Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Römerbrief

Brief des Paulus an die Römer

Röm 4,13-17a

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Röm 4,13-17a



Übersetzung


Röm 4,13-17a:13 Denn nicht durch [das] Gesetz [wurde] die Verheißung Abraham oder seinem Samen [zuteil], dass er der Erbe der Welt sein solle, sondern durch Glaubensgerechtigkeit. 14 Wenn nämlich die aus [dem] Gesetz Erben sind, ist der Glaube entleert und die Verheißung außer Kraft gesetzt. 15 Denn das Gesetz bewirkt Zorn. Wo aber kein Gesetz ist, gibt es auch keine Übertretung. 16 Deshalb [gilt]: „aus Glauben“, damit [auch gilt]: „nach Gnade“, auf dass die Verheißung für allen Samen gültig sei, nicht nur für den aus [dem] Gesetz allein, sondern auch für den aus [dem] Glauben Abrahams, der unser aller Vater ist, 17a wie geschrieben steht: „Zum Vater vieler Völker habe ich dich eingesetzt.“



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V. 13


Beobachtungen: 4,13-17a schließt an die Kernaussage des vorhergehenden Abschnitts (4,9-12) an, dass Abraham der geistliche „Vater“ aller Christusgläubigen ist, seien sie unbeschnitten oder beschnitten. Paulus wendet sich mit dieser These gegen die Meinung seiner jüdischen Kritiker, dass den Juden aufgrund ihrer Beschneidung und ihrem zu befolgenden Religionsgesetz ein besonderes Ansehen bei ihrem Gott zukomme. Mit der „Vaterschaft“ Abrahams ist eine Verheißung verbunden. 4,13-17a legt dar, wem diese Verheißung gilt.


Die Verheißung wurde Abraham und - in diesem Sinne ist das verbindende „oder“ wohl zu verstehen - seinem Samen zuteil. Geht man wie die Juden davon aus, dass es sich bei „seinem Samen“ um seine leiblichen Nachkommen handelt, so ist zu interpretieren, dass die Verheißung Abraham und seinen leiblichen Nachkommen, den Juden zuteil wurde. Die Heiden wären damit von der Verheißung ausgeschlossen. Paulus dagegen interessiert nicht die leibliche „Vaterschaft“ Abrahams, sondern die geistliche. Demnach ist Abraham der „Vater“ aller Christusgläubigen, seien sie unbeschnitten oder beschnitten. „Sein Same“ sind also nach Meinung des Apostels nicht die Juden, sondern alle Christusgläubigen.


Die Verheißung an Abraham oder seinen Samen lautete: „Du sollst der Erbe der Welt sein.“ Paulus schreibt nicht, wo diese Verheißung geschrieben steht. Zunächst einmal setzt diese Verheißung voraus, dass Abraham „Vater“ eines eigenen Volkes ist. Nun war Abraham jedoch bis ins hohe Alter unfruchtbar, sodass es scheinbar keine Aussicht mehr gab, dass er und seine Frau Sara noch Nachkommen bekommen könnten. In diese Hoffnungslosigkeit hinein erging an ihn Gottes Verheißung einer großen Zahl Nachkommen (vgl. Gen 15,4-5).

Was erben nun Abraham und diese Nachkommen? Die Antwort lautet: Sie erben das Land, in dem sie wohnen sollen, laut Gen 15,18 „das Land vom Strom Ägyptens bis zum großen Strom, dem Euphrat“. Andere biblische Texte gehen von einer anderen Ausdehnung des Landes aus und gemeinhin gilt der Jordanübergang als Landnahme (vgl. Num 32,7.30.32; Dtn 6,1; 11,8.11; Jos 3). Schließlich umfasste das gelobte Land, das „Erbe“ des Volkes Israel wurde, in etwa das Gebiet des heutigen Israel samt dem Westjordanland (vgl. insbesondere Dtn 34,1-4), wobei den Stämmen Gad, Ruben und zur Hälfte auch Manasse Land im Ostjordanland zur Besiedelung gegeben wurde. Allerdings mussten Gad, Ruben und Manasse bei der Eroberung des Landes westlich des Jordans mithelfen (vgl. Num 32). Das gelobte Land war von Anfang an mit dem Begriff „Erbe“ („klêronomia“) verbunden. Nun besagt die Verheißung gemäß Röm 4,13 aber nicht, dass Abraham nur dieses geographisch doch sehr begrenzte Gebiet erben solle. Sie besagt vielmehr, dass er Erbe der Welt sein solle. Die kosmologische Ausweitung des Erbgedankens findet sich so in der hebräischen Bibel (= AT) nicht, obwohl durchaus davon die Rede ist, dass sich der Segen Abrahams und seiner Nachkommen auf die anderen Völker erstreckt (vgl. Gen 22,8, ähnlich auch 17,4-5). Dementsprechend wird mit dem Erbe auch nicht der Begriff „Welt“ (LXX: „kosmos“) verbunden. Paulus dürfte sich mit seiner Ausweitung des Erbes auf die ganze Welt auf Aussagen außerbiblischer frühjüdischer Schriften stützen. In diesen Schriften wird an verschiedenen Stellen das Erbe auf die ganze Erde bezogen (vgl. Jub 19,21; 22,14; 32,19; Sir 44,21; Philo, Mos 1,155).

Wenn Abraham durch Glaubensgerechtigkeit „Erbe der Welt“ wird, dann verweist dies zunächst einmal auf die Inbesitznahme der ganzen Erde durch den Glauben. Weltweit kommen immer mehr Menschen zum Glauben. Dabei ist nicht zu vergessen, dass die Ausbreitung des Glaubens auch unter dem Gesichtspunkt der Herrschaft von Bedeutung ist. Mit dem Glauben breitet sich auch das Gottesreich aus. Der Höhepunkt der Unterwerfung der irdischen Mächte und schließlich auch des Todes wird am Ende der Welt sein. Die Unterwerfung findet dann ihr Ende, wenn Gott „alles in allem“ ist (vgl. 1 Kor 15,20-28). Wer nach der Auferstehung aufgrund der Rechtfertigung durch Glauben am Ende bei Gott verweilt, hat indirekt an der Weltherrschaft teil und ist somit „Erbe der Welt“.


Das Erbe ist nicht etwas, was man sich selbst nimmt, sondern es wird gegeben, was insbesondere aus der Verlosung der Siedlungsgebiete im gelobten Land an die israelitischen Stämme hervorgeht (vgl. Jos 14,2-3). Auch Abraham und seinen Nachkommen wird das Erbe gegeben, und zwar von Gott bzw. Jesus Christus.


Weiterführende Literatur: Eine umfangreiche stilistisch-argumentative Analyse von 4,1-25 bietet D. López Sojo 2005.


A. J. Guerra 1988, 251-270 wendet sich gegen die Annahme, dass Röm 4 von jüdischer Schriftauslegung und Argumentation geprägt sei. Vielmehr handele es sich um ein Musterbeispiel apologetischer Schriftauslegung.


A. T. Lincoln 1992, 163-179 liest Röm 4 unter einem seiner Meinung nach bisher vernachlässigten Gesichtspunkt: Paulus schreibe den Text nicht nur im Hinblick auf die Situation in Rom, die von Spannungen zwischen Heiden- und Judenchristen geprägt sei, sondern insbesondere auch auf seine eigene Lage, die eng mit derjenigen in Rom verzahnt sei. So stehe die Übergabe der Kollekte in Jerusalem unmittelbar bevor. Eine- noch ungewisse – Annahme der Kollekte würde zugleich die Akzeptanz der Einheit des aus Heiden- und Judenchristen bestehenden Christentums bedeuten. Angesichts dieser außergewöhnlichen Bedeutung der erhofften Annahme der Kollekte reflektiere Paulus in Röm 4 die Einheit des Christentums.


Im Weg Gottes mit Abraham, wie ihn Paulus in Röm 4,1-25 nachzeichne, bilde sich laut J. Adam 2009, 299-314 in hervorragender Weise das Grenzen überwindende Rechtfertigungsgeschehen Gottes gegenüber dem Sünder ab und werde durch Paulus als schriftgemäß erwiesen. Abraham werde durch den Glauben als Gerechter von Gott anerkannt und also gerechtfertigt; der Glaube selbst werde dabei von Gott geschenkweise empfangen und sei insofern die gottgewirkte Erfüllung der Bedingung, somit die Art und Weise, der Rechtfertigung. Im Glauben, wie er sich innerhalb der Abrahamsgeschichte heilsgeschichtlich vorabzeichne, werde die Rechtfertigung des Gottlosen nicht nur ermöglicht, sondern bleibend verwirklicht. Im Zum-Glauben-Kommen des Abraham erweise sich Gott als der Schöpfer , der das Nichtseiende ins Dasein ruft.


T. H. Tobin 1995, 437-452 vergleicht die Darstellung Abrahams im Galaterbrief mit derjenigen im Römerbrief. Im Galaterbrief (3-4) erscheine Abraham nur als „Vater“ der zum Christusglauben gekommenen Heiden, nicht jedoch als „Vater“ der Juden. Im Römerbrief (4) dagegen sei Abraham sowohl „Vater“ der heidnischen Gläubigen als auch der jüdischen Gläubigen. Im Römerbrief komme Paulus bezüglich der Rechtfertigung ohne Gesetzesgehorsam zwar zu den gleichen Schlüssen wie im Galaterbrief, allerdings auf weniger kontroverse Weise.


P. B. Likeng 1980, 153-186 versucht zu erhellen, welche Verbindung Paulus zwischen Abraham und dessen „Kindern“ sowie zwischen Abrahams Glauben und dem seiner „Kinder“ zieht. Zu diesem Zweck unterzieht er 4,1-25 einer methodischen Analyse und geht auf bisher vorgebrachte Auslegungen ein.


M. Cranford 1995, 71-88 hinterfragt die gängige These, dass Abraham von Paulus als ein Beispiel des christlichen Glaubens dargestellt werde. Eine solch starke Betonung des Glaubens sei für jüdische und judenchristliche Leser kaum einsichtig. Vielmehr werde anhand von Abraham gezeigt, warum Heiden(christen) als Glieder des Gottesvolkes angesehen werden können. Heiden(christen) hätten Anteil am Bund, weil auch sie Kinder Abrahams seien.


K. E. Bailey 1994, 59-69 befasst sich mit der Frage, wie in den beiden Jahrhunderten vor der Entstehung des NT die Landverheißung an Abraham (vgl. Gen 12,7; 17,8) abgeändert wurde. Dabei geht er auch auf bisherige Forschungsmeinungen ein. Paulus forme seine Aussagen im Kontext der vorhergehenden innerjüdischen Diskussion, wobei der Gedanke, dass der Same Abrahams Erbe der Welt sein soll, dem Jubiläenbuch (32,16-26) entnommen sei. Den triumphalistischen Gedanken der Weltherrschaft übernehme Paulus jedoch nicht. Möglicherweise sei Paulus bezüglich des Erbes der Welt von Jesus beeinflusst, auf jeden Fall sei eine Ähnlichkeit mit Mt 5,5 festzustellen.


Laut M. Forman 2009, 301-324 spiele Paulus in Röm 4,19-21 bewusst auf Jes 54,1-3 an, eine Passage, die ursprünglich inmitten des Exils Hoffnung machen sollte. Die Künstler, Dichter und Bildhauer im Rom des 1. Jh. n. Chr. hätten ihre „Leinwand“ mit Farben bedeckt, von denen sie dachten, dass sie die Farben der Zukunft sein würden bzw. sein sollten (oder schon waren). Paulus eigne sich Jes 54,1-3 und die damit verbundene Auslegungstradition an, um seine Adressaten daran zu erinnern, dass sie zwar gegenwärtig inmitten einer von Ungleichheit und Ungerechtigkeit geprägten Welt, in den Schatten eines Reiches mit anderen Ansprüchen lebten, trotz alledem jedoch dem Volk Gottes, das nun aus Juden und Heiden bestand, das Erbe der Welt verheißen sei.


E. P. Sanders 1983 charakterisiert die jüdische Religion im 1. Jh. n. Chr. als einen „covenantal nomism“. Laut A. B. du Toit 1988, 71-80 impliziere das, dass die jüdische Gesetzesgerechtigkeit in einem Gnadenkontext zu verstehen ist. Entscheidend sei also nicht der Gesetzesgehorsam, wie man auf christlicher Seite gewöhnlich meine, sondern Gottes Gnade. A. B. du Toit nennt im Hinblick auf die von E. P. Sanders stimulierte Diskussion acht mögliche Positionen (mit mehreren Kombinationsmöglichkeiten), bevor er sich anhand von Röm 4,13-25 selbst kritisch mit der These von E. P. Sanders auseinandersetzt. A. B. du Toit kann sich nicht eindeutig für eine der genannten Positionen entscheiden. Sein Fazit lautet: Nach allem scheint die Position, dass E. P. Sanders das palästinische Judentum insgesamt oder teilweise nicht richtig interpretiert habe, nicht mehr so abwegig, auch wenn man nach E. P. Sanders nuancierter über das jüdische Denken urteilen wird. Oder liegt die Wahrheit vielleicht irgendwo in der Mitte? Bietet die Position, dass es eine Spannung innerhalb des palästinischen Judentums gegeben habe, doch die Antwort? Nur eine umfassende neue Untersuchung der jüdischen Quellen kann hier weiterhelfen.


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V. 14


Beobachtungen: „Die aus dem Gesetz“ dürfte ein Ausdruck für diejenigen Menschen sein, die den Satzungen und Geboten des jüdischen Religionsgesetzes folgen. Das sind die Juden - genauer: die gesetzestreuen Juden. Wenn nur sie „Erben“ sind, dann ist das Erbe beschränkt: Es ist an die Siedlungsgebiete und an den Glauben der Juden gebunden.


Die Folge einer solchen Beschränkung wäre: Der Glaube wäre entleert, d. h. es käme ihm keine Bedeutung zu. Gerecht würde nämlich nicht derjenige, der an den Messias Jesus Christus und die Heilsbedeutung des Sühnetodes am Kreuz sowie der Auferweckung von den Toten glaubt, sondern wer gesetzestreu ist. Aufgrund der geographischen und religiösen Beschränktheit der Rechtfertigung könnte Abraham nicht „Erbe der Welt“ werden und die Verheißung, die ja geschrieben steht und Gültigkeit hat, würde durch die irrige Gesetzlichkeit außer Kraft gesetzt.


Weiterführende Literatur: Laut G. Lafon 1987, 9-38 zeige die semantische Analyse des Textes, dass zwei Gruppen das Erbe Abrahams zukomme: der einen nach ihrem Gesetz, der anderen nach ihrem Glauben. Es seien also zwei widerstreitende Logiken festzustellen; nämlich diejenige der Autonomie und diejenige der Abhängigkeit vom Gesetz hinsichtlich der Verheißung und somit der Gnade. Wenn sich das Gesetz der Glaubensgerechtigkeit, der Gnade, entziehe, so rufe es übermäßig Gewalt hervor, den sozialen Ausschluss einer Gruppe durch die andere. Um dies zu vermeiden, müsse die Gnade in der Geschichte soziale Beständigkeit, wie sie sich aus der Annahme der Einheit der beiden Nachkommenslinien ergebe, zugrunde legen, denn die Verheißung wende sich an eine vereinte Gesellschaft. Die auf der Gnade aufgebaute Geschichte entstamme einer grundlegenden Ethik des Geschenks, welche die Gottesfrage – Gott werde in dem Abschnitt 4,13-16 nicht erwähnt – als Problem der Zugehörigkeit der Welt zu einer Ökonomie des Geschenks (und somit der Schöpfung) aufwerfe. Es sei die gesellschaftliche Praxis, die der Gottesfrage Bedeutung gibt.


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V. 15


Beobachtungen: Die Außerkraftsetzung der Verheißung beschränkt sich aber nicht nur auf den universalen Charakter. Paulus geht noch weiter und bestreitet grundsätzlich, dass eine an jüdische Gesetzestreue gebundene Verheißung überhaupt eine Verheißung ist. Das begründet er damit, dass das Gesetz keine Gerechtigkeit und damit auch kein Heil bewirkt, sondern nur Zorn. Wo ein Gesetz ist, da gibt es Übertretung. Jede Übertretung zeigt die Sündigkeit des Menschen auf und auch das Unvermögen, sämtliche Satzungen und Gebote zu halten (vgl. Gal 3,10-14.19-22). Wo es kein Gesetz gibt, also bei den Heiden, da gibt es keine Übertretung, die den Zorn Gottes hervorrufen könnte.


Weiterführende Literatur:


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V. 16


Beobachtungen: Dass es beim Fehlen des jüdischen Religionsgesetzes keine Übertretung gibt, bedeutet nicht, dass es keine Sünde gibt. Diese wird nur nicht an einer Gesetzesübertretung deutlich. Folglich haben Heiden ebenso wie Juden die Sündenvergebung nötig, und ebenso wie die Heiden können sie diese nur „aus Glauben“ erlangen, also aufgrund des Glaubens und des damit zusammenhängenden Lebenswandels. Weil die Sündenvergebung unverdientermaßen erfolgt und nur mit der Gnade Gottes zu begründen ist, geschieht sie „nach Gnade“.


Das einleitende „deshalb“ ist wahrscheinlich als ein Hinweis zu verstehen, dass nun eine Schlussfolgerung folgt. Es dürfte sich um eine Schlussfolgerung aus der Tatsache handeln, dass eben dem Gesetz jegliche Bedeutung im Hinblick auf die an Abraham ergangene Verheißung abgesprochen worden ist. Die nun folgenden Aussagen hält Paulus für richtig.


„Aus Glauben“ und „nach Gnade“ erfolgt die Glaubensgerechtigkeit, durch die Abraham oder seinem die Verheißung zuteil wurde. Aus der solchermaßen begründeten Glaubensgerechtigkeit ergibt sich eine Folge, die als göttlicher Wille zu interpretieren ist: Empfänger der Verheißung ist der gesamte Same Abrahams, nicht nur ein Teil, nämlich „die aus dem Gesetz“. Empfänger sind auch „die aus dem Glauben Abrahams“. Problematisch ist die Deutung dieser beiden Gruppen. „Die aus dem Gesetz“ sind diejenigen, die sich an die Satzungen und Gebote des jüdischen Religionsgesetzes halten, also (gesetzestreue) Juden. „Die aus dem Glauben Abrahams“ sind auf jeden Fall Christusgläubige. Bei ihnen kann es sich um Judenchristen oder auch um Heidenchristen handeln. Legt man Wert auf die Feststellung, dass Abraham sein Glaube im Zustand der Unbeschnittenheit zur Gerechtigkeit angerechnet wurde (vgl. Röm 4,9-10), so kommt man zu dem Ergebnis, dass nur unbeschnittene Christen, also Heidenchristen, gemeint sein können. Beachtet man nun, dass Abraham und seinem Samen die Verheißung durch Glaubensgerechtigkeit zuteil wurde, so ist die Deutung der beiden Gruppen daraufhin zu prüfen, ob jede der beiden Gruppe Christusgläubige meint. Die Prüfung ergibt einen negativen Befund: Zwar besteht die zweite Gruppe in jedem Fall aus Christusgläubigen, nicht jedoch die erste. Bezüglich der ersten Gruppe ist nur vom „Gesetz“, nicht jedoch vom „Glauben“ die Rede. Heißt das, dass die Verheißung auch an den leiblichen Samen Abrahams ergangen ist, der nicht an Jesus Christus glaubt? Oder muss die Deutung der ersten Gruppe, derer „aus dem Gesetz“, dahingehend korrigiert werden, dass nur christusgläubige Juden gemeint sind? Für letztere Lösung spricht die Vermeidung eines Widerspruches. Allerdings ist zu beachten, dass es sich bei der Deutung derjenigen „aus dem Gesetz“ als Judenchristen bei denjenigen „aus dem Glauben Abrahams“ nur um Heidenchristen handeln kann, weil die erste Gruppe keine Teilgruppe der zweiten ist.

Allerdings ist fraglich, ob die Stellung des „monon“ („allein“) eine Deutung der ersten Gruppe als Judenchristen zulässt. Die gegebene Formulierung lautet nämlich „ou tô ek tou nomou monon“ („nicht [nur?] für den aus [dem] Gesetz allein“) statt „ou monon tô ek tou nomou“ („nicht nur für den aus [dem] Gesetz“).. Wer „aus dem Gesetz allein“ lebt, lebt nicht aus dem Glauben. Ein solcher Mensch ist ein Jude, der nicht an Jesus Christus glaubt. Die Verheißung wäre nicht an „den aus dem Gesetz allein ergangen“. Die Juden wären also von der Verheißung ausgeschlossen. Empfänger der Verheißung wären nur Abraham und „der, der aus dem Glauben Abrahams“ lebt. Doch warum werden die beiden Gruppen mit der Formulierung „alla kai“ („sondern auch“) verbunden, die annehmen lässt, dass nicht nur die erste, sondern auch die zweite Gruppe zu dem Empfängerinnen der Verheißung gehört? Zu bedenken ist schließlich auch die Betonung von „aller Samen“, die nahe legt, dass sich Paulus dagegen wendet, nur eine Teilgruppe des Samens als Empfängerin der Verheißung anzusehen. Wie auch immer man V. 16 deutet, so bleibt doch immer die Feststellung, dass der Satzbau kompliziert und nicht ganz korrekt und die Formulierungen mehrdeutig oder gar missverständlich sind.


Die Mehrdeutigkeit und Missverständlichkeit gilt auch für die Formulierung „unser aller Vater“. Wer ist denn die Wir-Gruppe, die alle umfasst? Sind es alle Menschen, Juden und Heiden, gleich ob sie an Jesus Christus glauben oder nicht? Oder sind es die Juden, zu denen auch Paulus gehört, und die zumindest noch in Röm 4,1-12 die fiktiven Gesprächspartner bei der „Unterredung“ sein dürften? Oder sind es Paulus und die Adressaten des Briefes, also sowohl Juden- als auch Heidenchristen? Je nachdem, für welche Lösung man sich entscheidet, erscheint Abraham als leiblicher oder als spiritueller „Vater“ oder gar als beides.


Weiterführende Literatur: J. Jipp 2009, 217-242 ist der Ansicht, dass der diatribische Austausch in 3,27-4,1 die Argumentation des Paulus in 4,2-25 vorab ankündige. Paulus‘ Gesprächspartner bringe einen erkennbaren jüdischen Diskurs über Abraham ins Spiel, der Probleme im Hinblick auf das verkündigte Evangelium aufwerfe. In 4,16-25 beantworte Paulus die Frage seines Gesprächspartners, wie Abraham Erzvater sowohl der Juden als auch der Heiden sein könne. Paulus sehe die Erfüllung der Verheißung Gottes, dass dieser Abraham einen Sohn geben werde, als nicht durch Beschneidung vermittelt an, sondern durch Abrahams Vertrauen Gott gegenüber, der den Toten Leben schenkt.


V. 17a


Beobachtungen: Nur die Verheißung für „allen Samen“ entspricht dem göttlichen Ratschluss. „Aller Same“ umfasst nicht nur die Juden(christen), sondern ist universal zu verstehen. Dies belegt Paulus mittels eines gekennzeichneten Schriftzitates, wobei Gen 17,5LXX zitiert ist. Der Same umfasst „viele Völker“, wobei „viele“ die Mehrzahl - statt der Einzahl des einen jüdischen Volkes - betont. Da nicht gesagt ist, dass bestimmte Völker vom Samen ausgeschlossen sind, dürfte „viele“ im Sinne von „alle“ zu verstehen sein.


Weiterführende Literatur:



Literaturübersicht


Adam, Jens; Paulus und die Versöhnung aller. Eine Studie zum paulinischen Heilsuniversalismus, Neukirchen-Vluyn 2009

Bailey, Kenneth E.; St. Paul’s Understanding of the Territorial Promise of God to Abraham: Rom 4:13 in Its Historical and Theological Context, TRB 15/1 (1994), 59-69

Cranford, Michael; Abraham in Romans 4: The Father of All Who Believe, NTS 41/1 (1995), 71-88

du Toit, Andries B.; Gesetzesgerechtigkeit und Glaubensgerechtigkeit in Röm 4,13-25: In Gespräch mit E. P. Sanders, HTS 44/1 (1988), 71-80

Forman, Mark; The Politics of Promise: Echoes of Isaiah 54 in Romans 4.19-21, JSNT 31/3 (2009), 301-324

Guerra, Anthony J.; Romans 4 as Apologetic Theology, HTR 81/3 (1988), 251-270

Jipp, Joshua W.; Rereading the Story of Abraham, Isaac, and “Us” in Romans 4, JSNT 32/2 (2009), 217-242

Lafon, Guy; La pensée du social et la théologie. Loi et grace en Romains 4,13-16, RSR 75/1 (1987), 9-38

Likeng, P. Bitjick, La paternité d’ Abraham selon Rom 4,1-25, RAT 4/8 (1980), 153-186

Lincoln, Andrew T.; Abraham Goes to Rome: Paul’s Treatment of Abraham in Romans 4, in: M. J. Wilkins, T. Paige [eds.], Worship, Theology and Ministry in the Early Church (JSNTS 87), FS R. P. Martin, Sheffield 1992, 163-179

López Sojo, Dagoberto; “Abraham, padre de todos nosotros...”. Análisis estilístico- argumentativo de Rm 4,1-25. Abraham, paradigma de fe monoteísta (Cahiers de la Revue biblique 64), Paris 2005

Sanders, Ed P.; Paul, the Law, and the Jewish People, Minneapolis 1983

Tobin, Thomas H.; What Shall We Say that Abraham Found? The Controversy behind Romans 4, HTR 88/4 (1995), 437-452


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