Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Erster Timotheusbrief

Erster Brief des Paulus an Timotheus

1 Tim 6,1-2

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

Wenn Sie diese Bibliographie zum ersten Mal nutzen, lesen Sie bitte die Hinweise zum Gebrauch.

Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

1 Tim 6,1-2



Übersetzung


1 Tim 6,1-2 : 1 Diejenigen, die als Sklaven unter [dem] Joch sind, sollen ihre eigenen Herren aller Ehre wert halten, damit der Name (des) Gottes und die Lehre nicht in Verruf kommen. 2 Diejenigen aber, die gläubige Herren haben, sollen [diese] nicht gering achten, weil sie Geschwister sind, sondern sollen [ihnen] noch eifriger dienen, weil sie Gläubige und Geliebte sind, die darauf bedacht sind, Gutes zu tun. Dies lehre und schärfe ein!



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V. 1


Beobachtungen: „Paulus“ schließt die persönlichen Anweisungen an „Timotheus“ für die Gemeindeleitung (4,12-6,2) mit Anweisungen bezüglich der christlichen Sklaven ab (6,1-2). Dabei rührt „Paulus“ nicht an der Sklaverei an sich, sondern ermahnt „nur“ zu einem christlichen Umgang zwischen Sklaven und Sklavenhaltern.


Das Joch (zygos) ist ein Teil des Geschirrs, mit dem Zugtiere, insbesondere Ochsen, vor den Pflug oder Wagen gespannt werden. Das Joch liegt auf der Stirn oder dem Nacken auf und wird an der Deichsel mittels eines Bandes oder Seiles und eines Vorsteckers befestigt. Der Druck und die Belastung, die vom Joch ausgehen, haben zur übertragenen Bedeutung des Begriffs geführt: Sklaverei.


Der Begriff „despotês“ („Herr“) bezeichnet den Sklavenhalter. Der Sklavenhalter ist „Herr“ über den Sklaven. Er ist allerdings nur ein weltlicher „Herr“ und er ist auch nur „Herr“ über seinen Sklaven und nicht über die Christen. Das macht „Paulus“ mittels der Formulierung „seinen eigenen Herrn“ deutlich. Der „Herr“ der Christen ist Gott bzw. Jesus Christus. Gott bzw. Jesus Christus bleibt der Titel „kyrios“ vorbehalten. Dass der Sklavenhalter in V. 1 als „despotês“ und nicht als „kyrios“ bezeichnet wird, markiert deutlich den Unterschied.


Es ist nicht von „Gott“ die Rede, sondern vom „Namen Gottes“. Dem Namen scheint also eine besondere Bedeutung zuzukommen. Diese besondere Bedeutung lässt sich aus der hebräischen Bibel (= AT) erschließen: Gott offenbart sich, indem er seinen Namen offenbart. Der Name gibt Hinweise zum Wesen Gottes (vgl. Ex 3,13-15). Wer den Namen Gottes kennt, kennt Gott (vgl. Gen 32,28-30; Jes 52,6).


Das Verb „blasphêmeomai“ bedeutet „geschmäht werden“, „gelästert werden“ oder „verleumdet werden“. Es stellt sich im Hinblick auf 6,1 die Frage, was mit „ geschmäht/gelästert/verleumdet werden“ gemeint ist. „Schmähen“, „lästern“ und „verleumden“ sind Verben, die ausdrücken, dass schlecht über etwas gesprochen wird, wobei „verleumden“ betont, dass dies unrechtmäßig geschieht. Dem „Namen Gottes“ kommt besondere Bedeutung zu, und zwar positive, weshalb über ihn nicht schlecht gesprochen werden darf. Und die christliche Lehre ist eine wahre Lehre, weshalb auch über sie nicht schlecht gesprochen werden darf. Darüber hinaus darf aber auch kein Anlass gegeben werden, dass über den „Namen Gottes“ und die christliche Lehre schlecht gesprochen wird. Letzterer Aspekt ist dem Verfasser des 1 Tim, dem es um Konformität des Christentums mit der antiken griechisch-römischen Gesellschaft geht, wichtig. Der „Name Gottes“ und die christliche Lehre dürfen also nicht in Verruf kommen. Dies drückt gut die Übersetzung „… damit der Name (des) Gottes ... nicht in Verruf kommen“ aus.


„Paulus“ hat eine Lehre im Blick, die von ihm selbst als richtig bewertet wird, also aus seiner Sicht der paulinischen Lehre entspricht. Der Verfasser des 1 Tim nennt sich ja selbst „Paulus“ (vgl. 1,1), womit er für sich die paulinische Autorität in Anspruch nimmt und sich selbst und seine Theologie als „paulinisch“ kennzeichnet. Wenn Paulus in Gal 3,28 schreibt „Es gibt nicht mehr Juden noch Griechen, nicht mehr Sklaven noch Freien, nicht mehr männlich noch weiblich; denn ihr seid alle einer in Christus Jesus“, dann liegt das Missverständnis nahe, dass die Sklaven ihr Joch abschütteln und allein Gott bzw. Jesus Christus dienen sollen. „Paulus“ macht in 1 Tim 6,1 deutlich, dass er keine soziale Revolution beabsichtigt. Die Gesellschaftsordnung des Römischen Reiches soll nicht infrage gestellt werden. Das gilt auch im Hinblick auf die Christen, die den christlichen Glauben im Rahmen ihres gesellschaftlichen Standes leben sollen, auch wenn sie Sklaven sind. Dieser Aspekt der Lehre des „Paulus“ entspricht in der grundsätzlichen Richtung der paulinischen Lehre (vgl. 1 Kor 7,21-22), bei – den deuteropaulinischen Schriften entsprechend (vgl. Kol 3,22; Eph 6,5) – verstärkt gesellschaftskonformer Tendenz.


Weiterführende Literatur: Laut M. Villalobos Mendoza 2014, 192-198 seien die Aussagen der Pastoralbriefe auf eine Verfestigung der antiken Sklaverei ausgerichtet. Sie folgten der griechisch-römischen Vorstellung, wonach manche Menschen geboren seien, um zu herrschen, andere dagegen, um beherrscht zu werden. Mit der Lehre des Paulus habe das ebenso wenig zu tun wie mit der Lehre Jesu, die neuartige Beziehungen im „Haus“ angestrebt hätten.


Gemäß A. Ruck-Schröder 1999, 104-105 seien der Name Gottes und die Lehre auch für Außenstehende die Kennzeichen der christlichen Gemeinde: Der Name Gottes werde öffentlich angerufen, die christliche Lehre nach außen hin sichtbar befolgt. In diesen Sinn sei „blasphêmêtai“ hier mit „in Verruf kommen“ zu übersetzen. Es gehe um die Wirkung des Ungehorsams nach außen.


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V. 2


Beobachtungen: Das Verb „kataphroneô“ kann mit „geringschätzig behandeln“ oder „gering achten“ übersetzt werden. Weil Sklaven ihren Herren untergeordnet sind und als Untergebene ihre Geringschätzung sicherlich kaum in dem Maße zeigen, wie Gleichgestellte oder Übergeordnete es tun würden, ist hier die Übersetzung „gering achten“ passender.


„Geschwister“ meint hier nicht leibliche Geschwister, sondern Glaubensgeschwister, nämlich Christinnen und Christen. Bei dem Substantiv „adelphoi“ handelt es sich zwar um eine maskuline Form, die zunächst mit „Brüder“ zu übersetzen ist, jedoch sind hier vermutlich auch die „Schwestern“ eingeschlossen. Es sind ja vermutlich nicht nur Sklaven angesprochen, sondern auch Sklavinnen, ebenso nicht nur Sklavenhalter, sondern auch Sklavenhalterinnen. Dass die „Schwestern“ unkenntlich bleiben, liegt an der männerzentrierten Sprache, die gemischtgeschlechtliche Gruppen als reine Männergruppen erscheinen lässt.


Auf den ersten Blick scheint V. 2 die Aussage von V. 1, dass die Sklaven ihre eigenen Herren aller Ehre wert halten sollen, zu wiederholen, nur eben speziell auf Sklaven von gläubigen Herren zu beziehen. Die geforderte Ehrerbietung würde dann mit „weil sie Geschwister sind“ begründet. Tatsächlich geht der Gedanke aber weiter: „Weil sie Geschwister sind“ begründet wohl nicht die geforderte Ehrerbietung, sondern mögliche Geringachtung der gläubigen Herren seitens der (gläubigen) Sklaven. Mit Blick auf Gal 3,28 könnten nämlich (gläubige) Sklaven sagen, dass es in Christus Jesus keine Sklaven und Sklavenhalter gibt, sondern nur „Geschwister“. „Gering achten“ bedeutet demnach, den übergeordneten Status des Sklavenhalters infrage zu stellen. Es bedeutet nicht „geringschätzig behandeln“, denn wenn Sklavenhalter als „Geschwister“ angesehen werden, ist damit eine gewisse Würdigung gegeben. Aber es ist eine Würdigung aus geistlicher Sicht, nicht aus gesellschaftskonformer Sicht. Aus gesellschaftskonformer Sicht ist es eine Geringachtung.


Die Sklaven sollen Sklaven bleiben und die Sklavenhalter sollen Sklavenhalter bleiben. Aber als „Geschwister“ sollen sie ihr Verhältnis zueinander vertiefen und christlich gestalten. Entscheidend ist der Aspekt der Gegenseitigkeit, wie er für das römische Klientelverhältnis typisch ist. Der „Herr“ übt über seine Untergebenen (= Klienten) Macht aus, ist zugleich aber deren Schutzherr. Die Gegenseitigkeit betont „Paulus“, indem er offen lässt, wer die „Gläubigen“, die „Geliebten“ und diejenigen sind, die Gutes tun. Sowohl die Sklavenhalter als auch die Sklaven können gemeint sein. Sowohl die Sklavenhalter als auch die Sklaven sind „Gläubige“. Angesichts der Tatsache, dass „pistoi“ nicht nur mit „Gläubige“, sondern auch mit „Treue“ übersetzt werden kann, kommt auch ein weiterer Aspekt in den Blick: Die Sklaven sind ihren eigenen Herren treu, was gegen einen Umsturz der Gesellschaftsordnung spricht. Die Sklaven und Sklavenhalter sind auch gleichermaßen „Geliebte“, wobei nicht gesagt wird, von wem sie geliebt werden. Zu denken ist an Gott, aber auch an die Glaubensgeschwister. Die Sklaven werden von den Sklavenhaltern geliebt und die Sklavenhalter von den Sklaven. Es handelt sich um Liebe, die aus dem Glauben resultiert, nicht um romantische, erotische oder sexuelle Liebe.


Die Darstellung der Sklaverei seitens des „Paulus“ erscheint angesichts der Tatsache, dass Sklaven in der Antike als Sachen gelten, doch als sehr idealistisch. Ist „Paulus“ ein hoffnungsloser Träumer? Eine solche Deutung wird „Paulus“ nicht gerecht. Zu bedenken ist nämlich, dass „Paulus“ keine Schilderung des Ist-Zustandes bietet. Ihm dürfte bewusst sein, dass manche Sklavenbesitzer mit ihren Sklaven schlecht umgehen. Aber das ist ja gerade der Punkt: Christliche Sklavenbesitzer sollen ihre Sklaven gut behandeln. Sie sollen mit ihnen so umgehen, wie es sich unter Glaubensgeschwistern gehört. Und dies ist keine utopische Vorstellung, denn manche Sklaven – insbesondere diejenigen mit einer besonderen Nähe zu ihren Herren - haben in der Antike eine gute Stellung inne und ihnen geht es vergleichsweise gut. Und ein Sklave, dem es gut geht, dient seinem Herrn freiwillig „noch eifriger“. Dass Sklaven ihren Herrn eifrig dienen, setzt „Paulus“ gesellschaftskonform voraus.

Dass „Paulus“ keinen Ist-Zustand schildert, geht eindeutig aus der Aufforderung „Dies lehre und schärfe ein!“ hervor. Weder wird die gegebene Gesellschaftsordnung idealisiert noch wird zum Aufstand gegen die Sklavenhalter aufgerufen. Es geht um christliches Verhalten im Rahmen der gegebenen Gesellschaftsordnung, die somit in einem begrenzten Rahmen christlich geprägt wird. Die Aufforderung dürfte sich aber nicht nur auf die vorhergehenden Aussagen zum Verhältnis zwischen Sklaven und Sklavenhaltern beziehen, sondern auch auf die Aussagen des folgenden Abschnittes. Es handelt sich um eine Klammer zwischen beiden Abschnitten.


Den Aspekt der Gegenseitigkeit hinsichtlich des Tuns von Gutem wird durch das Verb „antilambanomai“ unterstrichen. Dieses Verb kann nämlich (u. a.) sowohl „bedacht sein auf“ oder „eifrig betreiben“ als auch „annehmen / in Empfang nehmen“ bedeuten. Das Verhältnis der Glaubensgeschwister ist also dem Wesen nach von einem Geben und Nehmen von Gutem geprägt.


Weiterführende Literatur: Zur Charakterisierung des Lehrens in den Pastoralbriefen siehe H. Roose 2003, 440-446: Die Gemeindeleiter seien zum Lehren verpflichtet. Ihr Lehren habe soteriologische Funktion, und sie seien dazu angehalten, dieses Heilsangebot auch gegenüber Irrlehrern offen zu halten. Das heiße auch, dass sich die Gemeindeleiter nicht bedeckt halten dürfen. Sie sollten lehren, auch wenn ihnen das Repressalien einbringt. Die Pastoralbriefe ließen keinen Zweifel daran, dass das Lehren mit Leid gekoppelt ist. Die Bereitschaft, dieses Leid auf sich zu nehmen – unter Umständen bis hin zum Märtyrertod (vgl. 2 Tim 4,6) -, werde unzweideutig eingefordert. Die Gemeindeleiter dienten also in der Tat der Gemeinschaft, indem sie lehren. Denn sie stellten dadurch ihre Leidensbereitschaft unter Beweis und vermittelten den Gemeindeangehörigen das Heilsangebot des Evangeliums. Dem Verfasser der Pastoralbriefe sei vermutlich die hinter Mk 10 stehende Tradition – insbesondere das Ideal des Dienens und Leidens in pointierter Abgrenzung von der Herrschaft – bekannt gewesen. Er forme ein Bild vom lehrenden Gemeindeleiter, das diesem Ideal in wesentlichen Punkten entspricht.



Literaturübersicht


Roose, Hanna; Dienen und Herrschen: Zur Charakterisierung des Lehrens in den Pastoralbriefen, NTS 49/3 (2003), 440-446

Ruck-Schröder, Adelheid; Der Name Gottes und der Name Jesu: eine neutestamentliche Studie (WMANT 80), Neukirchen-Vluyn 1999

Villalobos Mendoza, Manuel; When Men Were Not Men: Masculinity and Otherness in the Pastoral Epistles (The Bible in the Modern World 62), Sheffield 2014

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