Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Erster Timotheusbrief

Erster Brief des Paulus an Timotheus

1 Tim 6,20-21

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

1 Tim 6,20-21



Übersetzung


1 Tim 6,20-21 : 20 O Timotheus, hüte das anvertraute Gut und meide die unheiligen, leeren Reden und Widersprüche der fälschlich so genannten „Erkenntnis“, 21 zu der sich manche bekannt haben und dadurch vom Glauben abgeirrt sind. Die Gnade sei mit euch.



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V. 20


Beobachtungen: 6,20-21 stellt den Abschluss des 1 Tim dar. In dem beschwörenden Ton, der weite Passagen des 1 Tim wie insbesondere auch 6,11-16 prägt, ist auch V. 20 gehalten. In V. 20 fasst der Verfasser des 1 Tim, „Paulus“, in einem Satz die zentrale Aussage des 1 Tim zusammen.


Parathêkê“ ist ein Begriff aus der Wirtschafts- und Finanzwelt. In der Antike konnte Geld, das sicher aufbewahrt werden sollte, einer Bank übergeben werden. Eine solche Bankeinlage wurde als „parathêkê“ bezeichnet. Ebenso konnte Geld, ein Wertgegenstand (oder eine Person) einer vertrauenswürdigen Privatperson zur Aufbewahrung anvertraut werden. Auch in V. 21 ist ein „anvertrautes Gut“ im Blick, wobei nicht präzisiert wird, worum es sich genau handelt. Es handelt sich auf jeden Fall um ein wertvolles Gut, denn es soll bewahrt (oder: behütet/bewacht) werden. Vermutlich ist an den Inhalt des 1 Tim gedacht. Diesen hält „Paulus“ für paulinisch (vgl. 1,1, wo sich der Verfasser des 1 Tim als „Paulus“ ausgibt), womit er die paulinische Theologie und Lehre bewahrt sehen möchte. Für die Bewahrung ist „Timotheus“ ausersehen, wobei der Name des engen Mitarbeiters des Paulus repräsentativ für die Gemeindeleiter (speziell Aufseher/Bischöfe) stehen dürfte. Paulus ist das Evangelium anvertraut worden (vgl. 1,11) und er hat dieses auf seinen Reisen unverfälscht verkündigt.. Insofern dürfte es sich bei dem „anvertrauten Gut“ auch um das Evangelium als Grundlage „gesunder“ (= rechter) Theologie und Lehre handeln.


Die Irrlehren werden als „Erkenntnis“ („gnôsis“) bezeichnet. Aus Sicht des „Paulus“ ist das eine falsche Bezeichnung. Der Begriff „Erkenntnis“ lässt nämlich annehmen, dass die Vertreter der „Erkenntnis“ Einblick in wahre Dinge haben. In Wirklichkeit haben sie laut „Paulus“ keine Ahnung von dem, was sie sagen und so sicher behaupten (vgl. 1,7). Bei der „Erkenntnis“ handelt es sich seiner Meinung nach um „leere Reden“ (oder: „leeres Gerede“, „Geschwätz“; altgriechisch: „kenophônia“; in 1,6 findet sich der vermutlich bedeutungsgleiche Begriff „mataiologia“) und um „Widersprüche“. Unter den „leeren Reden“ haben wir Gerede zu verstehen, das man nicht ernst nehmen kann. Es ist töricht und hat mit der Wahrheit nichts zu tun. Somit ist es nichtig und führt nicht zum Heil. Es ist also ein völlig irrelevantes Gerede. Die „leeren Reden“ geißelt „Paulus“ als „unheilig“. Sie haben demnach nichts mit Gott, Jesus Christus und dem heiligen Geist zu tun und sind somit unchristlich.

Der altgriechische Begriff für „Widersprüche“ ist „antitheseis“. Von daher stammt im Deutschen das Fremdwort „Antithese“ (= Singular: „antithesis). Eine „These“ besteht aus aufgestellten Leit- oder Lehrsätzen, die als Ausgangspunkt der weiteren Argumentation dienen. Eine „Antithese“ stellt eine Entgegnung dar, die die „These“ zu widerlegen versucht. „Paulus“ sagt nicht, welches die „These“ ist, sondern sagt nur, dass es sich bei den Irrlehren um „Antihesen“ handelt. Somit ist möglich, dass die christliche Verkündigung und Lehre, die der paulinischen entspricht, die „These“ ist. Die Irrlehren stehen der „These“ entgegen, widersprechen ihr und stellen eigene Verkündigungen und Lehren dar. Möglich ist aber auch, dass sich die Irrlehren untereinander widersprechen. Der Grund liegt darin, dass den Irrlehrern alles unklar ist, weil sie keine Ahnung haben. So kreisen sie ohne Unterlass um Streitfragen und verzehren sich in endlosen Kontroversen und Wortgefechten (vgl. 1,4; 6,4). Insofern könnte jede beliebige Irrlehre die „These“ sein, der die anderen Irrlehren als „Antithesen“ widersprechen.

Es ist offensichtlich, dass es sich bei der „Erkenntnis“ („Gnosis“) um keine einheitliche Lehre handelt. Vielmehr handelt es sich um eine Vielzahl verschiedener Lehren, die – vermutlich aufgrund bestimmter Gemeinsamkeiten – als „Erkenntnis“ bezeichnet wurden. Dabei lässt die Formulierung „fälschlich so genannt“ offen, von wem die Bezeichnung verwendet wurde. Handelt es sich um eine Selbstbezeichnung der Anhänger, die mit ihr zum Ausdruck bringen wollten, dass sie selbst Erkenntnis haben? Oder handelt es sich um eine allgemein in der Gesellschaft gängige Bezeichnung? In letzterem Fall könnte sie entstanden sein, weil den Zeitgenossen aufgefallen ist, dass Anhänger bestimmter Lehren sich selbst besondere Erkenntnis attestierten. Möglich ist auch, dass die Bezeichnung eine gewisse Bewunderung gegenüber den Lehren erkennen lässt, denen man besondere Erkenntnis zuschrieb.


Weiterführende Literatur: Laut V. Mihoc 2009, 135-152 scheine 6,3-21 eine Sammlung verschiedener Ermahnungen und Anordnungen zu sein. Korrekter sei es aber wohl, den Abschnitt als Briefschluss anzusehen. Paulus behandele in ihm erneut die beiden grundlegenden Themen: die Anprangerung der Gegner und die Ermutigung des Timotheus.


R. Amici 2008, 455-473 geht den verschiedenen Aussagen zu Irrlehrern und deren Lehren nach, wie sie sich in den Briefen an Timotheus und Titus finden. Zu 1 Tim 6,20: In den Lehren der Irrlehrer spiele die „Erkenntnis“ anscheinend eine große Rolle. Der Vers sei eine der Bibelstellen, aus denen die Forschung eine frühe Form der christlichen Gnosis herausliest.


Gemäß E. Schlarb 1986, 276-281 formuliere der Verfasser des 1 Tim in 1 Tim 6,20 von sich aus antithetisch, stilistisch wie sprachlich. Gegenüber der eigenen wahren Glaubensvermittlung gebe es keine mögliche zweite – jede abweichende Position könne nur eine entgegengesetzte sein. Und es gebe auch keine einheitliche, sondern nur eine verwirrend vielfältige. Die immer wieder erwogene Anspielung auf die „Antithesen“ des Marcion lege sich von diesen Beobachtungen her nicht nahe. Vielmehr weise der Verfasser des 1 Tim selbst polemisch der gegnerischen Position den Standort zu.


Dass die Irrlehrer eine präsentische Eschatologie vertreten hätten, nimmt P. H. Towner 1987, 95-124 an. Dabei lasse sich die Situation in Ephesus am ehesten vom Ersten Korintherbrief her erklären. Inwieweit eine Beziehung zum Gnostizismus (des 2. Jh. n. Chr.) besteht, sei unklar. Einerseits ließen die spiritualisierte Vorstellung von Auferstehung und die präsentische Eschatologie ebenso wie die in 1 Tim erwähnten asketischen Tendenzen Anknüpfungspunkte an den Gnostizismus erkennen, andererseits unterscheide sich die Lage in den Pastoralbriefen vom korinthischen Enthusiasmus in drei Punkten: Erstens stellten die Irrlehrer der Pastoralbriefe eine einheitlichere Front als die korinthischen Pneumatiker dar. Zweitens stelle ihre Bezugnahme auf das AT einen wichtigeren Faktor dar. Drittens zeige sich die Auferstehungslehre in einem entwickelteren Stadium oder werde vom Verfasser der Pastoralbriefe klarer erklärt als dies in 1 Kor 15 der Fall sei.


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V. 21


Beobachtungen: Die Irrlehrer – oder zumindest ein Teil von ihnen – waren zunächst Anhänger des rechten christlichen Glaubens. Von diesem sind sie jedoch abgeirrt, indem sie sich zur „Erkenntnis“ bekannt haben (und weiterhin bekennen). Damit verfehlen sie ihr Ziel („astocheô“ bedeutet sowohl „abirren“ als auch „das Ziel verfehlen“), nämlich das ewige bzw. wahre Leben, denn für dieses ist der rechte christliche Glaube die Voraussetzung.


„Die Gnade sei mit euch“ ist der sehr kurze Schlussgruß. Dabei fällt auf, dass sich der Schlussgruß an eine Mehrzahl Adressaten richtet, obwohl der 1 Tim gemäß 1,2 nur an „Timotheus“, den engen Mitarbeiter des Paulus, gerichtet ist. Das bestätigt die Annahme, dass „Timotheus“ die Gemeindeleiter (speziell die Aufseher/Bischöfe) repräsentiert. Der 1 Tim ist folglich an die Gemeindeleiter gerichtet, an die sich somit auch der Schlussgruß richtet. Schon in der Antike ist die Diskrepanz zwischen dem einen Adressaten namens Timotheus und der Mehrzahl Adressaten des Schlussgrußes aufgefallen. So ist es zu der Textvariante gekommen, die „Die Gnade sei mit dir“ statt „Die Gnade sei mit euch“ liest. Der Schlussgruß der Variante richtet sich folglich auch nur an den einen Adressaten namens Timotheus.


Es wird nicht gesagt, wessen „Gnade“ im Blick ist. 1,14 bringt die Gnade mit „unserem Herrn“ in Beziehung, womit gemäß 1,12 und 6,14 Jesus Christus gemeint ist. Insofern handelt es sich vermutlich auch in 6,21 um die Gnade Christi. Allerdings scheint das Gewicht der Aussage nicht darauf zu liegen, um wessen Gnade es sich handelt. Das Gewicht der Aussage liegt vielmehr auf der Gnade an sich. In dem Begriff „Gnade“ findet sich komprimiert die ganze existenzielle Dramatik des 1 Tim. Eine Vielzahl Aspekte dürfte anklingen: Zum einen dürfte sich die Gnade auf den stellvertretenden Tod Jesu am Kreuz beziehen, außerdem auf Jesu Auferweckung von den Toten. Das ist ein Heilsgeschehen aufgrund von Gottes Gnade. Dieses Heilsgeschehen begründet Sündenvergebung, Auferweckung von den Toten und ewiges Leben. Zum anderen dürfte sich die Gnade auf den rechten christlichen Glauben beziehen, der keine menschliche Leistung ist, sondern (von Gott oder Jesus Christus) geschenkt. Gnade ist aber auch das treue Verharren im christlichen Glauben, trotz aller Bedrängnisse und Irrlehren. Darüber hinaus ist auch die rechte Amtsausübung des „Timotheus“ eine Gnade, denn auch sie ist keine menschliche Leistung. Und schließlich ist auch das Erreichen des Ziels, der Sündenvergebung und des ewigen Lebens, eine Gnade. Sündenvergebung und ewiges Leben werden gnädig geschenkt, nicht durch Leistung erworben. Bei all den Aspekten wird deutlich: Eine klare Trennung zwischen der Gnade Gottes und der Gnade Christi ist nicht möglich. Vielmehr schwankt der Begriff „Gnade“ im Schlussgruß zwischen „Gnade Gottes“ und „Gnade Christi“ hin und her.


In einer Textvariante findet sich ein abschließendes „amên“. „Amên“ ist dem Hebräischen entlehnt und bedeutet „gewiss“. Das vorher Gesagte ist demnach gewiss wahr oder wird gewiss eintreten.


Weiterführende Literatur:



Literaturübersicht


Amici, Roberto; Etero-didascalie e falsi maestri nelle lettere a Timoteo e a Tito, RivBib 56/4 (2008), 455-473

Mihoc, Vasile; The Final Admonition to Timothy (1 Tim 6,3-21), in: K. P. Donfried [ed.], 1 Timothy Reconsidered (Colloquium Oecumenicum Paulinum 18), Leuven 2008, 135-152

Schlarb, Egbert; Miszelle zu 1 Tim 6,20, ZNW 77,3-4 (1986), 276-281

Towner, P. H.; Gnosis and Realized Eschatology in Ephesus (of the Pastoral Epistles) and the Corinthian Enthusiasm, JSNT 31 (1987), 95-124

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