Apg 10,23b-33
Übersetzung
Apg 10,23b-33:23b Am folgenden Tag aber brach er auf und ging mit ihnen (hinaus); und einige von den Brüdern aus Joppe begleiteten ihn. 24 Am Tag darauf kam er nach Cäsarea. (Der) Kornelius erwartete sie bereits und hatte seine Verwandten und die engsten Freunde zusammengerufen. 25 Als es aber geschah, dass (der) Petrus hereinkam, ging ihm (der) Kornelius entgegen, fiel ihm zu Füßen und huldigte ihm. 26 Petrus aber richtete ihn auf und sprach: "Steh auf! Auch ich selbst bin ein Mensch.“ 27 Und während er sich mit ihm unterhielt, trat er ein und findet viele versammelt. 28 Und er sprach zu ihnen: "Ihr wisst, dass es einem jüdischen Mann nicht erlaubt ist, mit einem Fremdstämmigen engen Kontakt zu pflegen oder zu ihm zu kommen. Mir aber hat (der) Gott gezeigt, dass ich keinen Menschen gemein oder unrein nennen [soll]. 29 Deshalb bin ich auch ohne Widerspruch gekommen, da ich geholt wurde. Ich frage nun: Aus welchem Grund habt ihr mich holen lassen?“ 30 Und (der) Kornelius sprach: "Vor vier Tagen um diese Stunde betete ich zur neunten [Stunde] in meinem Haus. Und siehe, ein Mann stand vor mir in glänzendem Gewand 31 und sprach: "Kornelius, dein Gebet ist erhört und deiner Almosen ist gedacht worden vor (dem) Gott. 32 Sende nun nach Joppe und lass Simon holen, der mit Beinamen Petrus heißt. Dieser ist zu Gast im Haus eines Gerbers Simon am Meer.' 33 Daraufhin habe ich unverzüglich nach dir gesandt und du hast gut daran getan, dass du gekommen bist. So sind wir nun alle vor (dem) Gott zusammen, um all das zu hören, was dir vom Herrn aufgetragen worden ist.“
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Beobachtungen: Das Partizip "anastas“ kann entweder "aufgestanden seiend“ oder "aufgebrochen seiend“ bedeutend. In ersterem Sinne wäre gemeint, dass sich Petrus aus einer liegenden, sitzenden oder knieenden Stellung erhoben hatte, bevor er mit den Gesandten und den "Brüdern“ aus Joppe das Haus des Simon verließ. In letzterem Sinne wäre der Beginn eines Ortswechsels ausgesagt. Weil von einer liegenden, sitzenden oder knieenden Stellung keine Rede ist, sondern es vielmehr um einen Ortswechsel geht, dürfte "anastas“ hier "aufgebrochen seiend“ bedeuten.
"Am folgenden Tag“ meint den auf die Ankunft der Gesandten bei Petrus folgenden Tag. Petrus hatte die Gesandten in das Haus des Simon eingeladen, so dass diese dort übernachten konnten (vgl. V. 23a). Dass die Gesandten mit Petrus und den begleitenden "Brüdern“ nicht noch am Tag der Ankunft wieder aufbrachen, dürfte damit zu begründen sein, dass sie schon einen etwa 50 Kilometer weiten Marsch von Cäsarea nach Joppe hinter sich hatten.
"Brüder“ ist im Sinne von "geistliche Brüder“, also Glaubensgenossen, zu verstehen. Aus 10,45 geht hervor, dass sie wie Petrus Judenchristen waren. "Aus Joppe“ besagt nur, dass die "Brüder“ aus Joppe kamen, nicht aber, dass sie zum häuslichen Umfeld der von den Toten auferweckten Tabitha gehörten. Letzteres ist aber durchaus möglich, weil zum häuslichen Umfeld (Juden-)Christen gehörten (vgl. V. 38.41). Unklar ist, warum sich die "Brüder“ im Haus des Gerbers Simon, der Petrus einige Zeit beherbergt hatte, aufhielten. Waren sie mit ihm privat oder beruflich in irgendeiner Form verbunden? Fraglich ist auch, warum die "Brüder“ mit den Gesandten und Petrus mitgehen. Ist es reine Neugierde am Fortlauf der Ereignisse, die sie dazu treibt? Oder sind sie mit Petrus befreundet und wollen ihn daher begleiten? Oder haben sie eine Ahnung von Gottes Heilsplan und beabsichtigen, bei dessen Verwirklichung mitzuwirken? Aus erzähltechnischer Sicht ist ihre Begleitung von Bedeutung, weil sie später als Zeugen der folgenden Ereignisse dienen. Dabei wird auch gesagt, dass es sich um sechs "Brüder“ gehandelt habe (vgl. 11,12). Damit hätte der Tross wandernder Personen insgesamt zehn Personen umfasst: die sechs "Brüder“, Petrus, die beiden frommen Haussklaven des Kornelius und der fromme, Kornelius treu dienende Soldat.
Weiterführende Literatur: R. Pesch 1981, 105-122 geht von den Thesen F. Mußners in dessen Kommentar von 1974 aus, dass trotz der zahlreichen Unterschiede kein Grund zu der Annahme bestehe, Gal 2,1-10 und Apg 15 würden von zwei verschiedenen Ereignissen berichten, und dass vermutlich das "Aposteldekret“ erst einige Zeit nach dem "Apostelkonzil“ zustande gekommen und von Lukas in den Bericht über dasselbe hineingenommen worden sei. R. Pesch stellt nun die Frage, wie Lukas überhaupt dazu kommt, das "Aposteldekret“ in seinen Bericht über das "Apostelkonzil“ hineinzunehmen. Ergebnis: Lukas habe (aus Antiochenischer Tradition) neben dem Bericht über die dortige Gemeindegründung (Apg 11,19-26) einen Bericht über das Jerusalemer Abkommen (Apg 11,27-30; 12,25; 15,1-4.12b) und das Zustandekommen des Aposteldekrets (Apg 10,1-11,18; 15,5-12a.13-33) gekannt. Da ihm daran gelegen sei, die Heidenmission ganz in die Kontinuität der urchristlichen Gemeinde einzubetten und an Jerusalem zurückzubinden, lasse er sie im Werk des Petrus grundgelegt sein. Weil er die Eröffnung der beschneidungsfreien Heidenmission Petrus zuschreibe, dessen Initiative durch die Jerusalemer gebilligt werde, könne er die Berichte über das Jerusalemer Abkommen und die Lösung des Antiochenischen Konflikts zusammenziehen, wobei er freilich die mit dem Jerusalemer Abkommen zusammenfallende Kollekte der Antiochener ablöse und im (vielleicht ursprünglichen) Anschluss an die Erzählung von der Gründung der Gemeinde kurz erwähne; den knappen Bericht schachtele er um die Überlieferung von der Verfolgung durch Agrippa I.
A. E. Arterbury 2002, 53-72 zeigt anhand von griechischen Novellen, dass Apg 10,1-11,18 auf dem Hintergrund der besonderen Bedeutung der Gastfreundschaft in der Antike zu verstehen sei. Petrus habe im Haus Simons, des Gerbers, Gastfreundschaft erfahren (vgl. 9,43). Es habe zur Gastfreundschaft gehört, dass der Gast bei seiner Abreise ein Stück des Wegs begleitet wurde. Das sei auch in 10,23b der Fall, wobei die "Brüder“ aus Joppe die Sicherheit des Petrus in heidnischem Gebiet gewährleisten sollten.
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Beobachtungen: Der Wanderweg nach Cäsarea wurde nicht an einem Tag zurückgelegt, sondern man marschierte über zwei Tage hinweg. So kamen die Wandernden erst "am Tag darauf“, also am Tag nach dem Aufbruch, in Cäsarea an. Dabei ist jedoch unklar, um welche Uhrzeit der Aufbruch und um welche Uhrzeit die Ankunft erfolgte. Weil von einer Übernachtung nicht die Rede ist, ist davon auszugehen, dass auch die Nacht über gewandert wurde. Dies spricht dafür, dass sich auch die Wanderung der Gesandten des Kornelius von Cäsarea nach Joppe über zwei Tage hinweg erstreckte und die Nacht einschloss. Die nächtliche Fortsetzung des Marsches ist insofern bemerkenswert, als die Nacht im alten Israel trotz ihrer angenehmen Kühle nicht die bevorzugte Tageszeit zum Wandern gewesen sein dürfte, denn in ihrer Dunkelheit war der Weg schwerer zu finden und außerdem drohten in ihr Gefahren wie wilde Tiere und Räuber.
Kornelius scheint sich sicher gewesen zu sein, dass Petrus auch tatsächlich mit seinen Gesandten mitgehen und nach Cäsarea kommen würde. Dabei maß er dem Besuch anscheinend eine über seine Person hinausgehende Bedeutung bei, so dass er seine Verwandten und die engsten Freunde zusammenrief.
Wer genau den Verwandten (syngeneis) angehörte, bleibt offen. Zunächst ist auf jeden Fall an Frau und Kinder zu denken, dann aber auch an den weiteren Verwandtenkreis. Die Verwandten werden zumindest teilweise dem "Haus“ des Kornelius (vgl. V. 2) angehört haben, können darüber hinaus aber auch von außerhalb gekommen sein.
Was die Freunde betrifft: Auch wenn das Adjektiv "anankaios“ ("engster“) auch die enge Blutsverwandtschaft aussagen kann, ist diese hier wohl nicht gemeint, denn es ist ja von "philoi“ ("Freunden“) die Rede, die Kornelius zusätzlich zu seinen Verwandten zusammengerufen hat. Die Formulierung "anankoi philoi“ ("engste Freunde“) dürfte also Freunde meinen, die nicht durch Blutsverwandtschaft zusammengeschweißt waren, sondern durch menschliche Zuneigung und vielleicht auch berufliche Verbindung. Vielleicht handelte es sich bei den "anankoi philoi“ um andere Hauptmänner oder (auch) um Kornelius treu dienende Soldaten. Auch können andere Kornelius untergeordnete Personen im Blick sein, wobei an ein Klientelverhältnis zu denken wäre: Kornelius wäre der Patron seiner "engsten Freunde“, der Klienten. Typisch für das Klientelverhältnis war gegenseitiger Beistand.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Die fußfällige Huldigung (Proskynese) wurde in den Reichen des Alten Orients geübt und stellte eine Geste der Unterwerfung, Verehrung und Anbetung dar. Kornelius fiel Petrus zunächst zu Füßen, womit mindestens ein Kniefall gemeint sein dürfte. Mit der räumlichen Selbsterniedrigung wurden Unterwerfung und Ehrfurcht zum Ausdruck gebracht. Darüber hinausgehend wird er mindestens den Kopf geneigt haben. Möglich ist aber auch die Neigung des Oberkörpers bis zur Erde, mit dem Gesicht nach unten, der heutigen muslimischen Gebetsstellung ähnlich. Vielleicht legte Kornelius in kniender Stellung die Hand bzw. Finger auf den Mund und streckte sie dann in Richtung des Petrus aus. Im Alten Orient galt die fußfällige Huldigung einer Gottheit oder dem Herrscher. Angesichts der Tatsache, dass der Hauptmann Kornelius ein Heide gewesen sein dürfte und in heidnischen Religionen wie auch dem römischen Kaiserkult Menschen als Götter angesehen werden konnten, mag Kornelius Petrus als Gott verehrt haben. Allerdings verträgt sich diese Deutung nicht damit, dass Kornelius als Gottesfürchtiger wohl dem Judentum nahe stand. Die Verehrung des Menschen Petrus als Gott wird sich kaum mit der Verehrung des Gottes Israels, JHWH, vertragen haben. Eher ist möglich dass Kornelius in Petrus den Engel Gottes sah, der zu ihm gekommen war und ihn zur Entsendung von Männern zu Petrus nach Joppe aufgefordert hatte (vgl. V. 3). Dass es sich bei der Gestalt um einen Engel handelte, hat Kornelius erkannt, wie aus V. 22 hervorgeht. Gegen eine solche Deutung spricht aber, dass Kornelius nicht einen Engel erwartete, sondern Petrus. Als Petrus (zur Tür?) hereinkam, dürfte Kornelius eher an Petrus als an den Engel Gottes gedacht haben. So ist es am wahrscheinlichsten, dass Kornelius Petrus weder als Gott verehrt noch als Engel angesehen, sondern ihn als Menschen erkannt hat. Allerdings dürfte er ihn nicht als gewöhnlichen Menschen, sondern als Mann Gottes angesehen haben. Ob er von den Wundern, die man von Petrus erzählte (vgl. 9,35.42) gehört hatte, lässt sich nicht erschließen. Dies ist auch nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass Kornelius angesichts seiner Beauftragung mit der Entsendung von Männern nach Cäsarea wohl einen Heilsplan Gottes ahnte. Ihm wird bewusst geworden sein, dass Petrus im Rahmen der Verwirklichung des Heilsplanes Gottes eine besondere Rolle spielte und insofern einen Mann Gottes darstellte. Daher empfing er ihn wie einen übermenschlichen Heilsbringer, erniedrigte sich ihm gegenüber und verehrte ihn.
Weiterführende Literatur: J. H. Elliott 1991, 102-108 legt das, dass der Korneliuserzählung 10,1-11,18 eine Diskussion innerhalb der Jesusbewegung zugrunde liege, ob die Jesusbewegung an das Judentum gebunden bleiben soll und inwieweit jüdische Reinheitsgebote für das Verhalten aller Christen gelten sollen. Die Korneliuserzählung mache deutlich, dass auch Heiden in die Jesusbewegung aufgenommen werden sollten, für die die Reinheitsgebote nicht gelten. Lukas stelle dem Tempel samt seinen Satzungen und (Reinheits-)Geboten das Haus und die Gastfreundschaft gegenüber. In diesem häuslichen Rahmen würden die soziale Abgrenzung und die jüdischen Satzungen und Gebote überwunden und den Heiden das Evangelium, das Reich Gottes und die christliche Gemeinschaft eröffnet. Ähnlich D. J. Scholz 2002, 47-61, der eine Analyse erzählerischer Gesichtspunkte bietet.
C. A. Miller 2002, 302-317 geht der Frage nach, ob Petrus gemäß der Korneliuserzählung vor seinem Aufsuchen der Heiden erst von der Befolgung des Gesetzes (= Tora) Abstand nahm, oder ob Petrus einfach den Heiden das Evangelium brachte. In ersterem Fall ginge es in der Vision um die Aufhebung des Gesetzes, in letzerem Fall um die gleichberechtigte Aufnahme der Heiden in das Haus Gottes. Ergebnis: Trotz der Mehrdeutigkeit der Vision sei doch offensichtlich, dass sie nicht auf die Speise bzw. Speisegebote, sondern auf Menschen bezogen werden soll. C. A. Miller merkt an, dass Petrus − und zuvor der Engel (vgl. 10,3) - das Haus des Kornelius betreten habe, wie Kornelius später das Haus Gottes betreten sollte.
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Beobachtungen: Das Aufrichten bewirkte, dass sich Kornelius wieder in gleicher Augenhöhe wie Petrus befand. Beide waren Menschen und es war an der Körperhaltung kein Unterschied mehr erkenntlich. Fraglich ist, ob Petrus Kornelius ihn aufrichtete, indem er ihn mittels der folgenden Worte zum Aufrichten aufforderte, oder ob er ihm beim Aufrichten tatkräftig half.
Petrus hielt die fußfällige Huldigung nicht für die richtige Begrüßungsform. Dies unterstreichen die vom westlichen Text gebotenen Varianten, indem sie Petrus − zusätzlich zur Aufforderung "Steh auf!“ oder an ihrer Stelle − "Was tust du?“ sagen lassen. Da er wusste, dass Kornelius ein Gottesfürchtiger war (vgl. 10,22), wird er wohl kaum angenommen haben, dass Kornelius ihn als Gott verehrte. Ebenso gab es keinen Anlass anzunehmen, Kornelius könnte ihn mit dem Engel verwechselt haben. Vielmehr wird er davon ausgegangen sein, dass Kornelius ihn als Mann Gottes ansah und daher Verehrung entgegenbrachte. Petrus dürfte dies für eine unzulässige Überhöhung seiner eigenen Person angesehen haben. Petrus war sich nämlich bewusst, dass nicht er selbst handelte, Wunder tat und Heil brachte, sondern Gott selbst bzw. Jesus Christus (vgl. V. 34). Insofern gab es keinen Anlass, ihn über andere Menschen zu erhöhen und womöglich in die Nähe Gottes zu rücken oder ihn gar Gott gleich zu machen. Die Überhöhung seiner eigenen Person dürfte Petrus auch im Hinblick auf die Gottesfurcht des Kornelius unangemessen erschienen sein, denn die Verehrung des Gottes Israels vertrug sich nicht mit der Verehrung eines überhöhten Menschen.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Das erneute Eintreten verwundert. Wahrscheinlich ist von einem Eintreten in verschiedenen Schritten die Rede: V. 25 würde demnach vom ersten Betreten des Hausgrundstücks oder Hauses sprechen, V. 27 vom Eintreten in einen inneren Hausbereich, zu dem der Raum gehörte, in dem sich die Zusammengerufenen versammelt hatten. Ob sich dieser auf einer anderen Ebene als der Hauseingang befand, lässt sich nicht erschließen.
"Viele“ gibt die Sichtweise des Petrus wieder, der ja nicht wusste, wer sich versammelt hatte. Er sah nur, dass es eine große Zahl Menschen war.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Obwohl Petrus nicht wusste, wer sich versammelt hatte, sprach er die Versammelten so an, als wüsste er es. Hat er dies beim Eintreten durch die Unterhaltung mit Kornelius erfahren? Oder hat er seine Kenntnisse aus der Tatsache erschlossen, dass Kornelius ein gottesfürchtiger Heide war und die Versammelten es vermutlich auch sein würden? Von Gottesfürchtigen konnte Petrus erwarten, dass diese über jüdische Verhaltensregeln Bescheid wussten.
"Thêmis“ meint etwas Festgelegtes, sei es niedergeschrieben oder nicht. Niedergeschrieben wäre ein Gebot oder Gesetz, nicht niedergeschrieben ein Brauch oder eine ungeschriebene Regel. "Athêmiton“ bedeutet demnach "gegen ein Gesetz/Gebot verstoßend“ oder "gegen einen Brauch / eine ungeschriebene Regel“ verstoßen. Nun gibt es kein in der Tora (= fünf Bücher Mose) niedergeschriebenes Gebot, das dem jüdischen Mann untersagt, mit einem Fremdstämmigen engen Kontakt zu pflegen oder zu ihm zu kommen. In Dtn 23,4 heißt es nur, dass Ammoniter oder Moabiter nicht in die Versammlung JHWHs kommen dürfen. Diese Bestimmung wurde verallgemeinert und führte gemäß Neh 13,3 zum Ausschluss aller Fremden, die sich mit dem Volk Israel − konkret: Juda - verbunden hatten. Gänzlich vermeiden konnten Juden aber in der Folgezeit engere Kontakte mit Heiden schon deshalb nicht, weil sie häufig in einer heidnischen Umwelt lebten. So kam es zu beruflichen und privaten Beziehungen. Allerdings wurden die Kontakte insbesondere durch die jüdischen Reinheitsgebote, darunter die Speisegebote, gehemmt. Juden mussten in heidnischen Häusern befürchten, dass ihnen wissentlich oder unwissentlich unreine Speisen vorgesetzt wurden. Außerdem mussten alle Speisen, die die Heiden auftischten, als verunreinigt angesehen werden. Auch Götzenopferfleisch stellte eine Gefahr dar. So wurde die Annahme von Einladungen in heidnische Häuser geächtet und als letzte Konsequenz galten die Heiden an sich als Quelle ritueller Unreinheit.
Als "allophylos“ ("Fremdstämmiger“) wird in der Septuaginta ein Angehöriger des unbeschnittenen Fremdvolkes der Philister bezeichnet, doch ist die Bezeichnung nicht auf Angehörige dieses Fremdvolkes beschränkt (vgl. 1 Makk 5,15). Dementsprechend dürfte auch in Apg 10,28 der Begriff ganz allgemein, ohne besonderen Bezug auf die Philister, den Nicht-Israeliten meinen.
Die Deutung der Offenbarung der Tiere auf dem Leinentuch (vgl. 10,9-16) seitens Petrus ist war gerade nahe liegend (vgl. Beobachtungen zu V. 15), erfolgte jedoch ganz im Hinblick der Ermöglichung der Mission von Judenchristen bei (gottesfürchtigen) Heiden.
Weiterführende Literatur: A. Barbi 1996, 277-295 untersucht, auf welchem Weg der Heide Kornelius in die Kirche aufgenommen und vollständig integriert wird. Dabei geht er auf die Person des Kornelius, auf die Überwindung der jüdischen Vorurteile bezüglich rein und unrein, die die Heidenmission ermöglicht, auf die Gleichstellung von Juden- und Heidenchristen sowie auf die Tischgemeinschaft von Juden- und Heidenchristen ein. Der Weg der Aufnahme und Integration des Kornelius in die Kirche werde durch die Initiative Gottes und durch die Erfahrung des gesetzestreuen Juden Petrus, der gehorsam ist und die Vorbehalte überwindet, eröffnet.
B. R. Gaventa 1986, 107-129 befasst sich mit 10,1-11,18. Sie bespricht die einzelnen Szenen und legt dar, auf welche Weise die Wiederholungen den dramatischen Effekt steigern. Sie zeigt, dass nicht nur Kornelius, sondern auch Petrus der Bekehrung bedürfe. Petrus müsse erkennen, dass er nicht das Recht hat zu bestimmen, was Gott rein gemacht hat und was nicht. Die Aufhebung von Speisegeboten und die Aufnahme von Heiden in die Kirche seien untrennbar miteinander verbunden.
Laut J. J. Kilgallen 1998, 301-302 lasse sich 10,1-11,18 besser verstehen, wenn man klar und deutlich zwischen "gemein/unrein“, "Gott willkommen“ und "gerettet“ unterscheidet. Kornelius sei rein, weil alle Menschen rein sind. Folglich verunreinige der Kontakt mit Kornelius einen Juden nicht. Ebenfalls sei Kornelius Gott willkommen, weil er Gott fürchtet und Gerechtigkeit übt. Dennoch könnten ihm erst die Vergebung der Sünden zuteil und der Geist gegeben werden, wenn er an Jesus Christus glaube. Erst dann könne er auch als gerettet angesehen werden.
C. House 1983, 143-153 macht deutlich, dass zwischen der Bedeutung der Begriffe "koinos“ ("gemein“) und "akathartos“ ("unrein“) zu unterscheiden sei. "Koinos“ könne nur etwas Reines werden, und zwar durch den Kontakt mit etwas Unreinem. Der Gebrauch von "koinos“ ("gemein“) und "koinoô“ ("gemein machen“) lasse eine Fortdauer der atl. Unterscheidungen zwischen "reinen“ und "unreinen“ Fleischgerichten in ntl. Zeit erkennen. Diese Unterscheidung werde nicht infrage gestellt. Allerdings würden in Apg 10-11 bestimmte Vorstellungen des späteren Judentums überwunden: dass "reine“ Lebewesen durch den Umgang mit "unreinen“ Lebewesen verunreinigt (oder gemein gemacht) werden, und dass Juden ihre Exklusivität wahren und sich vor Verunreinigung durch den Umgang mit Heiden hüten müssen.
C. Wahlen 2005, 505-518 vertritt die Ansicht, dass es sich bei "gemeinen“ Speisen um Speisen handele, deren Reinheit zweifelhaft ist.
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Beobachtungen: Petrus scheint noch nicht ganz klar gewesen zu sein, weshalb er in das Haus der Kornelius gerufen worden war. Die ihm von den Gesandten des Kornelius mitgeteilte Begründung, dass Kornelius von einem heiligen Engel angewiesen worden sei, Petrus in sein Haus holen zu lassen und zu hören, was er zu sagen hat, ist vage. Was sollte Petrus zu sagen haben? Rechnete Petrus damit, dass man von ihm erwartete, dass er für eine kranke Person beten, ihr die Hand auflegen und Heilung bewirken werde?
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Die V. 30-33 stellen nach V. 3-8 und V. 22 den dritten Bericht der Ereignisse dar. Die wiederholte Erzählung ist eine stilistische Eigenheit des Verfassers der Apg. Sie dürfte zum einen die Bedeutung des Erzählten unterstreichen, zum anderen aber auch die göttliche Fügung hervorheben, die zum Verlauf der Ereignisse geführt hat.
Die Konstruktion des ersten Satzes der direkten Rede des Kornelius ist unklar: Eigentlich bedeutet "apo…mechri“ "von…bis“, womit die Übersetzung "Vom vierten Tag bis zu dieser Stunde betete ich zur neunten [Stunde] in meinem Haus.“ lauten müsste. Demnach hätte Kornelius durchgehend von der Erscheinung des Engels Gottes bis zur Ankunft des Petrus gebetet. Von einem solchen dauernden Gebet weiß die Erzählung aber nichts. Vielmehr ist Kornelius zwischenzeitlich aktiv gewesen: Er hat drei Männer zu Petrus nach Joppe geschickt und seine Verwandten und engsten Freunde zusammengerufen. Der Erzählung entspricht am besten "Am vierten Tag um diese Stunde…“. Von der Gegenwart aus würden also vier Tage in die Vergangenheit zurückgerechnet. Diese Zählung würde den Gebrauch der Ordinalzahl "vierte“ ("tetartês) statt der Kardinalzahl "vier“ ("tetras“) erklären. Gemeint wäre "vor vier Tagen“. "Mechri“ ("bis“) würde nicht auf eine Zeitdauer verweisen, sondern die Uhrzeit einleiten: "um diese Stunde“.
Die Formulierung "êmên tên enatên proseuchomenos“ ist wörtlich mit "ich betete gerade zur neunten / die neunte“ zu übersetzen. Die Ordinalzahl "neunte“ ("enatên“) kann sich auf die Stunde oder auf das Gebet (proseuchê, also feminin) beziehen. In ersterem Fall wäre "zur neunten Stunde“ gemeint, in letzterem Fall "das neunte Gebet“, also "das Gebet zur neunten Stunde“. "Zur neunten Stunde“ würde die Zeitangabe "um diese Stunde“ präzisieren, "das Gebet zur neunten Stunde“ konkretisieren, welches Gebet Kornelius "um diese Stunde“ gebetet hatte. Für welche Deutung man sich auch entscheidet, in jedem Fall sind Petrus und − so ist anzunehmen - die ihn begleitenden "Brüder“ und Gesandten des Kornelius zur neunten Stunde, also gegen 15 Uhr, am Hause des Kornelius angekommen.
Aus V. 30 geht hervor, dass Kornelius in seinem Hause gebetet hatte und ihm dort der Engel erschienen war. V. 3 hat offen gelassen, in welchem Gebäude sich das Geschehen abgespielt hatte.
Verschiedene Textzeugen gehen davon aus, dass Kornelius nicht nur gebetet, sondern auch gefastet hat, wobei vermutlich an Bußfasten und/oder Taufvorbereitung gedacht ist. Der Codex Bezae Cantabrigiensis korrigiert darüber hinaus die Zählung der Tage und ändert "vierte“ zu "dritte“ um. Folgende Zeitdauer lässt sich rekonstruieren: Am ersten Tag betete Kornelius zur neunten Stunde und es erschien ihm der Engel Gottes (vgl. V. 3). Vermutlich noch am gleichen Tag sandte er auf Geheiß des Engels drei Männer zu Petrus nach Joppe (vgl. V. 8). In Joppe kamen die Männer erst am folgenden Tag an, und zwar bald nach der sechsten Stunde (V. 9.17). Petrus nahm die Männer über Nacht als Gäste in das Haus des Gerbers Simon auf (vgl. V. 23a). Erst am nächsten, also am dritten Tage brachen Petrus, die "Brüder“ und die von Kornelius gesandten drei Männer nach Cäsarea auf (vgl. V. 23b), wo sie erst am folgenden Tag, dem vierten Tag um die neunte Stunde ankamen (vgl. V. 24.30). Die Gesamtheit der Ereignisse spielte sich also über einen Zeitraum von vier Tagen ab. Auf drei Tage kommt man nur dann, wenn man beim Zurückrechnen den Tag der in V. 24-30 geschilderten Ereignisse nicht mitzählt. Der "dritte Tag“ wäre demnach der dritte Tag vor den in V. 24-30 geschilderten Ereignissen.
Die Formulierung "Mann…in glänzendem Gewand“ gibt das wieder, was Kornelius sehen konnte. Dass es sich um einen Engel handelte, konnte er nicht sehen, sondern war eine Sache der Deutung des Geschehens. Der Glanz der Kleider dürfte auf die Herkunft des Engels von Gott verweisen, denn gemäß V. 3 handelte es sich um einen Engel Gottes. Gott wird also mit Licht in Verbindung gebracht.
Weiterführende Literatur: R. D. Witherup 1993, 45-66 befasst sich mit "functional redundancy“ in der Kornelius-Erzählung (10,1-11,18). "Functional redundancy“ sei eine Erzähltechnik, die sich der Wiederholung und der Variation durch Hinzufügung, Kürzung, Änderung der Reihenfolge, grammatische Umwandlung und Ersetzung bediene. Auf diese Weise solle eine vollständige und eindeutige Erfassung der Aussage eines Textes bewirkt werden. So lasse sich die viermalige Erzählung der Vision des Kornelius (vgl. 10,1-8.22.30-33; 11,11-14) und die zweimalige Erzählung der Vision des Petrus (vgl. 10,9-16; 11,5-10) erklären.
Zu den Parallelen zwischen der Apg und Homers Ilias siehe D. R. MacDonald 2003, der auf S. 19-65 auf die Parallelen zwischen Apg 10,1-11,18 und Ilias 2 zu sprechen kommt: Kornelius' Vision Apg 10,1-18 stelle eine Parallele zu Agamemnons Traum Ilias 2,16-47 dar, die Versammlung in Cäsarea Apg 10,23b-48 zur Versammlung der Ältesten Ilias 2,48-83, die Versammlung in Jerusalem Apg 11,1-18 zur Heeresversammlung Ilias 2,84-335. Die Vision des Petrus 10,9-16 stelle zwar eine Parallele zum Omen von Aulis Ilias 2,301-335 dar, jedoch werde dieses Omen erst neun Jahre nach seinem Eintreten in einem Rückblick des Odysseus erwähnt. Die beste Erklärung für die Parallelen sei Nachahmung. D. Zoroddu 2009, 563-603 knüpft an die Untersuchung von D. R. MacDonald an, geht jedoch über den Aspekt der Nachahmung hinaus, indem sie sich traditionsgeschichtlichen Aspekten widmet. Die Anspielungen auf Homers Ilias seien nicht nur als literarischer Kniff zu verstehen, sondern hätten auch theologische Bedeutung: Fortsetzung und Erfüllung.
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Beobachtungen: V. 31 gibt in anderen Worten V. 4 wieder. Dabei ist in V. 31 statt von mehreren Gebeten nur von einem Gebet die Rede. Entweder ist die Gesamtheit der Gebete des Kornelius gemeint oder der Verfasser der Apg denkt konkret an das Gebet zur neunten Stunde an dem Tag, als der Engel erschienen war. Dass dem Wechsel von der Mehrzahl zur Einzahl Bedeutung zukommt, ist nicht zu erkennen, zumal der Inhalt des Gebets nicht zur Sprache kommt.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: V. 32 gibt in leicht abgewandelter, gekürzter Form den Inhalt des Auftrags V.5-6 wieder. Dass es Männer sind, die Kornelius senden soll, wird in V. 32 im Gegensatz zu V. 5 nicht gesagt, doch ist dies dem Leser inzwischen bekannt, zumal die gesandten Männer inzwischen den Auftrag ausgeführt haben.
Dass sich in V. 32 das Verb "metakaleomai“ ("holen lassen“) findet, nicht aber wie in V. 5 das Verb "metapempomai“ ("holen lassen“), dürfte inhaltlich nicht weiter bedeutsam, sondern stilistisch zu begründen sein: Der Verfasser der Apg zeigt sich bei der Wortwahl flexibel und drückt den gleichen Sachverhalt nur etwas anders aus.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Kornelius sah das Geschehen durch Aufträge Gottes gelenkt, obwohl er nur den Auftrag kannte, den er vier Tagen zuvor vom Engel Gottes bekommen hatte. Dieser Auftrag war in dem Augenblick erfüllt, als Petrus die Tür zum Haus des Kornelius hereinkam. Woher wusste Kornelius aber, dass Petrus etwas vom "Herrn“ aufgetragen war? Hat er dies daraus geschlossen, dass der Engel, den er als solchen erkannt hatte (vgl. V. 22), ihn damit beauftragt hatte, Petrus holen zu lassen? Vermutete er einen göttlichen Plan und hieß deshalb das Kommen des Petrus gut und verwies darauf, dass sich das Geschehen vor Gott abspielte? So konnte Gott bezeugt werden, dass alles nach Plan ablief. Wahrscheinlich erwartete Kornelius nun, von Petrus mehr zum Plan Gottes zu hören. Diese Erwartung mutet aber insofern merkwürdig an, als Petrus ja selbst noch nicht eingeweiht war und eben noch gefragt hatte, warum Kornelius ihn hatte holen lassen. Seine Ahnung von einem göttlichen Plan hatte Petrus ausschließlich von der Offenbarung vom Himmel (vgl. V. 9-16) und deren Deutung (vgl. V. 28) sowie von den Worten der von Kornelius gesandten Männer (vgl. V. 22). Aufgrund der Ahnung war er ohne Widerspruch den von Kornelius gesandten Männern nach Cäsarea gefolgt.
Die Erwartung des Kornelius, all das von Petrus zu hören, was ihm vom Herrn − gemeint ist Gott oder Jesus Christus - aufgetragen worden ist, leitet zum Abschnitt V. 34-43 über. Dieser Abschnitt enthält die Rede des Petrus.
Weiterführende Literatur:
Literaturübersicht
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Arterbury, Andrew E.; The Ancient Custom of Hospitality, the Greek Novels and Acts 10:1- 11:18, PRSt 29/1 (2002), 53-72
Barbi, Augusto; Cornelio (At 10,1-11,18): percorsi per una piene integrazione dei pagani nella chiesa, RicStBib 8/1-2 (1996), 277-295
Elliott, John H.; Household Meals vs. Temple Purity: Replication Patterns in Luke-Acts, BTB 21/3 (1991), 102-108
Gaventa, Beverly Roberts; From Darkness to Light: Aspects of Conversion in the New Testament (Overtures to Biblical Theology 20), Philadelphia, Pennsylvania 1986
House, Colin; Defilement by Association: Some Insights from the Usage of KOINOS/KOINOÔ in Acts 10 and 11, AUSS 21/2 (1983), 143-153
Kilgallen, John J.; Clean, Acceptable, Saved: Acts 10, ET 109/10 (1998), 301-302
MacDonald, Dennis R.; Does the New Testament Imitate Homer? Four cases from the Acts of the Apostles, London 2003
Miller, Chris A.; Did Peter’s Vision in Acts 10 Pertain to Men or the Menu?, BS 159/3 (2002), 302-317
Pesch, Rudolf; Das Jerusalemer Abkommen und die Lösung des Antiochenischen Konflikts. Ein Versuch über Gal 2, Apg 10,1-11,18, Apg 11,27-30; 12,25 und Apg 15,1-41, in: P.-G. Müller [Hrsg.], Kontinuität und Einheit, FS F. Mußner, Freiburg i. Br. 1981, 105-122
Scholz, Daniel J.; "Rise, Peter, kill and eat.“ Eating Unclean Food and Dining with Unclean People in Acts 10:1-11:18, Proceedings EGL&MWBS 22 (2002), 47-61
Wahlen, Clinton; Peter’s Vision and Conflicting Definitions of Purity, NTS 51/4 (2005), 505- 518
Witherup, Ronald D.; Cornelius Over and Over and Over Again: “Functional Redundancy” in the Acts of the Apostles, JSNT 49 (1993), 45-66
Zoroddu, Donatella; Does the New Testament imitate Homer?, Athenaeum (Pavia), 97 (2009), 563-603