Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Römerbrief

Brief des Paulus an die Römer

Röm 2,17-24

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Röm 2,17-24



Übersetzung


Röm 2,17-24:17 Wenn du dich aber Jude nennst und dich auf [das] Gesetz verlässt und dich Gottes rühmst 18 und den Willen erkennst und prüfst, worauf es ankommt, belehrt aus dem Gesetz; 19 [und wenn] du überzeugt bist, ein Führer der Blinden zu sein, ein Licht derer, die in Finsternis sind, 20 ein Erzieher von Unverständigen, ein Lehrer von Unmündigen, der im Besitz der [festen Schrift]form der Erkenntnis und der Wahrheit im Gesetz ist -: 21 Der du also einen anderen belehrst, belehrst dich selber nicht? Der du verkündigst, nicht zu stehlen, stiehlst? 22 Der du aufforderst, die Ehe nicht zu brechen, begehst Ehebruch? Der du die Götzenbilder verabscheust, begehst Tempelraub? 23 Der du dich des Gesetzes rühmst, entehrst (den) Gott durch die Übertretung des Gesetzes? 24 Der Name (des) Gottes wird euretwegen unter den Heiden gelästert, wie denn [auch] geschrieben steht.



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V. 17


Beobachtungen: Aus V. 17 geht in Röm 2 erstmals hervor, dass Paulus’ fiktiver Gesprächspartner ein Jude ist. Somit lässt sich sagen, dass der Abschnitt 2,17-29 eindeutig Juden im Blick hat. Diese Eindeutigkeit fehlt den Abschnitten 2,1-11 und 2,12-16. So ist in 2,1 noch ganz allgemein vom „Menschen“ die Rede und nur ganz allmählich erfolgt eine Konzentration auf die Juden. Dieser schleichende Übergang lässt angeraten erscheinen, insbesondere 2,1-11 nicht nur auf Juden bezogen zu lesen.


In 2,12-16 hat Paulus dargelegt, dass die Juden nicht darauf hoffen können, dass sie aufgrund ihres Religionsgesetzes beim endzeitlichen Gerichtstag Gottes begünstigt werden. 2,17-24 macht nun deutlich, dass auch ihr auf dem Gesetz gründender Anspruch, in religiösen Dingen für andere Menschen Lehrer zu sein, sie nicht wirklich gegenüber anderen Völkern heraushebt. Dabei ist der Abschnitt im Licht der Aussage zu lesen, dass nur Täter des Gesetzes gerechtfertigt werden und es nicht reicht, das Gesetz bloß zu hören (2,13).


Das auf dem Hören des Gesetzes gründende Selbstbild der Juden, besonders fromm und rechtschaffen zu sein, legen die V. 17-20 dar. Die Verse beschreiben also nicht, wie die Juden wirklich sind, sondern welchen Anspruch sie aus Sicht des Apostels haben.


Dass dem Judesein besondere Bedeutung beigemessen wird, macht schon die Formulierung „der du dich aber Jude nennst“ deutlich. „Jude“ erscheint als eine Art Ehrenbezeichnung. Paulus zählt nun auf, wieso aus jüdischer Sicht mit dem Judesein eine besondere Ehre verbunden ist.


Charakteristisch für den Juden ist demnach, dass er sich auf das Gesetz verlässt. Er versucht alle Satzungen und Gebote des Gesetzes, das sich in der hebräischen Bibel (= AT) - konkret in der Tora - findet, zu halten und auf diese Weise vor Gott gerecht dazustehen. Die Verpflichtung auf das Gesetz ist wesentlicher Bestandteil des Bundes JHWHs, des Gottes Israels, mit seinem Volk. Daher kann sich Gottes rühmen, wer die Satzungen und Gebote hält.


Weiterführende Literatur: Sprachliche, kontextuelle, inhaltliche und textgeschichtliche Beobachtungen führen W. O. Walker 1999, 533-552 zu der Schlussfolgerung, dass mindestens 1,19-2,1, vermutlich aber darüber hinausgehend 1,18-2,29 ein nichtpaulinischer Einschub sei.


G. Lafon 1986, 321-340 arbeitet nach einigen Anmerkungen zur Abgrenzung des Abschnittes 2,12-27 dessen Gedankengang heraus.


S. K. Stowers 2003, 351-369 vertritt die Ansicht, dass in Röm 2,1-4,2 sowohl (feierliche) Anreden als auch „prosôpopoiia“ und Dialoge vorkämen. „Prosôpopoiia“ seien durch geschriebene oder gesprochene Worte gekennzeichnet, die eine bestimmte Person oder einen erkennbaren Charaktertyp nachahmen. Die meisten „prosôpopoiia“ seien von den Adressaten damals vermutlich ohne Probleme erkannt worden. 2,1-16 und 2,17-29 seien (feierliche) Anreden, die den nachfolgenden Dialog (3,1-8; desweiteren: 3,27-4,2) einleiten. Sie dürften die „prosôpopoiia“ für die damaligen Leser kenntlich gemacht haben.


R. Penna 1990, 111-117 untersucht zwei Thesen bezüglich des Abschnitts 1,18-2,29: a) Der Abschnitt gebe die Praxis und den Inhalt der Missionspredigt des Apostels wieder. b) Der Abschnitt nehme jüdische Schemata und Inhalte auf, womit er weder eigentümlich paulinisch noch christlich sei. R. Penna sieht den Inhalt – mit Ausnahme von 2,16b – als nicht spezifisch christlich an. Den christlichen Charakter erhalte dieser erst durch seinen Rahmen und seine Funktion.


In Röm 2 werde laut J. D. G. Dunn 1991, 295-317 immer klarer, dass Paulus die jüdische Annahme einer nationalen Aussonderung und Privilegierung zu entkräften sucht. Die Annahme, die dem typisch jüdischen Verständnis und der Praxis der Bundesgesetzlichkeit zugrunde liege und am deutlichsten in der herausragenden Bedeutung der Beschneidung ihren Ausdruck finde, betrachte er als gleichsam „unter der Macht der Sünde“ (3,9) und als Gottes Zorn unterworfen (1,18), gleich wie die anderen Sünden kreatürlicher Anmaßung, wie sie (von den Juden) gewöhnlich mit den Heiden verbunden würden. Angesichts der Macht der Sünde und dem Gericht Gottes sei der Besitz des Gesetzes kein Schutz (2,12-16), Bundesstatus keine Sicherheit (2,17-24), stelle Beschneidung keine Garantie dar (2,25-29).


G. P. Carras 1992, 183-207 deutet Röm 2 wie folgt: Es handele sich weder um eine propagandistische Verunglimpfung der Juden, noch würde das gesamte Judentum charakterisiert. Vielmehr würden jüdische Ideale diskutiert, wobei die Diskutierenden zwei Juden seien, die verschiedene Sichtweisen einnehmen. Einer der beiden verurteile die anderen Menschen, sei der „Kritiker“. Er nehme für sich in Anspruch, von Gott anders behandelt zu werden als die Nichtjuden. Ihm gebühre eine gnädige Behandlung seitens seines Gottes. Paulus nehme die andere Sichtweise ein, werfe dem „Kritiker“ vor, gegen die eigenen Glaubensüberzeugungen zu verstoßen, indem er für sich andere Maßstäbe der Beurteilung beanspruche. Die Juden hätten zwar eine herausragende Stellung inne, doch sei das nicht so zu deuten, dass Nichtjuden vom Heil ausgeschlossen sind. Der Gott der Juden handele und beurteile gerecht und unparteiisch.


Laut O. Wischmeyer 2006, 356-376 sei Röm 2 kein antijudaistischer Text, sondern zunächst Teil des innerjüdischen Israel-Diskurses, von dem er sich aber zugunsten einer universalen Verurteilung der Menschheit vor Gottes Forum fortentwickelt und damit universal-anthropologische Dimensionen annimmt. Die Heftigkeit der Polemik gegen bestimmte Juden resultiere aus der unerhörten These des Paulus, auch gesetzestreue Juden, die im Bund leben, seien vor Gott nicht gerecht, sondern schuldig. Um die Leserschaft von dieser These zu überzeugen, bediene Paulus sich einer so starken diatribischen Polemik, dass diese Texte trotz ihres Schulcharakters und ihrer anthropologischen Intention antijudaistisch wirken.


Umstritten ist, ob Paulus in 1,18-3,20 davon ausgeht, dass das gesamte Gesetz erfüllt werden kann oder nicht. Den Bruch im Gedankengang des Abschnittes legt deutlich H. Räisänen 1983, 97-109 dar, der sich auch mit der bisherigen Diskussion auseinandersetzt und die entsprechende Literatur nennt: In 1,18-3,20 behaupte Paulus, dass niemand das gesamte Gesetz erfüllen kann. Der Grund dafür sei, dass alle, Juden wie Heiden, unter der Sünde sind (vgl. 3,9). Paulus beginne mit einer Anklage gegen die heidnische Welt (vgl. 1,18-32) und zeige dann die Sündigkeit der Juden auf (vgl. 2,1-29). Gemäß 2,1-3 tue der Jude dasselbe wie die Heiden. Der Jude, der das Gesetz besitzt und beschnitten ist, werde zwar deutlich von dem Heiden unterschieden, letztendlich seien aber alle vor dem unparteiisch richtenden Gott gleich. Diesen Ausführungen widersprächen jedoch 2,14-15.26-27. So würden zwar die Juden als Übertreter des Gesetzes dargestellt, doch von den Heiden – zumindest einem Teil von ihnen - werde gesagt, dass sie, die das Gesetz nicht haben, dieses von Natur aus tun. Angesichts dieses merkwürdigen Sachverhaltes gebe es seitens der Ausleger verschiedene Versuche, die Widersprüche aufzulösen oder zumindest zu glätten: a) Nur einige Vorschriften würden von den Heiden gehalten, nicht alle. Somit seien sie weiterhin sündig. b) Paulus spreche von einem hypothetischen Fall, der nicht eintreffe. c) Die Verse 2,14-15.26-27 seien im Lichte von Röm 8,4 (vgl. Jer 38,33LXX) zu verstehen. Demnach sei nicht von Heiden, sondern von Heidenchristen die Rede. d) Das griechische Substantiv „ethnê“ bezeichne hier nicht die Heidenvölker, sondern Völker, die in einer bestimmten Weise theologisch qualifiziert sind, wie Christen als Gottes endzeitliches Volk, Juden und Heiden „typologisch“ verstanden, endzeitliche Juden oder Juden und Heiden, die schon von Christus und dem heiligen Geist beeinflusst werden. Gegen alle diese Thesen ließen sich jedoch Einwände anbringen: zu a) Zumindest 2,26-27 sei mit Sicherheit nicht als teilweises, sondern als vollständiges Halten des Gesetzes zu deuten. zu b) Fiktion sei nicht ersichtlich. c) Von 2,9 an würden Juden und Griechen einander gegenübergestellt. In diesem Zusammenhang sei schwerlich anzunehmen, dass „ethnê“ eine andere Bedeutung als „Nichtjuden“ hat. d) Es handele sich um Spekulationen, die schon durch die klare Gegenüberstellung von Juden und Griechen in 2,9-10 ausgeschlossen würden. Angesichts dieser Einwände geht H. Räisänen davon aus, dass Paulus sich unbewusst tatsächlich widerspricht, was er folgendermaßen erklärt: Die Heiden stellten in dem Gedankengang Röm 2 nur ein Mittel zum Zweck dar. Paulus habe an ihnen selbst kein Interesse. Ihm gehe es nur darum, die Schuld der Juden zu beweisen. Nur zu diesem Zweck erschienen plötzlich die Heiden, die das Gesetz erfüllen, und verschwänden genauso plötzlich wieder. Sie würden nur als Waffen gebraucht, um die Juden zu schlagen. Hinsichtlich der Frage, ob alle Menschen unter der Sünde sind und somit das Gesetz nicht halten können, sei sich Paulus unschlüssig. Es sei anzunehmen, dass er – wie auch die Juden – nicht von der überzogenen Forderung ausgeht, dass das Gesetz zu hundert Prozent gehalten werden muss, denn das wäre wirklich unmöglich. Wahrscheinlich sei, dass Paulus durchaus zugesteht, dass das Gesetz im Großen und Ganzen gehalten werden kann. C. E. B. Cranfield 1990, 77-85 setzt sich ausgiebig mit den Ausführungen von H. Räisänen auseinander. Er geht der Frage nach, ob Paulus Einstellung dem Gesetz gegenüber tatsächlich so widersprüchlich und durcheinander ist, wie H. Räisänen annehmen lasse. Er macht folgende kritische Anmerkungen: Paulus komme in seinen Briefen zwar auf verschiedene Aspekte des Gesetzes zu sprechen, eine systematische Abhandlung zu diesem Thema finde sich bei ihm aber nirgends. Desweiteren sei eine Schwierigkeit, dass sich viele der Aussagen im Zusammenhang einer Kontroverse finden. H. Räisänens Ansatz sei zu vereinfachend, die Antworten auf offene Fragen sollten aus dessen Sicht zugleich einfach und richtig sein, das sei aber oft nicht zu haben. Es dürfe nicht vergessen werden, dass es verschiedene Muster der Übereinstimmung geben kann. Aufgrund des zu vereinfachenden Ansatzes erkenne H. Räisänen nicht, dass die von Paulus benutzten Begriffe geeignet sind, den Gedanken der Erfüllung auszudrücken, und zwar sowohl hinsichtlich des perfekten Gesetzesgehorsams, der nur Jesus möglich war, als auch hinsichtlich des durch den heiligen Geist angeregten, nicht perfekten Gesetzesgehorsams, der vom gütigen Gott ebenso willkommen geheißen werde.


T. Berkley 2000 vertritt in seiner intertextuellen Studie zu Röm 2,17-29 die These, dass Paulus‘ intertextuelle Auslegung von atl. Texten die Grundlage für seine Schlussfolgerung in 2,17-29 bilde.


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V. 18


Beobachtungen: Im Gesetz liegt den Juden der Wille Gottes vor. Aufgrund des geschriebenen Gesetzes kann er die „diapheronta“, die sich unterscheidenden Dinge, prüfen. Es bleibt offen, worin sie sich unterscheiden, doch ist daran zu denken, dass die Unterscheidung sich auf die Wichtigkeit bezieht. Die „diapheronta“ sind demnach die Dinge, die von besonderer Wichtigkeit sind, auf die es also ankommt.


Die Erkenntnis des Willens und die Prüfung der Dinge, auf die es ankommt, gründen auf dem Gesetz. Das Gesetz ist der eigentliche Lehrmeister der Juden. Weil die Formulierungen des Gesetzes jedoch oftmals unklar sind, bedürfen sie der Auslegung. Diese obliegt den Schriftgelehrten und soll dazu dienen, die Erkenntnis des göttlichen Willens und die Dinge, auf die es ankommt, möglichst präzise zu erfassen.


Weiterführende Literatur: Gemäß T. H. Tobin 1993, 298-318 habe Paulus polarisiert, wobei zwischen ihm und der christlichen Gemeinde in Jerusalem aufgrund seiner Theologie ein Graben entstanden sei. Um die Auseinandersetzung zu entschärfen, habe er herauszustellen versucht, dass seine umstrittenen Thesen zur Sündhaftigkeit von Juden und Heiden tatsächlich in den jüdischen Schriften und in der jüdischen Theologie gründen. Diese Strategie versucht T. H. Tobin anhand von 1,18-3,20 nachzuweisen.


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V. 19


Beobachtungen: V. 19 drückt deutlich aus, dass es sich bei den Aussagen der V. 17-20 um das Selbstbild der Juden handelt. Sie sind davon überzeugt, dass das, was Paulus in den Versen schreibt, auf sie zutrifft.


Aufgrund ihrer Gesetzeskenntnis meinen sie, die „Blinden“ führen zu können. Die Blinden sind diejenigen, denen die Augen vor dem im Gesetz offenbarten Willen verschlossen sind, also die Nichtjuden. Aus Sicht der Juden sind die „Blinden“ nicht in der Lage, einen gottgefälligen Lebenswandel zu führen, weshalb sie Führer brauchen, die ihnen den rechten Weg weisen.

Wer blind ist, lebt im Dunkeln und damit in der Orientierungslosigkeit. Orientierung bringt das Licht, als deren Mittler sich die Juden verstehen.


Weiterführende Literatur:


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V. 20


Beobachtungen: V. 20 konkretisiert die Bildersprache von V. 19: Die „Blinden“ sind Unverständige, in Glaubensfragen Unmündige. Die Führer sind Erzieher und Lehrer, die die Unverständigen und Unmündigen in den Glaubensfragen und den damit zusammenhängenden Fragen der rechten Lebensführung unterweisen.


Die Erzieher und Lehrer „haben“ - gemeint ist wohl „besitzen“ - die „morphôsis“ der Erkenntnis und der Wahrheit im Gesetz. Der griechische Begriff bezeichnet die Gestalt. Vermutlich ist die Gestalt, die Verkörperung, gemeint, die die Erkenntnis und die Wahrheit insbesondere in der schriftlich verfassten Tora findet.


Weiterführende Literatur:


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V. 21/22


Beobachtungen: Paulus kommt geht nun vom Selbstbild der Juden zu dem Bild über, das er von deren Verhalten hat. Im Mittelpunkt des Interesses steht dabei das Handeln der Juden gemäß der Prämisse, dass rechter Glaube auch im rechten Tun Ausdruck finden muss. Wenn Paulus bei den Juden vermisst, dass sie sich selbst belehren, so geht es ihm weniger um die Unterweisung in der rechten Lehre an sich als vielmehr um die tätige Durchführung des Gelehrten. Dass sich die Selbstbelehrung auf das rechte Handeln bezieht, geht aus den Vorwürfen hervor, die das Handeln betreffen. Dabei sind die Vorwürfe in Fragen gekleidet, die zum Nachdenken und zur Umkehr anhalten sollen. Das Fehlverhalten betrifft Verstöße gegen die Zehn Gebote, zu denen das Diebstahls- (vgl. Ex 20,15; Dtn 5,19) und das Ehebruchverbot (vgl. Ex 20,14; Dtn 5,18) gehören. Auch der vorgeworfene Tempelraub erscheint als Verstoß gegen die Zehn Gebote, nämlich gegen das Verbot, neben Gott weitere Götter zu verehren (vgl. Ex 20,3; Dtn 5,7) oder gegen das Verbot, sich von Gott Bilder zu machen (vgl. Ex 20,4; Dtn 5,8).


Bei dem Begehen von Tempelraub („hierosylein“) ist zunächst daran zu denken, dass die Juden ihren eigenen Tempel berauben. Da es sich bei dem Jerusalemer Tempel sowohl um eine Kultstätte als auch um eine Art Schatzkammer oder Bank handelt, kann der Raub von wertvollen Kultgegenständen oder die Entwendung von sonstigen Wertgegenständen oder Geldern gemeint sein (vgl. den in Ios Ant 18,81-84 geschilderten Fall). Nun fällt jedoch auf, dass der Apostel den Tempelraub nicht mit dem Gebot nicht zu stehlen in Verbindung bringt, sondern mit dem Gebot, neben Gott keine anderen Götter zu haben oder mit dem Gebot, sich von Gott kein Bildnis zu machen. Der Tempelraub dürfte demnach eine verbotene Wertschätzung von Götzenbildern darstellen. Wahrscheinlich ist daher, dass der Tempelraub nicht den Jerusalemer Tempel betrifft, sondern heidnische Kultstätten. Geraubt werden anscheinend Götzenbilder. Sollten etwa Juden in heidnische Tempel eindringen, um die dortigen Götzenbilder zu rauben und ihnen Ehre oder gar Verehrung zu erweisen? Eine solche Annahme erscheint doch eher abwegig. Eher wäre daran zu denken, dass der Raub auf den Erwerb des Goldes und Silbers zielt, aus dem die heidnischen Götzenbilder gemacht sind (vgl. Dtn 7,25-26). Ein solches Vergehen würde sowohl einen Diebstahl im eigentlichen Sinne als auch eine Wertschätzung von Götzenbildern - zumindest des wertvollen Materials - darstellen. Aber sollten Juden tatsächlich dermaßen tief in ihnen verhasste Orte vordringen? Wahrscheinlicher ist, dass Juden Andachtsgegenstände, die als Souvenir dienen und im näheren oder weiteren Umkreis der Tempel verkauft werden, mitgehen lassen. Zusätzlich zu den Thesen, die einen direkten Tempelraub annehmen, ist aber auch indirekter Tempelraub in Erwägung zu ziehen. Als indirekt wäre der Handel mit Götzen- oder Andachtsbildern zu bezeichnen, wobei diese von Dritten gestohlen sein könnten (zu den Andachtsbildern und der wirtschaftlichen Bedeutung ihrer Herstellung und ihres Verkaufs siehe Apg 19,23-40).


Weiterführende Literatur: Die Bedeutung des Verbs „hierosylein“ untersucht D. B. Garlington 1990, 142-151. Die Götzenverehrung im eigentlichen Sinne sei wohl nicht gemeint, denn die habe es zu Paulus‘ Zeiten in Israel wohl nicht mehr gegeben. Auch bezeichne das Verb vermutlich nicht den Tempelraub, denn diesen habe es so selten gegeben, dass Paulus kaum einen Großteil der Juden dessen bezichtigen kann. Und schließlich sei auch nicht die Übersetzung „ein Sakrileg begehen“ zu befürworten, denn diese sei zu ungenau und lasse im Dunklen, welches Sakrileg gemeint sein könnte. Angesichts dieser unbefriedigenden Erklärungsversuche stellt D. B. Garlington die These auf, dass durchaus Götzenverehrung im Blick sein könne, allerdings in einem ganz spezifischen Sinn: Paulus beschuldige die Juden, sie würden Moses Gesetz in ungerechtfertigtem Maße verehren und ihm eine Dauerhaftigkeit zugestehen, die Gott niemals beabsichtigt hat. Vgl. E. P. Meadors 2001, 15-30, der die der Götzenverehrung beschuldigten Adressaten von Röm 2 mit Judenchristen identifiziert, deren Herzen Paulus als verhärtet und unbußfertig ansehe (vgl. 1,21-25).

Nach einem Überblick über verschiedene Übersetzungen von V. 22b befasst sich auch J. D. M. Derrett 1994, 558-571 mit der Auslegung des Halbverses und fragt nach der Bedeutung des Verbs „hierosylein“. Zunächst geht er auf das Tempelgut ein: Die gestifteten Wertgegenstände und Ländereien hätten den Göttern des Tempels nicht im strengen Sinne gehört, sondern seien im Tempel nur aufbewahrt und bewacht worden und hätten dem Tempel, dem Ort des Tempels und dem Stifter Ansehen gebracht. Dabei habe der Stifter auch einen spirituellen Nutzen gehabt. Tempelraub sei ein Kapitalverbrechen gewesen und entsprechend geahndet worden. Paulus habe aber vermutlich ein weiter gefasstes Verständnis von Tempelraub im Blick, das sämtlichen direkten oder indirekten Profit mit dem heidnischen Stiftungsvermögen umfasst. Mit den unwiderruflich dem Götzenkult gestifteten Werten Gewinne zu machen, sei ein Verbrechen gegen die Tora und die heidnischen Sitten, wenn auch nicht gegen das römische und griechische Gesetz (Privatrecht). Folglich schade solches Verhalten dem Ruf der jüdischen Gemeinschaft und der Anziehungskraft der hebräischen Religion. Gleichfalls werde auch der Ruf ihres Gottes ruiniert, der andernfalls berechtigterweise eine Führungsposition in diesem zwischengemeinschaftlichen moralischen Reformprogramm inne hätte.


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V. 23


Beobachtungen: Durch die Übertretung des Gesetzes kommt es zu einer erheblichen Diskrepanz zwischen der Selbsteinschätzung der Juden und ihrem tatsächlichen Verhalten. Sie selbst rühmen sich des Gesetzes, das sie in Wirklichkeit übertreten. Durch dieses Fehlverhalten entehren sie Gott, der ihnen das Gesetz gegeben hat.


Weiterführende Literatur:


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V. 24


Beobachtungen: Die Entehrung Gottes hat Einfluss auf das Verhalten der Heidenvölker: Sie lästern den Namen Gottes. Paulus sieht also das Verhalten der Juden als Grund dafür an, dass die Heiden den Namen Gottes nicht ehren.

Der Apostel weist darauf hin, dass die Folge des Verhaltens der Juden geschrieben steht. Wo sie geschrieben steht, merkt er nicht an. Vermutlich handelt es sich bei dem Geschriebenen um eine Passage der hebräischen Bibel (= AT), die er immer wieder heranzieht, um seine Theologie zu belegen. Am ehesten ist an ein (abgeändertes) Zitat von Jes 52,5 LXX zu denken. Besagt der masoretische Text von Jes 52,5, dass der Name Gottes ständig gelästert wird, so fügt die griechische Übersetzung der Septuaginta (LXX) hinzu, dass dies „durch euch“ und „unter den Heiden“ geschieht. Damit wird die Schuld verlagert: Richtet sich im masoretischen Text der Vorwurf an die Heiden, so macht die Septuaginta die Juden für die Gotteslästerung der Heiden verantwortlich. Diese Schuld der Juden entfaltet Paulus in Röm 2,17-24. In dem masoretischen Text der hebräischen Bibel geht am ehesten Ez 36,20-23 in die gleiche Richtung: Das Volk Israel ist schuld an der Entweihung des Gottesnamens. Um dagegen auch den masoretischen Text von Jes 52,5 im Sinne der Schuld der Juden zu interpretieren, muss der weitere Zusammenhang berücksichtigt werden, in den der Vers gebettet ist. Demnach sind die Juden, das Volk Israel, an der Besetzung ihres Landes, an ihrem Exil und an der Lästerung des Gottesnamens durch die heidnischen Besatzer selbst schuld, weil sie gesündigt haben (vgl. Jes 40,2; 42,24-25; 43,22-28; 50,1).


Paulus schreibt nicht „...Gott wird ... gelästert“, sondern „der Name (des) Gottes wird ... gelästert“. Dem Namen scheint also eine besondere Bedeutung zuzukommen. Diese besondere Bedeutung lässt sich aus der hebräischen Bibel (= AT) erschließen: Gott offenbart sich, indem er seinen Namen offenbart. Der Name gibt Hinweise zum Wesen Gottes (vgl. Ex 3,13-15). Wer den Namen Gottes kennt, kennt Gott (vgl. Gen 32,28-30; Jes 52,6).

Paulus’ Empörung über die Gotteslästerung zeigt, dass er nicht zwischen seinem eigenen Gott und demjenigen der Juden unterscheidet. Der Gott der Juden ist sein eigener Gott und damit keinesfalls den Götzen der Heiden gleichzustellen. Seinem eigenen Selbstverständnis nach ist Paulus ja auch Jude, jedoch unterscheidet ihn von den „Juden“ als Kollektiv, dass er glaubt, dass Jesus Christus der in der hebräischen Bibel angekündigte Messias ist. Dass die Juden als Kollektiv negativ erscheinen, hängt damit zusammen, dass die christusgläubigen Juden in der Minderheit sind.


Weiterführende Literatur: Laut F. Wilk 1998, 230-233 rezipiere Paulus Jes 52,4-6 in Röm 2,18-24 als Hinweis auf den Zusammenhang des Christusgeschehens mit dem „Versäumnis“ Israels gegenüber den Heiden.


E. Krentz 1990, 429-439 befasst sich mit dem Tempelraub und der Lästerung des Gottesnamens und beleuchtet dabei den griechisch-römischen Hintergrund ebenso wie eine jüdische Auslegungstradition.


Laut A. Ruck-Schröder 1999, 84-86 stehe der Name Gottes in Röm 2,24 für Gott. Gottes Ruf, seine Anerkennung als Gott und damit seine Ehre seien gefährdet, wo sein Gesetz missachtet wird.


A. Ito 1995, 21-37 liest Röm 2 auf dem Hintergrund von Dtn 27-30. Die deuteronomistischen Segnungen und Flüche bildeten den Rahmen des Abschnittes. Die „Heiden“, die von Natur aus die Forderungen des Gesetzes tun (vgl. 2,14), seien wahrscheinlich Heidenchristen. Die Verurteilung der Juden beruhe auf deren Versagen, als ganze Nation das gesamte Gesetz zu befolgen. Angesichts der Gesetzesübertretungen (vgl. 2,21-23) könne man sagen, dass sich die Juden in einem Zustand des Exils befinden. Zu V. 2,24: Zitiert werde Jes 52,5 oder Ez 36,20, also ein Vers aus dem Zusammenhang des (babylonischen) Exils Judas. Paulus gebe Röm 2 deshalb keinen spezifisch christlichen Charakter, weil er vermeiden wolle, dass sich die Heidenchristen in Rom angesichts der Juden rühmen.



Literaturübersicht


Berkley, Timothy W.; From a Broken Covenant to Circumcision of the Heart: Pauline Intertextual Exegesis in Romans 2:17-29 (SBL.DS 175), Atlanta 2000

Carras, G. P.; Romans 2,1-29: A Dialogue on Jewish Ideals, Bib. 73/2 (1992), 183-207

Cranfield, C. E. B.; Giving a Dog a Bad Name: A Note on H. Räisänen’s Paul and the Law, JSNT 38 (1990), 77-85

Derrett, J. Duncan M.; “You Abominate False Gods; But Do You Rob Shrines?” (Rom 2.22b), NTS 40 (1994), 558-571

Dunn, James D. G.; What Was the Issue between Paul and “Those of the Circumcision”?, in M. Hengel, U. Heckel [Hrsg.], Paulus und das antike Judentum (WUNT 58), Tübingen 1991, 295-317

Garlington, D. B.; Ierosylein and the Idolatry of Israel (Romans 2:22), NTS 36/1 (1990), 142- 151

Ito, Akio; Romans 2: A Deuteronomistic Reading, JSNT 59 (1995), 21-37

Krentz, Edgar; The Name of God in Disrepute: Romans 2:17-29 [22-23], CTM 17/6 (1990), 429-439

Lafon, Guy; La production de la loi. La pensée de la loi en Romains 2,12-27, RSR 74/3 (1986), 321-340

Meadors, Edward P.; Idolatry and the Hardening of the Heart in Romans 1-2, Proceedings EGL&MWBS 21 (2001), 15-30

Penna, Romano; Rm 1,18-2,29 tra predicazione missionaria e prestito ambientale, RicStBib 2/2 (1990), 111-117

Räisänen, Heikki; Paul and the Law (WUNT 29), Tübingen 1983

Ruck-Schröder, Adelheid; Der Name Gottes und der Name Jesu: eine neutestamentliche Studie (WMANT 80), Neukirchen-Vluyn 1999

Stowers, Stanley Kent; Apostrophe, Prosopopoiia and Paul’s Rhetorical Education, in: J. T. Fitzgerald et al. [eds.], Early Christianity and Classical Culture (NT.S 110), Leiden 2003, 351-369

Tobin, Thomas H.; Controversy and Continuity in Romans 1:18-3:20, CBQ 55/2 (1993), 298- 318

Walker, William O.; Romans 1.18-2.29: A Non-Pauline Interpolation?, NTS 45/4 (1999), 533-552

Wilk, Florian; Die Bedeutung des Jesajabuches für Paulus (FRLANT 179), Göttingen 1998

Wischmeyer, Oda; Römer 2.1-24 als Teil der Gerichtsrede des Paulus gegen die Menschheit, NTS 52/3 (2006), 356-376


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