen seitens eines kirchlichen Amtsanwärters, so kann man schließen, ist keine „Sünde“ und spricht nicht gegen eine Ordination.
Weiterführende Literatur: Laut R. Amici 2009, 445-470 vermeide der Verfasser der Pastoralbriefe den Konflikt mit der Welt und ihren Institutionen. Dem liege eine bestimmte Strategie zugrunde, der es nachzuspüren gelte. Mit diesem Anliegen befasst sich R. Amici mit Texten und Begriffen der Pastoralbriefe, die auf einem rechten Verhältnis zur Welt und Schöpfung bestehen und dieses von den Christen der dritten Generation einfordern. Zu 1 Tim 5,23: In eine persönliche Ermahnung an Timotheus gekleidet handele es sich wohl um eine Weisung auch an andere Christen. Manche Christen seien wohl von den asketischen Lehren der Irrlehrer angezogen worden und hätten sich des Weins enthalten, um die „Reinheit“ zu erlangen. Der Verfasser der Pastoralbriefe mahne aber eine positive Einstellung der guten Schöpfung gegenüber an. „Reinheit“ erfordere keine strikte Enthaltsamkeit gegenüber bestimmten Speisen und Getränken.
M. Villalobos Mendoza 2014, 45-80 legt dar, dass Timotheus zwar verschiedentlich als ein Macho dargestellt werde, sich aber in Wirklichkeit auf der anderen Seite befunden habe. Er sei nicht redegewandt gewesen, dazu jung und oftmals krank und habe weibisch Tränen vergossen. Er sei zwar zur Gemeindeleitung und zur Lehre ausersehen gewesen, jedoch wüssten wir nicht, ob er wirklich gelehrt, ermahnt und zurechtgewiesen hat. Es scheine so, dass es ihm nicht gelungen ist, ein „wahrer Mann“ („verus vir“) zu werden. Stets erschienen in den Pastoralbriefen die Stimmen der Anderen stärker als die Stimme des Timotheus. Er müsse kämpfen, um seiner Stimme Gehör zu verschaffen und als „wahrer Mann“ anerkannt zu werden, indem er sich als tugendhaft erweist.
Zur patristischen Auslegung (speziell Clemens von Alexandrien und Chrysostomos) von V. 23 siehe B. Dehandschutter 1995, 265-270. Insbesondere an Chrysostomos lasse sich ablesen, wie die Worte des Paulus – der 1 Tim sei dem historischen Paulus zugeschrieben worden – Ausgangspunkt einer Theologie des Leidens, einer nicht auf asketisches oder monastisches Leben beschränkten Vorstellung von Martyrium, sein konnten.
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Beobachtungen: Der altgriechische Begriff "krisis" kann ein Gericht oder ein gerichtliches Urteil, aber auch eine Beurteilung meinen. In V. 24 scheint erstere Bedeutung vorzuliegen. Das Gericht erscheint nicht nur als ein bestimmter Zeitpunkt, an dem die Werke der Menschen – seien es „Sünden“, „gute Werke“ oder „andere Werke“ - beurteilt werden, sondern auch als ein Ort. Das „Gericht“ erscheint als eine Gerichtsverhandlung, zu der der Mensch hingeht. Dabei geht er nicht zu ihr hin, um dann bezüglich seiner Werke Rechenschaft abzulegen, sondern die Werke – ausdrücklich wird dies von den „Sünden“ gesagt – gehen eigenständig zu ihr hin. Sie können vorangehen oder nachfolgen. „Sünden“, die offenbar sind, gehen voran. Wer die Werke beurteilt, bleibt offen. Wir haben daran zu denken, dass es sich nicht um ein menschliches Gericht, sondern um ein göttliches Gericht handeln. Richter kann Gott sein, aber (auch) Jesus Christus. Nicht ausgeschlossen ist auch, dass die Werke von Gott, Jesus Christus und auserwählten Engeln zugleich beurteilt werden. Im Gegensatz zum menschlichen Gericht müssen alle Menschen vor dem göttlichen Gericht erscheinen. Wegen „guter Werke“ oder „anderer Werke“ wird niemand vor ein menschliches Gericht gerufen, weil ein solches nur über Anklagen wegen Fehlverhalten befindet. Das göttliche Gericht wird aber nicht nur bei Anklagen aktiv, sondern befindet über die Werke aller Menschen, seien sie gut oder böse. Wenn die „Sünden“, die offenbar sind, vorangehen, dann bedeutet das, dass sie den „Sünder“ vor Gericht schon belasten, bevor er überhaupt vor Gericht erscheint. Ebenso verhält es sich vermutlich mit den „guten Werken“: Auch sie gehen dem Menschen voran und legen Zeugnis ab, bevor dieser erscheint. Dass bezüglich der „guten Werke“ das Vorangehen nicht so deutlich gesagt wird, dürfte daran liegen, dass in 5,17-25 der Fokus auf Klagen und „Sünde“ liegt, außerdem auf dem rechten Umgang mit Klagen und „Sünde“. In den V. 17-23 geht es allerdings um den rechten Umgang von Menschen mit Klagen und „Sünde“. In V. 24-25 geht es dagegen um den Umgang Gottes bzw. Jesu Christi und/oder der auserwählten Engel mit „Sünde“. Es wird deutlich, dass der Mensch nicht das letzte Wort hat, sondern das letzte Wort steht dem göttlichen Gericht zu. Dies wird mit Blick auf die „Sünden“ anschaulich und bildlich dargestellt, was der Einschärfung des Sachverhaltes dienen dürfte. Das göttliche Gericht beurteilt die Werke objektiv und unbestechlich, das wird klar. Und es wird auch klar, dass dem göttlichen Gericht kein Werk entgeht, sei es offenbar oder verborgen. Wenn die verborgenen Werke erst nach dem Menschen vor Gericht erscheinen, dann könnte man meinen, dass das Urteil erfolgt, noch bevor die verborgenen Werke vor Gericht erschienen sind. So dürfte das aber nicht gemeint sein. Vielmehr dürfte gemeint sein, dass der Mensch vor Gericht weiter so tun kann, als habe er die verborgenen „Sünden“ nicht begangen, aber schließlich doch auch die verborgenen „Sünden“ offenbar werden. Ähnlich verhält es sich mit den verborgenen „guten Werken“: Auch sie werden schließlich offenbar.
Welche Werke meint die Formulierung „Werke, bei denen es anders ist“? Ausdrücklich werden Sünden und gute Werke genannt, die offenbar sind. Die offenbaren Sünden gehen zum Gericht voran. Insofern ist auch davon auszugehen, dass die offenbaren guten Werke vorangehen. Das wird aber so deutlich nicht gesagt. Auf dem Vorangehen der guten Werke, sofern sie dies wirklich tun, liegt kein Gewicht. Das Gewicht liegt auf den Sünden, und zwar zum einen auf denen, die vorangehen, dann aber auch auf denen die nachfolgen. Von den Sünden, die nachfolgen, wird nicht ausdrücklich gesagt, dass sie verborgen sind. Nicht auf der Verborgenheit liegt das Gewicht, sondern auf dem Nachfolgen. Kurz: Das Gewicht in V. 14 liegt auf der Offensichtlichkeit von bestimmten Sünden und außerdem auf der Bewegung. Es geht also um einen großen Marsch zum Gericht, wobei die offenbaren Sünden vorangehen. Angesichts des Gesagten kann bezüglich der „Sünden, bei denen es anders ist“ Folgendes festgestellt werden: Sie sind nicht offenbar und sie gehen auch nicht voran. Es kann vermutet werden, dass sie nachfolgen. Und dass sie verborgen sind, kann aus der Aussage geschlossen werden, dass sie nicht verborgen bleiben. Warum heißt es nicht ausdrücklich „und auch die guten Werke, die verborgen sind, können nicht verborgen bleiben“? Als Antwort liegt nahe, dass nicht alle Werke Sünden oder gute Werke sind. Vielleicht ist „Paulus“ bewusst, dass es auch „Werke“ gibt, die zwischen dem liegen, was als „Sünden“ oder „gute Werke“ bezeichnet wird. Solche „Werke“ können als „neutral“ verstanden werden. Dabei könnten ganz normale Alltagshandlungen gemeint sein, beispielsweise das Fegen des Hofes. „Werke, bei denen es anders ist“ können demnach sowohl „gute Werke, die verborgen sind“ als auch „Werke, die weder Sünden noch gute Werke sind“, also „neutrale Werke“ sein. Solche „neutralen Werke“ folgen auch nicht unbedingt nach. Vielmehr ist unklar, wann sie sich zum Gericht bewegen.
Weiterführende Literatur:
Literaturübersicht
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Amici, Roberto; Principi e norme di non estraneità al mondo nelle lettere a Timoteo e a Tito, EstB 67/3 (2009), 445-470
Campbell, R. Alastair; The Elders: Seniority within Earliest Christianity, Edinburgh 1979
Dehandschutter, Boudewijn; Mêketi hydropotei: Some Notes on the Patristic Exegesis of 1 Timothy 5:23, LS 20/2-3 (1995), 265-270
Haraguchi, Takaaki; Das Unterhaltsrecht des frühchristlichen Verkündigers: Eine Untersuchung zur Bezeichnung ergates im Neuen Testament, ZNW 84 (1993), 178-195
Hofius, Otfried; Die Ordination zum Amt der Kirche und die apostolische Sukzession nach dem Zeugnis der Pastoralbriefe, ZThK 107/3 (2010), 261-284
Irwin, Brian P.; The Laying on of Hands in 1 Timothy 5:22: A New Proposal, BBR 18/1 (2008), 123-129
Kim, Hong Bom; The Interpretation of malista in 1 Timothy 5:17, NT 46/4 (2004), 360-368
Malherbe, Abraham J.; How to Treat Old Women and Old Men: The Use of Philosophical Traditions and Scripture in 1 Timothy 5, in: P. Gray, G. R. O’Day [eds.], Scripture and Traditions (NT.S 129), FS C. R. Holladay, Leiden 2008, 263-290
Mappes, David A.; The Discipline of a Sinning Elder, BS 154/615 (1997), 333-343
Redalié, Yann; „Travailler de ses mains“: Un modèle, plusieurs modes d’emploi (Ac 20,33ss; 1 Tm 5,17s; 2 Th 3,7-10), in: D. Marguerat [ed.], Reception of Paulinism in Acts. Réception du paulinisme dans les Actes des apôtres (BETL 229), Leuven 2009, 295-303
Schöllgen, Georg; Die diplê timê von 1 Tim 5,17, ZNW 80/3-4 (1989), 232-239
Schwarz, Roland; Ordination durch Handauflegung in den Pastoralbriefen, SNTU 35 (2010), 145-159
Skeat, T. C.; Especially the Parchments: a Note on 2 Tim 4,13, JTS 30/1 (1979), 173-177
Villalobos Mendoza, Manuel; When Men Were Not Men: Masculinity and Otherness in the Pastoral Epistles (The Bible in the Modern World 62), Sheffield 2014