Röm 4,17b-22
Übersetzung
Röm 4,17b-22: 17b [Diese Verheißung empfing er] im Angesicht Gottes, an den er glaubte, als den, der die Toten lebendig macht und das Nichtseiende ins Sein ruft. 18 Welcher gegen [alle] Hoffnung aufgrund von Hoffnung glaubte, auf dass er Vater vieler Völker würde, gemäß der Aussage: „So [zahlreich] soll dein Same sein.“ 19 Und ohne schwach im Glauben zu werden, betrachtete er seinen bereits erstorbenen Leib - er war fast hundert Jahre alt - und die Erstorbenheit des Mutterschoßes Saras. 20 An der Verheißung (des) Gottes zweifelte er nicht im Unglauben, sondern er wurde stark im Glauben, indem er Gott [die] Ehre gab 21 und fest überzeugt war, dass [Gott] die Macht hat, das, was er versprochen hat, auch auszuführen. 22 Deswegen [heißt es] auch: „[Es] wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet.“
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Beobachtungen: Unklar ist, wie V. 17b an V. 13-17a anschließt. Wörtlich übersetzt beginnt V. 17b „im Angesicht Gottes, an den er glaubte...“. Es stellt sich die Frage, was denn im Angesicht Gottes geschah. Laut V. 13-17a wurde Abraham die Verheißung zuteil, dass er Erbe der Welt sein solle. Geht man also davon aus, dass V. 17b an den gesamten Abschnitt V. 13-17a anknüpft, so scheint folgende Übersetzung am angemessensten zu sein: „[Diese Verheißung empfing er] im Angesicht Gottes, an den er glaubte,...“. Man kann aber auch annehmen, dass sich V. 17b direkt nur auf V. 17a (vgl. V. 16c) - konkret das Zitat „Zum Vater vieler Völker habe ich dich eingesetzt.“ - bezieht. Die Übersetzung wäre dann entweder „[Zum Vater vieler Völker wurde er eingesetzt] im Angesicht Gottes, an der er glaubte...“ oder „[Er ist wirklich Vater vieler Völker] im Angesicht Gottes, an den er glaubte...“. Schließlich ist es aber auch möglich, V. 17b so zu übersetzen, dass keine Ergänzung vorgenommen werden muss. V. 17b lautet dann: „Er glaubte im Angesicht des Gottes, der...“
Gott, vor dem etwas geschieht oder ist, wird nun genauer charakterisiert: Gott macht die Toten lebendig. Das ist zunächst eine zentrale christliche Aussage, die an die Auferweckung Jesu Christi und der Toten am Ende der Tage denken lässt. Eine solch christlich anmutende Aussage überrascht zunächst, weil Abraham, auch wenn er der Vater der Gläubigen ist, kein Christ war, sondern ein frommer Jude. Die Ansicht, dass Abraham schwerlich eine typisch christliche Glaubensaussage geglaubt haben kann, kann zur Schlussfolgerung führen, dass in V. 17b nicht ausgesagt ist, dass Abraham an (einen die Toten lebendig machenden) Gott glaubte, sondern dass er im Angesicht / vor Gott glaubte. Gegen diese Schlussfolgerung kann man aber geltend machen, dass es durchaus Juden gab, die an die Auferstehung der Toten glaubten. Zu diesen Juden gehörten die Pharisäer und die Essener, nicht jedoch die Sadduzäer. Zu bedenken ist, dass die Auferstehung bzw. Auferweckung der Toten auch in der hebräischen Bibel zur Sprache kommt, besonders deutlich in Dan 12,2 und in Ez 37,1-14. Und schließlich gibt es in der hebräischen Bibel auch Berichte, die davon berichten, dass ein verstorbener Mensch wieder von den Toten auferweckt wird (vgl. 1 Kön 17,17-24; 2 Kön 4,18-37). Angesichts der vielen Auferstehungsbelege ist es nicht verwunderlich, dass sich die Glaubensaussage „Gott, der die Toten lebendig macht“ auch in einem wichtigen jüdischen Gebetstext findet, und zwar in der zweiten Benediktion des jüdischen 18-Bitten-Gebets. Als dritte Möglichkeit bezüglich des Umgangs mit der (scheinbaren) Ungereimtheit in V. 17b bleibt, in den folgenden Versen danach Ausschau zu halten, ob sich die Lebendigmachung der Toten nicht vielleicht auch auf das Leben des Abraham beziehen lässt.
Gott ruft das Nichtseiende ins Sein. Diese Aussage scheint Ähnliches auszusagen wie die Totenauferweckung, doch ist sie viel allgemeiner gehalten. Ihr könnte auch jemand zustimmen, der nicht an die Auferweckung der Toten im christlichen Sinne glaubt. Eine andere Jenseitsvorstellung ließe sich mit der Aussage ebenso in Einklang bringen wie der Schöpfungsgedanke. Dass Gott Schöpfer ist, ist ein wichtiger Gedanke der hebräischen Bibel (= AT) und damit sowohl für den christlichen als auch für den jüdischen Glauben grundlegend. Dass Abraham daran glaubte, dass Gott das Nichtseiende ins Sein ruft, ist zunächst einmal eher anzunehmen, als dass Gott die Toten auferweckt.
Die Formulierung „Vater vieler Völker“ verdeutlicht, dass Abraham durch den Glauben Urvater der (Christus-)Gläubigen wurde, die vielen Völkern angehören (vgl. 4,13-17a). „Viele“ betont die Mehrzahl, statt der Einzahl des einen jüdischen Volkes. Da nicht gesagt ist, dass bestimmte Völker vom Samen ausgeschlossen sind, dürfte „viele“ im Sinne von „alle“ zu verstehen sein.
Weiterführende Literatur: J. Jipp 2009, 217-242 ist der Ansicht, dass der diatribische Austausch in 3,27-4,1 die Argumentation des Paulus in 4,2-25 vorab ankündige. Paulus‘ Gesprächspartner bringe einen erkennbaren jüdischen Diskurs über Abraham ins Spiel, der Probleme im Hinblick auf das verkündigte Evangelium aufwerfe. In 4,16-25 beantworte Paulus die Frage seines Gesprächspartners, wie Abraham Erzvater sowohl der Juden als auch der Heiden sein könne. Paulus sehe die Erfüllung der Verheißung Gottes, dass dieser Abraham einen Sohn geben werde, als nicht durch Beschneidung vermittelt an, sondern durch Abrahams Vertrauen Gott gegenüber, der den Toten Leben schenkt.
Eine umfangreiche stilistisch-argumentative Analyse von 4,1-25 bietet D. López Sojo 2005.
A. J. Guerra 1988, 251-270 wendet sich gegen die Annahme, dass Röm 4 von jüdischer Schriftauslegung und Argumentation geprägt sei. Vielmehr handele es sich um ein Musterbeispiel apologetischer Schriftauslegung.
A. T. Lincoln 1992, 163-179 liest Röm 4 unter einem seiner Meinung nach bisher vernachlässigten Gesichtspunkt: Paulus schreibe den Text nicht nur im Hinblick auf die Situation in Rom, die von Spannungen zwischen Heiden- und Judenchristen geprägt sei, sondern insbesondere auch auf seine eigene Lage, die eng mit derjenigen in Rom verzahnt sei. So stehe die Übergabe der Kollekte in Jerusalem unmittelbar bevor. Eine- noch ungewisse – Annahme der Kollekte würde zugleich die Akzeptanz der Einheit des aus Heiden- und Judenchristen bestehenden Christentums bedeuten. Angesichts dieser außergewöhnlichen Bedeutung der erhofften Annahme der Kollekte reflektiere Paulus in Röm 4 die Einheit des Christentums.
T. H. Tobin 1995, 437-452 vergleicht die Darstellung Abrahams im Galaterbrief mit derjenigen im Römerbrief. Im Galaterbrief (3-4) erscheine Abraham nur als „Vater“ der zum Christusglauben gekommenen Heiden, nicht jedoch als „Vater“ der Juden. Im Römerbrief (4) dagegen sei Abraham sowohl „Vater“ der heidnischen Gläubigen als auch der jüdischen Gläubigen. Im Römerbrief komme Paulus bezüglich der Rechtfertigung ohne Gesetzesgehorsam zwar zu den gleichen Schlüssen wie im Galaterbrief, allerdings auf weniger kontroverse Weise.
P. B. Likeng 1980, 153-186 versucht zu erhellen, welche Verbindung Paulus zwischen Abraham und dessen „Kindern“ sowie zwischen Abrahams Glauben und dem seiner „Kinder“ zieht. Zu diesem Zweck unterzieht er 4,1-25 einer methodischen Analyse und geht auf bisher vorgebrachte Auslegungen ein.
M. Cranford 1995, 71-88 hinterfragt die gängige These, dass Abraham von Paulus als ein Beispiel des christlichen Glaubens dargestellt werde. Eine solch starke Betonung des Glaubens sei für jüdische und judenchristliche Leser kaum einsichtig. Vielmehr werde anhand von Abraham gezeigt, warum Heiden(christen) als Glieder des Gottesvolkes angesehen werden können. Heiden(christen) hätten Anteil am Bund, weil auch sie Kinder Abrahams seien.
E. P. Sanders 1983 charakterisiert die jüdische Religion im 1. Jh. n. Chr. als einen „covenantal nomism“. Laut A. B. du Toit 1988, 71-80 impliziere das, dass die jüdische Gesetzesgerechtigkeit in einem Gnadenkontext zu verstehen ist. Entscheidend sei also nicht der Gesetzesgehorsam, wie man auf christlicher Seite gewöhnlich meine, sondern Gottes Gnade. A. B. du Toit nennt im Hinblick auf die von E. P. Sanders stimulierte Diskussion acht mögliche Positionen (mit mehreren Kombinationsmöglichkeiten), bevor er sich anhand von Röm 4,13-25 selbst kritisch mit der These von E. P. Sanders auseinandersetzt. A. B. du Toit kann sich nicht eindeutig für eine der genannten Positionen entscheiden. Sein Fazit lautet: Nach allem scheint die Position, dass E. P. Sanders das palästinische Judentum insgesamt oder teilweise nicht richtig interpretiert habe, nicht mehr so abwegig, auch wenn man nach E. P. Sanders nuancierter über das jüdische Denken urteilen wird. Oder liegt die Wahrheit vielleicht irgendwo in der Mitte? Bietet die Position, dass es eine Spannung innerhalb des palästinischen Judentums gegeben habe, doch die Antwort? Nur eine umfassende neue Untersuchung der jüdischen Quellen kann hier weiterhelfen.
Im Weg Gottes mit Abraham, wie ihn Paulus in Röm 4,1-25 nachzeichne, bilde sich laut J. Adam 2009, 299-314 in hervorragender Weise das Grenzen überwindende Rechtfertigungsgeschehen Gottes gegenüber dem Sünder ab und werde durch Paulus als schriftgemäß erwiesen. Abraham werde durch den Glauben als Gerechter von Gott anerkannt und also gerechtfertigt; der Glaube selbst werde dabei von Gott geschenkweise empfangen und sei insofern die gottgewirkte Erfüllung der Bedingung, somit die Art und Weise, der Rechtfertigung. Im Glauben, wie er sich innerhalb der Abrahamsgeschichte heilsgeschichtlich vorabzeichne, werde die Rechtfertigung des Gottlosen nicht nur ermöglicht, sondern bleibend verwirklicht. Im Zum-Glauben-Kommen des Abraham erweise sich Gott als der Schöpfer , der das Nichtseiende ins Dasein ruft.
Die für den Römerbrief so spezifische Eigenart in der Rede vom lebendig machenden Gott verdeutliche laut C. Zimmermann 2009, 503-520, dass es allein der Tod und Leben machtvoll umspannende Schöpfergott ist, der seine Macht in der Auferweckung Jesu neu erwiesen hat und sie nun auch den nichtjüdischen Glaubenden eröffnet. Diese Macht werde den Glaubenden bereits jetzt in einem „wie aus Toten Leben“, in der „Neuheit des Lebens“, die durch den Herrschaftsantritt des Auferstandenen bestimmt werde, inauguriert, und sie würden an der Auferstehung des Herrn zukünftig in der eschatologischen Totenauferweckung partizipieren.
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Beobachtungen: In den V. 18-21 entfaltet Paulus, inwiefern der Glaube Abrahams vorbildlich war. Ganz allgemein ausgedrückt war er insofern vorbildlich, dass Abraham in einer hoffnungslosen Situation glaubte, und zwar aufgrund von Hoffnung.
Die Formulierung „eis to“ ist am ehesten final zu verstehen („damit / auf dass“; vgl. 4,16); ausgesagt wird also, was der Glaube bewirken sollte: Gottes Aussage „So [zahlreich] soll dein Same sein.“ (vgl. Gen 15,5) sollte nicht eine Verheißung bleiben, sondern Realität werden. Abraham sperrte sich nicht gegen den Fortlauf der Heilsgeschichte. Möglich, aber weniger nahe liegend ist ein konsekutives Verständnis der Formulierung. Demnach leitet „eis to“ die Folge des Glaubens ein: „sodass er Vater vieler Völker wurde.“ Die dritte Möglichkeit des Verständnisses der Formulierung „eis to“ ist, dass sie die Nennung des Glaubensinhaltes einleitet. Die Nennung des Glaubensinhaltes wäre eigentlich am ehesten zu erwarten, entspricht jedoch am wenigsten der üblichen Bedeutung von „eis to“.
Weiterführende Literatur: P. Eisenbaum 2000, 494-519 befasst sich mit der Beziehung zwischen Abraham, den Heiden und der Christologie im Römerbrief, wobei der Schwerpunkt auf der Christologie liegt. Paulus verstehe sich implizit selbst als eine abrahamitische Person, die eine neue Art Familie gründet, und zwar eine, die aus Juden(christen) und Heiden(christen) gebildet ist. Einerseits ähnele Paulus‘ Selbstverständnis dem Leben Abrahams, andererseits stelle sich Paulus Abraham nicht in erster Linie als Glaubensvorbild für Heiden vor, wie gemeinhin angenommen werde, sondern eher als patrilinearer Vorfahre, der viele Völker umfasse und somit die Juden(christen) und Heiden(christen) als Familie gründe. P. Eisenbaums Ziel ist es zu zeigen, wie und warum Paulus das Kommen Christi mit der Aufhebung von Unterschieden bezüglich Juden(christen) und Heiden(christen) verbindet. Auf S. 506-508 geht sie konkret auf 4,16-22 ein.
F. Cocchini 1982, 251-262 beleuchtet zunächst den atl. Hintergrund von V. 19, bevor sie sich mit der Auslegung des Verses seitens des Kirchenvaters Origenes befasst. Dieser habe den Vers im Lichte des AT gedeutet, außerdem gemäß einer seiner eigenen geschichtlich-theologischen Problemstellung und auch den ihm vorausgehenden Traditionen entsprungenen Perspektive
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Beobachtungen: V. 19 legt dar, warum die Lage für Abraham hoffnungslos war: Er war bis ins hohe Alter kinderlos geblieben, wobei Paulus als Alter entweder „fast hundert Jahre“ oder „etwa hundert Jahre“ angibt. Dass es zwei Deutungsmöglichkeiten gibt, hängt damit zusammen, dass „pou“ sowohl „fast“ als auch „etwa“ bedeuten kann. Beide Deutungsmöglichkeiten widersprechen nicht Gen 17,1, wo davon die Rede ist, dass Abraham (= Abram) bei Gottes Bundesschluss mit ihm 99 Jahre alt war. Paulus dürfte davon ausgegangen sein, dass die Altersangabe auch für Gen 15 gilt.
Nicht das Alter an sich ist der Grund für Hoffnungslosigkeit, sondern der Zustand des Leibes in diesem Alter. Dieses Zustands des Leibes war sich Abraham wohl bewusst, denn es heißt ja, dass er ihn betrachtete. Dass Abraham bei der Betrachtung in erster Linie die Zeugungsfähigkeit im Sinn hatte und nicht die Kraft des gesamten Leibes, zeigt die Tatsache, dass bezüglich Sara nur vom Mutterschoß, der Gebärmutter, die Rede ist und nicht vom gesamten Leib. Er betrachtete also seine eigene altersbedingte Unfruchtbarkeit wie auch diejenige seiner Frau Sara und kam zu dem Ergebnis, dass an das Zeugen eines Kindes nicht zu denken war.
Die Unfruchtbarkeit wird mit dem Sterben und Tod in Verbindung gebracht, wie die Formulierungen „erstorben“ und „Erstorbenheit“ zeigen. Wenn sich trotz der Erstorbenheit dennoch durch Gottes Wirken die Fähigkeit zur Zeugung eines Kindes ergibt, dann handelt es sich bei der wundersamen Fruchtbarkeit im übertragenen Sinn um eine Auferstehung von den Toten, die Gott bewirkt hat. Die Glaubensaussage „Gott, der die Toten lebendig macht“, lässt sich daher durchaus konkret auf Abrahams Leben beziehen. Gleiches gilt auch für die Glaubensaussage „Gott, der das Nichtseiende ins Sein ruft“. Wenn aus der Unfruchtbarkeit und aus der Hoffnungslosigkeit heraus ein Kind entsteht, dann wird dieses Nichtseiende ins Sein gerufen. Man kann dieses Geschehen als Schöpfung Gottes verstehen.
Verschiedene Textzeugen korrigieren dahingehend, dass Abraham nicht seinen bereits erstorbenen Leib betrachtet habe. Diese Korrektur entspricht aber nicht der zentralen Aussage des Textes: Die Glaubensstärke zeigt sich ja nicht darin, dass Abraham der Realität ausweicht, sondern darin, dass er trotz der bewusst wahrgenommenen hoffnungslosen Realität aufgrund von Hoffnung glaubt.
Weiterführende Literatur: Zur Debatte stehe laut M. Theobald 2001, 283-301 die Frage, ob in V. 19 vor „katenoêsen“ („er betrachtete“) ein „ou“ („nicht“) zu lesen ist. Weil man es offensichtlich als nicht besonders sinnvoll erachtet habe, dass Paulus von Abraham, dem Urbild und Vater des Glaubens, geschrieben haben sollte: „er betrachtete seinen bereits erstorbenen Leib – er war nahezu hundert Jahre alt – und die Erstorbenheit des Mutterschoßes der Sara“, habe man den Text im Sinne des eigenen Glaubensverständnisses „verbessert“ und gelesen: „Abraham schaute nicht auf seinen bereits erstorbenen Leib…, sondern zweifelte nicht an der Verheißung Gottes im Unglauben, sondern gewann Kraft im Glauben.“ Demnach habe Abraham also weggesehen, seinen Blick gerade nicht auf die Wirklichkeit seiner hoffnungslosen Überalterung und die seiner Frau gerichtet, sondern sich blindlings dem Verheißungswort Gottes zugewandt. Diese Deutung habe in der Auslegungsgeschichte zahlreiche hervorragende Kommentatoren geprägt. Gegen diese Annahme versucht M. Theobald zu verdeutlichen, dass es offenkundig mit der besonderen Qualität dieses seines Glaubens zu tun habe, dass er bei aller in Gottes Wort gründenden Festigkeit doch auf die Wirklichkeit bezogen bleibe.
Laut M. Forman 2009, 301-324 spiele Paulus in Röm 4,19-21 bewusst auf Jes 54,1-3 an, eine Passage, die ursprünglich inmitten des Exils Hoffnung machen sollte. Die Künstler, Dichter und Bildhauer im Rom des 1. Jh. n. Chr. hätten ihre „Leinwand“ mit Farben bedeckt, von denen sie dachten, dass sie die Farben der Zukunft sein würden bzw. sein sollten (oder schon waren). Paulus eigne sich Jes 54,1-3 und die damit verbundene Auslegungstradition an, um seine Adressaten daran zu erinnern, dass sie zwar gegenwärtig inmitten einer von Ungleichheit und Ungerechtigkeit geprägten Welt, in den Schatten eines Reiches mit anderen Ansprüchen lebten, trotz alledem jedoch dem Volk Gottes, das nun aus Juden und Heiden bestand, das Erbe der Welt verheißen sei.
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Beobachtungen: Trotz dieser altersbedingten Unfruchtbarkeit wurde Abraham nicht schwach im Glauben und zweifelte auch nicht. Der Zustand, in dem das Zweifeln erfolgt, ist der Unglaube; aber im Zustand des Unglaubens befand sich Abraham nicht. Vielmehr wurde er stark im Glauben (oder: im Glauben gestärkt).
Die passive Verbform „endynamôthê“ kann als passivum divinum verstanden und passivisch „er wurde gestärkt“ übersetzt werden. Demnach wäre Gott derjenige, der die Stärkung bewirkt hat. Es ist aber auch die mediale Übersetzung „er wurde stark“ möglich.
Versteht man „im Glauben“ („tê pistei“) parallel zur Formulierung „im Unglauben“, so handelt es sich wiederum um einen Zustand. Im Zustand des Glaubens wurde Abraham stark, was weniger seinen Leib betreffen dürfte als vielmehr seine Hoffnung. Ähnlich ist die Deutung, dass es sich bei dem Glauben um das Mittel handelte, durch das Abraham stark wurde, und dementsprechend die Übersetzung „durch Glauben“ lauten muss. Man kann die Aussage „er wurde stark im Glauben“ aber auch so verstehen, dass Abraham im Hinblick auf den Glauben stark wurde. Dann wäre es der Glaube selbst, der gefestigt wurde.
Das Glauben an Gott bezeichnet Paulus als „Gott [die] Ehre geben“. Dass Abraham Gott die Ehre gab, unterscheidet ihn von den Heiden, die Gott zwar kennen, aber nicht an ihn glauben und ihm somit die gebührende Ehre versagen (vgl. 1,21). Dadurch, dass Abraham Gott die Ehre gab, kam es zu einer „Stärkung im/durch Glauben“.
Weiterführende Literatur: Laut E. Adams 1997, 47-66 hätten einige Ausleger in Röm 4,20 einen Rückbezug auf 1,21 entdeckt. Die Aussage, dass Abraham Gott die Ehre erwiesen habe, erinnere an die frühere Aussage in 1,21, dass die Heiden Gott nicht die Ehre erwiesen haben. Es werde ein Kontrast zwischen Abrahams Glauben und dem Versagen der Heiden deutlich. E. Adams untersucht weitere Textverbindungen zwischen Röm 1 und 4 und versucht zu zeigen, dass der Kontrast zwischen Abraham und den Heiden weit gehender sei als gemeinhin angenommen. Er geht auf die Überlieferung von Abrahams Zurückweisung des Götzenkultes und Entdeckung des Schöpfers ein und untersucht, wie sich der Wiederhall von Röm 1 in Röm 4 in den Gesamtgedankengang des Heidenapostels einfügt. Vorweg fasst er kurz den Inhalt und die Absichten von Röm 1,18-32 und 4,1-25 in ihrem literarischen und argumentativen Kontext zusammen.
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Beobachtungen: Abraham war vom Glauben erfüllt, d. h. er war überzeugt. Er war davon überzeugt, dass Gott die Macht hat, das, was er versprochen hat, auch auszuführen. Angesichts der Hoffnungslosigkeit der Situation bedarf es der Macht, die Lage zu wenden. Erst dann kann die Verheißung erfüllt werden. Eine unerfüllte Verheißung wäre eine Täuschung. Aber es gibt keinen Zweifel: Gott täuscht nicht, sondern erfüllt, was er einmal versprochen hat.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: „Deswegen“ dürfte sich auf den Glauben, die Ehrerbietung und die Überzeugung Abrahams beziehen. Aufgrund des gesamten Verhaltens „wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet“. Die wörtliche Übersetzung lässt offen, was ihm zur Gerechtigkeit angerechnet wurde. Dass dies offen bleibt, lässt sich damit erklären, dass Paulus zitiert, und zwar Gen 15,6LXX. Aus der Stelle, an der Paulus das erste Mal Gen 15,6LXX zitiert, nämlich Röm 4,3 (vgl. 4,9), wird ersichtlich, dass es der Glaube ist, der Abraham zur Gerechtigkeit angerechnet wurde. Mit dem Glauben sind gemäß 4,20-21 die Ehrerbietung und die Überzeugung verbunden.
Weiterführende Literatur: M. M. S. Ibita 2009, 679-690 befasst sich mit der Verwendung von Gen 15,6 in Röm 4. Zunächst gibt er einen Überblick über den historischen und literarischen Kontext von Röm 4 und beleuchtet den literarischen und historischen Kontext von Gen 15,6 im AT, dann nimmt er näher in den Blick, wie Paulus Gen 15,6 in Röm 4 verwendet, und zieht abschließend diesbezüglich Schlüsse.
Einen Forschungsüberblick zur Frage, wie das Verb „logizomai“ („anrechnen“) zu verstehen ist, bietet M. F. Bird 2004, 261-267. Er vertritt selbst die Meinung, dass Röm 4 nicht behaupte, dass man aufgrund der zugeschriebenen Gerechtigkeit Christi gerechtfertigt werde oder dass Gott den Glauben als Bundesbefolgung anrechne. Vielmehr rechne Gott den Glauben als Bedingung für die Rechtfertigung an und rechtfertige Gläubige aufgrund ihrer Einheit mit Christus.
Literaturübersicht
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Adam, Jens; Paulus und die Versöhnung aller. Eine Studie zum paulinischen Heilsuniversalismus, Neukirchen-Vluyn 2009
Adams, Edward; Abraham’s Faith and Gentile Disobedience: Textual Links between Romans 1 and 4, JSNT 65 (1997), 47-66
Bird, Michael F.; Incorporated Righteousness: A Response to Recent Evangelical Discussion concerning the Imputation of Christ’s Righteousness in Justification, JETS 47/2 (2004), 253-275
Cocchini, Francesca; Rom 4,19 nell’interpretazione Origeniana, Aug 22/1-2 (1982), 251-262
Cranford, Michael; Abraham in Romans 4: The Father of All Who Believe, NTS 41/1 (1995), 71-88
du Toit, Andries B.; Gesetzesgerechtigkeit und Glaubensgerechtigkeit in Röm 4,13-25: In Gespräch mit E. P. Sanders, HTS 44/1 (1988), 71-80
Eisenbaum, Pamela; “A Remedy for Having Been Born of Woman”: Jesus, Gender, and Genealogy in Romans, SBL.SPS 39 (2000), 494-519
Forman, Mark; The Politics of Promise: Echoes of Isaiah 54 in Romans 4.19-21, JSNT 31/3 (2009), 301-324
Guerra, Anthony J.; Romans 4 as Apologetic Theology, HTR 81/3 (1988), 251-270
Ibita, M. Maricel S.; „Abraham believed God, and it was reckoned to him as righteousness“: Paul’s Usage of Gen 15,6 in Romans 4, in: U. Schnelle [ed.], The Letter to the Romans (BETL 226), Leuven 2009, 679-690
Jipp, Joshua W.; Rereading the Story of Abraham, Isaac, and “Us” in Romans 4, JSNT 32/2 (2009), 217-242
Likeng, P. Bitjick, La paternité d’ Abraham selon Rom 4,1-25, RAT 4/8 (1980), 153-186
Lincoln, Andrew T.; Abraham Goes to Rome: Paul’s Treatment of Abraham in Romans 4, in: M. J. Wilkins, T. Paige [eds.], Worship, Theology and Ministry in the Early Church (JSNTS 87), FS R. P. Martin, Sheffield 1992, 163-179
López Sojo, Dagoberto; “Abraham, padre de todos nosotros...”. Análisis estilístico- argumentativo de Rm 4,1-25. Abraham, paradigma de fe monoteísta (Cahiers de la Revue biblique 64), Paris 2005
Sanders, Ed P.; Paul, the Law, and the Jewish People, Minneapolis 1983
Theobald, Michael; “Abraham sah hin...”. Realitätssinn als Gütesiegel des Glaubens (Rom 4,18-22), in: J. Frühwald-König u. a. [Hrsg.], Steht nicht geschrieben?, FS G. Schmuttermayr, Regensburg 2001, 283-301
Tobin, Thomas H.; What Shall We Say that Abraham Found? The Controversy behind Romans 4, HTR 88/4 (1995), 437-452
Zimmermann, Christiane; Leben aus dem Tod: Ein Spezifikum in der Gottesrede in der Gottesrede des Römerbriefs, in: U. Schnelle [ed.], The Letter to the Romans (BETL 226), Leuven 2009, 503-520