Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Kolosserbrief

Der Brief des Paulus an die Kolosser

Kol 1,21-23

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

Wenn Sie diese Bibliographie zum ersten Mal nutzen, lesen Sie bitte die Hinweise zum Gebrauch.

Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Kol 1,21-23



Übersetzung


Kol 1,21-23 : 21 Auch euch, die ihr einst Fremde wart und feindlich gesinnt in (den) bösen Werken, 22 hat er nun im Leib seines Fleisches, durch den Tod, versöhnt, um euch heilig, (und) makellos und untadelig vor sich hintreten zu lassen. 23 Doch müsst ihr im Glauben bleiben, fest (und) verwurzelt, und dürft euch nicht von der Hoffnung des Evangeliums abbringen lassen. Ihr habt es gehört, [und] es ist in der ganzen Schöpfung (, die) unter dem Himmel (ist,) verkündigt worden. Ich, Paulus, bin sein Diener geworden.



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V. 21


Beobachtungen: In V. 21-23 bezieht der Verfasser des Kol den Inhalt des Hymnus V. 10-15 auf die Adressaten des Briefes. Dabei stellt er das Heil heraus, das Jesus Christus für sie bewirkt hat, macht aber deutlich, dass sie im rechten christlichen Glauben bleiben müssen und sich nicht abbringen lassen dürfen.


Die Präposition "kai" kann sowohl mit "und" als auch mit "auch" übersetzt werden. Bei ersterer Übersetzung würden die V. 21-23 nur an V. 15-20 angeschlossen und die Konsequenzen des Inhaltes des Hymnus für die Christen in Kolossä verdeutlicht. Bei letzterer Übersetzung würden die Christen in Kolossä in die Gemeinschaft all derer Menschen gestellt, die bereits einen Existenzwandel durchlebt haben. Es würde ausgesagt, dass auch für die Christen in Kolossä gilt, was für all diese anderen Menschen gilt. In V. 21 ergeben beide Übersetzungen Sinn und es ist wohl an beide Bedeutungen zugleich gedacht.


Das Verb "apallotrioô" bedeutet "entfremden" oder "ausschließen", im Passiv "fremd werden". In V. 21 handelt es sich um ein Passiv in der Zeitform Perfekt. Die Adressaten waren also "fremd geworden" oder "entfremdet". Das Passiv könnte beinhalten, dass sie von irgendjemandem entfremdet worden sind. Allerdings wird nicht gesagt, wer dies gewesen sein könnte. Vielmehr scheint vorausgesetzt zu werden, dass die Entfremdung in der Gesinnung der Adressaten begründet liegt, wobei nicht klar ist, ob die Gesinnung selbst von den Adressaten zu verantworten war, oder ob irgendein Wesen die Gesinnung negativ beeinflusst hat. Zusätzlich zu diesen Unklarheiten ist anzumerken, dass in der deutschen Sprache das Verb "entfremden" voraussetzt, dass die Adressaten vor der Entfremdung "heimisch", d. h. rechtgläubig waren. Dann wären sie vom christlichen Glauben abgefallen, bevor sie sich wieder diesem zugewandt hätten. Darauf gibt es aber keinen Hinweis und das ist auch sehr unwahrscheinlich. Aus diesen Überlegungen ist zu schlussfolgern, dass das Partizip Perfekt "apêllotriômenous" einen dauerhaften Zustand der Adressaten vor der Bekehrung zum christlichen Glauben meint und mit "ihr wart fremd" oder "ihr wart Fremde" zu übersetzen ist.

Wem oder welcher Sache gegenüber die Adressaten fremd waren, wird nicht gesagt. Es ist an Gott oder Jesus Christus, seinen Sohn, aber auch an den christlichen Glauben oder die Kirche zu denken.


Die frühere Gesinnung der Adressaten wird vom Verfasser als "feindlich" bezeichnet. Das macht deutlich, dass sie nicht nur unwissend waren und vom christlichen Glauben nichts gewusst hätten, sondern dass sie sich dem christlichen Glauben und vielleicht auch den Missionaren und/oder Gläubigen gegenüber feindlich verhalten haben.


Es bleibt offen, welche "bösen Werke" die Adressaten getan haben. Überhaupt ist nicht gesagt, dass sie wirklich "böse Werke" getan haben. Es ist durchaus möglich, dass der Verfasser des Kol die frühere Zeit bewusst schwarz malt, um das mit Jesus Christus in das Leben der Adressaten getretene Licht des Heils umso heller erstrahlen zu lassen. "Böse Werke" würde dann nichts weiter bedeuten als "Werke im heidnischen Glauben". Diese müssen unter ethischen Gesichtspunkten nicht unbedingt "böse" gewesen sein. In diesem Lichte betrachtet ist auch nicht gesagt, dass sich die Adressaten tatsächlich dem christlichen Glauben, den Missionaren und/oder Gläubigen gegenüber feindlich verhalten haben. Auch hier kann eine Überspitzung vorliegen.


Weiterführende Literatur: H. O. Maier 2005, 323-349 spürt Vokabular, Motiven und theologischen Themen im Kol nach, die der Sprache des römischen Kaiserkults entspringen. So entspreche der Christus, das Haupt des Leibes, der Kirche, dem Kaiser, dem Haupt des Leibes, des Reiches. Im Gegensatz zum römischen Kaiser sei bei Christus nicht militärische Herrschaft über besiegte (= "befriedete") Feinde maßgeblich, sondern den gesamten Kosmos versöhnende Selbsthingabe im Kreuzestod, die aus Feinden Freunde mache.


Zur Eschatologie im Kol siehe H. Lona 1984, 83-240, der sich auf S. 84-120 mit dem Zeitverständnis und mit der Offenbarung des Mysteriums nach Kol 1,24-29 befasst. Die Ähnlichkeiten im Zeitverständnis zwischen dem "einst-jetzt" und dem Revelationsschema seien leicht zu erkennen. Beiden sei die Kontraststruktur gemeinsam. Danach würden Vergangenheit und Gegenwart mit entsprechender Bewertung einander gegenübergestellt. Die Vergangenheit gelte als die Zeit der Entfremdung, der Verborgenheit des Mysteriums, die Gegenwart hingegen als die Zeit der Verwirklichung des Heils, der Offenbarung des Mysteriums. Die Verwendung dieser Schemata ziele jeweils auf eine Hervorhebung der Gegenwart. Eine weitere Gemeinsamkeit bestehe in der pragmatischen Bezogenheit. Der Rückblick auf die Vergangenheit wolle kein "historisches" Wissen vermitteln. Dazu wäre er viel zu einfach und zu pauschal. Die Gegenwart werde aus einer einzigen Perspektive gesehen: die Wirklichkeit der Versöhnung, die Offenbarung des Mysteriums. Von dort aus werde die Gegenwart qualifiziert.


R. Penna 2009, 101-114 liest Eph 2,19 und auch Kol 1,21 im Lichte des Gleichnisses vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32): Der Sohn des Vaters ist im fernen, fremden Land seinem Zuhause ein Fremder geworden. Bei seiner Rückkehr wird der Sohn aber von seinem Vater mit offenen Armen empfangen und wieder vollständig in sein Zuhause eingegliedert, wobei der Vater ein großes Fest gibt. Die christliche Existenz nach der Taufe lasse an dieses Fest denken, denn die Christen seien aufgrund der Gnade Gott Vaters keine Fremden mehr und auch nicht bloße Gäste, sondern sie genössen vom Diesseits an vollständigen Zugang zum Leben Gottes.


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V. 22


Beobachtungen: Neben der vermutlich ursprünglichen Verbform "apokatêllaxen" ("hat er versöhnt") finden sich Varianten: "apokatêllagête" ("ihr seid versöhnt worden"), "apokatalgête" (möglicherweise eine Variante von "apokatallagentes", "ihr seid versöhnt worden") und "apokatêllaktai" ("hat er versöhnt"). Die Varianten lassen sich leicht erklären: So kann "Kai hymas ..." zu Beginn von V. 21 statt mit "Auch euch ..." auch mit "Auch ihr ..." übersetzt werden. Bei der letzteren Übersetzung liegt die Verwendung des Passivs "apokatêllagête" ("ihr seid versöhnt worden") in V. 22 durchaus nahe. Die Übersetzung lautet dann: "21 Auch ihr, die ihr einst Fremde wart und feindlich gesinnt in (den) bösen Werken, 22 seid nun versöhnt worden im Leib seines Fleisches, ...". Das Perfekt "apokatêllaktai" ("hat er versöhnt") lässt sich dagegen als eine Betonung der Bedeutung der Versöhnung für die Gegenwart verstehen, die der Aorist "apokatêllaxen" ("hat er versöhnt") nicht ausdrückt.


Was bedeutet in V. 22 die Präposition "en"? Gewöhnlich ist sie mit "durch" oder "in" zu übersetzen. Die Bedeutung "durch" scheint zunächst einmal mehr Sinn zu ergeben: "... hat er nun versöhnt durch den Leib seines Fleisches". Allerdings findet sich für die Bedeutung "durch" in V. 22 eine andere Präposition: "dia". So heißt es: "durch den Tod". Es ist möglich, dass hier nur deswegen "dia" statt "en" gewählt wurde, um eine mehrfache Wiederholung - in Kol 1 findet sich die Präposition "en" an vielen Stellen - zu vermeiden. Allerdings wäre dann auch schon in den vorhergehenden Versen ein stärkerer Wechsel der Präpositionen zu erwarten gewesen. Und schließlich lässt auch ein Blick auf die parallele Verwendung der Präpositionen in V. 16 annehmen, dass "en" und "dia" in V. 22 eine ähnliche, aber doch verschiedene Bedeutung haben.

Was bedeutet "... hat er nun versöhnt im Leib seines Fleisches"? Zunächst einmal weist die Präposition "in" auf einen Raum hin, in dem etwas geschieht. Über diesen räumlichen Aspekt hinausgehend ist aber auch davon auszugehen, dass ein Macht- und Wirkungsbereich ausgesagt ist. Wenn also alles "im Leib seines Fleisches" versöhnt wurde, dann stellt der "Leib seines Fleisches" einen Wirkungsbereich dar, und zwar den Bereich, in dem Versöhnung bewirkt wurde.


Der "Leib seines Fleisches" ist nicht mit einem kosmischen Leib oder mit der Kirche als Leib (vgl. 1,18) zu verwechseln. Es handelt sich um einen Leib aus Fleisch und Blut, wobei dem Fleisch und Blut Christi heilsame Wirkung zukommt (vgl. 1,20). Jesus Christus ist also ein Mensch von Leib und Blut geworden und hat an seinem Leibe gelitten und ist wahrhaftig gestorben (und von den Toten auferstanden). Gemäß V. 22 hat letztendlich der Tod Jesu die Versöhnung bewirkt.

Die Genitivverbindung "Leib seines Fleisches" dürfte eine sprachliche Eigenheit des Verfassers des Kol sein und "sein fleischlicher Leib" bedeuten. In den paulinischen Briefen hat der Begriff "sarx" ("Fleisch") verschiedentlich eine negative Bedeutung und wird mit Vergänglichkeit und leiblichen Begierden in Verbindung gebracht (vgl. 1 Kor 15,50; Röm 13,14 u. a.). In Kol 1,22 ist eine solche negative Bedeutung nicht zu erkennen.


Die drei Adjektive "hagios", "amômos" und "anenklêtos" meinen allesamt "untadelig", geben jedoch ganz bestimmte Aspekte wieder: "Hagios" ist ein religiöser Begriff und sagt aus, dass jemand "heilig" und damit Gott, dem Heiligen, gemäß ist. Das Adjektiv "amômos" entstammt der Welt des Kults und sagt aus, dass ein Opfer "makellos" ist. Und das Adjektiv "anenklêtos" schließlich entstammt Rechtssprache und besagt, dass gegen jemanden kein Anklagepunkt vorliegt, also jemand "untadelig" ist.


Weiterführende Literatur: Im Kol werde gemäß A. de Oliveira 1999, 72-103 hervorgehoben, was sich in den unumstrittenen Paulusbriefen durchgängig auspräge: "die Bindung des Christen an Christus, durch die Christus zum Mittelpunkt des christlichen Lebens wird". Im Kol sei nicht nur der Inhalt, sondern auch die literarische und rhetorische Disposition des Briefes davon bestimmt. Durch die Passagen, die mit einem bis dahin unbekannten Nachdruck von Christus als dem göttlichen Herrscher sprechen, sei die gesamte Argumentation des Briefes so aufgebaut, dass man von einer Christozentrik auch in literarischer und pragmatischer Perspektive sprechen könne. Dies zeige die gebotene, überwiegend synchrone Analyse der literarischen und rhetorischen Struktur des Briefes. Der Analyse schließt sich eine Darstellung der verschiedenen Bereiche der Christozentrik an, die vom Sitz im Leben des Briefes ausgehend speziell das Verhältnis zu den paulinischen Zeugnissen berücksichtigt.


R. Hoppe 1994 versucht anhand eingehender traditions- und religionsgeschichtlicher Analysen aufzuweisen, dass gerade in der Zentralfrage des Paulus, nämlich in der Deutung des Kreuzes Jesu, der Autor des Kol gegenüber den Briefen des Paulus neue Wege geht, die es nicht mehr erlauben, von Kontinuität in der Paulus-Tradition zu sprechen. Die Ausrichtung auf den in der Zukunft sich durchsetzenden Heilsplan Gottes im paulinischen Sinne sei durch den ontologischen des ekklesialen Idealismus aufgehoben. Die Deutung des Kreuzes als Triumph sei in Kol 1,12-23 ebenso wie in 2,11-15 maßgebliche Grundlage für den präsentischen ekklesialen Heilsgedanken. Diese Kreuzesinterpretation kenne der Verfasser schon aus seiner Tradition, habe sie aber für die Situation seiner Adressatengemeinde weiter ausgebaut und zugespitzt. Hier lägen dann die wesentlichen Grundlagen für ein theologisches Konzept, das vorpaulinische Denktraditionen aufnehme und in nachpaulinischer Zeit neu zur Geltung bringe.


Mit der Heilslehre im Kol befasst sich H. W. House 1994, 325-338. Der Artikel gliedert sich in folgende Abschnitte: Das Erbe der Gläubigen; Christi Erlösung seines Volkes; Versöhnung; Beharrlichkeit.


Zur Bedeutung von "aima" ("Blut") und "sôma" ("Leib") Jesu Christi in Kol 1,20.22 siehe T. Knöppler 2001, 174-177. Das Blut sei Sühnemittel und weise auf die sühnende Wirkung des Todes Jesu hin. Die Rede vom Leib Jesu lasse ebenfalls an die atl. Sühnopfer denken, schließe aber auch einen Bezug zur Herrenmahlstradition nicht aus.


Mit dem "Leib" im Kol befasst sich J. D. G. Dunn 1994, 163-181. Folgende fünf Bedeutungen kämen dem "Leib" zu: a) der Leib, die Kirche (1,18.24; 2,19; 3,15; S. 164-167); b) der fleischliche Leib (1,22; 2,11.23; S. 167-173); c) der kosmische Leib (1,18 ursprüngliche Fassung; 2,9; S. 173-177); d) der eschatologische Leib (2,17; S. 177-178); e) der Leib Christi (S. 178-181). Die ersten vier Bedeutungen seien im Zusammenhang zu sehen, überlappten sich und ergäben zusammen eine Theologie des Leibes Christi.


Mit dem Verb „katallassô“ („versöhnen“) in der antiken griechischen Literatur mit Bezug zu den paulinischen Briefen befasst sich S. E. Porter 1994, der auf S. 163-189 auf Kol 1,20.22 und Eph 2,16 eingeht. Im Hinblick auf die anderen Vorkommen des Verbs in den paulinischen Briefen gebe es sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede. Einerseits werde wiederholt das Werk Christi als Versöhnung stiftend erwähnt und in Kol 1,20 gebe es zumindest einen indirekten Hinweis auf Gott als Mittler der Versöhnung. Andererseits liege jedoch in Eph 2,16 - insbesondere im Hinblick auf Gott - auf der Feindschaft weniger Betonung. In Kol 1,20.22 werde weniger direkt ausgesagt, dass Gott das Ziel der Versöhnung sei. Schließlich sei bezüglich der beiden Texte bemerkenswert, dass im Unterschied zu den anderen paulinischen Passagen in erster Linie Jesus Christus und nicht Gott als Mittler der Versöhnung erscheine.


M. M. Sokupa 2008, 145-158 befasst sich mit heiligen Personen und Heiligkeit im Kolosserbrief. Der häufige Gebrauch der adjektivischen Form des Wortes "hagios" ("heilig"; "Heiliger") in Kol 1 sei bedeutsam für die Deutung des Kol. Ihm komme im Zusammenhang des Themas "in Christus" hinsichtlich des nächsten Kapitels eine besondere Bedeutung zu. Dort werde vor Philosophen, die aufgrund ihres verzerrten Christusbildes eine abweichende Vorstellung von Heiligkeit hätten, gewarnt.


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V. 23


Beobachtungen: V. 23 kann in einer Kette Nebensätze direkt an V. 22 angeschlossen werden: "..., sofern ihr im Glauben bleibt ... und ...". Auch die Aussagen zum Evangelium können in einer Kette Relativsätze angeschlossen werden: "... und euch nicht abbringen lasst von der Hoffnung des Evangeliums, das ihr gehört habt, das in der ganzen Schöpfung (, die) unter dem Himmel (ist,) verkündigt worden ist [und] dessen Diener ich, Paulus, geworden bin." Diese Übersetzung ist korrekt, allerdings ermüdet sie und gibt ihren Inhalt kraftlos wieder. Um die Aussagen - gerade für Zuhörer! - leichter verständlich zu machen, ist es sinnvoll, die Kette von Sätzen in einzelne Glieder zu zerteilen, und zwar ihrem Sinnzusammenhang entsprechend. In V. 23 ist das erste Glied die feste Verwurzelung im Glauben, ohne sich von der Hoffnung des Evangeliums abbringen zu lassen. Das zweite Glied ist das Hören und die Verkündigung des Evangeliums. Und das dritte Glied ist, dass Paulus der Diener des Evangeliums geworden ist.


Die Formulierung "tethemeliômenoi kai hedraioi" ist wörtlich mit "verwurzelt und fest" wiederzugeben. Gemeint dürfte sein: "fest verwurzelt".


Es fällt auf, dass der Verfasser des Kol der - zumindest seiner Darstellung nach - weltweiten Verkündigung des Evangeliums große Bedeutung beimisst. Allerdings spricht er in V. 23 nicht davon, dass allen Menschen oder allen Völkern verkündigt worden sei, sondern "der ganzen Schöpfung (, die) unter dem Himmel (ist)". Alle nichtmenschlichen Lebewesen und alle Nichtlebewesen wie Flüsse, Steine, Berge usw. sind also ebenfalls in das Verkündigungsgeschehen eingeschlossen. Sie erscheinen allerdings nicht als Adressaten der Verkündigung, die sich wohl nur an die Menschen richtet, sondern als Umfeld. Und dieses Umfeld bekommt die Predigten ebenfalls zu hören. Im Himmel spielt sich dagegen das Verkündigungsgeschehen nicht ab. Der Himmel - an dieser Stelle ist nicht von "Himmeln" die Rede - erscheint vielmehr als Gewölbe, das die ganze Schöpfung darunter überspannt. Sofern auch er die Verkündigung zu hören bekommt, hat das Verkündigungsgeschehen einen kosmischen Charakter, was zum Gedanken der kosmischen Erlösung (vgl. 1,16.20) passt. Andernfalls ist es zumindest ein Geschehen, das die ganze Schöpfung unter dem Himmel einbezieht.


In 1,1 waren sowohl Paulus als auch Timotheus als Verfasser des Briefes genannt worden. Dazu passte, dass sie bis V. 23 von sich (und verschiedentlich auch die Adressaten eingeschlossen) im Wir-Stil sprachen. Umso mehr überrascht es, dass am Ende von V. 23 nur einer der Verfasser, nämlich Paulus (oder der Verfasser, der unter dem falschen Namen "Paulus" schreibt), ausdrücklich seinen Namen nennt und "ich" sagt, der andere Verfasser, Timotheus, dagegen unerwähnt bleibt. Das spricht dafür, dass Paulus (oder: "Paulus") der vorrangige oder alleinige Verfasser des Schreibens ist. Timotheus wäre demnach nur Schreiber oder assistierender Mitverfasser oder würde nur deswegen genannt, damit der Brief einen offiziellen Charakter bekommt. Oder sollte Timotheus kein "Diener des Evangeliums" sein? Das würde der Tatsache widersprechen, dass Timotheus ein enger Mitarbeiter des Paulus auf seinen Missionsreisen war und damit ebenfalls dem Evangelium diente.


Verschiedene Varianten bieten "kêryx kai apostolos" ("Herold/Bote/Prediger und Apostel"), "kêryx kai apostolos kai diakonos" ("Herold/Bote/Prediger und Apostel und Diener") oder "diakonos kai apostolos" statt "diakonos" ("Diener"). Die Textvarianten stellen wohl Anpassungen an die Vorstellung des jeweiligen Schreibers dar, wer denn Paulus sei. Dabei legt der Kolosserbrief selbst (1,1) die Hinzufügung des "apostolos" ("Apostel") nahe.


Hat der Verfasser des Kol die Allversöhnung des Hymnus Kol 1,15-20 so verstanden, dass die Versöhnung aller Menschen und der ganzen Welt ohne jede Bedingung erfolgt oder bereits erfolgt ist? Sind die V. 21-22 so zu verstehen, dass die Adressaten des Kol (wie auch alle anderen Menschen und die ganze Welt) vor Jesu Kreuzestod Fremde waren und feindlich gesinnt in bösen Werken, durch Jesu Kreuzestod jedoch versöhnt worden sind und daher heilig, makellos und untadelig vor Jesus Christus hintreten oder bereits hingetreten sind? Diese Deutung ist aus vielerlei Gründen sehr unwahrscheinlich: Erstens stellt der Verfasser des Kol zwei Zeiten gegenüber, und zwar das Einst und das Jetzt. Wenn Jesu Kreuzestod ohne jede Bedingung den Übergang vom Einst zum Jetzt bewirkt hätte, wäre der Übergang bereits mit Jesu Tod und Auferstehung von den Toten erfolgt. Gemäß der Formulierung von V. 21 haben die Adressaten alle oder mehrheitlich die Zeit vor der Versöhnung miterlebt, und zwar als erwachsen Handelnde. Somit müsste mindestens die Mehrheit der Adressaten schon vor Jesu Kreuzestod gelebt haben. Da Jesus um 30 n. Chr., allerspätestens aber um 36 n. Chr. gekreuzigt wurde, würde das bedeuten, dass der Brief schon kurze Zeit nach Jesu Kreuzestod geschrieben worden wäre. Er würde zu den frühesten Briefen gehören, was den gängigen Datierungen, die von einer späteren Abfassung ausgehen, widersprechen würde. Zweitens spricht V. 22 von einem Gesinnungswandel. Wieso sollte allein durch Jesu Kreuzestod ein allgemeiner Sinneswandel eingetreten sein, der wiederum das Handeln beeinflusste? Ein Sinneswandel setzt Kenntnis, Bekenntnis und Beherzigung des Evangeliums voraus, also Verkündigung, Taufe und ein Leben gemäß dem Evangelium. Drittens ließe sich - käme es nicht auf Glauben und entsprechenden Lebenswandel an - nicht erklären, wieso die Adressaten in V. 23 ermahnt werden, im christlichen Glauben zu bleiben und sich nicht davon abbringen zu lassen. Viertens würde sich überhaupt die Frage stellen, warum der Brief nur an die Christen unter den Kolossern (vgl. 1,2), nicht aber an alle Kolosser gerichtet ist, also auch an die Juden und Heiden.

Wenn der Verfasser des Kol keine unbedingte Allversöhnung postuliert, wie versteht er Allversöhnung dann? Der Verfasser des Kol legt das Schwergewicht seiner Aussage auf die Bestimmung, nämlich auf die Bestimmung der Menschen samt der ganzen Schöpfung auf Jesus Christus hin. Damit die Menschen samt der Schöpfung überhaupt ihrer Bestimmung nachkommen können, musste Jesus Christus (bzw. Gott oder die Fülle) den ersten Schritt machen und Frieden schaffen. Dies ist durch die Erlösung und Sündenvergebung aufgrund von Jesu Tod geschehen. Mit der Auferstehung von den Toten hat Jesus den (ewigen) Tod zugunsten des (ewigen) Lebens überwunden. Nun liegt es an den Menschen (und der gesamten Schöpfung), die Versöhnung mit Gott bzw. Jesus Christus anzunehmen. Das Heilsgeschehen um Jesu Tod und Auferstehung ist zentraler Inhalt des Evangeliums. Dieses muss in der ganzen Welt verkündigt werden. Dabei sind nicht nur die Menschen einbezogen, sondern als Schauplatz ist der gesamte Kosmos involviert. Dem Verfasser des Kol ist die enthusiastische Sicht des frühen Christentums eigen: Das Evangelium breitet sich bis an die Enden der Welt immer weiter aus und immer mehr Menschen kommen zum christlichen Glauben. Diese scheinbar lineare Entwicklung hin zu einer weltweiten Bekehrung scheint die Bestimmung des Kosmos auf Jesus Christus hin zu bestätigen. Natürlich gibt es schon in den ersten Jahrhunderten Schwierigkeiten bei der Verbreitung des christlichen Glaubens und auch Konflikte innerhalb des Christentums um die richtige Lehre. Diese Schwierigkeiten und Konflikte werden im Kol auch benannt, allerdings ist ihr Ausmaß nicht so groß, dass der Verfasser des Kol die Bestimmung des Kosmos aus Jesus Christus hin infrage gestellt sieht. Aber er sieht sich doch bemüßigt, auf die große Bedeutung der Verkündigung und auf die Notwendigkeit, standhaft im (rechten) Glauben zu bleiben, hinzuweisen. Die ausdrückliche Nennung des Namens "Paulus" und anschließende Thematisierung der Verkündigung ist dementsprechend auch kein Beleg dafür, dass Paulus selbst der Verfasser des Kol ist. Die Verwendung des Namens "Paulus", der wie kein anderer für weltweite Verkündigung, für den "Dienst" an Jesus Christus, steht, soll vielmehr den Aussagen zur Verkündigung und zum Verharren im (rechten) Glauben das notwendige Gewicht verleihen. "Paulus" erscheint auch als Verfechter der reinen christlichen Lehre gegenüber Irrlehren. Die Dringlichkeit, mit der der Verfasser dazu ermahnt, im (rechten) christlichen Glauben zu bleiben, macht deutlich, dass das Hintreten vor Jesus Christus bzw. Gott noch nicht erfolgt ist und es somit noch einiges zu verlieren gibt. Die Allversöhnung ist also mitnichten bedingungslos: Die Bedingung ist die rechte Antwort auf das bereits erfolgte Versöhnungsgeschehen, den ersten Schritt seitens Jesu Christi (bzw. Gottes oder der Fülle) hin zur endgültigen Versöhnung. Es liegt nun an den Menschen (samt der Schöpfung), dieses Angebot anzunehmen. Als enthusiastischer frühchristlicher Autor richtet der Verfasser des Kol den Blick weniger darauf, was passiert, wenn die Menschen (samt der Schöpfung) nicht die angemahnte Reaktion zeigen, als vielmehr auf die Bestimmung der Menschen samt der gesamten Schöpfung auf Jesus Christus hin. Die Adressaten in Kolossä haben den ersten Schritt der Antwort getan, indem sie den christlichen Glauben angenommen haben. Deshalb kann der Verfasser auch sagen: "Auch euch ... hat er versöhnt ...". Die Versöhnung durch Jesus Christus kann er also direkt auf die Adressaten beziehen. Damit können die Adressaten heilig, makellos und untadelig vor Jesus Christus bzw. Gott hintreten - vorausgesetzt, sie bleiben im Glauben und halten sich von Irrlehren fern!


Weiterführende Literatur: Zum vielfältigen Gebrauch der Partizipien im exordium 1,3-23 siehe L. Giuliano 2012, 153-172. Das lange Abschnitte umfassende Satzgefüge scheine wohl durchdacht zu sein und werde von den Partizipien, die den Gedankengang vorantrieben, zusammengehalten.


Von den in seinem Aufsatz analysierten Abschnitten Kol 1,12-14.21-23; 2,8-15; 3,1-4.24-25 ergebe sich laut T. Witulski 2005, 211-242 im Hinblick auf die Frage nach dem Verhältnis von Gegenwart und Zukunft innerhalb der eschatologischen Konzeption des Kol Folgendes: Der Verfasser des Kol hebe den von seinem Lehrer Paulus in dessen dialektischer Konzeption von Eschatologie propagierten eschatologischen Vorbehalt hinsichtlich der endgültigen Verwirklichung des Heils grundsätzlich auf, um auf dieser Basis dann aber einen neuen, zeitlich-ethischen Vorbehalt zu setzen: Die Christen in Kolossä würden zunächst als bereits in der Gegenwart in und mit Christus Auferweckte beschrieben. Ihre Auferweckung und, damit verbunden, das eschatologische Heilsgut ihres Lebens seien allerdings in der Gegenwart noch in Gott verborgen und ihrer Verfügungsgewalt noch entzogen. Sichtbar auferweckt, sichtbar des Lebens teilhaftig würden sie erst mit der Wiederkunft Christi. Bis zu diesem Zeitpunkt seien sie aufgefordert, ihren Heilsstand zu bewahren und mit ihrem Handeln dem ihnen zunächst nur durch den Glauben / durch die Treue zugeeigneten Leben gerecht zu werden.


Laut Z. Geréb 2009, 33-54 nehme der Kol im Rahmen der paulinischen Korrespondenz eine Sonderstellung ein. Seine Besonderheit bestehe darin, dass er den Übergang bilde zwischen den früheren und späteren Briefen. Wenn man den Text nach stilistischen Merkmalen, begrifflichen Ausdrucksformen und theologischen Gedanken befragt, komme man zu der Feststellung, dass der Brief eine Entwicklung in der paulinischen Theologie und im Paulusbild erkennen lässt. Im Beitrag von Z. Geréb geht es um dieses Paulusbild, um den Auftrag des Paulus und seine missionarische Zielsetzung. Ergebnis: Der Verfasser des Briefes stelle den Apostel in einen offenbarungsgeschichtlichen Zusammenhang. Er werde als Offenbarungsträger vorgestellt, der seinen Auftrag gemäß der Heilsordnung Gottes erhielt. Er übe seinen Dienst als gehorsames Werkzeug seines Herrn aus, mit Hilfe der Kraft Christi und in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern. Seine Person sei eng an die Heilsbotschaft vom gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus gebunden. Es bestehe eine Kontinuität zwischen der Leidensbereitschaft des "früheren Paulus" und des Paulus des Kol; das Leiden gehöre wesentlich zu seinem Apostolat. Es gebe einen Unterschied zwischen einem früheren und späteren Paulusbild: Während sein Dienst in früheren Briefen vor allem christologisch begründet werde, habe er in Kol auch einen ekklesiologischen Grundzug. Paulus trage Verantwortung nicht nur für eine lokale Gemeinde oder regionale Gemeinschaften, sondern für die universale Kirche Christi. Die apostolische Autorität sei besonders hervorgehoben. Sein Evangelium sei das richtige.


Laut C. C. Bing 2007, 74-88 gehe aus Kol 1,21-23 hervor, dass die Zusicherung der Rettung durch Sünde, falsche Lehre, Gesetzlichkeit, abwegige Philosophie oder eine andere Bedrohung, die das Vertrauen auf Gott vermindert, in Gefahr geraten kann. Christen sollten voller Vertrauen in Christus leben und sterben und so untadelig in Glaube und Taten vor den Richterstuhl Christi treten.

Zur in Kol 1,22-23a.28 geäußerten Erwartung des Apostels Paulus, dass sich die Christen gebührend auf das Gericht nach Werken vorbereiten, siehe K. L. Yinger 1999, 280-281.



Literaturübersicht


Bing, Charles C.; The Warning in Colossians 1:21-23, BS 164/1 (2007), 74-88

de Oliveira, Anacleto; Christozentrik im Kolosserbrief, in: K. Scholtissek [Hrsg.], Christologie in der Paulus-Schule (SBS 181), Stuttgart 1999, 72-103

Dunn, James D. G.; The "Body" in Colossians, in: T. E. Schmidt et al. [eds.], To Tell the Mystery (JSNT.S 100), Sheffield 1994, 163-181

Geréb, Zsolt; Paulus als Diener der Kirche. Die Vorstellung des Apostels in Kol 1,21-2,5, in: P. Müller [Hrsg.], Kolosser-Studien (BThSt 103), Neukirchen-Vluyn 2009, 33-54

Giuliano, Leonardo; Il participio nell'exordium di Col 1,3-23: valore sintattico e funzione retorica, LA 62 (2012), 153-172

Hoppe, Rudolf; Der Triumph des Kreuzes: Studien zum Verhältnis des Kolosserbriefes zur paulinischen Kreuzestheologie (SBS 28), Stuttgart 1994

House, H. Wayne; The Doctrine of Salvation in Colossians, BS 151/603 (1994), 325-338

Knöppler, Thomas; Sühne im Neuen Testament. Studien zum urchristlichen Verständnis der Heilsbedeutung des Todes Jesu (WMANT 88), Neukirchen-Vluyn 2001

Lona, Horacio E.; Die Eschatologie im Kolosser- und Epheserbrief (FzB 48), Würzburg 1984

Maier, Harry O.; A Sly Civility: Colossians and Empire, JSNT 27/3 (2005), 323-349

Penna, Romano; Paolo scriba di Gesù, Bologna 2009

Porter, Stanley E.; Katallassô in Ancient Greek Literature, with Reference to the Pauline Writings (Estudios de Filología Neotestamentaria), Cordoba 1994

Sokupa, Mxolisi Michael; Holy Persons and Holiness in Colossians, JAAS 11/2 (2008), 145-158

Witulski, Thomas; Gegenwart und Zukunft in den eschatologischen Konzeptionen des Kolosser- und Epheserbriefes, ZNW 96/1-2 (2005), 211-242

Yinger, Kent L.; Paul, Judaism, and Judgment according to Deeds (MSSNTS 105), Cambridge 1999

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