Kol 1,3-8
Übersetzung
Kol 1,3-8 : 3 Wir danken (dem) Gott, [dem] Vater unseres Herrn Jesus Christus, allezeit, wenn wir für euch beten. 4 Denn wir haben von eurem Glauben in Christus Jesus gehört und von der Liebe, die ihr zu allen Heiligen habt 5 wegen der Hoffnung, die für euch in den Himmeln bereitliegt. Von ihr habt ihr bereits durch das Wort der Wahrheit des Evangeliums gehört, 6 das bei euch angekommen ist. Wie in der ganzen Welt, so trägt es auch bei euch Frucht und wächst seit dem Tag, an dem ihr die Gnade (des) Gottes in Wahrheit vernommen und erkannt habt. 7 So habt ihr es von Epaphras, unserem geliebten Mitsklaven, gelernt, der für euch ein treuer Diener (des) Christi ist. 8 Er hat uns auch eure Liebe im Geist kundgetan.
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Beobachtungen: Der Dank spielt im Kolosserbrief eine ganz zentrale Rolle, wie die Vielzahl Stellen (1,3.12; 2,7; 3,15-17; 4,2) zeigt, an denen von ihm die Rede ist. Der Grund des in 1,3 erwähnten Danks wird in den V. 4-6 genannt.
Der Verfasser des Kolosserbriefes bezeichnet Jesus Christus als „Herrn“, wobei Gott dessen Vater ist. Daraus ist zu folgern, dass er, wenn er im Kolosserbrief vom „Herrn“ spricht, Jesus Christus meint. Ein Bezug auf Gott Vater kommt nur dann in Frage, wenn er eine vorchristliche Tradition aufgreift oder aus der hebräischen Bibel, unserem heutigen Alten Testament, zitiert, denn die im antiken hellenistischen Judentum maßgebliche griechische Übersetzung der hebräischen Bibel, die Septuaginta, setzt statt der Gottesbezeichnung JHWH den Titel „Kyrios“ (= „Herr“). Sofern der Verfasser des Kolosserbriefes nicht Paulus ist, ist auch möglich, dass er eine Passage aus einem echten Paulusbrief und damit auch den dortigen Bezug des Titels "Herr" übernimmt.
Der Titel „Herr“ gibt ein Herrschaftsverhältnis an: Der „Herr“ herrscht über seine Diener/Sklaven, die ihm bedingungslos zu dienen haben. Im Römischen Reich galt der Sklave als Sache. Der „Herr“ konnte also am Sklaven Willkür walten lassen. Allerdings erscheint Jesus Christus (oder: Gott) nicht als ein willkürlicher „Herr“, sondern vielmehr als einer, der seinen Sklaven für ihren Dienst Heil zukommen lässt. Der Sklave/Diener Jesu Christi (oder: Gottes) gehört also zu den sozial privilegierten Sklaven/Dienern. Der Aspekt der Gegenseitigkeit, wie er für das römische Klientelverhältnis typisch ist, spielt eine entscheidende Rolle: Der „Herr“ übt über seine Untergebenen (= Klienten) Macht aus, ist zugleich aber deren Schutzherr. Die Untergebenen wiederum sind dem „Herrn“ dafür zum Dienst verpflichtet. Die Christen befinden sich demnach also in der machtvollen Heilssphäre Jesu Christi, dem sie untergeben sind und dienen.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: "In Christus Jesus" gibt einen Macht- und Heilsbereich an, und zwar handelt es sich um den Macht- und Heilsbereich Jesu Christi (= Christi Jesu). Es ist also nicht nur ausgesagt, dass die Kolosser an Jesus Christus glauben, sondern auch, dass sie sich aufgrund des Glaubens an Jesus Christus, also an den Heilsbringer Jesus, in dessen Macht- und Heilsbereich befinden.
Die Liebe ist nicht profaner Art, also einfach nur eine Sympathie füreinander oder gar eine romantische Liebe, sondern geistlicher Art. Darauf weist zum einen hin, dass die Kolosser sie nicht zu allen Menschen gleichermaßen haben, sondern nur zu den "Heiligen", womit hier die Christen gemeint sind. Es handelt sich also um eine Nächstenliebe im Rahmen der christlichen Glaubensgemeinschaft. Zum anderen weist darauf hin, dass die Liebe in einer Glaubenshoffnung gründet. Wie es mit der Nächstenliebe der Kolosser gegenüber Nichtchristen bestellt ist, kommt hier nicht in den Blick.
Weiterführende Literatur: M. M. Sokupa 2008, 145-158 befasst sich mit heiligen Personen und Heiligkeit im Kolosserbrief. Der häufige Gebrauch der adjektivischen Form des Wortes "hagios" ("heilig"; "Heiliger") in Kol 1 sei bedeutsam für die Deutung des Kol. Ihm komme im Zusammenhang des Themas "in Christus" hinsichtlich des nächsten Kapitels eine besondere Bedeutung zu. Dort werde vor Philosophen, die aufgrund ihres verzerrten Christusbildes eine abweichende Vorstellung von Heiligkeit hätten, gewarnt.
Mit dem christlichen Leben bei den Kolossern, wie es in Kol 1,3-11 dargestellt wird, befasst sich Z. Kiernikowski 1985, 63-79.191-228. Dieses christliche Leben, das als Werk Gottes erscheine, befinde sich teilweise schon in der Umsetzung, sei dabei aber auf die vollständige Erfüllung ausgerichtet.
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Beobachtungen: Die "Hoffnung" wird nicht genauer bestimmt. Es wird nur deutlich, dass sie Bestandteil des "Wortes der Wahrheit des Evangeliums" ist, das zu den Kolossern gekommen und von diesen angenommen worden ist. In V. 5 liegt das Gewicht auf der Hoffnung (im Sinne von: auf dem Erhofften) an sich, nicht darauf, wie das Erhoffte beschaffen ist. Hoffnung bezieht sich auf etwas Positives, auf Heil. Dieses Heil hat sich für die Kolosser noch nicht verwirklicht. So besteht auch noch keine vollständige Gewissheit, dass das Heil eintreten wird. "In Christus" ist dieses Heil jedoch verheißen und dessen Eintreten sehr wahrscheinlich. Es liegt für die gläubigen Kolosser "in den Himmeln" ähnlich einem für sie vorgesehenen Geschenk bereit.
Der Plural „Himmeln“ lässt auf den Himmel als einen Ort schließen, der aus verschiedenen Sphären besteht. Allerdings ist der Plural nicht überzubewerten, weil Paulus den Plural "Himmel" im Wechsel mit dem Singular „Himmel“ benutzt (in besonders enger Abfolge in 2 Kor 5,1-2). Eine dogmatisch ausgefeilte Himmelsvorstellung scheint Paulus nicht zu haben. Auch für den Fall, dass der Kolosserbrief nicht von Paulus selbst, sondern von einem (oder mehreren) seiner Schüler verfasst worden ist, dürfte diese Beobachtung maßgeblich sein.
Bei dem "Wort" handelt es sich nicht um ein einzelnes Wort, sondern um das gesprochene oder geschriebene Wort, also um Rede oder um einen geschriebenen Text (insbesondere Brief). Gemeint ist die Verkündigung des Evangeliums, die in mündlichen oder schriftlichen Worten erfolgt.
Das Evangelium ist "Wahrheit", also keine von Menschen ersonnene philosophische Theorie oder Weltanschauung, die man diskutieren könnte, und auch kein Gerücht. Möglich ist, dass auch die Bedeutung der Formulierung in Gal 2,5 mitschwingt: die Befreiung von der Verpflichtung zur Beschneidung und zum Halten der Satzungen und Gebote, die daraus resultiert, dass das mit Jesus Christus verbundene Heilsgeschehen gleichermaßen Heiden und Christen betrifft.
Der Begriff "Wahrheit" nimmt im Kol eine zentrale Stellung ein. Er taucht sowohl in 1,5-6.25-27 als auch in 2,8-9.12-13 auf.
Die Formulierung "das Wort der Wahrheit des Evangeliums" stellt eine für den Kolosserbrief charakteristische Häufung von Genitivverbindungen dar. Eine solche findet sich auch in Kol 1,13.27; 2,2.12.
Weiterführende Literatur: Im Rahmen ihres Aufsatzes zum Proömium im Kol geht A. Standhartinger 2009, 1-22 insbesondere auch auf den ihrer Meinung nach bisher wenig beachteten imperialen Hintergrund der Formulierung "wegen der Hoffnung, die für euch in den Himmeln bereitliegt" ein. Sie merkt an, dass H. O. Maier 2005, 323-349.385-406 neuerdings auf die imperiale Sprache und Vorstellungswelt hingewiesen habe, die sich im Kol niederschlage. Diese finde er im Lobpreis der universalen Versöhnung und Friedensstiftung (vgl. 1,15-23). Kol 1,5-6 spiegele laut A. Standhartinger ebenfalls eine Sprache, die sich in Texten aus dem Kaiserkult des 1. Jh.s n. Chr. finden lasse. Insbesondere stellt sie die Inschrift aus Priene heraus, die den Beschluss des Koinon Asias über die Verlegung des Jahresanfangs auf den Geburtstag des Augustus referiere. In diesem Beschluss seien die Begriffe "elpis" ("Hoffnung") und "euangelion" ("Evangelium"; "frohe Botschaft") miteinander verknüpft. Kaiser Augustus werde hier als derjenige gefeiert, der die Hoffnungen aller nicht nur übertroffen hat, sondern auch übertreffen wird. Der Tag seiner Geburt sei der Anfang aller von ihm ausgehenden Evangelien und somit als Anfang der Zeit des Lebens zu bezeichnen. Der Preis der vom Augustus ausgehenden Hoffnung sei kein Einzelfall. Vor dem Hintergrund der imperialen Hoffnungsbotschaften gelesen sei die Rede von der im Evangelium (von Jesus Christus) verkündeten Hoffnung im Kol eine Konkurrenzbotschaft.
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Beobachtungen: "Pareimi" ist zu Beginn von V. 6 wohl in einem doppelten Sinne zu deuten, und zwar im Sinne von "kommen" und von "da sein". Es ist also sowohl an die Mission als solche, die das Evangelium zu (= eis) den Kolossern gebracht hat, als auch an die Folge der Mission zu denken: den Kolossern ist das Evangelium bekannt. Dieser Aspekt der Gegenwärtigkeit geht aus der präsentischen Form des Partizips (parontos) hervor.
"Wie in der ganzen Welt" kann sich sowohl auf das "ankommen" als auch auf das "Frucht bringen" und "wachsen" beziehen. Bei ersterem Bezug wäre die Bedeutung, dass das Evangelium sowohl bei den Kolossern als auch in der ganzen Welt angekommen ist. Die Übersetzung wäre: "Von ihr habt ihr bereits durch das Wort der Wahrheit des Evangeliums gehört, das bei euch ebenso wie in der ganzen Welt angekommen ist." Bei letzterem Bezug wäre die Bedeutung, dass das Evangelium bei den Kolossern ebenso wie in der ganzen Welt Frucht trägt und wächst. Die Übersetzung wäre: "Von ihr habt ihr bereits durch das Wort der Wahrheit des Evangeliums gehört, das bei euch angekommen ist. Wie in der ganzen Welt, so trägt es auch bei euch Frucht und wächst seit dem Tag,...". Die letztere Bedeutung setzt logisch die erstere voraus, denn ohne das Ankommen des Evangeliums kann es nicht Frucht tragen und wachsen. Das ist wohl auch Textschreibern bewusst gewesen, die vor dem "estin karpophoroumenon kai auxanomenon" ("es trägt Frucht und wächst") ein "kai" eingefügt haben. Damit wird "in der ganzen Welt" von "es trägt Frucht und wächst" getrennt und der Beginn eines neuen Satzes markiert. Gerade diese Einfügung lässt aber annehmen, dass sich im ursprünglichen Wortlaut "wie in der ganzen Welt" auf das "Frucht bringen" und "wachsen" bezieht.
"Wie in der ganzen Welt" ist sicherlich nicht wörtlich zu nehmen, denn dem Verfasser des Kol dürfte bewusst sein, dass noch nicht allen Menschen der Erde das Evangelium verkündet worden ist und auch noch nicht alle Menschen zum Glauben an Jesus Christus gekommen sind. Erst recht leben nicht alle Menschen der Erde einen vorbildlichen Glauben. Er will vermutlich vielmehr darauf hinweisen, dass zur Zeit der Abfassung des Briefes der christliche Glaube bereits in die (ganze) Welt hinausgetragen worden und in den verschiedensten Gebieten und Städten der ganzen Welt angenommen worden ist und Frucht trägt. Dabei betrifft die "ganze Welt" nur die ihm bekannte Welt, wobei der Blick insbesondere auf das Römische Reich und darin auf die Osthälfte und insbesondere auf Städte (insbesondere Handelsstädte) fixiert gewesen sein dürfte. Indem der Verfasser der Apg auf die "ganze Welt" verweist, stellt er die Kolosser in ein weltweites Missionsgeschehen.
Das Wachsen des Evangeliums kann quantitativ und qualitativ verstanden werden, d. h. es kann sich auf die wachsende Zahl Menschen beziehen, die zum christlichen Glauben kommen, aber auch auf die Festigung des Glaubens, der ja durch das Evangelium bestimmt wird.
"In Wahrheit" kann sich sowohl auf die "Gnade (des) Gottes" als auch auf "vernommen" und "erkannt" beziehen. Es kann sich also um die "Gnade (des) Gottes in Wahrheit" handeln, aber auch um "in Wahrheit vernommen und erkannt". Da - mit Blick auf V. 5 - statt der Formulierung "die Gnade (des) Gottes in Wahrheit" eher die Formulierung "die Wahrheit der Gnade (des) Gottes" zu erwarten wäre, ist ein Bezug auf "vernommen" und "erkannt" wahrscheinlicher. Das Evangelium samt seines zentralen Inhaltes, der Gnade Gottes, ist Wahrheit; und in dieser Wahrheit wird verkündigt und das Verkündigte vernommen und erkannt.
Zum vielfältigen Gebrauch der Partizipien im exordium 1,3-23 siehe L. Giuliano 2012, 153-172. Das lange Abschnitte umfassende Satzgefüge scheine wohl durchdacht zu sein und werde von den Partizipien, die den Gedankengang vorantrieben, zusammengehalten. Die wiederholte Verwendung von Partizip-Paaren in 1,6.9-10 solle den Aussagen größere Intensität, Klarheit und Wirkungskraft geben.
Weiterführende Literatur: Zum Widerhall von Gen 1,28 in Kol 1,6 siehe C. A. Beetham 2008, 41-59. Paulus habe Gen 1-3 sicherlich gekannt und gelesen. Zwischen Gen 1,28 und Kol 1,6 bestünden Übereinstimmungen bezüglich Wortschatz und Gedankengut. Unklar sei jedoch, mit welcher hermeneutischen Absicht Paulus Gen 1,28 widerhallen lässt: Hat er die gesamte Deutungstradition aufgenommen, so dass ausgesagt ist, dass die Versprechen der Wiederherstellung von Jer 3,16; 23,3 und Ez 36.11 durch das Evangelium Christi umgesetzt werden? Dann wäre das eine Umsetzung der prophetischen Verheißungen. Oder hat Gen 1,28 den paulinischen Text beeinflusst, hat Paulus in den Schöpfungsaussagen ein Vorbild (typos) der neuen Schöpfung gesehen, die nun in Christus zur Verwirklichung kommt? Als dritte Möglichkeit komme auch infrage, dass der Anklang aus rhetorischen Gründen erfolgt ist: Paulus wollte in blumiger Ausdrucksweise das exponentielle Wachstum des Evangeliums über die ganze Erde hinweg herausstellen.
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Beobachtungen: Epaphras wird als "Mitsklave" bezeichnet, d. h. er ist nicht alleine ein Sklave, sondern er ist es mit anderen zusammen. Als weitere Sklaven kommen Paulus, Timotheus (als Mitverfasser des Kolosserbriefes; vgl. 1,1), Tychikus (vgl. 4,7) und/oder die anderen Christen in Kolossä oder sogar alle Christen infrage, je nachdem ob "unserem" als literarischer Plural nur auf Paulus bezogen ist oder als ein Plural im eigentlichen Sinne auf eine Mehrzahl an Personen. Zu dieser Mehrzahl könnten Paulus und Timotheus gehören, die Adressaten des Briefes, also die Christen in Kolossä, samt Paulus, aber auch alle Christen, die ja einer einzigen Glaubensgemeinschaft angehören. Als Sklave muss Epaphras einem Herrn gehören. Doch wer ist der Herr? Es könnte ein Mensch sein, was aber bedeuten würde, dass mindestens Paulus ebenfalls ein Sklave eines menschlichen Herrn ist. Darauf weist aber in seinen Briefen nichts hin, auch nicht in der Apostelgeschichte. Und dass alle Christen in Kolossä oder gar alle Christen Sklaven eines menschlichen Herrn sein sollten, ist äußerst unwahrscheinlich. So ist wahrscheinlicher, dass Gott oder Jesus Christus der Herr ist. Aus verschiedenen Stellen der Paulusbriefe geht hervor, dass sich Paulus als „Sklave Christi“ versteht. Als solcher dient er allein Jesus Christus (vgl. Gal. 1,3 u. ö.). Paulus muss Jesus Christus dienen, wogegen Jesus Christus über das Leben des Paulus verfügen kann. Der Dienst des Paulus und auch des Timotheus, des Epaphras und des Tychikus unterscheidet sich von dem anderer Christen dadurch, dass er insbesondere missionarisch geprägt ist. Insofern kann auch nicht gesagt werden, dass auch alle Christen in Kolossä "Mitsklaven" sind. Zwar haben auch sie gemäß Kol 1,3 Jesus Christus als Herrn, jedoch sind sie sicherlich nicht alle Missionare. Außerdem erscheinen sie in V. 7 nicht als Dienende, sondern als Empfänger eines Dienstes, und zwar des Dienstes des Epaphras.
Epaphras ist ein "geliebter" Mitsklave. Ebenso wie "Mitsklave" vermutlich geistlich zu verstehen ist, ist es auch "geliebt". Es ist also nicht romantische, erotische oder sexuelle Liebe gemeint, sondern Nächstenliebe unter Angehörigen derselben Glaubensgemeinschaft.
Epaphras wird nicht nur in Kol 1,7, sondern auch in Kol 4,12-13 und in Phlm 23 erwähnt. In letzterem Vers wird er als „Mitgefangener“ („synaichmalôtos“) bezeichnet. Er dürfte also das Schicksal des Apostels Paulus in Gefangenschaft teilen. Ob sich Epaphras aber auch zur Zeit der Abfassung des Kolosserbriefes in Gefangenschaft befindet, ist fraglich. Dafür spricht, dass Epaphras den Brief an die Kolosser nicht selbst überbracht hat, was angesichts seiner besonderen Beziehung zu den Kolossern naheliegend gewesen wäre. Allerdings kann es auch andere Gründe geben, die eine persönliche Übergabe verhindert haben. Außerdem wird Epaphras im Kol nirgends als "Gefangener" oder "Mitgefangener" bezeichnet.
„Epaphras“ kann die Kurzform des Namens „Epaphroditus“ sein. Von einem Gesandten der Gemeinde in Philippi namens Epaphroditus ist in Phil 2,25-30 die Rede, doch gibt es keinen Hinweis darauf, dass es sich bei diesem Epaphroditus und dem in Phlm 23, Kol 1,7 und Kol 4,12-13 erwähnten Epaphras um dieselbe Person handelt.
In V. 7 ist "pistos" ("treu/zuverlässig/gläubig") wohl nicht auf den Glauben, sondern auf die missionarische Tätigkeit des Epaphras zu beziehen. Das heißt, dass Epaphras ein treuer - d. h. zuverlässiger - Diener Christi ist. Als Diener Christi ist er natürlich auch gläubig.
Eine gut bezeugte Textvariante bietet "hyper hêmôn" ("für uns") statt "hyper hymôn" ("für euch"). "Für uns" ist dabei vermutlich im Sinne von "an unserer Stelle" zu deuten. Demnach wäre Epaphras an Paulus' Stelle ein treuer Diener Christi. Es ist fraglich, welche Textfassung die ursprüngliche ist. Die Textfassung "hyper hêmôn" ("für uns") kann eine Anpassung an die vorhergehende Formulierung "unserem (hêmôn) geliebten Mitsklaven" sein. Umgekehrt ist aber auch möglich, dass die Textfassung "hyper hymôn" ("für euch") eine Anpassung an die Tatsache darstellt, dass Epaphras den Kolossern einen missionarischen Dienst geleistet hat: Dadurch, dass Epaphras die Adressaten das Evangelium gelehrt hat, sind sie mit der Heilsbotschaft - dabei konkret mit der Gnade Gottes - vertraut gemacht worden. Und dadurch, dass die Adressaten die Gnade Gottes erkannt und gläubig angenommen haben, bekommen sie an der verheißenen Gnade Gottes Anteil.
Sofern "für uns" tatsächlich im Sinne von "an unserer Stelle" zu deuten und ursprünglich ist, stellt sich die Frage nach dem Grund, warum der Verfasser des Kol eines Stellvertreters bedarf. Hat er es zeitlich nicht geschafft, nach Kolossä zu kommen? Oder ist er krank geworden? Oder ist er in Gefangenschaft geraten? Auch würde sich die Frage stellen, ob auch Timotheus verhindert war und ebenso durch Epaphras vertreten werden musste. Sollte tatsächlich Paulus selbst der Verfasser des Kol sein, dann ist daran zu denken, dass er sich ebenso wie bei der Abfassung des Philemonbriefes in Gefangenschaft befand (vgl. Phlm 1,1.9-10.13.23). Sofern es sich um dieselbe Gefangenschaft handelt, wäre vermutlich auch der Abfassungsort derselbe.
Ob Epaphras die Gemeinde gegründet hat oder in der Gemeindeleitung tätig ist, bleibt offen. Ausdrücklich gesagt wird dies nicht.
Weiterführende Literatur: Zum Bild von der Gemeinschaft der Gläubigen als einer "Hausgemeinschaft" ("oikos") mit Gott als pater familias an der Spitze siehe B. Heininger 2009, 57-64, der insbesondere auf die Hausverwaltung Gottes (oikonomia tou theou) und die Begriffe "Mitsklave" ("syndoulos") und "Diener" ("diakonos") im NT eingeht.
Zur Bedeutung von "Sklave Christi" im NT siehe ausführlich M. J. Harris 1999, 139-156. Auf S. 177-179 geht er auf die enge Beziehung zwischen den beiden Begriffen "doulos" ("Sklave") und "diakonos" ("Diener") ein. Alle Sklaven seien Diener, aber nicht alle Diener Sklaven. "Diakonos" sei also der weiter gefasste Begriff. Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen den beiden Begriffen sei, dass der Diener seinen Dienst im Rahmen eines ausgehandelten Vertrages versehe, wogegen sowohl die Arbeit als auch die Person des Sklaven jemand anderem gehöre. Der Begriff "diakonos" weise also auf einen höheren Status hin.
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Beobachtungen: Mit der "Liebe" ist wahrscheinlich die in V. 4 erwähnte "Liebe, die ihr zu allen Heiligen habt" gemeint. Die Liebe erfolgt "im Geist", wobei der heilige Geist gemeint sein dürfte. Der heilige Geist entfaltet also auf die Menschen, die sich (aufgrund des christlichen Glaubens) in seinem Wirkungsbereich befinden, eine Wirkkraft. Hier ist die Liebe genannt, die bewirkt wird.
Weiterführende Literatur:
Literaturübersicht
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Beetham, Christopher A.; Echoes of Scripture in the Letter of Paul to the Colossians (BIS 96), Leiden 2008
Giuliano, Leonardo; Il participio nell'exordium di Col 1,3-23: valore sintattico e funzione retorica, LA 62 (2012), 153-172
Harris, Murray J.; Slave of Christ: A New Testament Metaphor for Total Devotion to Christ (NSBT 8), Downers Grove, Illinois 1999
Heininger, Bernhard; Soziale und politische Metaphorik im Kolosserbrief, in: P. Müller [Hrsg.], Kolosser-Studien (BThSt 103), Neukirchen-Vluyn 2009, 55-82
Kiernikowski, Zbigniew; Identità e dinamismo della vita cristiana secondo Col 1,3-11, RivBib 33,1-2 (1985), 63-79.191-228
Maier, Harry O.; A Sly Civility: Colossians and Empire, JSNT 27/3 (2005), 323-349
Maier, Harry O.; Barbarians, Scythians and Imperial Iconography in the Epistle to the Colossians, in: A. Weissenrieder et al. [eds.], Picturing the New Testament. Studies in Ancient Visual Images (WUNT II/193), Tübingen 2005, 385-406
Sokupa, Mxolisi Michael; Holy Persons and Holiness in Colossians, JAAS 11/2 (2008), 145-158
Standhartinger, Angela; "...wegen der Hoffnung, die für euch im Himmel bereitliegt" (Kol 1,5). Zum Prooemium im Kolosserbrief und seinem politischen Hintergrund, in: P. Müller [Hrsg.], Kolosser-Studien (BThSt 103), Neukirchen-Vluyn 2009, 1-22