Gal 3,19-25
Übersetzung
Gal 3,19-25:19 Was [soll] nun das Gesetz? Um der Übertretungen willen wurde es hinzugefügt, bis der Same käme, dem die Verheißung gegeben ist, verordnet durch Engel durch [die] Hand eines Mittlers. 20 Der Mittler gehört nicht [nur] zu einem Einzigen, Gott aber ist einer. 21 Steht nun das Gesetz gegen die Verheißungen? Das sei ferne! Denn wenn ein Gesetz gegeben wäre, das Leben schaffen könnte, dann käme die Gerechtigkeit in der Tat aus [dem] Gesetz. 22 Doch hat die Schrift alles unter [die] Sünde eingeschlossen, damit die Verheißung aufgrund [des] Glaubens an Jesus Christus den Glaubenden gegeben würde. 23 Bevor aber der Glaube kam, wurden wir unter [dem] Gesetz gefangen gehalten, eingeschlossen bis der zukünftige Glaube offenbart werden sollte. 24 So ist das Gesetz unser Zuchtmeister gewesen bis zu Christus hin, damit wir aus Glauben gerechtfertigt würden. 25 Nachdem aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter einem Zuchtmeister.
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Beobachtungen: Die Frage „Was soll nun das Gesetz?“ resultiert aus dem Fazit des vorangehenden Abschnittes, dass das Gesetz - gemeint ist das jüdische Religionsgesetz, das sich in der hebräischen Bibel (= AT), konkret in der Tora, findet - die Verheißung an Abraham und „seinen Samen“, Jesus Christus, weder abändern noch außer Kraft setzen könne und das „Erbe“ allein aus der Verheißung komme.
Da das Gesetz erst 430 Jahre nach der Verheißung erlassen wurde (vgl. Gal 3,17), kann Paulus sagen, dass es dieser hinzugefügt sei.
Als Grund für die Hinzufügung nennt er die „Übertretungen“. Was es mit den „Übertretungen“ auf sich hat, wird hier nicht weiter erklärt. Zunächst liegt die Interpretation nahe, dass das Gesetz zu Übertretungen führen soll. Gegen eine solche Deutung spricht jedoch, dass Paulus Gesetzesübertretungen und erst recht Gesetzlosigkeit nicht positiv bewertet. Die Heiden, die ihr Leben nicht anhand der hebräischen Bibel, die das Gesetz enthält, ausrichten, nennt Paulus dementsprechend in 2,15 im Gegensatz zu den Juden „Sünder“. Sünde gibt es also auch ohne das Gesetz; das Gesetz macht jedoch die Sünde offenbar (vgl. Gal 3,22; Röm 3,20; 4,15). Das Aufdecken der Sünde dürfte somit eher der Zweck des Gesetzes sein als die Verführung zur Sünde.
Der „Same“ ist laut 3,16 eine einzige Person, nämlich Jesus Christus. Bis zu dessen Kommen sollte das Gesetz seine Funktion behalten. Bei der Abfassung des Galaterbriefes ist Jesus Christus längst auf die Welt gekommen, gekreuzigt und begraben und von den Toten auferweckt worden und schließlich gen Himmel gefahren. Laut V. 19 ist die Zeit, in der das Gesetz von Bedeutung war, abgelaufen. Paulus geht also von einer klar abgegrenzten Zeit aus, in der das Gesetz seine Bedeutung gehabt hat: von seiner Übergabe 430 Jahre nach der Verheißung (vgl. Gal 3,17) bis zum Kommen Jesu Christi.
Paulus geht davon aus, dass das Gesetz nicht von Gott selbst verordnet wurde, sondern von Engeln. Das ist insofern erklärungsbedürftig, als die biblischen Bücher Exodus (31,18 u. ö.) und Deuteronomium (4,13 u. ö.) eindeutig davon ausgehen, dass der Gott Israels, JHWH, die beiden Gesetzestafeln selbst geschrieben und auf dem Berg Sinai dem Anführer seines Volkes, Mose, ohne jeden Mittler direkt übergeben hat. Es ist anzunehmen, dass Paulus Dtn 33,2LXX im Blick hat, wo es heißt, dass bei der Übergabe der Gesetzestafeln die Engel zu seiner Rechten bei ihm gewesen seien. Der masoretische Text (= der hebräische Text der Biblia Hebraica Stuttgartensia) Dtn 33,2 weiß von einem solchen Beisein der Engel jedoch nichts. Der schwer zu übersetzende, unklare Text besagt nur in etwa, dass sich zur Rechten Gottes ein Feuer des Gesetzes befunden habe. Die Formulierung wurde von den Übersetzern der Septuaginta (vgl. neben Dtn 33,2LXX auch Ps 67,18LXX), von jüdischen Autoren (vgl. Ios Ant 15,136; Jub 1,27.29; 2,1-2) und schließlich auch von ntl. Autoren (vgl. Apg 7,38.53; Hebr 2,2) so verstanden, dass bei der Übergabe der Gesetzestafeln in irgendeiner Form Engel mitgewirkt haben. Ob das von den Engeln Verordnete auch tatsächlich den Willen Gottes wiedergibt, ist unklar.
Der Aspekt, dass das Gesetz den Israeliten nicht unmittelbar von ihrem Gott übergeben wurde, wird noch dadurch unterstrichen, dass es bei der Übergabe eines Mittlers bedurfte, durch den es schließlich zu den Israeliten gelangte. Bei dem Mittler handelt es sich um eine einzige Person, von daher kann er nicht mit den Engeln identisch sein. Im AT (vgl. Ex 19,7; 20,19 u. ö.) erscheint Mose als derjenige, der die Gesetzestafeln von Gott in Empfang nahm und als Mittler zwischen Gott und dem Volk Israel diente, sodass er der von Paulus nicht namentlich genannte Mittler sein dürfte.
Die Formulierung „en cheiri“ kann wörtlich „durch [die] Hand“ übersetzt werden, womit die Übergabe der Gesetzestafeln mittels der Hand (des Mose) betont würde, oder auch „mit Hilfe“.
Weiterführende Literatur: D. F. Tolmie 2003, 515-532 versucht sich 3,15-25 mittels einer rhetorischen Analyse zu nähern, die sich von dem gewohnten Ansatz unterscheide. Würden meist antike rhetorische Kategorien auf den Galaterbrief übertragen, so versuche D. F. Tolmie die paulinische rhetorische Strategie in Begriffen des „grounded theoretical approach“ zu analysieren.
Eine Auslegung von Gal 3,19-22 bietet N. T. Wright 1991, 157-162.168-174.
D. B. Wallace 1990, 225-245 legt Gal 3,19-20 aus, wobei er sich eingehend mit der Sekundärliteratur zu diesen beiden Versen auseinandersetzt. Ergebnis: A) Es gebe Spuren einer theologischen Entwicklung zwischen dem Galater- und dem Römerbrief. B) Paulus biete ein einheitliches Bild, auch wenn dies nicht immer einfach zu fassen sei. C) Paulus halte es für unmöglich, das Gesetz gänzlich zu befolgen. Das Gesetz verdeutliche die völlige Unangemessenheit der Werkgerechtigkeit. D) Zumindest für den Gläubigen habe das Gesetz mit dem Kommen des Messias keine Bedeutung mehr.
Nach der Rolle des Gesetzes im Leben der Gerechtfertigten fragt J. Riches 2000, 149-158: Wenn der Glaubende gerechtgesprochen ist, wie steht es mit seinen Verpflichtungen dem Gesetz gegenüber?
K. Finsterbusch 1996, 39-55 geht folgender Frage nach: Hat für Paulus die Tora nur limitierte Gültigkeit insofern, als ihre wesentliche Funktion a priori – für die Glaubenden bis Christus begrenzte – negative ist, nämlich diejenige, die Sünde zu fördern? Zur Beantwortung dieser Frage geht sie auf S. 39-43 auch auf Gal 3,19-22 ein. Ergebnis: Das Gesetz sei gemäß Paulus einer durch die Sünde bestimmten Menschheit gegeben worden. Diese bestimme seine Funktion: Im Galaterbrief habe die Tora angesichts der Sünde, die hier unter dem speziell die Identität Israels gefährdenden Aspekt reflektiert werde, die Aufgabe, diese Identität zu bewahren (vgl. Gal 3,19-22). Im Römerbrief sei das Gesetz der die Sünde zur Geltung bringende Faktor, womit es indirekt die volle Entfaltung der Gnade veranlasse, insofern diese die Sünde überbiete (vgl. Röm 5,19-20). Die Sünde werde somit trotz ihrer Widergöttlichkeit letztlich in den Dienst Gottes genommen. Diese mit dem alten Äon zusammenhängenden Aufgaben der Tora seien mit Christi Kommen, also mit Beginn des neuen Äon, beendet.
Die verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten der Formulierung „um der Übertretungen willen“ stellt E. P. Sanders 1983, 66-67 vor. Meist werde angenommen, dass das Gesetz Übertretungen hervortreten lasse. Von dem Begriff des „paidagôgos“ („Zuchtmeister“) ausgehend, werde dem Gesetz aber auch vor Sünden bewahrende oder auch versklavende Funktion zugeschrieben. D. J. Lull 1986, 481-496 kritisiert, dass viele Ausleger annähmen, dass Paulus dem Gesetz nur eine negative Stellung in der Heilsgeschichte zuschreibe. Übersehen werde die positive Funktion, die es bis zum Kommen Christi gehabt habe. In dieser Zeit sei ihm die Funktion des „paidagôgos“ zugekommen, der den Menschen vor der Sünde bewahrt, wie auch der menschliche „paidagôgos“ seinen Anvertrauten bis zum Erwachsenenalter vor moralischen und ökonomischen Fehlern bewahrt. Das bedeute allerdings nicht, dass das Gesetz auf die moralische Erziehung des Messias, Jesus Christus, vorbereitet hat, denn dieser sei nicht vorrangig moralischer Lehrer gewesen.
Laut A. J. Bandstra 1989, 223-240 werde im NT an drei verschiedenen Stellen (Gal 3,19; Apg 7,53; Hebr 2,2) davon gesprochen, dass das Gesetz von Engeln verordnet oder verkündet worden sei. Dieses Zeugnis von drei verschiedenen Autoren sei insofern erstaunlich, als im AT in direkter Form nicht von gesetzgebenden Engeln die Rede sei. Höchstens Dtn 33,2 sei in diese Richtung zu interpretieren. Bemerkenswerterweise sei jedoch die Gegenwart von Engeln am Berg Sinai bei der Übergabe der Gesetzestafeln ein fester Bestandteil späterer rabbinischer Traditionen geworden. Jahrzehntelang habe man angenommen, dass Josephus‘ Bezug auf die „angeloi“ und auf das Gesetz in seiner Schrift „Altertümer“ (Ios Ant 15, 136) maßgebliche Grundlage des Traditionsbestandteils sei. Diese Annahme sei jedoch dann vermehrt angezweifelt worden. So sei gemutmaßt worden, dass mit den „angeloi“ bei Josephus nicht Engel, sondern Propheten oder Priester gemeint seien. A. J. Bandstra dagegen geht weiterhin davon aus, dass es sich bei den von Josephus erwähnten „angeloi“ um Engel handele. Allerdings hätten die Engel nicht die Gesetzgebung am Berg Sinai als Aufgabe, sondern das Lehren und Anordnen der wesentlichen Gesetzesinhalte, nämlich Gottes vergeltende Gerechtigkeit beim Belohnen des Guten und Bestrafen des Bösen.
Mit Gal 3,19 und den inhaltlich als Parallelen betrachteten Versen Apg 7,30-38.53; Hebr 2,2 befasst sich M. Mach 1982, 51-70. Da das Motiv der Tora-Verleihung durch Engel allgemein als jüdische Tradition gelte, die Paulus aufgenommen habe, solle versucht werden, diesen jüdischen Hintergrund und damit die ntl. Aussagen zu erhellen.
Kritisch mit der Auffassung, dass sich Paulus bei seiner Aussage, dass das Gesetz durch Engel übermittelt worden sei, auf eine wohlbekannte jüdische Tradition beziehe, setzt sich L. Gaston 1982, 65-75 auseinander. Seiner Meinung nach habe eine solche Tradition nicht existiert. Eher liege der paulinischen Aussage die dokumentierte Vorstellung von den Völkerengeln zugrunde.
T. Callan 1980, 549-567 vermutet, dass Gal 3,19b eine midraschartige Interpretation der Gesetzesübergabe zugrunde liege, die weit gehend den zeitgenössischen Auslegungstraditionen entspreche und die Paulus in einer für ihn typischen Weise gegen das Gesetz gewendet habe. Paulus stelle die Vermittlung des Gesetzes als minderwertig gegenüber der direkten Übergabe dar. Dass das Gesetz vermittelt wurde, sei wohl auf die Schwäche des israelitischen Volkes zurückzuführen (vgl. u. a. Ex 20,19). Gal 3,19b sei im Lichte der Erzählung vom Goldenen Kalb zu verstehen: Mose habe das erste Paar steinerne Gesetzestafeln aufgrund des Ungehorsams der Verehrung des Goldenen Kalbes seitens der Israeliten zerschmettert. Auf Anweisung Gottes hin habe Mose zwei neue steinerne Tafeln zurechtgehauen, auf die Gott erneut die Worte des Gesetzes geschrieben habe, und diese Tafeln dem Volk überbracht (vgl. Ex 34). Für das Gesetz bedeute dies: Die Wiederherstellung des Gesetzes mache die Lage der Menschen schlimmer, denn nun würden die Sünden zu Gesetzesübertretungen.
J. Riches 2000, 149-158 fragt nach der Rolle des Gesetzes im Leben der Gerechtfertigten. Wenn der Glaubende gerechtgesprochen ist, wie steht es mit seinen Verpflichtungen dem Gesetz gegenüber?
Laut H. Hübner 1978, 28-29 seien die Engel als dämonische Wesen zu begreifen. Begründung: Wenn die Engel Urheber des Gesetzes sind, dann sei es ihre Intention, die Menschen zur Gesetzesübertretung zu provozieren. Diese Intention dürfte nicht mit der Intention Gottes identisch sein. Kritisch mit dieser These setzt sich A. M. Buscemi 1982, 109-132 auseinander, der sich in seinem Aufsatz ausführlich mit der Funktion des Gesetzes befasst.
M. Bachmann 1999, 57-77 scheint, dass wenn auch nicht durch einen einzelnen Text, so doch durch ein aufgrund von Texten interpretierbares Fußbodenmosaik – nämlich das in der Synagoge von Bet Alfa – sich so etwas wie Bundesnomismus einigermaßen geschlossen vor Augen führen lässt. Die Interpretation auf das Gesetz hin sei, abgesehen vom Begriff eben speziell des Bundesnomismus, nicht sonderlich originell. Neu sei der Vergleich mit den paulinischen Aussagen in Gal 3,15-29, der zeigen dürfte, dass Paulus mit jener „Religionsstruktur“ vertraut ist. Wenn er sie hier anspreche, aber inhaltlich in erheblichem Maße modifiziere, könnte das überdies vielleicht anzeigen, dass er mit ihrem Einfluss auf die Galater rechnet. Der – optische – Vergleich von Mosaik und Textsegment endlich möge, zumal wenn dabei Übereinstimmungen und Differenzen schlagwortartig benannt werden, das Leben mit paulinischen Themen möglicherweise ein wenig erleichtern.
E. Stegemann 1985, 389-395 vergleicht die Passage 3,15-29 mit der jüdisch-hellenistischen Novelle „Joseph und Aseneth“. Paulus, der seine gesetzesfreie Heidenmission verteidigt, gebrauche jüdische Theologie Proselyten betreffend. Seine eschatologische Auslegung betone die historische Dimension der Verheißungen der Tora.
Laut B. M. Newman 1984, 334-337 werde „Same“ im AT im Hinblick auf die Abrahamsverheißung, die Gal 3,16 im Blick habe, kollektiv auf Abrahams Nachkommen bezogen. Diese Tatsache werfe die Frage auf, wie „Same“ in Gal 3,16.19 zu verstehen ist. Wird die kollektive Bedeutung beibehalten oder bezieht Paulus „Same“ nur auf ein einziges Individuum, auf Jesus Christus? Diese beiden Möglichkeiten blieben angesichts der Unwahrscheinlichkeit, dass der Versabschnitt „Es heißt nicht: ‚und den Samen‘, wie auf viele bezogen, sondern wie auf einen einzigen bezogen: „und deinem Samen“, welcher ist Christus.“ eine nichtpaulinische, spätere Hinzufügung ist, übrig. B. M. Newman kommt zu dem Ergebnis, dass „Same“ in Gal 3,16.19 einzig und allein Jesus Christus meine.
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Beobachtungen: Der Mittler ist nicht nur einem Einzigen zugeordnet. Bedeutet das, dass er nicht Gott allein, sondern auch den Engeln oder gar auch anderen Göttern dient? Oder ist gemeint, dass sich auf den Mittler zwei Parteien geeinigt haben, nämlich diejenige Gottes bzw. der Engel und diejenige der Israeliten?
Es ist nicht klar, welche Aufgabe der Mittler genau hatte und in welcher Form er zugeordnet war. Da es sich bei dem Mittler vermutlich um Mose handelt, der seinem Volk die Gesetzestafeln übergab, lässt sich nur sicher sagen, dass die Übergabe zu seinen Aufgaben gehörte. In welchem Rahmen seine vermittelnde Tätigkeit auch den Inhalt der Gesetzstafeln betraf, lässt sich nicht erschließen.
Paulus benutzt die präsentische Verbform „estin“ („ist/gehört“), als würde der Mittler noch leben. Sollte der Mittler tatsächlich Mose sein, so ist dies sicher nicht der Fall. Es ist wahrscheinlich, dass Paulus deswegen das Präsens benutzt, weil er eine grundsätzliche Aussage macht und ihm in V. 20 nicht das vergangene Geschehen wichtig ist.
In der Aussage, dass Gott „einer“ ist, klingt das Glaubensbekenntnis der Israeliten, das „Schema Jisrael“ Dtn 6,4-9 an. Auch dort heißt es in V. 4, dass Gott „einer/einzig“ („ächâd“) ist. Paulus geht es vermutlich um die Einzahl: Gott ist „einer“. Die Mittlerschaft Moses wäre überflüssig gewesen, wenn Gott selbst seinem Volk das Gesetz übergeben hätte.
Weiterführende Literatur: M. Pérez Fernández 1983, 335-339 legt Gal 3,20 aus, wobei er insbesondere der Bedeutung des Zahlworts „eis“ („Einer“) nachgeht.
S. M. Baugh 2004, 49-70 vertritt die Ansicht, dass V. 20 nicht die Minderwertigkeit des Gesetzes gegenüber den Verheißungen aussage oder das Gesetz herabsetze, weil es von Seiten der Engel oder des Menschen vermittelt sei. Vielmehr bekräftige Paulus die Unfähigkeit des Gesetzes, die Verheißungen des göttlichen Bundes zu vermitteln. Diese Verheißungen gründeten auf einem ewigen, innertrinitarischen Bund, der nicht vermittelt werden könne.
M. Bachmann 1999, 81-126 legt dar, dass sich von V. 20 her, lasse man alle feinen Differenzierungen (zunächst) beiseite, doch zwei einander ziemlich strikt entgegengesetzte Alternativen ergeben: Entweder wolle Paulus mit dem, was er zum Mittler und zu Gott aussagt, die mittelbare Herkunft des Gesetzes von Gott zum Ausdruck bringen, zumindest jedoch offenlassen, oder es gehe beim Mittler um die Absentierung Gottes aus dem Geschehen der Gesetzgebung, das sich dann als eine gottlose oder eine dämonisch bestimmte Aktion darstelle. M. Bachmann kommt angesichts dieser beiden Alternativen zu folgendem Ergebnis: Verheißung und Gesetz widersprächen sich nach Paulus nicht, obwohl chronologisch, soziologisch und funktional unterschieden, gleichwohl als Werke Gottes zusammen – des Gottes, der als der universale Gott sich doch (insbesondere) bei der Gesetzgebung, unter Vermittlung des Mose, gerade dem Volk Israel verbunden habe. Von einem dämonischen Charakter der Tora werde man angesichts von V. 20 keineswegs sprechen dürfen, und das sei umso gravierender, als der Apostel ja ohnehin nirgendwo sonst in diese Richtung weisende Äußerungen mache.
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Beobachtungen: Nach dem Paulus in V. 19-20 in aller Deutlichkeit die Mittelbarkeit des Gesetzes dargelegt hat, kommt er in V. 20 nun wieder auf die Frage zu sprechen, die er schon in V. 17-18 behandelt hat: Steht das Gesetz den Verheißungen entgegen, hebt es diese vielleicht sogar auf?
Im Gegensatz zu Gal 3,14.17-18.22.29; 4,28 benutzt Paulus in 3,21 (wie in 3,16) nicht den Singular „Verheißung“, sondern den Plural „Verheißungen“. Es geht also um mehr als die Verheißung „In dir werden alle Völker gesegnet werden.“ (vgl. Gen 12,3LXX; 18,18LXX) und die damit verbundene Verheißung des Geistes (vgl. Gal 3,14). Doch welche weiteren Verheißungen könnten gemeint sein? Die Verheißungen sind Abraham und „seinem Samen“ also seiner Nachkommenschaft, gesagt worden. Diese Formulierung verweist auf Gen 13,15; 17,8, wo Gott dem Abraham und seiner Nachkommenschaft das Land Kanaan zu ewigem Besitz verheißt. In Gen 17,1-9 finden sich noch zwei weitere Verheißungen, und zwar die Fruchtbarkeit Abrahams und seiner Nachkommenschaft sowie die Bindung JHWHs an Abraham und seine Nachkommenschaft als dessen Gott.
Mit den Verheißungen bringt Paulus das „Leben“ in Verbindung. Bei dem „Leben“ handelt es sich wohl nicht um das körperliche Leben im Gegensatz zu dem Tod, sondern um die von Gott gewährten, lebensbereichernden Wohltaten und schließlich auch um die Rechtfertigung vor Gott am Ende der Tage. Nur wer gerechtfertigt und nicht durch Sünden belastet ist, hat letztendlich Aussicht auf das ewige Leben bei Gott. Nur wenn das Gesetz „Leben“ bringt, steht es den Verheißungen entgegen, denn laut 3,18 kommt das „Leben“ - hier spricht der Apostel vom „Erbe“ - entweder aufgrund der Verheißung oder aufgrund des Gesetzes; ein Kompromiss zwischen beidem kommt nicht in Betracht.
Paulus weist die Möglichkeit von sich, dass das Gesetz den Verheißungen entgegen stehen könne. Er begründet dies damit, dass das Gesetz nicht „Leben schafft“. Es führt nicht zum Segen und zum Geisterwerb, rechtfertigt nicht vor Gott und führt auch nicht zum ewigen Leben.
Weiterführende Literatur: J. Lambrecht 1978, 484-495 erklärt anhand von Gal 3,21 die Verse 2,17-18. Das „gar“ in 3,21 begründe oder erkläre nicht das Vorhergehende, sondern führe einen neuen Gedanken ein. Folglich handele es sich nicht um ein strikt kausales „gar“, sondern – entgegen der gewöhnlichen Bedeutung – um ein leicht adversatives. Es könne mit „aber“ oder „jedoch“ übersetzt werden. Diesem Sachverhalt ähnlich erkläre 2,18 nicht, warum Christus kein „Diener der Sünde“ ist. Die Frage in V. 17 werde schlicht verneint und nicht weiter beachtet. Nach dem Ausruf „Mitnichten!“ finde sich eine Art Zäsur. V. 18 führe einen neuen Gedanken ein. J. Lambrecht 1987, 148-153 vertieft diese Beobachtungen anhand einer eingehenden Beschäftigung mit 2,17.
Im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Frage, wie Paulus überhaupt darauf kommt, dass das Gesetz lebendig machen kann, merkt R. Heckl 2003, 260-264 an, dass sich in Dtn 6,24-25 eine Formulierung finde, auf die in Gal 3,21 angespielt sein dürfte. Der Kontext der Formulierung Dtn 6,24-25 entspreche dem Argumentationsgang von Gal 3,10-12, denn Leben und Gerechtigkeit würden am Tun der Tora festgemacht.
M. Winger 1986, 110-112 merkt an, dass sowohl in Gal 2,21 als auch in 3,21 ein unerfüllbarer Konditionalsatz vorliege. Nur in 3,21 benutze Paulus jedoch die einer unerfüllbaren Bedingung entsprechende Form. Das lasse sich damit erklären, dass Paulus hier nicht eine Behauptung eines Gegners zurückweise. Vielmehr mache er eine beiläufige Bemerkung, die verhindern solle, dass das was er sagen will, falsch verstanden wird.
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Beobachtungen: Stattdessen hat die „Schrift“, also die hebräische Bibel (= AT), in der sich die von Paulus als „Gesetz“ bezeichneten Satzungen und Gebote finden, alles unter die Sünde eingeschlossen. Die Sünde erscheint hier als eine Macht, der der Mensch nicht entrinnen kann, weil sie wie ein Deckel alles überwölbt und umgibt. Es gibt also keine Möglichkeit, wie der Mensch durch eigenes Bemühen den Segen und Geist erlangen, vor Gott gerechtfertigt werden und schließlich das ewige Leben erlangen kann. Auch das noch so sorgfältige Halten der jüdischen Satzungen und Gebote hilft nicht weiter, denn niemand kann alle Bestimmungen einhalten (vgl. 3,10-11). Weil aber niemand alle Bestimmungen einhalten kann, führen diese nur dazu, dass die Sündigkeit des Menschen offenbar wird.
Die Verheißung „In dir werden alle Völker gesegnet werden.“ (vgl. Gen 12,3LXX; 18,18LXX) und die damit verbundene Verheißung des Geistes (vgl. Gal 3,14), mit der die Rechtfertigung vor Gott und schließlich das ewige Leben verbunden sind, wird folglich nur den Glaubenden aufgrund des Glaubens an Jesus Christus (wörtlich: Glaubens Jesu Christi) gegeben.
Weiterführende Literatur: E. P. Sanders 1987, 70-81 befasst sich mit dem Zweck des Gesetzes und mit dessen Beziehung zum „Fleisch“, zur Sünde und zum Tod. Paulus befinde sich in einem Dilemma: Einerseits sehe er das Gesetz als gottgegeben an, andererseits gehe er davon aus, dass nur der Glaube an das mit Jesus Christus verbundene Heilsgeschehen rechtfertige, nicht aber das Halten des Gesetzes. Somit stelle sich die Frage nach der Funktion und Bewertung des Gesetzes. Dazu mache Paulus verschiedene Aussagen: In Gal 3,22.24 und Röm 5,20-21 sei es der Zweck des Gesetzes, die Verfehlungen zu vergrößern und damit auch die Gnade reichlicher werden zu lassen. Des entspreche Gottes Willen. In Röm 7,13 finde sich der Gedanke der Vergrößerung der Verfehlungen ebenso, doch sei sie hier nicht im Sinne Gottes, sondern werde gegen den Willen Gottes von der Sünde herbeigeführt. Der Gedanke, dass die Verfehlungen oder die Sünde nicht Gottes Plan entsprechen, komme schon in Röm 6 zum Ausdruck. Das Reich der Sünde werde gänzlich außerhalb des göttlichen Planes angesiedelt. In Röm 7,14-25 finde sich schließlich auch keine positive Verbindung zwischen Gesetz und Verfehlungen mehr: Das Gesetz werde mit dem Willen Gottes verbunden, die Gesetzesübertretung dagegen mit dem „anderen Gesetz“, der Sünde. E. P. Sanders geht davon aus, dass Gott den „Missbrauch“ des Gesetzes seitens der Sünde nicht gutheiße, aber vorhergesehen habe. So diene das Gesetz, das eigentlich befolgt werden und zur Rechtfertigung führen sollte, letztendlich aufgrund des Missbrauchs zu der Erkenntnis, dass allein der Glaube an das mit Jesus Christus verbundene Heilsgeschehen rechtfertigt.
Einen kurzen Überblick über die bisher vorgebrachten Deutungen der Formulierung „pistis Iêsou Christou“ gibt H. Boers 1993, 101-109 (vgl. A. J. Hultgren 1980, 248-253; R. L. Omanson 2004, 148-149): a) das Vertrauen / der Glaube Jesu Christi (genitivus subiectivus); b) Glaube an Jesus Christus (genitivus obiectivus); c) der Jesus Christus entsprechende Glaube des Christen (genitivus qualitatis); d) Jesus Christus als vertrauenswürdiger Erbe, der allen Christen am Erbe Anteil gibt (Deutung mit Blick auf das fidei commissum des römischen Erbrechts). Laut H. Boers sei nicht nur eine Deutung richtig, sondern die Formulierung „pistis Iêsou Christou“ sei im Sinne aller Deutungen zu verstehen.
R. A. Harrisville III 1994, 233-241 legt dar, dass der Ausdruck “pistis theou” bei den Kirchenvätern als genitivus obiectivus aufgefasst werde.
M. D. Hooker 1989, 321-342 ist der Ansicht, dass in Gal 3,22 das Vertrauen Jesu Christi im Blick sei. Christus sei der eine wahre Same Abrahams. Christus habe Abrahams Glauben/Vertrauen geteilt. J. D. G. Dunn 1991, 737-738 hinterfragt die Logik ihrer These und kommt selbst zu dem Ergebnis, dass der Glaube an Jesus Christus gemeint sei.
Eine kritische Auseinandersetzung mit der These, dass das Vertrauen / der Glaube Jesu Christi gemeint sei, findet sich auch bei J. G. Janzen 1996, 265-268.
A. J. Hultgren 1980, 248-263 vertritt die Ansicht, dass es sich bei der Formulierung „pistis Iêsou Christou“ um einen genitivus qualitatis handele. Es sei nicht der Glaube Jesu Christi gemeint und auch nicht nur der Glaube an Jesus Christus, sondern der auf dem Vertrauen Jesu Christi beruhende Glaube des Christen an Jesus Christus, der sich in der Verkündigung des Evangeliums zeige. Vgl. R. B. Hays 1991, 724-727: Christi Vertrauen sei die Quelle des Heils; die entsprechende Antwort der Christen sei der Glaube.
S. K. Williams 1980, 274-275 greift die These von G. M. Taylor auf, dass die Formulierung „pistis Iêsou Christou“ in Gal 3 auf dem Hintergrund der fidei commissum des römischen Erbrechts zu verstehen sei. Mittels der fidei commissum habe ein Erblasser zwei aufeinander folgende Erben bestimmen können, was ansonsten nicht möglich gewesen sei. Der erstgenannte Erbe musste dazu den zweitgenannten Erben adoptieren. Im Hinblick auf Gal 3 bedeute dies: Abraham als Erblasser habe einen einzigen Erben, Jesus Christus. Jesus Christus wiederum sei zuverlässig, indem durch ihn alle Gläubigen als Zweiterben gesegnet werden. (Zur „fidei commissum“ siehe auch die weiterführende Literatur zu Gal 2,16). S. K. Williams kann dieser Deutung durchaus folgen, doch hält er sie nicht die vorrangige Deutung. In Gal 3,23.25, wo vom „Kommen des Glaubens“ die Rede ist, sei der Glaube eng mit Jesus Christus als dessen Quelle verbunden. Ohne Jesu zuverlässige Ausführung des ihm von Gott Anvertrauten, habe es kein „Kommen“, keine Offenbarung des Glaubens als Grundlage der eschatologischen Existenz geben können. In 3,24 sei folglich vom Glauben der Menschen die Rede, für den Christus die Voraussetzung sei. S. K. Williams 1987, 431-447 unterstreicht, dass Paulus, wenn er von der „pistis Christou“ spricht, Christus als Quelle des Glaubens verstehe. Christus sei nicht Objekt des Glaubens, sondern er selbst vertraue gänzlich auf Gott und gehorche diesem. Solches Vertrauen und solcher Glaube sei auch für die Christen, die Nachfolger Christi, charakteristisch.
Beobachtungen zur personifizierenden Rede vom Glauben in Gal 3,23-25 macht A.von Dobbeler 1998, 14-35.
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Beobachtungen: V. 23 stellt den Einschluss unter die Sünde als Gefangenschaft dar. Diese Gefangenschaft war zeitlich begrenzt, und zwar bis der zukünftige Glaube offenbart werden sollte. Dabei ist die Präposition „eis“ („bis“) nicht nur im Sinne eines zeitlichen Abschlusses zu verstehen, sondern auch im Sinne einer Vollendung. Damit erscheint das Gesetz nicht als etwas Widergöttliches, sondern als etwas, das zum Erreichen eines bestimmten göttlichen Ziels beiträgt. Das Ziel Gottes ist die Rechtfertigung des Menschen aufgrund seines Glaubens.
Der „Glaube“ ist wie in V. 22 konkret als Glaube an das mit Jesus Christus verbundene Heilsgeschehen zu verstehen, denn der in V. 23 erwähnte Glaube ist eindeutig zeitlich nach dem Gesetz einzuordnen. Der nicht konkret auf Christus bezogene Glaube ist dagegen älter als das Gesetz, denn Abraham hat schon 430 Jahre vor der Abfassung des Gesetzes geglaubt (vgl. 3,6.17).
Weiterführende Literatur: Die Absicht von L. L. Belleville 1986, 53-78 ist es, die Formulierung „hypo nomon“ („unter [dem] Gesetz“) im Rahmen einer strukturellen Analyse zu verstehen. Die grundsätzliche Aussage, dass die Schrift alles unter die Sünde eingeschlossen habe, wird untersucht und die doppelten analogen „hypo“-Sätze in 3,23-4,11 werden analysiert. Es solle ein Verständnis der Funktion des Gesetzes erlangt werden, das mit der chiastischen Struktur der Passage in Einklang steht.
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Beobachtungen: Das Gesetz erscheint personifiziert als „paidagôgos“, als „Knabenführer/Zuchtmeister“, wie im antiken Griechenland der meist gebildete Sklave genannt wurde, der den Knaben aus einer vornehmen Familie zur Schule begleitete und darüber hinaus die Aufsicht über die gesamte Lebensführung des Knaben als Aufgabe hatte. Wenn Paulus das Gesetz als „Zuchtmeister“ bezeichnet, so ist daraus zunächst positiv zu schließen, dass es dem Menschen eine Lebensrichtlinie an die Hand gibt, die ihn vor einem ungezügelten Leben bewahrt. Dementsprechend bezeichnet Paulus in 2,15 nur die Heiden als „Sünder“, nicht jedoch die Juden. Der Begriff „paidagôgos“ dürfte bei den Adressaten jedoch nicht nur positive Empfindungen hervorgerufen haben, sondern auch negative. Der mit der Knabenerziehung beauftragte Haussklave war nämlich oft hart und bei seinem Zögling entsprechend unbeliebt. Auch dem Gesetz ist Härte eigen, wie insbesondere aus 3,10 hervorgeht: Es müssen nämlich alle Satzungen und Gebote des Gesetzes gehalten werden, was unmöglich ist. Die Übertretungen lassen den Menschen als Sünder erscheinen, ohne dass er die Möglichkeit hat, sich der Sünden zu entledigen und vor Gott als Gerechtfertigter dazustehen.
Der Mensch wird sich so der Notwendigkeit bewusst, dass es jemandes bedarf, der ihm die Sünden wegnimmt. Dies geschieht durch Jesus Christus, auf den das Gesetz hinzielt und mit dem es sein Ende findet.
Weiterführende Literatur: Mit der Person und Aufgabe des „paidagôgos“ („Knabenführer/Zuchtmeister/Pädagoge“) in der antiken Welt befasst sich ausführlich N. H. Young 1987, 150-176. Bei den Pädagogen habe es sich entweder um dem Haushalt angehörige Sklaven (vgl. G. S. Holland 1992, 189) oder Freigelassene, die gekauft oder gemietet sein konnten, gehandelt. Auf jeden Fall seien sie kostspielig gewesen. Meist habe es sich bei den Pädagogen um Ausländer gehandelt, die beispielsweise bei Kriegszügen in Gefangenschaft geraten seien. Sie seien meist betagt und altersschwach gewesen, was ihnen den Ruf eingebracht habe, verbittert, mürrisch und trinksüchtig zu sein. Der Pädagoge sei als moralische Autoritätsperson, dem das untergebene Kind zu gehorchen hatte, angesehen worden, wobei Ideal und Realität nicht immer übereingestimmt hätten. Er sei nicht nur Lehrer, insbesondere auch der griechischen Sprache gewesen, sondern habe den jeweils anvertrauten Jungen überall hin begleitet, was ihnen den Ruf eingebracht habe, zu wachen und zu tadeln. Andererseits hätten sie aber auch Respekt seitens der Untergebenen erlangt, bis hin zu einem freundschaftlichen Verhältnis. Die Aufsicht des Pädagogen über das anvertraute Kind sei zeitlich begrenzt gewesen und habe mit dem Eintritt des Zöglings in das Erwachsenenalters geendet, wobei jedoch nicht jegliche Beziehung zwischen dem Pädagogen und dem nun aus der Aufsicht Entlassenen abgebrochen worden sei.
Dass Paulus mit der „paidagôgos“-Metapher insbesondere auf den zeitlich begrenzten und gefangenschaftsähnlichen Charakter des Daseins unter dem Gesetz verweise, legt D. F. Tolmie 1992, 515-532 dar. Die Leser/Hörer seien außerdem durch die Metapher mit einer überraschenden, neuen Sichtweise des Gesetzes konfrontiert worden.
R. N. Longenecker 1982, 53-61 liest die Darstellung eines Sohnes in einem patrizischen Haushalt (4,1-7) als Erklärung der Aussagen in 3,23-29 und als Fortführung der Pädagogen-Analogie 3,24-25. Die Titel „epitropos“ und „oikonomos“ hätten zu Diskussionen darüber Anlass gegeben, was sie genau bedeuten und an welches Gesetz Paulus konkret denkt. Laut R. N. Longenecker sei jedoch nicht zu bezweifeln, dass sie in gewisser Weise als Synonyme des Begriffs „paidagôgos“ zu verstehen sind. Heutzutage dächten wir bei einem Pädagogen an einen Lehrer. In der Antike sei der „paidagôgos“ jedoch vom „didaskalos“ unterschieden worden und habe eher überwachende und disziplinarische als erzieherische und unterweisende Funktionen gehabt.
Die schützende Funktion des „paidagôgos“ hebt T. D. Gordon 1989, 150-154 hervor. Der „paidagôgos“ habe seinen Schützling vor Belästigungen und Schädigungen bewahrt. Ebenso habe die Tora Israel vor Mischehen und Verderbnis des Glaubens bewahrt, bis zum Tage des Kommens des „Samens“, dem die Verheißung galt.
Anders D. Sänger 2006, 236-260: Es falle schwer, den „paidagôgos“ in Gal 3,24 positiv zu bewerten und ihm eine bewahrende Rolle zu attestieren. Der argumentative Duktus sowie die antithetische Struktur des engeren und weiteren Kontextes sprächen dagegen, die Syntax und das verwendete Vokabular in 3,22-25 jedenfalls nicht unbedingt dafür.
A. T. Hanson 1988, 71-76 sieht den Gebrauch des Wortes „paidagôgos“ in Gal 3,24 als von Num 11,11-12 beeinflusst an. In diesen Versen beschwere sich Mose bei Gott, dass er nicht für das Verhalten des Volkes Israel, das sich in der Wüste über das Manna beklagt und nach dem materiellen Wohlergehen in Ägypten zurücksehnt, verantwortlich sei und deshalb von Gott nicht als „Amme“ des Volkes angesehen werden könne. Die Targumim hätten „Amme“ als „Aufseher“ verstanden. Dieses Verständnis liege auch Gal 3,24 zugrunde.
J. D. G. Dunn 2008, 351-366 hält die Formel „ek pisteôs“ für den Schlüssel zur Deutung von „pistis Christou“. „Ek pisteôs“ bedeute „aus Glauben“. Die „pistis“-Sätze des Paulus bezögen sich gewöhnlich auf den Akt des Glaubens, auf das Hören des Evangeliums und auf die gläubige Antwort darauf. Anders als R. B. Hays 1983 annehme, sei also nicht das Vertrauen oder die Treue Jesu gemeint, sondern der Glaube an die Heilsbotschaft.
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Beobachtungen: Wenn das Gesetz, der „Zuchtmeister“, mit dem Kommen Jesu Christi und des Glaubens an diesen sein Ende findet, dann sind von nun an die Menschen nicht mehr unter ihm. Ihr Leben wird also von ihm nicht mehr bestimmt.
Weiterführende Literatur: I.-G. Hong 1991, 1-16 befasst sich mit für die Argumentation des Briefes zentralen Versen, darunter auf S. 4-10 auch mit Gal 3,13-14; 3,25; 4,4-5. Paulus verstehe den Kreuzestod und die Auferweckung Christi als eschatologische Erlösung der Juden, die unter den Fluch des Bundes gekommen seien, weil sie das Gesetz gebrochen haben. Christus habe sie erlöst, indem er an ihrer Stelle zum Fluch wurde. Diese Erlösung der Juden sei zugleich eine Erlösung der Heiden, weil die Juden die Repräsentanten aller Nationen darstellten.
R. Bergmeier 2003, 35-48 befasst sich mit der Bedeutung des Gesetzes bei Paulus. Laut S. 46-47 gebe es von Gal 3,23-25 her das exegetische Recht, vom Ende der Funktion einer Tora zu sprechen, aber nicht vom Ende des Gesetzes als Heilsweg, und dies auch nicht von Röm 10,4 her. Die ganz unmissverständliche Aussage von Gal 3,21b, der die von Röm 8,3 korrespondiere, sollte es eigentlich jedem Exegeten verbieten, im paulinischen Kontext vom Gesetz als Heilsweg zu sprechen, der in Christus an sein Ende gekommen sei. Das Ende betreffe einzig das Gesetz als „Zuchtmeister“. Und davon seien unmittelbar nur die Juden betroffen, denn die Heiden seien nie unter dem Gesetz gewesen, denn sonst wäre die Beschneidung kein Thema mehr.
Literaturübersicht
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