Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Römerbrief

Brief des Paulus an die Römer

Röm 15,14-21

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Röm 15,14-21



Übersetzung


Röm 15,14-21:14 Ich bin aber überzeugt, meine Geschwister, auch ich selbst in Bezug auf euch, dass auch ihr selbst voll guter Gesinnung seid, erfüllt von aller Erkenntnis und imstande, euch gegenseitig zurechtzuweisen. 15 Gleichwohl habe ich euch recht kühn geschrieben - teilweise, als einer, der euch erinnert wegen der mir von (dem) Gott verliehenen Gnade, 16 ein Bediensteter Christi Jesu für die Heiden zu sein, der das Evangelium (des) Gottes priesterlich verwaltet, damit die Darbringung der Heiden wohlgefällig, geheiligt durch [den] heiligen Geist sei. 17 Also habe ich den Ruhm in Christus Jesus bei dem, was ich für Gott tue. 18 Denn ich werde mir nicht herausnehmen, von etwas zu sprechen, was nicht Christus durch mich gewirkt hat zum Gehorsam der Heiden, mit Wort und Tat, 19 durch [die] Kraft von Zeichen und Wundern, durch [die] Kraft des Geistes Gottes. So habe ich von Jerusalem aus und im Bogen bis nach Illyrien hin das Evangelium (des) Christi zur Entfaltung gebracht, 20 wobei es aber [für mich] Ehrensache ist, es nur dort zu verkündigen, wo Christus noch nicht genannt wurde, damit ich nicht auf fremdem Grund baue, 21 sondern so, wie es geschrieben steht: „Denen nicht von ihm gepredigt wurde, die werden sehen, und die nicht gehört haben, werden verstehen.“



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V. 14


Beobachtungen: Mit 15,14 ist der Hauptabschnitt „Verwirklichung des Christseins in Gemeinde und Welt“ (12,1-15,13) abgeschlossen und es beginnt der Briefschluss, und zwar mit der „apostolischen Parusie“ (15,14-29). In dieser schreibt Paulus zunächst werbend über seinen apostolischen Dienst für Gott (15,14-21), bevor er auf seine Reisepläne, die ihn auch nach Rom führen sollen (> Parusie; griech. parousia = Anwesenheit, Ankunft), eingeht.


V. 14 stellt die Adressaten in einem guten Licht dar. Der Grund für das Lob dürfte in erster Linie taktischer Art sein, wobei fraglich ist, inwieweit die lobenden Worte der Realität entsprechen. Ohne ein vorausgehendes Lob könnte Paulus zu autoritär und zu sehr als Mahner wirken. Indem Paulus vermeidet, den Adressaten vor den Kopf zu stoßen, kann er darauf hoffen, dass seine Worte wohlwollend aufgenommen werden. Lateinisch wird eine solche, Wohlwollen erheischende Herangehensweise „captatio benevolentiae“ genannt.


„Geschwister“ meint hier nicht leibliche Geschwister, sondern Glaubensgeschwister, nämlich Christinnen und Christen. Bei dem Substantiv „adelphoi“ handelt es sich zwar um eine maskuline Form, die zunächst mit „Brüder“ zu übersetzen ist, jedoch sind hier vermutlich auch die „Schwestern“ eingeschlossen. Dass diese unkenntlich bleiben, liegt an der männerzentrierten Sprache, die gemischtgeschlechtliche Gruppen als reine Männergruppen erscheinen lässt.


Wie ist die Formulierung „auch ich selbst in Bezug auf euch“ („kai autos egô peri hymôn“) zu verstehen? Zunächst scheint es so, als wolle Paulus betonen, dass auch er selbst - ebenso wie andere Personen - im Hinblick auf die Adressaten überzeugt ist. Von der Überzeugung anderer Personen ist aber in keinster Weise die Rede, sondern Paulus spricht ausschließlich von seiner eigenen Überzeugung. Folglich muss etwas anderes gemeint sein. Am ehesten ist anzunehmen, dass Paulus seine Überzeugung bekräftigt im Sinn von „ich bin es tatsächlich im Hinblick auf euch“.


Der Ausdruck „agathôsynê“ meint ganz allgemein das Gute oder die gute Gesinnung, ohne dass Paulus konkretisiert, wie sich diese konkret zeigt. Vermutlich will Paulus nur ausdrücken, dass die Adressaten grundsätzlich richtig eingestellt und nicht zu tadeln sind. Weil es ihnen nicht an Erkenntnis - vermutlich ist Erkenntnis in Glaubensangelegenheiten und ethischen Fragen gemeint - mangelt und sie sich bei Verfehlungen selbst gegenseitig zurechtweisen können, bedürfen sie eigentlich keiner Belehrungen oder Ermahnungen von Außenstehenden.


Weiterführende Literatur: Die Grundlinien paulinischer Theologie Röm 15,14-33 skizziert P. Müller 1989, 212-235.


Um seine Adressaten für die Unterstützung der Spanienmission zu gewinnen, bediene sich Paulus laut B. Fiore 1987, 95-103 der Sprache und der rhetorischen Kniffs, wie sie auch in den antiken Diskussionen und Ermahnungen zur Freundschaft Anwendung gefunden hätten.


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V. 15


Beobachtungen: Aufgrund der grundsätzlich guten Gesinnung ist eigentlich auch ein theologisch belehrender und in ethischen Fragen ermahnender Brief nicht erforderlich, ja sogar ärgerlich. Also muss Paulus erklären, warum er einen solchen Brief geschrieben hat.


Paulus ist sich bewusst, dass der Stil oder/und Inhalt des Briefes nicht wirklich zu dem allzu starken Lob passt. Vermutlich um Argwohn angesichts dieser Diskrepanz zuvorzukommen, bezeichnet er selbst sein Schreiben als „kühn“.


Als Zweck des Briefes nennt Paulus das Erinnern der Adressaten. Im Unterschied zu einer Belehrung wird durch das Erinnern nichts Neues vermittelt, sondern schon Bekanntes wieder ins Gedächtnis zurückgerufen. Und im Unterschied zu einer Ermahnung wird davon ausgegangen, dass die Adressaten durchaus befähigt sind, selbst ihren Glauben und ihr Verhalten zu korrigieren. Es geht nur darum, die Grundlage für eine solche selbstständige Korrektur zu stärken.


Fraglich ist die Zuordnung der Einschränkung „teilweise“ („apo merous“). Man kann sie auf die Kühnheit, das Schreiben oder auf den Zweck des Briefes, die Erinnerung, beziehen. Bei ersterem Bezug wäre ausgesagt, dass der Brief nur teilweise kühn ist, denn er ruft ja schließlich nur Bekanntes wieder in Erinnerung. Geht man von diesem Bezug aus, stellt sich jedoch hinsichtlich des Bezugsworts die Frage, warum Paulus nicht das Adverb „tolmêrôs“ („kühn“) benutzt, sondern die Steigerungsform (Komparativ) „tolmêroteron“ („kühner“, „besonders kühn“). Es ergibt wenig Sinn, erst die Kühnheit zu betonen und dann sogleich wieder die Kühnheit einzuschränken. Wahrscheinlicher ist daher die zweite Bezugsmöglichkeit, wonach das Schreiben nur teilweise und nicht als Ganzes kühn ist. Am unwahrscheinlichsten ist die dritte Bezugsmöglichkeit, bei der ausgesagt wäre, dass Paulus nur teilweise als Erinnernder geschrieben hat. Bei der Entscheidung für diese Bezugsmöglichkeit würde sich sogleich die Frage stellen, was denn der Zweck derjenigen Passagen ist, die nicht der Erinnerung dienen. Es würde Argwohn hervorgerufen - genau das, was Paulus eigentlich vermeiden will.


Um nicht bei seiner Erinnerung anmaßend zu wirken und die kritische Frage aufkommen zu lassen, wieso er sich das Recht herausnimmt, andere Christen zu erinnern, verweist Paulus auf die ihm von Gott verliehene Gnade. Um was für eine Gnade es sich handelt, schreibt er in V. 16.


Weiterführende Literatur: Von höchster hermeneutischer Bedeutung sind gemäß M. Müller 1997, 223-234 die Eigenbemerkungen, die Paulus in 15,14-16 niederschreibt. Wie schon einmal im Blick auf den „Programmsatz“ in 1,16-17 formuliert worden sei, komme hier gleichfalls zum Ausdruck, dass Paulus seinen Hörern vermutlich nichts Neues nennt, dafür aber tiefer einprägt.


B. Byrne 1993, 83-96 legt dar, dass sich Paulus insbesondere an die römischen Judenchristen und judaistisch beeinflussten Heidenchristen wende, die weiter von der Heilsnotwendigkeit der Gesetzesbefolgung ausgingen. Er schreibe zwar diplomatischer als in dem schroffen und deutlichen Brief an die Galater, doch schreibe er durchaus kühn, ziehe alle rhetorischen Register und spreche die gesamte Bandbreite der religiösen Gefühle an.


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V. 16


Beobachtungen: Es handelt sich um die Gnade, „Bediensteter“ zu sein. Der griechische Begriff „leitourgos“ lässt an die „leitourgia“ denken. Bei der „leitourgia“ handelt es sich um eine mit Ehre verbundene Dienstleistung für das Volk und/oder den Staat. Meist wurden diese Dienstleistungen von wohlhabenden Bürgern übernommen, die viel Geld für eine Aufgabe wie den Bau städtischer Einrichtungen zahlten, sich dafür aber eines besonderen Ansehens sicher sein konnten. Solcherart Dienstleistungen waren im römischen Reich deshalb von Bedeutung, weil ein Behördensystem und eine Beamten- und Bedienstetenschar moderner Prägung fehlten. Bei der Provinzverwaltung handelte es sich in erster Linie um eine militärische Besatzung.

Die mit Ehre, aber auch persönlichem Aufwand verbundene Dienstleistung des Apostels erfolgt nicht für das Volk oder den Staat, sondern für Jesus Christus (= Christus Jesus). Zugute kommt die Dienstleistung den Heiden.


Paulus stellt seine Dienstleistung als priesterlichen Verwaltungsdienst dar. Priesterlich verwaltet wird das Evangelium. Um diesen Kultdienst zu beschreiben, benutzt Paulus die entsprechende kultische Sprache.

Das Verb „hierourgeô“ meint die Darbringung eines Opfers, die Aufgabe des Priesters ist. Das Substantiv „prosphora“ bezeichnet das Opfer. Dabei kann der Genitiv „prosphora tôn ethnôn“ („Opfer/Darbringung der Heiden“) zum einen so verstanden werden, dass die Heiden(christen) eine Opfergabe – am ehesten die Kollekte für die „Armen“ in Jerusalem - darbringen, zum anderen aber auch so, dass Paulus selbst die Heiden darbringt. Letzteres ist wahrscheinlicher, weil Paulus als Priester erscheint und ihm somit das eigentliche Darbringen des Opfers obliegt. Allerdings ist er auch für die rechte Übergabe der Kollekte an die Jerusalemer Gemeinde zuständig, sodass er auch bei dieser als Priester wirkt.

Die Darbringung einer Opfergabe folgt gemäß den Bestimmungen der Tora (= fünf Bücher Mose; vgl. insbesondere Lev 1-7) nach bestimmten Regeln. Diese betreffen sowohl die Opfergabe selbst als auch den Verlauf der Darbringung. Wichtig ist, dass Opfernder, Opfergabe und Darbringung dem ruhmvollen und heiligen Gott angemessen sind. Der Priester ist keine beliebige Person, sondern „heilig JHWH“ (LXX: „heilig dem Herrn“; vgl. Ex 28,36; 39,30). Dieser Geheiligte wiederum bringt keine beliebige Opfergabe dar, sondern eine qualitativ hochwertige und in bestimmten Fällen fehlerlose Opfergabe. Ein solches Opfer wird zwar der profanen Welt entnommen, darf jedoch nicht in dieser verbleiben, sondern muss Gott beim Opferritus übereignet, d. h. „geheiligt“ werden. Dem heiligen Gott entspricht ein geheiligtes Opfer. Erst wenn das Opfer Gott entspricht, findet es bei diesem Wohlgefallen.

Nun sind die Worte des Apostels nicht wörtlich in dem Sinne zu verstehen, dass Paulus die Heiden schlachtet und so Gott als Opfer darbringt. Vielmehr wird das Bekehrungsgeschehen bildlich als priesterliche Darbringung eines Opfers dargestellt: Eigentlich sind die Heiden eine völlig ungeeignete Opfergabe, weil sie nicht an Jesus Christus glauben und nicht dessen Vater, den heilwirkenden Gott, verehren. Aufgrund ihres Unglaubens sind die Heiden mit einem großen Makel behaftet und alles andere als ein geheiligtes Opfer, das Gott gefallen könnte. Folglich müssen die Missionare - hier spricht Paulus konkret von sich selbst als Missionar - das Evangelium verkündigen und die Heiden zum christlichen Glauben bringen. Erst durch die Annahme des christlichen Glaubens werden die Heiden zu einer geeigneten Opfergabe und können nun durch die Taufe für alle sichtbar Gott bzw. Jesus Christus übereignet, d. h. geheiligt werden. Bei der Heiligung wirkt der heilige Geist. Wenn sich die Missionare ihres Wirkens oder die bekehrten Heiden ihrer Bekehrung rühmen, so müssen sie sich dieses entscheidenden Wirkens des heiligen Geistes bewusst sein.


Weiterführende Literatur: Mit der Beziehung zwischen den geographischen und theologischen Räumen in 1,1-15 und 15,14-33 befasst sich A. Gignac 2006, 385-409.


Zum paulinischen Missionsverständnis in Röm 15,14-33 und zu einer für die Gegenwart relevanten biblischen Missionstheologie siehe S. Strauss 2003, 457-474.


Zu Paulus als priesterlichem Diener siehe H.-J. Klauck 1983, 113-114. Paulus‘ Dienstherr sei Christus, sein Priesterdienst bestehe in der weltweiten Evangeliumsverkündigung, die sich vor einem endzeitlichen Horizont vollziehe. Die universale, fast kosmische Weite seines Missionsprogramms fange (in teilweisem Anschluss an Jes 66,20?) das grandiose Schlussbild ein: Die ganze Völkerwelt wolle Paulus Gott als Opfer darbringen. Das geschehe, indem er sie bekehrt.

F. W. Horn 2009, 225-246 merkt an, dass die kultische Geschiedenheit der Heiden vom Gottesvolk erst durch den priesterlichen Dienst des Paulus aufgehoben werde. Dieser priesterliche Dienst werde streng sachbezogen auf die Heidenmission angewandt. Paulus sei weit davon entfernt, für sich in einem allgemeinen auf das Priesteramt bezogenen Sinn Kompetenz zu erwerben.


J. Ponthot 1986, 254-262 befasst sich mit den Problemen der Deutung der Röm 16,17 eigenen Ausdrücke und mit dem Gedankengang, der Paulus dazu gebracht hat, seinen missionarischen Dienst in kultischen Formulierungen auszudrücken.


B. J. Lietaert Peerbolte 2003, 143-159 untersucht, inwiefern der Verkündigungsdienst des Apostels tatsächlich missionarischen Charakter hatte. Ergebnis: Paulus‘ Verkündigung habe durchaus auf Bekehrung abgezielt.


R. D. Aus 1979, 232-262 geht angesichts der Beobachtung, dass Paulus sein gesamtes missionarisches Wirken im Lichte der Aussagen der atl. prophetischen Schriften sehe, davon aus, dass auch die Formulierung „Fülle der Heiden“ in 11,25 einen solchen atl. Hintergrund haben müsse. Erst wenn Vertreter vom Ende der Welt, als das Spanien galt, als Teil der Durchführung der Kollekte nach Jerusalem gebracht wurden, sei „die Fülle der Heiden“ hinzugekommen. R. D. Aus gründet seine These auf einer messianischen Deutung von Jes 66, wie sie sich in pseudepigraphischen und rabbinischen Texten finde. Dabei sei der in V. 19 genannte Ort Tarschisch mit Spanien zu identifizieren. Zwar zitiere Paulus die zugrunde gelegten Aussagen des Jesajabuches nicht, doch spreche dies nicht gegen die vorgebrachte These. Mit Blick auf Röm 15,16 meint R. D. Aus, dass erst mit dem Hinzukommen von Spaniern nach Jerusalem die „Darbringung der Heiden“ abgeschlossen sei.


D. J. Downs 2006, 173-186 legt dar, dass der Genitiv „Darbringung der Heiden“ gewöhnlich als Apposition verstanden und so gedeutet werde, dass Paulus die Heiden als Opfer darbringe. Tatsächlich sei aber wahrscheinlicher, dass es sich um einen genitivus subiectivus handelt und die Heiden selbst die Darbringenden sind. Zu denken sei an die Darbringung der Kollekte seitens der Heidenchristen. So werde die Kollekte etwas später in 15,25-32 ausführlicher thematisiert.


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V. 17


Beobachtungen: Dass Paulus den Ruhm an sich nicht ablehnt, geht eindeutig aus V. 17 hervor. Allerdings rühmt Paulus sein Tun nicht als menschliche Leistung, sondern als ein Tun „in Christus“, also im Macht- und Wirkungsbereich Christi, das für Gott erfolgt. Mit dem Tun „in Christus“ ist das Wirken des heiligen Geistes verbunden. Letztendlich ist es also nicht Paulus selbst, der wirkt, sondern die Wirkenden sind Jesus Christus und der heilige Geist.


Die Formulierung „ta pros ton theon“ gibt einen Bezug an: Paulus hat den Ruhm in Christus Jesus bei „den Gott betreffenden Dingen“ oder auch „bei den Dingen für Gott“. Bei diesen nicht näher bestimmten Dingen dürfte es sich um ein Tun handeln, und zwar um den priesterlichen Dienst, von dem Paulus in V. 16 spricht. Dieser priesterliche Dienst erfolgt demnach für Gott.


Weiterführende Literatur: Laut A. du Toit 2010, 241-251 würden für die Wendung „ta pros to theon“ („bei den Dingen für Gott“) drei verschiedene Deutungen vorgebracht: a) sie verweise auf Dinge, die in irgendeiner Form mit dem Göttlichen verbunden sind; b) es sei ein „Dienst für Gott“ oder ein „Werk/Tun für Gott“ im Blick; c) sie sei im Sinne eines Geschehens in der Gegenwart Gottes („vor Gott“) zu verstehen. Zu Röm 15,17: Der Vers stelle einen triumphierenden Abschluss dar. In Anbetracht des kultischen Gebrauchs der Wendung in griechischen Dokumenten, wie auch des Gebrauchs in Hebr 2,17 und 5,1 und des kultischen Kontextes Röm 15,16 sei an eine priesterliche Deutung zu denken: Paulus stehe vor Gott und bringe ihm die gefällige und heilige Gabe der Heiden dar.


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V. 18


Beobachtungen: Dass eigentlich nicht Paulus selbst wirkt, sondern Christus, besagt ausdrücklich V. 18. Paulus versteht sich als Instrument Christi: durch ihn wirkt Christus. Nur von dem, was Christus durch Paulus gewirkt hat, nimmt sich Paulus heraus („tolmâo“ = „wagen / sich herausnehmen“) zu sprechen, nicht von anderen Dingen. Paulus will sich nicht dem Verdacht aussetzen, er rühme sich selbst, seine eigenen Verdienste.


Das Ziel des Wirkens Christi bzw. des heiligen Geistes durch Paulus war und ist der Gehorsam der Heiden. Hier dürfte der Glaubensgehorsam im Blick sein, der sich für alle sichtbar in der auf die Annahme des christlichen Glaubens folgenden Taufe zeigt.


Die Formulierung „durch Wort und Tat“ besagt, dass Christus nicht nur durch das „Wort“, die Verkündigung des Evangeliums, gewirkt hat, sondern auch durch Handlungen.


Weiterführende Literatur: Laut M. Fatehi 2000, 169-173 lasse sich 15,18-19 entnehmen, dass die Kraft des Geistes das Mittel, durch das, und die Form, in der der erhöhte ‚Herr‘ in dem Amtsinhaber gegenwärtig und aktiv ist, ist. Christi Wirken in und durch Paulus durch die Kraft des Geistes umfasse wahrscheinlich alle Aspekte von Paulus‘ Amt, also sowohl Wort als auch Tat.


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V. 19


Beobachtungen: Die unmittelbar folgende Erwähnung von „Zeichen“ („sêmeia“) und „Wundern“ („terates“) lässt annehmen, dass die „Zeichen“ und „Wunder“ als Tat zu verstehen sind. Paulus legt nicht dar, um welche „Zeichen“ und „Wunder“ es sich genau handelt, sodass sich nur allgemein sagen lässt, dass es sich um Ereignisse handelt, die Erstaunen erregt haben.


Paulus nennt nacheinander verschiedene „Kräfte“, und zwar die „Kraft von Zeichen und Wundern“ und die „Kraft des Geistes Gottes“. Dieses Nacheinander der Kräfte kann man so deuten, dass es sich um verschiedene Kräfte handelt. Man kann aber auch die Erwähnung der „Kraft des Geistes Gottes“ als Erklärung im Hinblick auf die „Kraft von Zeichen und Wundern“ verstehen, die besagt, dass die „Kraft von Zeichen und Wundern“ nicht ohne die „Kraft des heiligen Geistes“ zu denken ist. Letzteres würde bedeuten, dass wundersame Ereignisse, die zu Bekehrungen führen, auf die Kraft des heiligen Geistes zurückzuführen sind.


Der Begriff „Kraft“ („dynamis“) ist hier im Sinne einer Wirkkraft zu verstehen. Zeichen und Wunder sowie der heilige Geist können etwas bewirken, und zwar die Bekehrung von Heiden zum christlichen Glauben. Dabei handelt es sich nicht um Wirkkräfte neben Christus, sondern um Wirkkräfte im Dienste Christi. Christus wirkt selbst, wobei er sich der Zeichen und Wunder sowie des heiligen Geistes bedient. Die Kraft der Zeichen und Wunder sowie des heiligen Geistes entfaltet sich im Zusammenhang mit dem missionarischen Tun des Heidenapostels Paulus.


Paulus gibt nun an, welchen Teil der Erde er mit dem Evangelium Christi erfüllt hat („peplêrôkenai“). Das Erfüllen beinhaltet verschiedene Aspekte: So ist zunächst an die Predigt, das „Wort“ zu denken, dann aber auch an die Taten. Wort und Tat blieben nicht ohne Wirkung, sondern zogen Bekehrungen und Gemeindegründungen nach sich, wobei die Bekehrten nun ein christliches Leben führen oder dieses zumindest führen sollten. Schließlich kann auch jeglicher andere Einsatz für das Evangelium, wie das Eintreten für die Heidenmission oder die Auseinandersetzung mit Irrlehrern, als Erfüllen der Erde mit dem Evangelium angesehen werden.

Fraglich ist, ob Paulus auf seine missionarische Tätigkeit mit Blick auf die Wiederkunft Christi eingeht. So ist gemäß dem Markusevangelium (13,10) die Verkündigung eine Voraussetzung für die Wiederkunft Christi.


Der Genetiv der Formulierung „Evangelium Christi“ kann verschieden gedeutet werden. Es kann ein Evangelium gemeint sein, das von Christus stammt, aber auch eines, das Christus - genau genommen das mit Christus verbundene Heilsgeschehen - zum Inhalt hat.


Paulus nennt die Grenzen seines Tätigkeitsbereiches. Ausgangspunkt des missionarischen Handelns war Jerusalem. Dabei ist zunächst zu fragen, was unter „Ausgangspunkt“ zu verstehen ist. Handelt es sich um die erste Missionsstation des Apostels? Gegen diese Annahme spricht, dass Paulus sich gemäß seinen eigenen Worten nach seiner eigenen Bekehrung zunächst in Damaskus aufhielt, dann nach Arabien zog und schließlich wieder nach Damaskus zurückging (vgl. Gal 1,7). Was er in Damaskus und Arabien gemacht hat und ob er dort missioniert hat, schreibt Paulus nicht. Mit Sicherheit lässt sich somit nur feststellen, dass Jerusalem nach seiner Bekehrung nicht der erste Aufenthaltsort war. Weil nicht anzunehmen ist, dass Paulus nach einem solch bewegenden Ereignis wie der Erscheinung Christi sich anderen Tätigkeiten als der Verkündigung des Auferstandenen gewidmet haben sollte, ist eine erste Missionstätigkeit in Damaskus und/oder Arabien durchaus wahrscheinlich. Selbst wenn man keine erste Missionstätigkeit in Damaskus und Arabien annimmt, bleibt fraglich, ob Paulus überhaupt in Jerusalem missioniert hat. Biblischerseits ist von einer solchen Tätigkeit des Heidenapostels in Jerusalem nicht die Rede. Vielmehr spielt die Stadt eine besondere Rolle im Hinblick auf die Aufteilung der Missionsgebiete, wonach Paulus im Rahmen des „Apostelkonzils“ das Evangelium an die Heiden und Petrus das Evangelium an die Juden anvertraut wurde (vgl. Gal 2,7). Jerusalem als Stadt der Juden gehörte demnach nicht zu den (vorrangigen) Missionsgebieten des Apostels Paulus. Die nicht von Paulus verfasste Apostelgeschichte nennt mehr Einzelheiten, die jedoch von Paulus’ eigenen Aussagen im Galaterbrief abweichen und deren historische Zuverlässigkeit fraglich sind. Die Apostelgeschichte stellt Damaskus als ersten Predigtort des Apostels dar (9,20.27) und merkt auch ausdrücklich an, dass dieser später auch in Jerusalem gepredigt hat (vgl. 9,28). Die Frage, ob Paulus überhaupt in Jerusalem missioniert hat, ist auch von Bedeutung, wenn man Jerusalem nicht für den ersten Missionsort, sondern für den Missionsort hält, der die geographische Grenze des Missionsgebietes nach Osten bzw. Südosten hin markiert. Gegen Jerusalem als Süd- bzw. Südostbegrenzung des Missionsgebietes kann man wiederum Gal 1,17 anführen, wonach sich Paulus auch in Arabien, das eindeutig südöstlich von Jerusalem liegt, aufgehalten hat. Und gegen den Verweis auf diese Stelle kann man wiederum einwenden, dass unklar ist, ob Paulus in Arabien tatsächlich missioniert hat. Somit lässt sich weder beweisen noch eindeutig widerlegen, dass Jerusalem der erste Missionsort des Paulus oder der östliche geographische Rand des Missionsgebietes war. Ähnlich sieht das Ergebnis aus, wenn man das Verb „plêroô“ („erfüllen“) nicht nur auf Verkündigungstätigkeit, sondern weiter gefasst auf alle Tätigkeiten im Dienst des Evangeliums bezieht. Man kann nur sagen, dass Paulus mit Sicherheit in Jerusalem im Dienste des Evangeliums tätig war, denn er hat sich auf dem „Apostelkonzil“ für die Heidenmission eingesetzt. Ob es der erste Tätigkeitsort war oder der äußerste (süd)östliche Rand des Tätigkeitsgebietes, ist aber unklar.

Es ist möglich, dass Paulus Jerusalem als Ausgangspunkt seiner missionarischen Tätigkeit nennt, weil es sich - ganz unabhängig von der eigenen missionarischen Tätigkeit - um die Stadt der ersten christlichen Gemeinde handelt und ihr damit eine besondere heilsgeschichtliche Bedeutung zukommt (vgl. Apg 1-2, insbesondere 1,8). Von Jerusalem hat sich das Christentum in alle Welt ausgebreitet.

Unklar ist auch, wie die Formulierung „kai kyklô“ zu deuten ist. Die wörtliche Übersetzung lautet „und im Kreis“. Drei Deutungs- und Übersetzungsmöglichkeiten kommen in Frage: a) Die Übersetzung lautet „und im Umkreis“, womit der Umkreis von Jerusalem gemeint ist. Bezüglich dieser Deutung stellt sich jedoch die Frage, warum Paulus den Umkreis von Jerusalem hervorheben sollte, der doch gar nicht zu seinem (vorrangigen) Siedlungsgebiet gehörte. b) Es ist „und ringsum“ zu übersetzen, womit ausgesagt ist, dass Jerusalem der Ausgangs- und Mittelpunkt der missionarischen Tätigkeit des Apostels war. Nimmt man jedoch einen Zirkel und zieht um Jerusalem als Mittelpunkt einen Kreis, dessen Radius der Entfernung von Illyrien an der östlichen Adriaküste ( heutiges Albanien und Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawien) bis nach Jerusalem entspricht, so müsste Paulus auch weit im Osten und Süden missioniert haben, nämlich in Mesopotamien und Persien und vielleicht auch in Indien sowie in Ägypten und im weiteren Nordwestafrika. Davon ist jedoch in der Bibel nicht die Rede, sodass Jerusalem wohl kaum den geographischen Mittelpunkt darstellt. Paulus spricht selbst nur von einer missionarischen Tätigkeit im Norden, Nordwesten und Westen von Jerusalem, nicht jedoch im Osten und Süden, wenn man vom Hinweis auf einen Aufenthalt in Arabien mal absieht. Jerusalem kann nur als Mittelpunkt im Sinne eines Ausgangspunktes der Verbreitung des Christentums gelten. c) Die Übersetzung muss „und im Bogen“ lauten. Gemeint ist, dass Paulus in einem großen Bogen von Jerusalem (über Anatolien, die heutige Türkei) bis hin nach Illyrien missioniert hat. Eine solche Deutung entspricht dem tatsächlichen Missionsgebiet des Paulus, doch setzt sie voraus, dass Paulus das Bild einer modernen Landkarte vor Augen hat.

Was Illyrien als Endpunkt der missionarischen Tätigkeit des Apostels betrifft, gilt Ähnliches wie bei Jerusalem als Ausgangspunkt: Fraglich ist, ob es sich um den zeitlichen Endpunkt der Mission bei der Abfassung des Römerbriefes oder um den äußersten (nord)westlichen Rand der missionarischen Tätigkeit des Apostels handelt. Wenn es der zeitliche Endpunkt wäre, dann müsste Paulus seinen Brief in Illyrien verfasst haben - es sei denn, er ist nach seinem Aufenthalt in Illyrien nicht mehr missionarisch tätig gewesen. Gegen eine solche Annahme spricht jedoch Röm 16,23a in Verbindung mit 1 Kor 1,14. Demnach ist ein gewisser Gaius während der Abfassung des Römerbriefes Gastgeber des Paulus. Möglicherweise handelt es sich bei diesem Gaius um denjenigen, den Paulus in Korinth getauft hat. Das würde bedeuten, dass die Abfassung des Römerbriefes in Korinth, vielleicht im Hause des Gaius erfolgt ist. Für eine solche Lokalisierung der Abfassung in Korinth spricht auch die Empfehlung der Phoebe, die im Dienst der Gemeinde von Kenchreä, eines Hafenortes bei Korinth, ist. Eine solche Empfehlung lässt räumliche Nähe annehmen und es ist gut möglich, dass Phoebe die Überbringerin des Briefes an die Römer war, denn die Briefadressaten werden dazu ermahnt, sie wohlwollend aufzunehmen. Weil Korinth nicht in Illyrien liegt, ist unwahrscheinlich, dass Paulus Illyrien als zeitlichen Endpunkt seiner missionarischen Tätigkeit ansieht. Wahrscheinlicher ist, dass Illyrien der (nord)westliche Rand des Missionsgebietes des Apostels war. So hat Paulus mit Sicherheit auf der Balkanhalbinsel - konkret in Makedonien und Achaia - missioniert. Ob jedoch auch Illyrien selbst zum Missionsgebiet gehörte, ist angesichts fehlender Hinweise fraglich. Höchstens könnte die geographische Angabe „Hellas“ auf Illyrien bezogen werden, was jedoch sehr ungenau wäre, weil „Hellas“ eigentlich Griechenland meint. Schließlich bleibt als Möglichkeit, dass Paulus mit Illyrien einen aus seiner Weltsicht besonders entlegenen Landstrich nennt, um die weltweite Ausdehnung seiner missionarischen Tätigkeit zu betonen. Dabei wäre nebensächlich, ob er tatsächlich in Illyrien missioniert hat oder nicht.


Weiterführende Literatur: P. J. Gräbe 2000, 202-214 analysiert die Rede 15,14-21, unterzieht V. 19 einer Textkritik und gibt einen exegetischen Überblick über 15,14-21. Auffällig seien in dem Abschnitt die vielfältigen Verweise auf Gott, Christus und den Geist. Auch enthalte der Abschnitt eine wichtige Erklärung des Verhältnisses zwischen Christus und dem Geist. Es sei Christus, der durch den Apostel wirke, um die Heiden zum Gehorsam Gott gegenüber zu bringen. Dabei werde der Dienst des Apostels als solcher durch den Geist bzw. die Macht/Kraft des Geistes ermöglicht. Dass Paulus überhaupt die privilegierte Stellung eines Dieners Christi innehat, sei auf Gottes Wirken zurückzuführen.


H. K. Nielsen 1980, 137-158 definiert den Begriff „Kreuzestheologie“ als Verwirklichung der Christuszugehörigkeit allein in Schwachheit; dem Gekreuzigten nachfolgen sei also eine Nachfolge in der Sphäre Gottes. H. K. Nielsen geht der Frage nach, inwieweit die so definierte Kreuzestheologie eine haltbare Deutung der paulinischen Auffassung ist. Verhält es sich wirklich so, dass Gottes Macht und Herrlichkeit allein im Leiden und in den Bedrängnissen unter dem Vorzeichen des Kreuzes zum Ausdruck kommen? Um diese Frage zu beantworten, untersucht H. K. Nielsen Paulus’ Verwendung des Begriffs „dynamis“ („Macht/Kraft“). Zu Röm 15,18-19 merkt er an, dass die Macht/Kraft in Röm 15,18-19 dieselbe machtvolle Wirklichkeit widerspiegele wie in 1 Kor 6,14.


J. M. Scott 1997, 366-381 wendet sich gegen die seiner Meinung nach verbreitete rückblickende Leseweise biblischer Texte, bei der das Weltbild der heutigen Menschen und nicht dasjenige des Apostels bei der Deutung zugrunde gelegt wird. So habe Paulus bei der Abfassung von Röm 15 die Völkertafel Gen 10 vor Augen gehabt. V.19b sei zusätzlich auf dem Hintergrund von Ez 5,5 zu deuten. Dort heiße es, dass Gott Jerusalem „in die Mitte der (Heiden-)Völker“ gesetzt hat „und die Länder rings („kyklô“) umher“. Spanien, das Ziel der paulinischen Mission, sei wohl als das Land der Nachkommen Japhets, des dritten Sohnes Noahs, zu verstehen. Diese hätten von Kilikien bis nach Spanien Asia Minor und Europa bewohnt.


B. Beckheuer 1997, 206-224 liest den Abschnitt 15,14-21 auf dem Hintergrund der Kollekte. Dass in diesem Abschnitt in direkter Weise von der Kollekte gesprochen wird, könne nicht zweifelsfrei erwiesen werden. Aber dass das Kollektenwerk ebenso in dem dynamisierenden Kraftfeld Gottes steht, sei wohl kaum in Abrede zu stellen. Darüber hinaus seien die Textpassagen 15,14-21 und 15,25-29 auch begrifflich miteinander verbunden (vgl. leitourgos [= Bediensteter] in V. 16 und leitourgêsai [= dienen] in V. 27).


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V. 20


Beobachtungen: Paulus benutzt das Bild von der Gemeinde als einem Bau: Die Gemeindegründung ist das Legen des Fundamentes, der Gemeindeaufbau der Weiterbau des Gebäudes auf dem Fundament (vgl. 1 Kor 3,10).

„Christus nennen“ ist streng genommen nichts weiter als das Aussprechen der Heilsbezeichnung „Christus“ (= „Messias“ = „Gesalbter“). In einer rein heidnischen Umgebung hat das Aussprechen Bekenntnischarakter. Es ist nicht eine unverbindliche Unterhaltung über Christus im Blick, sondern die Nennung Christi ist im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Evangeliums mittels der Verkündigung zu sehen. Das eigene Bekenntnis zu Christus als „Herrn“ ist die Grundlage der Weitergabe des Bekannten. der Verkündigung. Bei der Verkündigung werden Nichtchristen die mit Christus verbundenen Heilsgeschehnisse - Kreuzestod und Auferstehung - vermittelt. Nur wer diese kennt, kann die ganze Heilsdimension der Bezeichnung „Christus“ erfassen. Die Vermittlung der Heilsgeschehnisse wiederum zielt auf die Bekehrung zum christlichen Glauben ab. Sind genügend Menschen bekehrt worden, kann eine Ortsgemeinde gegründet werden. Es ist jedoch nicht sicher, dass Paulus mit der „Nennung Christi“ tatsächlich die Gründung einer Ortsgemeinde verbindet und V. 20 somit aussagt, dass Paulus nicht dort verkündigt, wo ein anderer Missionar schon eine Gemeinde gegründet hat. Sicher dürfte jedoch sein, dass er nicht dort tätig ist, wo ein Missionar erste Bekehrungserfolge zu verzeichnen hat. Mit den Bekehrungserfolgen kann eine Gemeindegründung verbunden sein, muss jedoch nicht. Ob auch misslungene Bekehrungsversuche oder ein misslungener Versuch, eine Ortsgemeinde zu gründen, Paulus von einem Missionsbesuch an einem bestimmten Ort abhalten, ist unklar.


Es stellt sich die Frage, was daran so schlimm ist, dort zu verkündigen, wo ein anderer Missionar schon tätig war und eine Gemeinde gegründet hat. Möchte Paulus Einmischung in die Belange eines anderen Missionars und Rivalitäten vermeiden? Oder geht es ihm darum, dass er es als seine Aufgabe ansieht, das Evangelium zu verbreiten? Eine solche Verbreitung erfolgt nur dann, wenn Paulus dort verkündigt, wo das Evangelium noch nicht hingelangt ist. Bezieht man die „Nichteinmischungs-Klausel“ insbesondere auf die Erfüllung der Raums von Jerusalem nach Illyrien mit dem Evangelium, so kann sie als Begründung für die weite Verbreitung des Evangeliums durch den Heidenapostel angesehen werden.


Die in V. 20 dargelegte Herangehensweise bei der Mission widerspricht dem Vorhaben, in Rom zu predigen (vgl. 1,15; 15,22-24). Oder sollte etwa Paulus selbst in Rom „Christus genannt“ und das „Fundament“ gelegt haben? Da es an weiteren Hinweisen auf einen Missionsaufenthalt in Rom mangelt und ein Besuch in der von Jerusalem aus gesehen westlicher als Illyrien gelegenen Stadt sicherlich bei der Nennung des Missionsgebietes (vgl. 15,19) Erwähnung gefunden hätte, ist ein solcher Missionsaufenthalt wohl kaum anzunehmen. Daher ist wohl nach einem anderen Grund für den (scheinbaren?) Widerspruch zu suchen. Geht man davon aus, dass kein Widerspruch vorliegt, lassen sich folgende Deutungen vorbringen: In 1,15 ist nicht von Predigt im Sinne der Erstmission die Rede, sondern im Sinne der Glaubensstärkung. Oder: Es geht aus 1,15 nicht eindeutig hervor, dass Paulus bei seinem anstehenden Besuch in Rom predigen will. Er sagt nur aus, dass er grundsätzlich zur Predigt in Rom bereit war, was man ja angesichts des bisher nicht erfolgten Besuches in Frage stellen könnte. Oder: Paulus will nicht den schon bekehrten Römern predigen, sondern nur den bisher noch nicht bekehrten römischen Heiden. Vielleicht meint Paulus, dass in Rom noch nicht das „Fundament“ gelegt sei. Immerhin nennt er ja im Präskript des Briefes an die Römer nicht das Wort „ekklêsia“ („Gemeinde/Kirche“), womit die römischen Christen eher als lose Ansammlung von Christen und weniger als Ortsgemeinde erscheinen. Geht man nicht nur von einem scheinbaren, sondern von einem tatsächlichen Widerspruch aus, dann lässt sich dieser wie folgt begründen: Paulus widerspricht sich im Eifer des Schreibens bzw. Diktierens und liest nicht Korrektur - zumindest nicht dahingehend, dass er Widersprüche ausmerzt. Oder: Es liegt ein literarischer Bruch vor, der beweist, dass der Römerbrief aus Passagen von verschiedenen Autoren besteht. (Zu den Bewertungen der verschiedenen Begründungsmöglichkeiten siehe Beobachtungen zu 1,15.)


Weiterführende Literatur:


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V. 21


Beobachtungen: Paulus begründet seine Herangehensweise mit einem Schriftzitat, das er wie auch an anderen Stellen mit „wie geschrieben steht“ einführt. Paulus konkretisiert nicht, welchem biblischen Buch er das Zitat entnommen hat; eine Konkretisierung scheint hier nicht von Belang zu sein. Es dürfte sich um ein - bei leicht geänderter Wortfolge - wörtliches Zitat von Jes 52,15bLXX handeln. Dieser Versteil stammt aus dem sogenannten vierten Gottesknechtlied, das den Erfolg und die Erhöhung des stellvertretend leidenden Gottesknechtes bekräftigt. Er bezieht sich im ursprünglichen Zusammenhang also auf den Gottesknecht. Das heißt aber nicht, dass sich Paulus in Röm 15,21 mit dem Gottesknecht identifiziert, denn er verkündigt nur dort, wo die Menschen noch nicht von Christus gehört haben. Es ist nicht ausgesagt, dass er nur dort verkündigt, wo die Menschen noch nicht von ihm selbst gehört haben.


Das Verb „sehen“ („horaô“) ist hier im Sinne von „verstehen“ zu deuten. Die Verbindung von „sehen“ und „verstehen“ zeigt sich auch in der Formulierung „mit offenen Augen durch die Welt gehen“: Wer mit offenen Augen durch die Welt geht und damit viel wahrnimmt, versteht die Welt auch besser.


Weiterführende Literatur: Laut F. Wilk 1998, 233-235 sehe Paulus in Jes 52,7-12 die weltweite Ausbreitung der Christusbotschaft durch ihn und andere, von Gott berufene Boten vorgezeichnet.



Literaturübersicht


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Wilk, Florian; Die Bedeutung des Jesajabuches für Paulus (FRLANT 179), Göttingen 1998


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