Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Der Brief des Paulus an die Philipper

Phil 3,2-4a

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Phil 3,2-4a



Übersetzung


Phil 3,2-4a:2 Hütet euch vor den Hunden, hütet euch vor den schlechten Arbeitern, hütet euch vor der Verschneidung. 3 Denn die Beschneidung, das sind wir, die wir im Geiste Gottes dienen und uns in Christus Jesus rühmen und nicht auf Fleisch vertrauen 4 – obgleich ich auch auf Fleisch Vertrauen setzen könnte.



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V. 2


Beobachtungen: Der Abschnitt 3,2-4a stellt den Beginn der Auseinandersetzung mit den Irrlehrern (3,2-3,21[4,1]) dar. Er enthält die eigentliche Warnung. Angesichts der Tatsache, dass „to loipon“ („im Übrigen“) auf ein nahes Ende des Briefes hinweist, ist verwunderlich, dass Paulus auf ein gänzlich neues Thema zu sprechen kommt. Ebenso verwundert der vehement warnende Charakter des Abschnitts in dem ansonsten eher in einem freundlich und freundschaftlich Ton abgefassten Brief. Es ist auch kein direkter Zusammenhang mit der Sendung des Timotheus und der Rücksendung des Epaphroditus nach Philippi zu erkennen. So ist auch der Bezug des überleitenden Verses 3,1 unklar. Diese Ungereimtheiten können zu dem Schluss führen, dass 3,2-21(4,1) ein Fragment eines eigenständigen Briefes ist, das erst nachträglich von einem Redaktor in den uns heute vorliegenden Philipperbrief eingebaut wurde. Man kann auch die Meinung vertreten, dass ursprünglich zwar 3,1 das Briefende einleiten sollte, aus einem unbekannten Grund die Abfassung des Briefes jedoch unterbrochen wurde. Die Fortsetzung wäre dann erst erfolgt, nachdem neue, unvorhergesehene Ereignisse eingetreten sind, die zur Abfassung von 3,2-21(4,1) geführt haben. Abweichend von diesen beiden Annahmen kann man aber auch darauf verweisen, dass sich der Inhalt von 3,2-21(4,1) durchaus gut in den gesamten Philipperbrief einfügt: Der „Christushymnus“ (2,6-11) lässt erkennen, dass Gehorsam Gott bzw. dem Evangelium gegenüber und die Heilshoffnung die zentralen Themen des Philipperbriefes sind, mit denen Paulus die Aufforderung zur Selbstlosigkeit und Festigkeit verbindet. Festigkeit dient der Standhaftigkeit im Glauben und der Abwehr von Irrlehren. Nachdem Paulus Timotheus und Epaphroditus als Beispiele der Selbstlosigkeit und des Glaubensgehorsams dargestellt hat, kommt er nun auf die Abwehr von Irrlehren zu sprechen. Ein solcher Hinweis auf einen durchaus stringenten Gedankengang kann zur Schlussfolgerung führen, dass 3,1-21(4,1) seit jeher zu dem uns heute vorliegenden Philipperbrief gehört. Man kann aber auch zu der entgegengesetzten Schlussfolgerung kommen, dass gerade deshalb, weil der Abschnitt gut zu den ersten drei Kapiteln des Philipperbriefes passt, ein Redaktor dazu verleitet wurde, das Fragment 3,1-21(4,1) einzufügen.


Der Imperativ „blepete“ dürfte hier nicht nur als Aufforderung zum rein sinnlichen Sehen zu verstehen sein, sondern es geht vielmehr um den Aufruf zur Wachsamkeit und zur Vorsicht. Daher ist „hütet euch“ oder „gebt acht“ die passendere Übersetzung als „seht“. Paulus fordert zur Distanz auf.


Der Imperativ „blepete“ wird in V. 2 gleich zweimal wiederholt, was verstärkende Wirkung hat. Paulus ist die Vorsicht und Distanz also besonders wichtig.


Mit jedem Imperativ wird eine Gruppe Tiere oder Menschen genannt, vor der sich die Adressaten hüten sollen. Dabei ist anzunehmen, dass es sich nicht um drei verschiedene Gruppen handelt, sondern um eine einzige, die mit drei verschiedenen Bezeichnungen versehen wird.


Da offensichtlich „Hunde“, „schlechte Arbeiter“ und die „Verschneidung“ eine Gruppe von Menschen darstellen, die nur dreimal unterschiedlich bezeichnet wird, dürfte es sich bei den „Hunden“ („kynes“) nicht um Tiere, sondern um Menschen handeln. Dass die „Hunde“ in einem Atemzug mit „schlechten Arbeitern“ und „Verschneidung“ genannt werden, lässt erkennen, dass es sich um eine Beschimpfung handelt. Die Bezeichnung „Hunde“ kann für Gottlose (vgl. Offb 22,15) und Heiden gebraucht werden, mit denen die Juden sowie Juden- und Heidenchristen nach Möglichkeit keinen Kontakt hatten (vgl. Mt 7,6 15,21-28; par. Mk 7,24-30; im außerbiblischen frühchristlichen Schrifttum: Did 9,5). Hunde werden mit Trägheit und Gier (vgl. Jes 56,10-11) in Verbindung gebracht, wobei wohl streunende Hunde im Blick sind, die sich stets auf der Suche nach Fressbarem befinden und sich dabei an Unrat zu schaffen machen (vgl. Ps 59,7.15-16). Streunende Hunde können aufdringlich und auch aggressiv sein und Passanten bedrohen (vgl. Ps 22,17.21). Die fehlende Erkenntnis, der Umgang mit dem Unreinen, die Gesetzlosigkeit, das Dasein außerhalb der jüdischen bzw. christlichen Gemeinschaft sowie die Aggressivität ließ die Heiden als (streunende) Hunde erscheinen. Dabei wurden die Irrlehrer als besondere Gefahr empfunden, wie insbesondere aus dem frühchristlichen Brief des antiochenischen Bischofs Ignatius an die Epheser (frühes 2. Jh.) hervorgeht. Darin werden die Irrlehrer als „Bestien“ bezeichnet, denen die Adressaten ausweichen sollen. Und als Begründung heißt es: „Sie sind nämlich tollwütige Hunde, die tückisch beißen; vor diesen müsst ihr euch hüten, da sie schwer heilbar sind.“ (7,1) Aus diesen Worten geht hervor, was die streunenden Hunde in der Antike so gefährlich erscheinen ließ: Es ist nicht allein die Aggressivität und der Biss eines aggressiven Hundes, sondern die Lebensgefahr für den Gebissenen, die von den Tollwuterregern ausging. Auf das Heil übertragen bedeutet dies: Die Irrlehrer bedrängen die Rechtgläubigen, und bedrohen mit ihrer falschen Lehre deren Heil. Wer von einem „Irrlehrer“ gebissen und infiziert wurde, verliert sein (ewiges) Leben. Die Irrlehrer selbst sind dabei „schwer heilbar“, also uneinsichtig und lassen sich nicht zur rechten Lehre bekehren.


Die Beschimpfung „schlechte Arbeiter“ („kakoi ergates“) setzt die Vorstellung voraus, dass es sich bei der Ausbreitung bzw. Verbreitung des Evangeliums um ein „Werk“ („ergon“) handelt, und zwar – wenn sie rechtens geschieht – um eine gutes Werk oder um ein Werk Christi (vgl. Phil 1,6.22; 2,30) Das Werk wird von Gott bzw. Jesus Christus selbst oder von den „Arbeitern“ vollbracht. Dabei wird das Bild landwirtschaftlicher Arbeit gebraucht, wobei konkret auch an die Arbeit im Weinberg gedacht ist (vgl. insbesondere Mt 20,1-16). Die Christen erscheinen als die Arbeiter, die eine möglichst große Ernte oder einen möglichst großen Lohn – gedacht ist an eine himmlische Ernte bzw. einen himmlischen Lohn - einfahren wollen. Paulus selbst bezeichnet sich und seine Mitarbeiter allerdings nicht als „Arbeiter“. Die Arbeit kann auch schlecht erfolgen. Eine solche Arbeit dient nur scheinbar dem Evangelium und damit dem Heil der Menschen, in Wahrheit betrügt sie die Gläubigen und bringt sie um ihr Heil (vgl. 2 Kor 11,13).


Der Begriff „katatomê“ meint die „Zerschneidung“ oder „Verschneidung“, wobei nicht klar ist, was zer- oder verschnitten wird. Es ist anzunehmen, dass es sich um die Einritzung, Beschneidung oder Zerschneidung der Haut oder eines Körperteils handelt. Die Ähnlichkeit mit dem griechischen Begriff für die Beschneidung der Israeliten, „peritomê“, ist unverkennbar. Im Gegensatz zur Beschneidung erscheint jedoch die Zer- oder Verschneidung als etwas Negatives. Die begriffliche Ähnlichkeit lässt daran denken, dass die Zer- oder Verschneidung ebenso wie die Beschneidung (der Vorhaut) das Glied des Mannes betrifft. Es kann sich also um eine Kastration handeln oder auch um eine Beschneidung. Letzteres ist wahrscheinlicher, weil Paulus von der Zer- oder Verschneidung im Zusammenhang mit dem Evangelium und der Beschneidung spricht. Wenn Paulus für die Beschneidung der Irrlehrer nicht den Begriff „peritomê“ benutzt, dann wahrscheinlich deshalb, weil er der Beschneidung der Irrlehrer keinerlei Heilsfunktion beimisst. Sie sind wegen der Beschneidung weder Angehörige des Gottesvolkes Israel noch der christlichen Heilsgemeinschaft. Sie definieren sich zwar über ihre Beschneidung als Christen, täuschen sich damit jedoch selbst und andere. Tatsächlich sind sie nur verstümmelt oder gleichen gar heidnischen Eunuchen, die am Heil, wie es im Evangelium verkündigt wird, keinen Anteil haben.


Weiterführende Literatur: J. B. Polhill 1980, 359-372 legt Phil 3 den Themen- und Versgruppen folgend aus. Dabei setzt er literarische Einheitlichkeit des Philipperbriefes voraus.


Mit der Bedeutung und Funktion von 3,2-21 befasst sich D. A. DeSilva 1994, 27-54. Ergebnis: 3,2-21 bilde mit dem Rest des Philipperbriefes eine literarische Einheit. Es gehe Paulus in dem Abschnitt nicht in erster Linie um seine Widersacher, sondern darum, was man aus dem falschen Verständnis von Christi Tod und Erhöhung seitens der Widersacher lernen kann.


A. Standhartinger 2008, 417-435 hält das Fragment Phil 3,2-21; 4,8-9 für ein Weisheit enthaltendes Testament, das von Paulus in einer Situation höchster Lebensgefahr - möglicherweise der Situation von 2 Kor 1,8-9 - geschrieben und aus dem Gefängnis geschmuggelt worden sei. Es sei sein - noch früher - Abschiedsbrief an eine ihm nahe stehende Gemeinde, in dem er ihnen seine christologisch reflektierte Biographie präsentiere.


G. Klein 1989, 297-313 skizziert zunächst grob die Variationsbreite der Hypothesen bezüglich der Identität der philippischen Paulusgegner und bietet dann eine eigene Hypothese: Für die Identifizierung der philippischen Gegner des Paulus komme einzig Phil 3,2-11 in Frage. Es handele sich um Judaisten. Beim Versuch einer noch detaillierteren theologischen Standortbestimmung habe man sich vor einer zu starken Annäherung an den Herrenbruder und seinen Kreis wegen Röm 15,25ff. zu hüten. Näher liege ein Zusammenhang mit den Falschbrüdern von Gal 2,4.

Mit der Frage, wer die Konkurrenten des Apostels Paulus in Philippi sind, befasst sich H. W. Bateman 1998, 39-61. Gewöhnlich werde eine Zugehörigkeit der Konkurrenten zum Volk der Juden/Israeliten angenommen. Entweder halte man sie für Juden, die nach Philippi gekommen sind, um Heidenchristen zum Übertritt zum Judentum zu bewegen oder man halte sie für Judenchristen, die sich das Ziel gesetzt haben, Heidenchristen zur Befolgung jüdischer Rituale zu bewegen. H. W. Bateman stellt die jüdische Herkunft der Konkurrenten des Apostels in Frage und stellt folgende These auf: Weil Philippi eine mehrheitlich heidnische Stadt gewesen sei, hätten sich weitere Heiden der christlichen Gemeinde der Stadt angeschlossen (vgl. 4,2). Vielleicht hätten einige der Heiden in ihrem Eifer, den neuen Glauben verstehen zu wollen, das AT falsch verstanden und somit den Inhalt des Evangeliums mit zum Judentum gehörigen Ritualen vermengt (vgl. 1,15-17; 3,2). Das irrige Verständnis habe möglicherweise zu eifernden Aussagen geführt, die die Kirche zerrüttet haben (vgl. 1,27-28). Es habe sich um Heiden gehandelt, die sich wie Juden verhielten, ohne tatsächlich Juden zu sein (vgl. 3,2). Sie hätten wie christliche Missionare Christus verkündigt, seien aber keine Christen gewesen, sondern heidnische Judaisten.

Auch K. Grayston 1986, 170-172 hält die Widersacher des Apostels für Heiden, denn Paulus habe sicherlich nicht Juden(christen) als „Hunde“ beschimpft. Bestimmte Heiden hätten aus einem halb-magischen Glauben an rituelles Blutvergießen heraus die Beschneidung gefordert. 3,4-11 sei nicht als Verteidigung des Apostels gegen Vorwürfe zu verstehen, dass seine Fähigkeiten mangelhaft seien, sondern als von einem wahren Juden geäußerte Geringschätzung pseudo-jüdischer Phantasien seitens bestimmter heidnischer Propagandisten.

Auch U. Vanni 2000, 47-62 meint, dass das Schimpfwort „Hunde“ Heiden gegolten habe. Heiden hätten sich dem Götzendienst samt Orgien, Sexualität und magischen Praktiken hingegeben. Der negativen Charakterisierung des Heidentums und seines Vertrauens auf das „Fleisch“ werde die positiv bewertete jüdische Praxis der Beschneidung des Gliedes und – auf einer höheren Ebene – insbesondere die geistliche Beschneidung gegenüber gestellt.


M. Tellbe 1994, 97-121 vertritt die Ansicht, dass der Abschnitt 3,1-11 auf dem Hintergrund der besonderen gesellschaftlichen und geschichtlichen Lage der philippischen Gemeinde, dem fortwährenden Konflikt zwischen der Kirche und der römischen Gesellschaft in Philippi zu verstehen sei. Dieser Konflikt sei mindestens teilweise durch das Aufeinandertreffen des christlichen Evangeliums und der politisch-religiösen Ideologie der Stadt Philippi verursacht worden. Bei den paulinischen Widersachern der V. 2-6 handele es sich wohl um Judenchristen, die auch von den Heidenchristen die Einhaltung des Beschneidungsgebots forderten. Diese Forderung sei für die philippischen Gemeindeglieder theologisch und gesellschaftlich anziehend gewesen – theologisch insofern, als die Beschneidung die Identität als wahre Glieder des Volkes Gottes sichern konnte, und gesellschaftlich insofern, als die Beschneidung der Linderung des Konfliktes dienlich schien und das Christentum durch die Nähe zum Judentum auf Anerkennung als „religio licita“ und Schutz seitens des römischen Staates hoffen konnte.


D. J. Doughty 1995, 102-122 vertritt die Ansicht, dass sich 3,2-21 weder auf eine konkrete geschichtliche Situation noch auf konkrete Widersacher des Apostels bezögen. Der Abschnitt habe deutero-paulinischen Charakter, die Lehren des Apostels erschienen verallgemeinert: Die Widersacher könnten alle Widersacher der Gemeinde sein. 3,2-21 spiegele das Selbstverständnis einer von der umgebenden Welt grundsätzlich unterschiedenen Gemeinde wider.


F. E. Udoh 2000, 214-237 spürt dem Ursprung der außergewöhnlich negativen Einstellung des Paulus gegenüber dem jüdischen Religionsgesetz nach. Allgemein gesagt sei der Ursprung dieser Einstellung der grundsätzliche christliche Glaube, dass – für Juden gelte dies genauso wie für Heiden – Rettung nur durch den Eintritt in die messianische Bewegung durch den Glauben an Jesus Christus erlangt werden könne. Eine Besonderheit im Rahmen dieses Glaubens sei jedoch die grundsätzlich negative Einstellung des Apostels gegenüber dem Gesetz. So seien in Phil 3,2-11 drei Gegenüberstellungen auszumachen: Beschneidung – Christus, Gesetz – Glaube an Christus, jüdische Bundeszugehörigkeit – Glaube an Christus. Diese negative Einstellung sei auf dem historischen Hintergrund der Diskussion über die Regeln für die Einbeziehung der Heiden und – genauer gesagt – dem Beharren einiger Judaisten darauf, dass Heiden jüdische Bundesidentität annehmen müssten, zu verstehen. Drei historische Zeitpunkte hätten zu Höhepunkten des Konfliktes geführt: a) Paulus‘ zweiter Besuch in Jerusalem; b) Petrus‘ Besuch in Antiochia; c) die Krise in Galatien. Der eigentliche Ursprung der negativen Einstellung zum Gesetz sei jedoch in der Krise in Galatien zu suchen.


Laut M. D. Nanos 2009, 448-482 sei in der Tradition der Philipperkommentare wenigstens seit dem Kirchenvater Chrysostomos immer wieder die Behauptung aufgestellt worden, Juden hätten Heiden als „Hunde“ bezeichnet. Dies habe als Legitimation dafür herhalten müssen, dass – im Namen des Paulus - umgekehrt die Juden seitens christlicher Exegeten als „Hunde“ bezeichnet wurden. Eine eingehende Analyse jüdischer Literatur und der Erzählung von der kanaanäischen Frau (Mt 15,21-28; Mk 7,24-30) führt M. D. Nanos zu dem Ergebnis, dass in Wirklichkeit keine Belege dafür zu finden seien, dass Juden tatsächlich Heiden als „Hunde“ bezeichneten. Bei dem Beispiel der kanaanäischen Frau handele es sich um eine Metapher, die einen Sonderfall darstelle und in einem politischen und spezifischen Kontext zu verstehen sei. Auch im Hinblick auf Phil 3,2 sei angesichts der verschiedenen möglichen Deutungen nicht auszumachen, dass Heiden (oder Juden) an sich als „Hunde“ bezeichnet werden.


Auf dem Hintergrund des kulturanthropologischen Modells „Ehre und Scham/Schande“ liest P. Reinl 2003, 117-134 Phil 3,1b-11(21).


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V. 3


Beobachtungen: Paulus macht deutlich, wer tatsächlich „Beschneidung“ („peritomê“) ist: „wir“, also er selbst und die Adressaten. Weil wohl kaum alle Adressaten beschnittene Judenchristen sind, kann „Beschneidung“ hier nicht die Beschneidung der Vorhaut des Gliedes meinen. Damit überträgt er etwas, was ursprünglich der Abgrenzung des Gottesvolkes Israel von den Nichtisraeliten diente, auf die Christen, und zwar auch auf die Heidenchristen. Bei diesen ist nicht (nur) das Glied, also das „Fleisch“, beschnitten, sondern gemäß Röm 2,29 (auch) das Herz.


Das Verb „latreuô“ meint nicht den Sklavendienst, sondern einen öffentlichen, Ehre bewirkenden Dienst oder auch einen kultischen Dienst. Den Gottesdienst betont eine Textvariante, die statt „die wir im Geiste Gottes (theou) dienen“ die Formulierung „die wir im Geiste Gott (theô) dienen“ bietet. Die ursprüngliche Lesart „im Geiste Gottes“ bedeutet vermutlich entweder, dass der Geist Gottes zum Dienst bewegt oder dass der Dienst dem Willen Gottes entspricht.


Das Verb „kauchaomai“ kann entweder „rühmen“ oder „sich rühmen“ bedeuten. Sie rühmen also entweder Gott oder Jesus Christus „in Christus Jesus“ oder sie rühmen sich selbst „in Christus Jesus“. Selbstruhm ist nach Ansicht des Apostels dann nicht verwerflich, wenn er auf dem Glauben an den Heilsbringer Jesus Christus gründet. Dann handelt es sich nicht um Selbstruhm im eigentlichen Sinne, sondern um Ruhm bei Gott bzw. Jesus Christus, dessen man sich durchaus rühmen darf (vgl. 2 Kor 10,8-17; 11,16-12,10).


Mit dem „Fleisch“ ist vermutlich die beschnittene Vorhaut des Gliedes gemeint. Der Beschneidung selbst misst Paulus also keine Heilsrelevanz bei, sondern nur dem Vertrauen auf Jesus Christus. Damit lehnt der Apostel nicht die Beschneidung grundsätzlich ab, sondern macht nur deutlich, dass man im Hinblick auf das Heil nicht auf die Beschneidung setzen soll.


Weiterführende Literatur: Mit der rhetorischen Strategie in 3,3-17 befasst sich F. W. Weidmann 1997, 245-257. Dabei setzt er sich u. a. mit der These von R. T. Fortna 1990, 220-234 auseinander, dass der Philipperbrief ich-zentrierter als alle anderen paulinischen Briefe sei, denn der Heidenapostel entfalte darin seine Theologie aus der Situation des eigenen drohenden Todes und des eigenen Standes vor Gott und der Welt heraus.


G. Baumbach 1999, 9-23 befasst sich mit der Wende des Paulus von einem pharisäischen zu einem christlichen „Standpunkt“, wie sie in Phil 3,3ff mit der Entgegensetzung von „Glaubensgerechtigkeit“ contra „Gesetzesgerechtigkeit“ umschrieben werde. Mit der Wende sei das Judentum für Paulus keine negative Größe geworden, sondern es erscheine in einem anderen Licht: Paulus verstehe nun den von Gott mit Abraham geschlossenen Bund nicht mehr als Gesetzesbund, sondern als Verheißungsbund, der auf den Glauben ziele. Die paulinische Antithese von „Gesetzesgerechtigkeit contra Glaubensgerechtigkeit“ habe eine gesetzeskritische, nicht aber eine verheißungskritische Funktion. Mit einem Antijudaismus habe sie absolut nichts zu tun.


Nach einer kurzen Sichtung der wichtigsten Forschungsparadigmen der Ritualforschung stellt C. Strecker 2008, 460-472 die wegweisenden Theorien Victor Turners über rituelle Schwellenphasen und die darüber hinausreichenden Erscheinungsformen permanenter Liminalität vor. Dass sich Turners Einsichten und Modelle in der Paulusexegese fruchtbar anwenden lassen, wird exemplarisch an Phil 3 vorgeführt.


E. P. Sanders 1986, 75-90 vermag in Phil 3,2-11 (ebenso wie in 2 Kor 11,24-26) keine anti-jüdischen Ressentiments zu entdecken. Das Gesetz werde nicht deshalb degradiert, weil es schlecht sei, oder deshalb, weil dessen Befolgung zur Gesetzlichkeit und zur Zurückweisung der Gnade führe, sondern nur deshalb, weil es den Menschen nicht zu einem Glied des Leibes Christi mache. Schmähungen richteten sich nicht gegen die Juden als Juden, sondern gegen die mannigfaltigen Widersacher des Apostels unter den Christen.


J. Thomas 1983, 340-349 sieht in Phil 3 die Suche des Menschen Paulus nach sich selbst, nach seiner wahren Menschlichkeit und Identität.


V. 4a


Beobachtungen: Wenn Paulus grundsätzlich die Beschneidung ablehnen würde, würde er sicherlich kaum seine eigene Beschneidung herausstellen. Es geht Paulus jedoch nicht um eine Bewertung der Beschneidung oder gar der beschnittenen Juden, sondern nur um die Frage, worauf das Heilsvertrauen zu setzen ist.

V. 4a kann auf zweierlei Weise übersetzt werden: a) „obgleich auch ich auf Fleisch Vertrauen setzen könnte“; b) „obgleich ich auch auf Fleisch Vertrauen setzen könnte“. Letztere Übersetzung gibt besser die Wortstellung wieder: „kai“ („auch“) steht unmittelbar vor „en sarki“ („auf Fleisch“). Paulus macht demnach deutlich, dass er sich in Christus Jesus rühmt, also auf Christus Jesus vertraut, darüber hinaus aber auch auf seine Beschneidung vertrauen könnte, was er aber nicht tut. Die Beschneidung erscheint also keinesfalls in einem schlechten Licht, nur eben nicht als geeignete Grundlage für Heilsvertrauen.


Da Paulus nicht die Beschneidung an sich kritisiert, sondern die Tatsache, dass ihr Heilsrelevanz beigemessen wird, ist unwahrscheinlich, dass die Irrlehrer die Beschneidung in erster Linie als Möglichkeit propagieren, den Angriffen auf Christen zu entgehen, indem man sich mittels der Beschneidung in die Nähe des im Römischen Reich geduldeten Judentums („religio licita“) stellt oder gar ganz zum Judentum übertritt. Wäre die Vermeidung von Leiden der Hauptbeweggrund der Irrlehrer, dann würde Paulus schwerpunktmäßig die Notwendigkeit der Leiden für Christus thematisieren.


Weiterführende Literatur:



Literaturübersicht


Bateman, Herbert W.; Were the Opponents at Philippi Necessarily Jewish?, BS 155/617 (1998), 39-61

Baumbach, Günther; “Glaubensgerechtigkeit” contra “Gesetzesgerechtigkeit” – Die Auseinandersetzung des Paulus mit seiner pharisäischen Vergangenheit, in C. Kähler u. a. [Hrsg.], Gedenkt an das Wort, Leipzig 1999, 9-23

DeSilva, David A.; No Confidence in the Flesh: The Meaning and Function of Philippians 3,2-21, TrinJ 15/1 (1994), 27-54

Doughty, Darrell J.; Citizens of Heaven: Philippians 3.2-21, NTS 41/1 (1995), 102-122

Fortna, Robert T.; Philippians: Paul’s Most Egocentric Letter, in: R. T. Fortna, B. R. Gaventa [eds.], The Conversation Continues: Studies in Paul and John, FS J. L. Martyn, Nashville, Tennessee 1990, 220-234

Grayston, Kenneth; The opponents in Philippians 3, ET 97/6 (1986), 170-172

Klein, Günter; Antipaulinismus in Philippi. Eine Problemskizze, in: D. A. Koch [Hrsg.], Jesu Rede von Gott und ihre Nachgeschichte im frühen Christentum: Beiträge zur Verkündigung Jesu und zum Kerygma der Kirche, FS W. Marxsen, Gütersloh 1989, 297-313

Nanos, Mark D.; Paul’s Reversal of Jews Calling Gentiles „Dogs“ (Philippians 3:2): 1600 Years of an Ideological Tale Wagging an Exegetical Dog?, BI 17/4 (2009), 448-482

Polhill, John B.; Twin Obstacles in the Christian Path. Philippians 3, RExp 77/3 (1980), 359- 372

Reinl, Peter; Plädoyer gegen die Schaffung neuer Ränder in der Gemeinde von Philippi. Phil 3,1b-11(21) und das kulturanthropologische Modell „Ehre und Scham/Schande“, in: M. Küchler, P. Reinl [Hrsg.], Randfiguren in der Mitte, FS H.-J. Venetz, Luzern 2003, 117-134

Sanders, Ed P.; Paul on the Law, His Opponents, and the Jewish People in Philippians 3 and 2 Corinthians 11, in: P. Richardson, D. Granskou [ed.], Anti-Judaism in Early Christianity. Vol. 1: Paul and the Gospels (Studies in Christianity and Judaism / Etudes sur le christianisme et le judaisme 2), Wareloo, Ontario 1986, 75-90

Standhartinger, Angela; “Join in imitating me” (Philippians 3.17): Towards an Interpretation of Philippians 3, NTS 54/3 (2008), 417-435

Strecker, Christian; Leben als liminale Existenz. Kulturanthropologische Betrachtungen zum frühchristlichen Existenzverständnis am Beispiel von Phil 3, EvTh 68/6 (2008), 460- 472

Tellbe, Mikael; The Sociological Factors behind Philippians 3,1-11 and the Conflict at Philippi, JSNT 55 (1994), 97-121

Thomas, Joseph; Un homme en quête de lui-même. Lecture de Philippiens 3, Chr 119 (1983), 340-349

Udoh, Fabian E.; Paul’s Views on the Law: Questions about Origin (Gal 1:6-2:21; Phil 3:2- 11), NT 42/3 (2000), 214-237

Vanni, Ugo; Antigiudaismo in Filippesi 3,2? Un ripensamento, in: L. Padovese [ed.], Atti del VI Simposio di Tarso su S. Paolo Apostolo (Turchia: la Chiesa e la sua storia 14), Roma 2000, 47-62

Weidmann, Frederick W.; An (Un)Accomplished Model: Paul and the Rhetorical Strategy of Philippians 3:3-17, in: V. Wiles et al. [eds.], Putting Body and Soul together, FS R. Scroggs, Valley Forge 1997, 245-257


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