Kol 3,22-4,1
Übersetzung
Kol 3,22-4,1 : 22 Ihr Sklaven, gehorcht in allem euren Herren nach dem Fleisch, nicht mit äußerlichem Dienst, um Menschen zu gefallen, sondern mit aufrichtigem Herzen, den Herrn fürchtend! 23 Was immer ihr tut, macht es von Herzen, wie für den Herrn und nicht für Menschen, 24 im Wissen darum, dass ihr vom Herrn als Lohn das Erbe empfangen werdet. Dient dem Herrn Christus! 25 Denn wer Unrecht tut, wird wieder erhalten, was er an Unrecht getan hat; und es gilt kein Ansehen der Person. 1 Ihr Herren, gewährt den Sklaven das Rechte und das Billige, im Wissen darum, dass auch ihr einen Herrn im Himmel habt.
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Beobachtungen: Kol 3,18-4,1 ist nur lose mit dem Kontext verbunden. Es handelt sich um eine "Haustafel". Es handelt sich um Anweisungen bezüglich des Verhaltens der Angehörigen einer Hausgemeinschaft, die in der Antike sowohl eine Wohn- als auch eine Wirtschaftsgemeinschaft darstellt. Diese Anweisungen gehören inhaltlich zum Abschnitt "Das neue Leben der Christen" (3,5-4,1).
Es werden - im Gegensatz zum sonstigen Kol - einzelne soziale Gruppen angeredet. Nachdem es in 3,18-21 die Ehefrauen, Ehemänner und Kinder waren, kommen in 3,22-4,1 die Sklaven und Sklavenbesitzer in den Blick.
Das Verb "hypakouô" ("gehorchen") taucht sowohl im Hinblick auf die Kinder (vgl. 3,20) als auch im Hinblick auf die Sklaven auf. In beiden Fällen wird auch gefordert, dass sie "in allem" gehorchen sollen. Es wird also umfassende gehorsame Unterordnung der Kinder unter die Eltern - konkret die Väter - und der Sklaven unter die "Herren nach dem Fleisch" festgeschrieben. Die Eltern - konkret die Väter - und die "Herren nach dem Fleisch" dürfen ihre Überordnung und Befehlsgewalt jedoch nicht missbrauchen (vgl. 3,21; 4,1).
Die Sklavenbesitzer werden zwar als "Herren" bezeichnet, aber es wird sogleich hinzugefügt, dass sie es nur "dem Fleische nach" sind. Als Besitzer der Sklaven stehen sie zwar über diesen und können über diese befehlen, jedoch sind sie nur irdische, aus Fleisch und Blut bestehende Herren. Wahrer, nicht irdischer und nicht aus Fleisch und Blut bestehender Herr ist Gott bzw. Jesus Christus (der auferstandene, gen Himmel gefahrene und zur Rechten Gottes thronende).
Das Substantiv "ophthalmodoulia", das nur in Kol 3,22 belegt ist, bedeutet wörtlich "Augendienerei". Diese kann einen Dienst meinen, der ausschließlich darauf bedacht ist, was die Augen der anderen Menschen sehen, oder einen Dienst, der ausschließlich dann erfolgt, wenn der "Herr nach dem Fleisch" hinsieht, oder einen Dienst, der nur geleistet wird, um Aufmerksamkeit zu erheischen.
Bei den "anthrôpareskoi" handelt es sich wörtlich übersetzt um "Menschengefällige", also um Menschen, die Menschen gefallen wollen. Bei den Menschen kann es sich um die "Herren nach dem Fleisch" handeln oder auch um andere Menschen.
"Hôs" kann ein Adverb des Vergleiches sein und "wie" bedeuten. Die Bedeutung wäre dann "wie Menschengefällige". "Hôs" kann aber auch eine Konjunktion sein, die angibt, was das Ziel des Handelns ist. Die Bedeutung wäre dann "um Menschen zu gefallen".
"Haplotês" ist als "Aufrichtigkeit/Lauterkeit" zu deuten. Es geht also um einen Dienst, der aufrichtig erfolgt. Das Herz steht für das Innere, das dem Äußerlichen entgegengesetzt ist. Der Genitiv "des Herzens" gibt an, dass sich die Aufrichtigkeit auf das Herz, auf das Innere des Dienstleistenden, bezieht. Der Dienst soll also nicht rein äußerlich erfolgen, mit dem Ziel, den Menschen - speziell den "Herren dem Fleisch nach" - zu gefallen, sondern er soll aufrichtig von innen heraus erfolgen.
Er soll auch nicht erfolgen, um Menschen zu gefallen. Der Antrieb soll die "Furcht" des "Herrn" sein. Die "Furcht" ist nicht im Sinne der "Angst" zu verstehen, sondern im Sinne der "Ehrfurcht", die aus der Verehrung herrührt. Derjenige, der verehrt wird bzw. verehrt werden soll, ist der "Herr". Damit ist Gott und/oder Jesus Christus gemeint. Dieser ist kein "Herr dem Fleisch nach", sondern "Herr", wobei die Bedeutung "wahrer Herr" mitschwingt. Gott bzw. Jesus Christus ist nicht nur ein irdischer Herr aus Fleisch und Blut, sondern der Herr, der zu verehren ist und dem der eigentliche Dienst gebührt, nämlich der christliche Glaubensdienst.
Das Partizip "phoboumenoi" ist wörtlich mit "fürchtend" zu übersetzen, womit der Schluss von V. 22 "den Herrn fürchtend!" lautet. Versteht man "hôs" als Adverb des Vergleiches, dann kann man den Versschluss mit "als solche, die den Herrn fürchten" übersetzen. Das Partizip kann aber auch die Haltung bezeichnen, die dem Dienst zugrunde liegt. Die Übersetzung des Versschlusses wäre dann "indem ihr den Herrn fürchtet". Und schließlich ist auch möglich, dass das Partizip den Grund des Dienstes angibt, womit "weil ihr den Herrn fürchtet" oder "denn ihr fürchtet den Herrn" zu übersetzen wäre.
Es fällt auf, dass 3,22 keine Sozialrevolution predigt, sondern genau das Gegenteil: Das gegenwärtige soziale Gefüge, in dem die Sklaven ihren irdischen Herren zu dienen haben, wird zementiert. Die einzige Änderung betrifft den Antrieb des Dienstes.
Weiterführende Literatur: Gemäß J. Woyke 2000 frage die ntl. Haustafelethik nach den Konsequenzen des Herrseins Jesu Christi für das Beziehungsgefüge der antiken Hausgemeinschaft. Gibt es eine dem christlichen Glauben angemessene Rollenverteilung oder sollen gesellschaftliche Unterordnungsstrukturen, durchdrungen vom Evangelium, von innen her aufgelöst werden? Diese an der zeitüberdauernden Bedeutung der Haustafeln orientierte Leitfrage präge die Haustafelforschung des 20. Jh.s bis in die exegetischen Detailfragen hinein. Die Studie von J. Woyke versucht, die zum Teil unübersichtliche Forschungsgeschichte anhand der einzelnen exegetischen Kontroversen systematisch darzustellen und kritisch zu diskutieren, um schließlich zu einem begründeten Urteil über die bleibende theologische Bedeutung der ntl. Haustafelethik zu kommen.
Mit den Haustafeln befasst sich D. L. Balch 1988, 25-50, und zwar unter folgenden Gesichtspunkten: der Ursprung der Form, seine soziale Funktion und die Charakteristika der einzelnen Ermahnungen; Arius Didymus zur "Hausverwaltung" und zur "Politik"; Anmerkungen zum Text des Arius Didymus; Haustafeln im NT und in der frühchristlichen Literatur.
Zu Inhalt und Struktur von 3,18-4,1 siehe S. Wronka, 273-290.
Zu den ntl Haustafeln Kol 3,18-4,1 und Eph 5,22-6,9 siehe G. Strecker 1989, 349-375, der sich der Definition und dem Textbefund, der Forschungsgeschichte, der Geschichte der Tradition, den Frauen und Männern, den Kindern und Vätern und abschließend auch den Sklaven und Herren widmet.
Zur Gattung Haustafel im Kol und Eph, zu ihrer Position innerhalb der Paränese-Abschnitte und zu ihrem Hintergrund in der spätantiken Gesellschaft siehe D. Hellholm 2009, 103-128. Die Haustafeln des Kol und Eph könnten sowohl deskriptive als auch präskriptive Funktion haben. Einerseits seien sie idealisierte Konstrukte, die es gegen vorhandene Missverhältnisse in der Familienstruktur zu verwirklichen gelte, andererseits spiegelten sie aber zuweilen zweifellos auch eine existierende Vorbildlichkeit im Haushalt. Deswegen seien die Haustafeln in erster Linie präskriptive Sprechakte. Sie zeugten aber zumindest indirekt von familiären Verhältnissen unterschiedlicher sozialer und ethischer Art und hätten somit gewissermaßen auch deskriptiven Charakter.
L. Hartman 1988, 219-232 wirft den Blick auf einige formkritische Aspekte der ntl. Haustafeln. Dabei konzentriert er sich auf die für am ältesten gehaltene, nämlich Kol 3,18-4,1. Ergebnis: Das Belegmaterial, das auf eine literarische Form "Haustafel" schließen lasse, sei dürftig. Von dieser dürftigen Basis aus ließen sich im Hinblick auf Geschichte und Gedankengut der frühen Kirche kaum Schlüsse ziehen. Die Christen hinter den "Haustafeln" seien zwar von ihrer Umwelt beeinflusst gewesen, jedoch sei der Einfluss nicht so stark gewesen, dass man bei den "Haustafeln" von einer eigenen literarischen Form oder Gattung sprechen könne. Zur Bestimmung der Form der angeblichen "Haustafeln" bedürfe es präziserer Methodik und genauerer Analyse. Letztendlich sei aber nicht entscheidend, wie etwas ausgesagt wird, sondern was ausgesagt wird. Unsere geringe Kenntnis bezüglich des Wie vermöge im Falle der "Haustafeln" nicht nennenswert das Was zu erhellen.
H. O. Maier 2005, 323-349 spürt Vokabular, Motiven und theologischen Themen im Kol nach, die der Sprache des römischen Kaiserkults entspringen. Die imperiale Prägung der Haustafel Kol 3,18-4,1 lasse sich insbesondere anhand von Münzen erkennen, die Nero und seine Gemahlin in göttlich bestimmter Eintracht darstellen. Friede und Eintracht würden insbesondere in der zuverlässigen Ausübung häuslicher Pflichten im Rahmen des traditionellen häuslichen sozialen Gefüges deutlich, wobei der Kol diese Vorstellung christlich deute.
Mit der besonderen Bedeutung der Partizipien in der argumentatio Kol 1,24-4,1 befasst sich unter syntaktischen und rhetorischen Gesichtspunkten L. Giuliano 2013, 293-317. Ihnen komme bei der Fortentwicklung des Gedankengangs eine entscheidende Rolle zu. Im ersten Abschnitt 1,24-2,5 konzentriere sich das wiederholte Auftreten der Partizipien insbesondere auf die Person des Apostels Paulus. Im zweiten Abschnitt 2,6-23 verschiebe sich der Schwerpunkt hin zu Christus und den Gläubigen. In Kol 3,1-4,1 würden Partizipien in erster Linie im Rahmen von ethischen Ermahnungen gebraucht.
Eine semiotische Lektüre der Textabschnitte Kol 1,24-2,5 und 3,18-4,1 bieten L. Milot, R. Rivard, J.-Y. Thériault 1992, 65-79. Im Hinblick auf 3,18-4,1 gehen sie insbesondere der Frage nach, ob die geforderten Unterordnungen wörtlich oder nicht vielmehr angesichts gewisser gegenwärtiger Ideologien (Emanzipation der Frauen, Kinderrechte, Freiheitschartas) metaphorisch zu deuten sind.
A. R. Bevere 2002, 225-254 legt dar, dass das Hauptinteresse der Haustafel Kol 3,18-4,1 der "oikonomia" gelte; ein Anliegen, das in der Gesellschaft allgemein von Relevanz gewesen sei. Die Haustafel habe zum einen eine apologetische Funktion gehabt; sie sei eine Antwort auf den Argwohn von manchen Nichtchristen bezüglich der Familienverhältnisse innerhalb der Kirche und ihrer Auswirkungen auf die gesellschaftliche Ordnung gewesen. Darüber hinaus habe sie intern als Anweisung bezüglich der wohlgeordneten Hausgemeinschaft und der wohlgeordneten Gottesdienstgemeinschaft gedient. Die Haustafel habe also eine doppelte Funktion gehabt, in dem sie zum einen die Einheit innerhalb der Familie, zum anderen die Einheit innerhalb der Hauskirche fördern sollte. Der Zusammenhang der Haustafel sei eschatologisch. Ebenso wie die Aufzählung der Laster und Tugenden in 3,5-17 sei sie ein Beispiel dafür, wie die Kolosser "in Christus" leben sollen.
Gemäß R. Yates 1991, 241-251 fänden sich in Kol 3,1-4,6 drei verschiedene Typen traditionellen katechetischen und ethischen Materials: Laster- und Tugendkataloge, die Haustafel und sprücheartige ethische Aussagen, die als "topoi" bekannt seien. Es gebe guten Grund für die Annahme, dass alle drei Typen vorpaulinisch sind. Sie hätten sich schon im hellenistischen und jüdischen religiösen Leben gefunden, würden in 3,1-4,6 jedoch spezifisch christlich gebraucht.
Laut L. Hartman 1987, 237-247 werde oftmals angenommen, dass es sich bei der "Haustafel" Kol 3,18-4,1 um eine literarische Einheit handele, die noch vor der Abfassung des Kol formuliert worden sei. Ihr Stil sei von der umgebenden Ermahnung verschieden und der Text ließe sich auch dann noch flüssig lesen, wenn man die "Haustafel" überspringt. Wenn es sich bei der "Haustafel" also um eine Entlehnung handelt, von wo ist sie übernommen worden? Was sagt uns die Entlehnung zur Geschichte der frühen Kirche und über ihre Beziehung zur umgebenden Welt? Und schließlich: Welche Funktion hat die "Haustafel" im Rahmen des gesamten Kol und welche im Hinblick auf die Lage der Adressaten? Ergebnis: Die Tradition, die der "Haustafel" vorangehenden Ermahnung zugrunde liege, habe vermutlich von Anfang an einen christlichen Sitz im Leben gehabt. Darauf wiesen die Anklänge an Jesu Lehre hin. Aber ihre Deutungen des Dekaloges seien letzten Endes vom Judentum inspiriert. Die listenartige Form sei in jüdischen wie auch in anderen hellenistischen Kreisen weit verbreitet gewesen. Auch die "Haustafel" stehe in einem Bezug zum Dekalog, allerdings indirekt, auch wenn ihre Parallele im Eph mit Bezug auf einen Teil von ihr das fünfte Gebot zitiere. Allerdings betreffe die "Haustafel" Menschen in ihren gesellschaftlichen Positionen, d. h. im "Haus". Ihre Ausdrucksweise erinnere an das sog. apodiktische Recht, was an eine ursprünglich jüdische Inspiration denken lasse. Aus diesen Beobachtungen lasse sich bezüglich der Geschichte der frühen Kirche nichts schließen. 3,1-4,6 stelle einen gottgegebenen Kontrast zu menschlichen Vorschriften dar. Über die Funktion der "Haustafel" (und auch umgebenden Ermahnung) lasse sich nur wenig sagen. Es lasse sich aber erschließen, dass die "Philosophie" den "Standard" nicht für gut genug gehalten und daher gefordert habe, die Gläubigen sollten auch in einem guten Verhältnis zu anderen Mächten neben Jesus Christus stehen und weitere Regeln einhalten. Der Verfasser des Kol habe dagegen den "Herrn" Jesus und den entsprechenden Lebenswandel für gut genug gehalten.
L. Cope 1985, 45-49 meint, dass die Haustafel erst später dem Kol hinzugefügt worden sei, ohne Kenntnis der ursprünglichen Situation, wie sie sich aus Kol und Phlm erschließen lasse.
Eine Exegese von Kol 3,18-4,1 bietet M. J. Cieślar 1980, 11-123.
Laut J. L. Caballero 2011, 59-85.323-344 gelten das 12. und 13. Jh. als eine Blütezeit Westeuropas im Hinblick auf theologische Studien und biblische Exegese. Dennoch sei ein großer Teil dieser exegetischen Arbeit noch nicht veröffentlicht. Aus diesem Grunde sei es schwierig, ihre Charakteristika zu erfassen. J. L. Caballero geht mit Blick auf mittelalterliche Kommentare und Glossen zwei zentralen Fragen nach: a) Was haben sie von der patristischen Exegese übernommen? Bieten sie wirklich ein gewisses Maß an Neuem? b) Was ist ihr Beitrag und Erbe im Hinblick auf spätere Generationen? Eine Exegese von Kol 3,18-4,1 dient der Beantwortung der Fragen. Ergebnis: Bei allen Besonderheiten der jeweiligen mittelalterlichen Schriften sei als Grundzug auszumachen, dass sie zwar von der patristischen Exegese ausgehen, darüber hinaus aber auch Neues bieten.
C. Osiek 1992, 174-179 merkt an, dass die Vereinigten Staaten im Hinblick auf die Sklaverei eine belastete Geschichte hätten und deshalb heutzutage die Aussagen von Kol 3,22-4,1 als problematisch empfunden würden. Allerdings sei, auch wenn alle Sklaverei schrecklich und abzulehnen sei, darauf hinzuweisen, dass sich die historische Sklaverei der Vereinigten Staaten doch von derjenigen des NT unterscheide. Die Hauptunterschiede seien, dass die antike Sklaverei weder rassenspezifisch noch rassistisch gewesen sei. Es habe nicht notwendigerweise die Vorstellung einer naturgegebenen Unterlegenheit gegeben und nicht selten hätten die Sklaven die Freiheit erlangt, sei es aufgrund der Initiative des Sklavenhalters oder aus einem anderen Grund.
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Beobachtungen: Das Substantiv "psychê" hat verschiedene Bedeutungen: Insbesondere in der antiken griechischen Philosophie bezeichnet es die "Seele", die als vom Körper unterschieden gedacht ist. Daneben sind ihm aber auch noch weitere Bedeutungen eigen: So kann es auch die Lebenskraft bezeichnen oder das Gemüt oder Herz. Und schließlich kann es auch "Trieb" oder "Verlangen" bedeuten. In 3,22 ist wohl die innere Lebenskraft des Menschen gemeint, aus der das Denken und Handeln hervorgeht. Folglich passt wohl die Übersetzung "von Herzen", "mit [Leib und] Seele" oder "von [ganzer] Seele" am besten.
Die Formulierung "...wie für den Herrn und nicht für Menschen" irritiert. Warum heißt es nicht direkt "... für den Herrn und nicht für Menschen"? Die Antwort mag darin liegen, dass der Verfasser des Kol den Dienst für den Sklavenhalter, den irdischen Herrn, nicht mit dem Dienst für den eigentlichen Herrn, also Gott oder Jesus Christus, gleichsetzt. Stattdessen zieht er eine Parallele: Der Dienst für den Sklavenhalter ist wie ein Dienst für Gott oder Jesus Christus. Die Erfüllung des Willens des Sklavenhalters ist folglich wie die Erfüllung des Willens Gottes oder Jesu Christi. Es wird also nicht negiert, dass es eigentlich ein Dienst für den Sklavenhalter und die Erfüllung von dessen Willen ist. Diese Sichtweise soll aus christlicher Sicht nur eben nicht die entscheidende sein. Für den Christen ist die Fixierung auf Gott oder Jesus Christus entscheidend. Die Sklavenhalter werden zwar in V. 22 als "Herren nach dem Fleisch" bezeichnet, aber nicht als solche gegenüber anderen Menschen herausgestellt. Der Dienst der Sklaven für ihre irdischen Herren ist aus irdischer Sicht ein Dienst für Menschen, wenn auch ein besonders hervorstechender. Aus christlicher Sicht bleibt er zwar ein Dienst für Menschen, jedoch ist er - wenn er aus dem rechten christlichen Antrieb heraus erfolgt - zugleich ein Dienst für Gott und/oder Jesus Christus - und dieser ist entscheidend!
Eine Textvariante fügt nach "hôs tô kyriô" ("für den Herrn") "douleuontes" ("dienend/Dienende/dient!") ein. Die christlichen Sklaven sollen also "dem Herrn Dienende" sein, wobei der den Dienst betonende Einschub vermutlich mit Blick auf Eph 6,6-7 erfolgt ist. In Kol 3,24 wird der Christusdienst, der im Kol eine große Rolle spielt, schließlich auch ausdrücklich angemahnt.
Weiterführende Literatur: Mit dem christlichen Leben gemäß dem Kol befasst sich H. W. House 1994, 440-454. Zu 3,12-4,6: Das neue Leben der Christen, das ja auf ihren Status "in Christus" gegründet sei, bedeute, dass jede Beziehung und jede Aktivität nach dem Modell Christi erfolgen soll.
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Beobachtungen: Die Genitivverbindung "tên antapodosin tês klêronomias" ist wörtlich mit "die Vergeltung des Erbes" zu übersetzen. Das ist nicht so zu verstehen, dass das Erbe selbst vergilt, sondern das Erbe selbst dürfte die Vergeltung sein. Die christlichen Sklaven werden also vom Herrn als Vergeltung das Erbe empfangen. Dabei ist die Vergeltung nicht negativ zu verstehen, im Sinne der Rache für einen Frevel, sondern positiv im Sinne einer Belohnung. Positives, das Tun von Herzen wie für den Herrn, wird mit etwas Positivem, dem Erbe, vergolten.
Doch was ist unter dem "Erbe" zu verstehen? Der Verfasser des Kol macht keine Aussagen dazu, ebenso wie auch der Verfasser des Epheserbriefes, der vermutlich den Kol bei der Abfassung des Eph zugrunde gelegt hat, (in 1,14.18; 5,5) gänzlich im Vagen bleibt. So muss man die Bedeutung des Begriffs erschließen, wobei Kol 1,5 einen groben Hinweis gibt. So ist dort von der "Hoffnung, die für euch in den Himmeln bereitliegt" die Rede. Die "Hoffnung" ist wohl im Sinne von "zu erhoffendes Heil" zu verstehen. Dieses "zu erhoffende Heil" dürfte also den Sklaven, die sich an die Worte des Verfassers des Kol halten, als Erbe zufallen.
"Lohn" dürfte in den Ohren der Sklaven besonders attraktiv klingen, haben sie vom Sklavenhalter für ihren Dienst doch nicht unbedingt Lohn zu erwarten. Sie stehen nicht in einem Angestelltenverhältnis, sondern gelten als Sache, als Besitz des Sklavenhalters. Dieser kann also mit ihnen tun und lassen was er will und braucht ihnen keinen Lohn zu zahlen. Das, was der Sklavenhalter den Sklaven für den Lebensunterhalt gibt, dürfte in keinem Verhältnis zur geleisteten Arbeit stehen, auch wenn manche Sklaven durchaus gute Positionen einnehmen und gut behandelt werden.
Die Verbform "douleuete" kann sowohl ein Indikativ ("ihr dient") als auch ein Imperativ ("dient!") sein. Die Übersetzung kann also "Ihr dient dem Herrn Christus" oder "Dient dem Herrn Christus!" lauten. Aus 3,22-4,1 lässt sich nicht erschließen, dass die angeredeten Sklaven ihren Dienst bereits sämtlich als Christusdienst verstehen. Sie verstehen ihn vielmehr als einen - vermutlich harten - Dienst für den Sklavenhalter bzw. für Menschen, wobei sie möglicherweise über ihn klagen. Das lässt nicht annehmen, dass der Verfasser des Kol in V. 24 davon ausgeht, dass die Sklaven den Christusdienst bereits tun. Vielmehr dürfte es so sein, dass er ihn anmahnt.
Weiterführende Literatur: Von den in seinem Aufsatz analysierten Abschnitten Kol 1,12-14.21-23; 2,8-15; 3,1-4.24-25 ergebe sich laut T. Witulski 2005, 211-242 im Hinblick auf die Frage nach dem Verhältnis von Gegenwart und Zukunft innerhalb der eschatologischen Konzeption des Kol Folgendes: Der Verfasser des Kol hebe den von seinem Lehrer Paulus in dessen dialektischer Konzeption von Eschatologie propagierten eschatologischen Vorbehalt hinsichtlich der endgültigen Verwirklichung des Heils grundsätzlich auf, um auf dieser Basis dann aber einen neuen, zeitlich-ethischen Vorbehalt zu setzen: Die Christen in Kolossä würden zunächst als bereits in der Gegenwart in und mit Christus Auferweckte beschrieben. Ihre Auferweckung und, damit verbunden, das eschatologische Heilsgut ihres Lebens seien allerdings in der Gegenwart noch in Gott verborgen und ihrer Verfügungsgewalt noch entzogen. Sichtbar auferweckt, sichtbar des Lebens teilhaftig würden sie erst mit der Wiederkunft Christi. Bis zu diesem Zeitpunkt seien sie aufgefordert, ihren Heilsstand zu bewahren und mit ihrem Handeln dem ihnen zunächst nur durch den Glauben / durch die Treue zugeeigneten Leben gerecht zu werden.
Gemäß K. L. Yinger 1999, 274-280 sei in Kol 3,22-25 die Forderung, dass die Sklaven ihren Herren gehorsam sein sollen, eschatologisch motiviert. Andere ntl. und nachapostolischen Haustafeln ließen eine solche eschatologische Begründung nicht erkennen. Die eschatologische Erweiterung lasse sich nicht mit der Übernahme einer vorchristlichen Tradition erklären, sondern es seien andere Einflüsse zu erwägen: a) volkstümliche ethische Lehren Griechenlands, die empfohlen hätten, Gehorsam der Sklaven mit z. B. mehr Lob, mehr Essen, besserer Kleidung oder besseren Schuhen zu belohnen; b) die Sklave-Herr-Analogie, bei der natürlicherweise Belohnung und Strafe eine Rolle gespielt hätten, wobei Paulus diese eschatologisch gedeutet habe; c) die besondere Rolle, die die eschatologische Motivierung des Handelns in der ethischen Lehre des Paulus gespielt habe.
J. Łach 1995, 219-231 merkt an, dass die Vorschriften von Kol 3,18-4,1 zwar den in der antiken jüdischen und griechischen Welt geläufigen Prinzipien entsprächen, aber diese nicht einfach nur wiederholten. Eine Besonderheit sei die aus den Tatsachen, dass Gott alles und alle geschaffen hat und jede Kreatur Christus gehört, entspringende Gleichheit aller Menschen. Diese sei im konkreten Leben sehr schwer umzusetzen. Daher gelte es, die Gleichheit den Bräuchen des Judentums und der griechischen Welt gegenüberzustellen und sie behutsam einzuführen. Nur so ließe sich die Macht der Gewohnheit verringern. Diese Vorgehensweise sei in den ersten Jahrzehnten des Christentums die effizienteste gewesen und stelle ein gutes Beispiel für die Zukunft dar.
Nachdem J. M. G. Barclay 2001, 34-52 auf die christozentrische Theologie des Kol eingegangen ist, merkt er an, dass zu erwarten sei, dass diese Theologie auch durch und durch die Moral des Briefes präge. Tatsächlich sei jedoch der Inhalt der Haustafel in weiten Teilen weder vom Charakter noch vom Ursprung her unverkennbar christlich. Mehr noch: Er nehme die antiken hierarchischen Vorstellungen nicht nur hin, sondern zementiere diese noch. Angesichts dieses Befundes stellten sich die Fragen, in welcher Hinsicht und in welchem Maße die Ethik der Haustafel von der christozentrischen Theologie des Kol beeinflusst ist und auf welche Weise der Kol die christliche moralische Identität prägt. Ergebnis: Entscheidend sei die Bindung an den Herrn, und zwar nicht an einen weltlichen, sondern an Jesus Christus. Es gehe darum, in der jeweiligen sozialen Rolle dem Herrn zu dienen und ein Leben "in Christus" zu führen. Dies zementiere zwar einerseits die sozialen Rollen und hierarchischen Verhältnisse, mache andererseits aber von einer sklavischen Erfüllung der Rollen frei, weil letztendlich zuvörderst Jesus Christus zu dienen sei.
Zur Familie aus frühchristlicher Sicht siehe ausführlich C. Osiek, D. L. Balch 1997. Welche Vorstellungen hatten die frühen Christen von Familie und wie brachten sie ihre familiären Werte mit dem neuen Glauben in Einklang? Wie entschieden sich die frühen Christen, wenn es Konflikte zwischen Familie und Glauben gab?
S. W. Henderson 2006, 420-432 legt dar, dass es sich bei Kol 3,18-4,1 weder um statische gesellschaftliche Bestimmungen handele, die dem 20. Jh. einfach übergestülpt werden können, noch um auf dem historischen Hintergrund zu verstehende, überholte Aussagen, die einfach ignoriert werden können. Vielmehr gehe es um eine zeitlose Anwendung von Christi Herrschaft auf die gesellschaftlichen Bräuche. 3,18-4,1 beinhalte also eine Botschaft für die Kirche, die für alle Zeiten gilt.
A. T. Lincoln 1999, 93-112 untersucht - mit einem besonderen Blick auf den Christushymnus 1,15-20 -, wie sich die Haustafel 3,18-4,1 in die Argumentation des Kol einfügt und was sich der Autor bei der Einfügung gedacht haben mag. Ergebnis: Die Haustafel des Kol sei im Zusammenhang mit der vom Brief propagierten weisen Lebensweise, mit der Ehrfurcht vor Christus als kosmischem Herrn, mit dem Kontrast zwischen einer Weisheit, die von "oben" stammt, und einer Weisheit, die von "unten" stammt, und mit dem allgegenwärtigen Thema der Dankbarkeit verbunden. Die kombinierte Wirkung dieser Verbindungen lasse vermuten, dass die Haustafel einen Teil der Antwort des Kol auf die Weisheit der kritisierten Philosophie darstellt und die apostolische Weisheit von den angenommenen gesellschaftlichen Folgen einer asketischen Weisheit distanziert.
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Beobachtungen: Der Verfasser des Kol konkretisiert nicht, wen er im Blick hat, der Unrecht tun könnte. Da er die Sklaven angeredet und von ihrem Dienst gesprochen hat, liegt nahe, dass er die Sklaven im Blick hat. Das Unrecht ließe sich ganz grob dem äußerlichen Dienst, um Menschen zu gefallen, zuordnen. Bei dem Verb "êdikêsen" ("... er an Unrecht getan hat") handelt es sich um einen Aorist. Dieses wird benutzt, um zu kennzeichnen, dass ein Verhalten abgeschlossen ist. Auch kann es die Einmaligkeit oder die kurze Zeitdauer kennzeichnen, wogegen das Imperfekt bei wiederholten oder andauernden Handlungen benutzt wird. Es ist also wohl weniger ein dauerhaftes Fehlverhalten, durch mangelnde Orientierung auf Christus hin, im Blick, sondern es sind einzelne Verhaltensweisen gemeint - einzelne Verhaltensweisen, die äußerlichen Dienst darstellen, um Menschen zu gefallen. Als zweite Gruppe, die der Verfasser des Kol im Blick haben könnte, sind die Sklavenhalter. Die Sklavenhalter sind am ehesten bezüglich ihrer Sklaven versucht Unrecht zu tun. Wenn sie diese schlecht behandeln, so könnte das vom Verfasser des Kol als "Unrecht tun" bezeichnet werden. Und schließlich kann auch die fehlende Konkretisierung derer, die Unrecht tun, darauf hinweisen, dass die Aussage allgemeiner Art ist: Für alle Menschen gilt, dass Unrecht auf einen selbst zurückfällt, an einem selbst vergolten wird.
Warum kommt der Verfasser des Kol auf den Tun-Ergehen-Zusammenhang zu sprechen? Es klingen mehrere Aussageabsichten an: Zunächst einmal wird grundsätzlich klar gemacht, dass Unrecht auf einen selbst zurückfällt. Es wird an einem selbst vergolten, wobei offen bleibt, wer derjenige ist, der vergilt. Zu denken ist an Gott oder Jesus Christus. Bei der Vergeltung gibt es kein Ansehen der Person, will sagen: Wer unter den Menschen ein hohes Ansehen hat, kommt bei der Vergeltung nicht besser weg als diejenigen, die unter Menschen ein geringes Ansehen haben. Bei Gott bzw. Christus gilt das unter den Menschen genossene Ansehen nicht. Das gilt auch für die angesehenen Sklavenhalter, die sich somit - dies dürfte die zweite Aussageabsicht sein - nicht erlauben können, mit den Sklaven schlecht umzugehen. Und die dritte Aussageabsicht des Verfassers des Kol dürfte sein, den Sklaven einzuschärfen, dass sie Christus dienen sollen, damit Fehlverhalten nicht auf sie selbst zurückfällt.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Da die Aussage zum Tun-Ergehen-Zusammenhang allgemeinen Charakter hat und es in erster Linie die Sklavenhalter sind, die sich aufgrund ihres Wohlstandes und Sklavenbesitzes eines hohen gesellschaftlichen Ansehens rühmen können, werden diese zum Schluss der "Haustafel" direkt nach der Aussage "und es gilt kein Ansehen der Person" angesprochen.
V. 1 bringt unmissverständlich den in V. 25 bereits implizit enthaltenen Gedanken zum Ausdruck, dass auch die Herren - gemeint sind die bereits in V. 22 erwähnten "Herren nach dem Fleisch - mit den Sklaven nicht tun und lassen können, was sie wollen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich der Verfasser des Kol an christliche Herren wendet. Es geht also darum, welches Verhalten von einem Christen, der Sklaven besitzt, zu erwarten ist.
Den Sklaven ist das "Rechte und Billige" zu gewähren, wobei offen bleibt, was darunter zu verstehen ist. Es lässt sich nur sagen, dass einer Sache sicherlich nichts zustehen würde. Das "Rechte und Billige" lässt also auf die Anerkennung der Sklaven als Person mit menschlichen Bedürfnissen schließen. Unklar ist, inwieweit sich das "Rechte und Billige" am Status orientiert. Eine Orientierung an einem niedrigen Status würde bedeuten, dass bei den Sklaven Rechte und Bedürfnisse niedriger angesetzt werden als bei den Freien. Eine fehlende Orientierung am Status würde bedeuten, dass das "Rechte und Billige" sich bei Sklaven und Freien nicht unterscheidet, es also in gewisser Weise um allgemeine Menschenrechte und um allgemeine menschliche Bedürfnisse geht.
Die Formulierung "... dass auch ihr einen Herrn im Himmel habt" macht zweierlei deutlich: Erstens haben die christlichen Sklavenhalter ebenso wie die christlichen Sklaven einen Herrn im Himmel (einige Textzeugen lesen "in den Himmeln"). Dieser Herr - gemeint ist Christus (vgl. V. 24), vielleicht auch Gott, der Vater Christi - ist für das Verhalten aller Christen, also für Sklaven und Sklavenhalter gleichermaßen, maßgeblich. Zweitens sind aus christlicher Sicht nicht nur die Sklaven unfrei, sondern auch die Sklavenhalter. Im Gegensatz zu den Sklaven unterstehen die Sklavenhalter zwar keinem "Herren nach dem Fleisch" und müssen einem solchen folglich nicht dienen, jedoch unterstehen sie dem Herrn Christus bzw. Gott. Diese Unfreiheit dem Herrn Christus bzw. Gott gegenüber haben sie mit den Sklaven gemein.
Die Verortung des Herrn "im Himmel" stellt eine räumliche Trennung von den Menschen auf der Erde dar. Die "Herren nach dem Fleisch" sind auf der Erde, der "Herr" dagegen ist "im Himmel" und damit "(dr)oben". Gemäß Kol 3,1-2 sollen die Christen nach dem trachten, was "droben" ist.
Weiterführende Literatur: A. Standhartinger 2000, 117-130 sieht in den popularphilosophischen Gesetzessammlungen, die unter dem Namen des Charondas und Zaleukos überliefert worden sind, sowie in der Inschrift SIG 985 aus Philadelphia die engsten Parallelen zum Kol. Die genannten Schriften beinhalteten eine Liste einzelner Ermahnungen an jeweils bestimmte gesellschaftliche Gruppen, die miteinander rund um das klassische "Haus" in Bezug zueinander stünden. Der Sitz im Leben dieser Gesetzessammlungen bleibe im Dunklen, aber die Inschrift biete Außenstehenden Informationen über die Beibehaltung der gesellschaftlichen Ordnung im Kult. Es könne angenommen werden, dass diese Absicht auch dem Kol zugrunde liegt. Die Haustafel füge sich nur schlecht in den Zusammenhang des Briefes ein. Kol 4,1 (in der Übersetzung "Ihr Herren, erweist euren SklavInnen das Gerechte und die Gleichheit (isotês)...") stelle die Leitlinie dar, wie die Haustafel zu lesen ist und sich in den Gesamtzusammenhang des Briefes einfügt. Ein solche Art zu lesen erkläre auch den (scheinbaren) Widerspruch zwischen 3,11 und 3,18-4,1, der sich ansonsten nicht auflösen lasse.
Laut A. Standhartinger 1998, 641-645 lasse sich Kol 4,1 wie folgt übersetzen: "Ihr Herren, erweist euren SklavInnen das Gerechte und die Gleichheit (isotês)...". Das sei vielleicht ein Hinweis Paulines (= der Verfasserin oder des Verfassers des Kol), die "Haustafel" gegen den Strich zu lesen. Die "Haustafel" teile mit, wenn sie Außenstehenden bekannt wird, was im Innern ("im Herrn") geschieht: keineswegs die Umstürzung, sondern die Verfestigung patriarchalischer sozialer Ordnungen. Eine Mitteilung, die angesichts von Kol 3,11 nicht zuletzt auf römische Statthalter beruhigend gewirkt habe. Es bestehe aber Anlass zu der Vermutung, dass mindestens ein Teil der Adressatinnen und Adressaten Paulines Verdeckungsstrategien aufdeckten und die auffällig aus dem Kontext herausgehobene "Haustafel" enttarnten im Sinne der neuen Wirklichkeit Christi, der Aufhebung der Klassenunterschiede und einer Gemeinde der einander ermutigenden Mitsklavinnen und Mitsklaven.
Mit der Übersetzung der Formulierung "to dikaion kai tên isotêta" befasst sich M. Vasser 2017, 59-71. Obwohl das Wort "isotês" gewöhnlich "Gleichheit" bedeute, werde von vielen Gelehrten die Meinung vertreten, dass in Kol 4,1 "isotês" "Fairness" bedeute. Zur Begründung dieser Meinung werde eine Handvoll Passagen aus der profanen griechischen Literatur herangezogen. Außerdem werde behauptet, dass "isotês" in 4,1 nicht "Gleichheit" bedeuten könne, weil die Haustafel von der Fortdauer der Sklaverei ausgehe. M. Vasser setzt sich kritisch mit dieser Argumentation auseinander und kommt zu dem Ergebnis, dass keine der sechs gewöhnlich herangezogenen Textpassagen für die Übersetzung "Fairness" spreche. Ein Vergleich von 4,1 mit Senecas 47. Brief zeige zudem, dass die Annahme, dass der Kontext des Verses die Übersetzung von "isotês" mit "Gleichheit" ausschließe, auf einer falschen Gegensätzlichkeit beruhe. 4,1 besage folglich, dass die Sklavenhalter den Sklaven "Gerechtigkeit / das Gerechte" und "Gleichheit" gewähren sollen.
In einer detaillierten Untersuchung von 4,1 kommt P. Boumis 1981, 403-407 zu dem Schluss, dass die Anerkennung der Gleichheit der Menschen ein Faktor des Fortschritts sei.
M. Y. MacDonald 2007, 94-113 widmet sich der Frage, was Sklaven und Sklavenhalter wohl aus den Ermahnungen 3,18-4,1 herausgehört haben. Sie geht davon aus, dass Sklaven für Sklavenhalter sexuell verfügbar gewesen seien, auch wenn sich das NT in dieser Frage ausschweige. Die Schlüsse, die aus der Haustafel für den sexuellen Umgang mit Sklaven gezogen wurden, seien wohl sehr verschieden gewesen. Ein wesentlicher Faktor sei zum einen die Frage gewesen, ob der jeweilige Haushalt christlich war oder nicht; zum anderen hätten auch die komplexen familiären Verhältnisse eine wichtige Rolle gespielt. Der Kol billige den Sklaven wohl ein gewisses Maß an Ehre zu, was in christlichen Haushalten manchmal zu einem größeren Respekt gegenüber den familiären bzw. sexuellen Grenzen als in nichtchristlichen Haushalten geführt habe.
M. Y. MacDonald 2014, 33-65 liest Kol 3,18-4,1 im Lichte der Sklavenkinder, die zu den am leichtesten verwundbaren Gemeindegliedern gehört hätten. An erster Stelle widmet sie sich der sexuellen Herrschaft der Sklavenhalter über die Sklaven und ihre Kinder und der Sexualethik im Kol, die zu einer neuen Moralität geführt habe. Alle seien in einem neuen Bilde neu geschaffen worden. Das - wenn auch nicht immer praktizierte - Ideal sei eine vereinte Familie gewesen, in der Eltern, Ehemänner, Ehefrauen und Kinder ihren Platz fanden, seien sie Sklaven oder Freie. Es sei zwar nicht sicher, aber doch zu vermuten, dass sich unter den Adressaten des Kol auch Sklavenkinder fanden. Die direkte Anrede der Kinder in der Haustafel sei wohl so zu verstehen, dass Kinder von Freien und Kinder von Sklaven Seite an Seite ermahnt wurden.
Literaturübersicht
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