2 Kor 4,16-18
Übersetzung
2 Kor 4,16-18:16 Deshalb verzagen wir nicht, sondern, wenn auch unserer äußerer Mensch zugrunde geht, so wird doch unser innerer Tag für Tag erneuert. 17 Denn das momentan Geringfügige unserer Bedrängnis verschafft uns in maßloser Fülle ein ewiges Gewicht an Herrlichkeit, 18 [uns], die wir nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare achten; denn das Sichtbare ist vergänglich, das Unsichtbare aber ewig.
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Beobachtungen: In 4,7-15 hat Paulus geschildert, dass seine Existenz von Verfolgung geprägt ist. Die Drangsal trifft auch seinen Leib, so dass er schreiben kann, dass er das Sterben Jesu am eigenen Leibe herumtrage. Die Reaktion, die auf eine solche Lage zu erwarten wäre, ist Resignation und Aufgabe. Eine solche Reaktion würde jedoch dem äußeren Ergehen ein hohes Gewicht geben. Das ist nicht in Paulus’ Sinne. Aus seiner Sicht ist der Leib, der äußere Mensch, nur ein "Tongefäß“ (vgl. 4,1), das dem Ruhm Gottes dient. Wichtig ist nicht, dass der äußere Mensch zugrunde geht, sondern dass der innere Mensch Tag für Tag erneuert wird.
Paulus konkretisiert nicht, was er unter dem "inneren Menschen“ versteht. Negativ ausgedrückt lässt sich nur sagen, dass es nicht der "äußere Mensch“ ist, also der menschliche Leib. Wenn der Leib auch angesichts der Mühen und Verfolgungen im Rahmen der Mission zugrunde geht, so wird der innere Mensch doch Tag für Tag erneuert. Die Formulierung "Tag für Tag“ lässt nicht auf eine kontinuierliche Entwicklung wie den Verfall oder die Kräftigung schließen, sondern auf ein wiederholtes Geschehen, das jeden Tag erneut erfolgt.
Auch was Paulus unter der Erneuerung versteht, bleibt offen und ist aus V. 17-18 zu erschließen.
Weiterführende Literatur: G. Dautzenberg 1987, 75-104 geht auf folgende Punkte ein: die Stellung des Abschnitts 2 Kor 4,13-5,10 in 2 Kor 1-8 und sein literarischer Charakter; Exegese einzelner Passagen in 2 Kor 4,7-5,10.
W. Avram 2001, 70-73 liest 4,1-18 unter dem Gesichtspunkt, wie Paulus den Adressaten seine Autorität und Glaubwürdigkeit plausibel macht.
R. Penna 1982, 401-431 diskutiert zunächst einige umstrittene Aspekte des Abschnittes 4,7-5,10, analysiert den Abschnitt dann unter der Überschrift "Die apostolischen Leiden zwischen Glaube und Hoffnung“ und geht danach auf dessen Anthropologie und Eschatologie ein. Die Anthropologie sei auf die körperlichen Aspekte des Menschen fixiert, doch finde sich auch eine übernatürliche Anthropologie, die sich des Wirkens des Geistes bewusst ist (vgl. 4,16; 5,5). Die grundlegende Eschatologie sei weder systematisch noch völlig klar.
J. A. du Rand 1999, 340-353 vertritt hinsichtlich 4,7-5,10 die Ansicht, dass Paulus’ Anthropologie nur im Lichte seiner Eschatologie zu verstehen sei und umgekehrt. Zu anthropologischen Aspekten in 4,6-5,10 äußert sich knapp auch J. Lambrecht 2003, 218-225.
D. E. Aune 2001, 215-239.309-316 legt dar, dass zwar diskutiert werde, inwiefern die anthropologischen Vorstellungen des Paulus von hellenistischen oder jüdischen Modellen geprägt sind, jedoch weitgehend Einigkeit herrsche, dass sein eschatologisches oder apokalyptisches Gedankengut jüdische Wurzeln habe. Nun gebe es aber einige wenige Stellen in den paulinischen Briefen, in denen anthropologische und eschatologische Fragestellungen zusammenlaufen: 1 Kor 15,50-57; 1 Thess 4,13-18; Phil 3,20-21; 2 Kor 4,16-5,10 und 5,17. In der Passage 4,16-5,10, der sich D. E. Aune widmet, liege ein Gemenge anthropologischer und eschatologischer Motive aus dem Hellenismus, frühen Judentum und frühen Christentum vor. Typisch sei für diese Passage, dass antithetisch die gegenwärtige Situation der Christen der zukünftigen Verwirklichung des Heils gegenüber gestellt werde. D. E. Aune geht der Bedeutung der anthropologischen und eschatologischen Vorstellungen in 2 Kor 4,16-5,10 nach und macht deutlich, dass nicht nur von hellenistischen und jüdischen Einflüssen auszugehen sei, sondern auch von eigenständig paulinischem Gedankengut.
J. Eckert 2002, 61-85 setzt sich kritisch mit der These auseinander, dass der in 2 Kor 4,16 von Paulus verwendete Begriff des "inneren Menschen“ hier im Gegensatz zu seiner Verwendung in Röm 7,22 die schon übernatürlich durchformte Seele meine, wie ja auch 2 Kor 4,16-5,10 weithin als ein kräftiger Schritt auf eine in hellenistischen Denkkategorien erfolgte Verkündigung gelte. J. Eckert vertritt die Ansicht, dass bei aller sprachlichen und inhaltlichen Verwandtschaft mit der hellenistischen und jüdischen Weltanschauung vor allem der Kontext die Spezifika der paulinischen und christlichen Theologie hervortreten lasse. Dieses Bild würde sich bei der Einbeziehung der übrigen Schriften des NT noch verstärken. Eine Vielfalt anthropologischer bzw. postmortaler Vorstellungen finde sich auch schon in der alttestamentlich-jüdischen Tradition, die sich ja auch dem Seelenbegriff nicht völlig verschlossen habe. Auffällig bleibe ohne Zweifel jedoch der Wandel der Begrifflichkeit bei Paulus, wobei die neue "hellenisierende“ Sprache des Paulus in 2 Kor 4,16-5,10 vor allem situationsbezogen sei: Paulus entgegne der Kritik an der "Schwachheit“ und dem damit gegebenen Defizit an pneumatischer Kraft im Leben und Wirken des Paulus mit dem Hinweis, dass zwar der "äußere Mensch“ aufgerieben wird, jedoch der "innere Mensch“ Tag für Tag erneuert wird.
H. D. Betz 2000, 315-341 geht von der Annahme aus, dass die paulinische Rede vom "äußeren“ und vom "inneren Menschen“ auf Gedankengut des Philosophen Plato basiere. Dabei blieben jedoch zwei Fragen offen, denen nachzugehen sei: Wie ist das Gedankengut in die Hände des Apostels geraten? Wie interpretiert es Paulus in Übereinstimmung mit seiner eigenen Anthropologie? H. D. Betz versteht die Entwicklung der paulinischen Anthropologie als einen fortlaufenden Prozess, der von den Kontakten mit zum Christentum übergetretenen Menschen, die volkstümliche Sichtweisen bezüglich der dualistischen Anthropologie von Körper und Seele beibehalten haben, bewirkt worden sei. Die Frage nach dem menschlichen Wesen habe die Zeitgenossen des Paulus beschäftigt. Da Paulus die mittelplatonische Vorstellung von einer im materiellen Körper gefangenen oder vergrabenen unsterblichen Seele abgelehnt habe, sei er gezwungen gewesen, eigene Thesen aufzustellen. Paulus leugne nicht den von den Menschen empfundenen Widerstreit zwischen dem Äußeren und dem Inneren, doch gehe er von der Einheit des Menschen aus.
W. Schrage 1989, 222-234 meint, dass neben der Notwendigkeit stets neuer Heiligung, die mit der von Tag zu Tag neu geschehenden Neuwerdung der Christen zu vergleichen sei (vgl. 2 Kor 4,16), auch vom Wachsen in der Heiligung als einem Prozess zu reden sei, was er in seinem Artikel tut.
V. P. Branick 1985, 664-675 versucht aufzuzeigen, dass Paulus’ Aussagen nicht nur apokalyptisch zu interpretieren seien, sondern dass der Apostel auch gegenüber späteren Formen präsentischer Eschatologie offen sei. Solche präsentische Eschatologie sei im Keim auch in 2 Kor 4,16 angelegt.
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Beobachtungen: Der menschliche Leib, der "äußere Mensch“, ist mit momentaner Bedrängnis verbunden, der "innere Mensch“ dagegen mit ewiger Herrlichkeit. Der "äußere Mensch“ ist also mit der gegenwärtigen, vergänglichen Weltzeit verbunden, der "innere Mensch“ dagegen mit der Ewigkeit und somit auch mit der kommenden Weltzeit. Wenn also der "innere Mensch“ Tag für Tag erneuert wird, so lässt dies darauf schließen, dass schon die gegenwärtige Existenz des Apostels im Lichte der kommenden Weltzeit, dem Reich Gottes, zu sehen ist, auch wenn sie noch irdischer Unbill unterworfen ist.
Paulus macht deutlich, warum er die irdische Unbill auf sich nimmt: Der irdischen Bedrängnis steht Herrlichkeit gegenüber. Die Bedrängnis ist vorübergehend, die Herrlichkeit dagegen ewig. Die Bedrängnis mag aus rein irdischer Sicht erheblich sein, vergleicht man sie jedoch mit der maßlosen Fülle der ewigen Herrlichkeit, so ist sie geringfügig. So kommt der ewigen Herrlichkeit ein besonderes Gewicht, eine besondere Bedeutung zu. Dementsprechend spricht Paulus von einem "ewigen Gewicht an Herrlichkeit“.
Dieses "ewige Gewicht an Herrlichkeit“ kommt dem Menschen jedoch nicht ohne weiteres zu, sondern bedarf einiger Anstrengung: Zunächst einmal muss sich der Mensch zum christlichen Glauben bekehren. Hat er dies getan, muss er dementsprechend leben. Dabei ist die Verbreitung des Evangeliums, die wiederum mehr Menschen zum Glauben führen soll, ein wesentlicher Aspekt christlicher Existenz, die dem Gläubigen - insbesondere dem Missionar - "in maßloser Fülle ein ewiges Gewicht an Herrlichkeit“ verschafft. Das "Verschaffen“ ist dabei nicht im Sinne menschlichen Verdienstes zu verstehen. Zwar vergleicht Paulus die christliche Existenz mit einem sportlichen Wettkampf, bei dem es den Siegespreis zu erringen gilt (vgl. 1 Kor 9,24-27), doch ist der Christ göttlicher Gnade unterworfen. Alle Geistesgaben und alle Befähigung kommen von Gott (vgl. 1 Kor 12,1-11; 2 Kor 3,5-6) und der Christ ist nicht durch eigenes Handeln gerechtfertigt, sondern allein durch Christi Kreuzestod für die Sünden der Menschen. Das "Verschaffen“ ist vermutlich so zu verstehen, dass einem Christ, der seinem "Stand“ entsprechend lebt und somit auf Gottes Handeln angemessen antwortet, auch tatsächlich am Ende der Welt das ihm zugesprochene Heil erwarten kann.
Weiterführende Literatur: M. Bouttier 1987, 29-49 befasst sich mit der Stellung von 2 Kor 4,7-18 im größeren Zusammenhang, bietet versweise exegetische Anmerkungen und geht abschließend eingehender auf bestimmte Aspekte des Textes ein.
Zur kurzen Leidenszeit und zur ewigen Herrlichkeit siehe K. Erlemann 1995, 203-204.
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Beobachtungen: Paulus betont, dass es ihm nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare ankommt. Das Sichtbare, wozu der menschliche Leib gehört, ist nämlich vergänglich, das Unsichtbare, wozu der "innere Mensch“ gehört, ist dagegen ewig. Dem Ewigen misst Paulus besondere Bedeutung bei, nicht dem Vergänglichen. Deshalb erträgt er die Mühen und Verfolgungen, die ihm bei seiner Verkündigungstätigkeit zu schaffen machen, und er verzagt nicht.
Weiterführende Literatur: R. Quiroga 2008, 21-42 sieht in 2 Kor 4,1-5,10 Ähnlichkeiten mit Gen 1-3. So seien Begrifflichkeit und sprachliche Wendungen ähnlich; Bilder, Motive und "Bühnenbild“ würden wiederholt. In 2 Kor 4,16-18 seien folgende Ähnlichkeiten auszumachen: 2 Kor 4,16 // Gen 1,26-27. 2 Kor 4,17-18 // Gen 3,8.10.18-19.23-24.
Literaturübersicht
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Aune, David E.; Anthropological Duality in the Eschatology of 2 Cor 4:16-5:10, in: T. Engberg-Pedersen, Paul Beyond the Dualism/Hellenism Divide, Louisville et al. 2001, 215-239.309-316
Avram, Wes; 2 Corinthians 4:1-18, Interp. 55/1 (2001), 70-73
Betz, Hans Dieter; The Concept of the "Inner Human Being“ (ho esô anthrôpos) in the Anthropology of Paul, NTS 46 (2000), 315-341
Bouttier, Michel; La souffrance de l’apôtre. 2 Co 4,7-18, in: L. de Lorenzi [ed.], The Diakonia of the Spirit (2 Co 4:7-7:4) (Ben. 10), Roma 1987, 29-49 (Diskussion: 50-74)
Branick, Vincent P.; Apocalyptic Paul?, CBQ 47 (1985), 664-675
Dautzenberg, Gerhard; "Glaube“ oder "Hoffnung“ in 2 Kor 4,13-5,10, in: L. de Lorenzi [ed.], The Diakonia of the Spirit (2 Co 4:7-7:4) (Ben. 10), Roma 1987, 75-104 (Diskussion: 105-131)
du Rand, J. A.; Paulus se vernunftige vervlegting van anthropologie en eskatologie in 2 Korintiërs 4:7-5:10, Skrif en Kerk 20/2 (1999), 340-353
Eckert, Jost; “Wenn auch unser äußerer Mensch vernichtet wird, unser innerer aber wird erneuert Tag um Tag” (2 Kor 4,16), in: R. Brandscheidt, T. Mende [Hrsg.], Schöpfungsplan und Heilsgeschichte, FS E. Haag, Trier 2002, 61-85
Erlemann, Kurt; Naherwartung und Parusieverzögerung im Neuen Testament: ein Beitrag zur Frage religiöser Zeiterfahrungen (TANZ 17), Tübingen − Basel 1995
Lambrecht, Jan; Brief Anthropological Reflections (2 Corinthians 4,6-5,10), in: V. Koperski [ed.], Understanding What One Reads: New Testament Essays (Annua Nuntia Lovaniensia 46), Leuven − Paris − Dudley, Massachusetts 2003, 218-225
Penna, Romano; Sofferenze apostoliche, antropologia ed escatologia in 2 Cor 4,7-5,10 (Parola e Spirito), FS S. Cipriani, Brescia 1982, 401-431
Quiroga, Raúl; Back to Basics: Possible Intertextual Links between 2 Corinthians 4:1-5:10 and Genesis 1-3, JAAS 11/1 (2008), 21-42
Schrage, Wolfgang; Heiligung als Prozeß bei Paulus, in: D.-A. Koch u. a. [Hrsg.], Jesu Rede von Gott und ihre Nachgeschichte im frühen Christentum: Beiträge zur Verkündigung Jesu und zum Kerygma der Kirche, FS W. Marxsen, Gütersloh 1989, 222-234