Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Kolosserbrief

Der Brief des Paulus an die Kolosser

Kol 4,2-6

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

Wenn Sie diese Bibliographie zum ersten Mal nutzen, lesen Sie bitte die Hinweise zum Gebrauch.

Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Kol 4,2-6



Übersetzung


Kol 4,2-6 : 2 Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung! 3 Betet dabei auch für uns, dass (der) Gott uns eine Tür für das Wort öffne, das Geheimnis (des) Christi weiterzusagen - um dessentwegen ich auch gebunden bin -, 4 dass ich es so offenbare, wie ich es weitersagen muss. 5 Wandelt in Weisheit gegenüber den Außenstehenden und kauft die Zeit frei! 6 Eure Rede sei allezeit in Gnade, mit Salz gewürzt, damit ihr wisst, wie ihr jedem Einzelnen antworten müsst!



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V. 2


Beobachtungen: Nachdem der Verfasser des Kol den Abschnitt über das neue Leben der Christen (3,5-4,1) abgeschlossen hat, bringt er noch einige zum neuen Leben passende Ermahnungen an. Bei diesen geht es um die Beharrlichkeit im Gebet und um weises Verhalten.


Der Übergang von 4,1 zu 4,2 erfolgt abrupt: Waren in 4,1 noch die Sklavenhalter angesprochen, so sind es nun wieder alle Adressaten. Es geht also nicht mehr wie in 3,18-4,1 um Mahnungen an jeweils eine bestimmte Gruppe unter den Adressaten des Briefes, sondern um Mahnungen an alle Adressaten.


Das Verb "proskartereô" bedeutet "noch weiter ausharren". Es wird anscheinend vorausgesetzt, dass die Adressaten bereits beten. Die Beharrlichkeit kann so gedeutet werden, dass die Adressaten weiterhin beten sollen, oder so, dass die Adressaten ständig beten, also gleichsam dauerhaft betend ihr Tageswerk verrichten sollen.


Das Partizip "grêgorountes" ist eigentlich mit "wachend" zu übersetzen. Weil es hier auf einen Imperativ folgt, liegt eine Übersetzung als Imperativ ("wacht!") nahe. Die Aufforderung, wach zu sein, meint sicherlich nicht den Verzicht auf nächtlichen Schlaf, sondern bezieht sich auf die geistige Wachheit. Diese meint vermutlich nicht nur den klaren Verstand, sondern auch die Wachsamkeit im Hinblick auf den rechten Glauben und die rechte Lebensführung. Weil die Wachsamkeit eine dauerhafte Lebenshaltung ist und die Wachsamkeit im Gebet mit Danksagung erfolgen soll, ist wohl auch an ein dauerhaftes Gebet und an eine dauerhafte Danksagung gedacht.


Der Dank spielt im Kolosserbrief eine ganz zentrale Rolle, wie die Vielzahl Stellen (Kol 1,3.12; 2,7; 3,15-17; 4,2) zeigt, an denen von ihm die Rede ist. Das Glaubenselement, das an erster Stelle zum Dank Anlass gibt, dürfte wohl die Versöhnung Gottes mit den (gläubigen) Menschen aufgrund von Jesu Kreuzestod sein. Diese wird in Kol 1,20.22 herausgehoben.


Weiterführende Literatur: Gemäß R. Yates 1991, 241-251 fänden sich in Kol 3,1-4,6 drei verschiedene Typen traditionellen katechetischen und ethischen Materials: Laster- und Tugendkataloge, die Haustafel und sprücheartige ethische Aussagen, die als "topoi" bekannt seien. Es gebe guten Grund für die Annahme, dass alle drei Typen vorpaulinisch sind. Sie hätten sich schon im hellenistischen und jüdischen religiösen Leben gefunden, würden in 3,1-4,6 jedoch spezifisch christlich gebraucht.


Zu den Anweisungen des Paulus bezüglich des Gebetes siehe J. P. Sweeney 2002, 318-333. Das Gebet stelle einen wichtigen und notwendigen Bestandteil des christlichen Lebens dar. Das von Paulus den Adressaten ans Herz gelegte Gebet sei von Beharrlichkeit, Wachsamkeit, Dankbarkeit und Bewusstsein für Mission geprägt. Die Mission solle durch die vertrauensvollen Gebete der Gläubigen Unterstützung erfahren.


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V. 3


Beobachtungen: Wer ist mit "uns" gemeint? Geht man davon aus, dass Paulus und Timotheus gemeinsam den Brief geschrieben haben (vgl. 1,1), dann dürften Paulus und Timotheus gemeint sein. Timotheus würde als Paulus bzw. dem Verfasser des Kol gleichrangiger Missionar erscheinen.Über die beiden hinaus könnten auch noch weitere Christen, speziell Missionare, gemeint sein. Man kann den Plural "wir" aber auch als ein literarisches Stilmittel ansehen. Dann wäre wohl nur Paulus gemeint.


Die Formulierung "Betet dabei auch für uns" lässt an ein Gebet denken, das zeitgleich mit dem in V. 2 genannten erfolgt. Es ist aber wohl nicht von einem zweiten, parallelen Gebet die Rede, sondern von einem Gebet, das im Rahmen des in V. 2 erwähnten erfolgt. Das Gebet für Paulus bzw. Paulus und Timotheus wäre damit ein Bestandteil des in V. 2 erwähnten Gebetes.


Mit dem "Wort" ("logos") ist wohl kein einzelnes Wort gemeint, auch nicht ein einzelner Satz, sondern das Evangelium.


Die Genitivkonstruktion "thyran tou logou" ist wörtlich mit "eine Tür des Wortes" zu übersetzen. Verschiedene Deutungen der Genitivkonstruktion sind möglich: Am nächsten liegt die Deutung, dass das Wort selbst eine Tür hat, die geöffnet werden kann. Aber wie soll das zu verstehen sein, was soll die Tür für eine Bedeutung haben? Diese Unklarheit lässt diese Deutung unwahrscheinlich erscheinen. Als weitere Deutung kommt infrage, dass das Wort selbst die Tür ist. Dann wäre die Bedeutung "... dass (der) Gott uns das Wort öffne". Aber inwiefern soll Paulus bzw. dem Verfasser des Kol (und Timotheus) das Wort geöffnet werden? Sollte etwa gemeint sein, dass ihm bzw. ihnen das Wort bisher nicht zugänglich war, sie es selbst noch nicht gehört haben? Das ist ausgeschlossen, denn dann hätte er bzw. hätten sie noch nicht zum christlichen Glauben kommen können. Oder ist gemeint, dass ihnen der Sinn des Wortes, d. h. des Evangeliums, noch verschlossen ist und es ihnen nun geöffnet werden muss? Das ist unwahrscheinlich, denn das würde bedeuten, dass Paulus bzw. der Verfasser des Kol (und Timotheus) bisher das Evangelium gepredigt haben, ohne es zu verstehen. Wahrscheinlicher ist die Deutung, dass eine das Wort betreffende Tür gemeint ist, womit die Übersetzung lautet: "eine Tür für das Wort". Die Tür dürfte für die Ermöglichung oder für die Erlaubnis des Wortes - konkret: der Verkündigung des Wortes - stehen. Es ist also vorausgesetzt, dass es Paulus - vielleicht auch Timotheus - zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich ist, das Wort, das Evangelium, zu verkündigen. Gegenwärtig ist die Tür also verschlossen.


"Geheimnis (des) Christi" bedeutet wohl nicht, dass Christus selbst ein Geheimnis hat (= genitivus subiectivus). Auch dürfte nicht gemeint sein, dass Paulus bzw. der Verfasser des Kol Christus gegenüber ein Geheimnis hat (= genitivus obiectivus). Vermutlich ist gemeint, dass Christus selbst das Geheimnis ist (= genitivus epexegeticus; vgl. 1,27; 2,2).


Das Verb "dedemai" ist zunächst einmal mit "ich bin gebunden" zu übersetzen. Das "Ich" dürfte sich allein auf Paulus bzw. den Verfasser des Kol beziehen, auf niemand anderen, auch nicht auf Timotheus. Die Bindung kann durch eine Verpflichtung (z. B. durch einen Auftrag oder einen Vertrag) oder durch Gefangennahme erfolgt sein. In ersterem Fall wäre am ehesten an die Berufung durch Jesus Christus zur Verkündigung des Evangeliums, des Geheimnisses Christi, zu denken. Durch diese Berufung wäre Paulus bzw. der Verfasser des Kol in seinem Handeln gebunden. In letzterem Fall wäre Paulus bzw. der Verfasser des Kol durch Fesseln gebunden und könnte das Gefängnis nicht verlassen. V. 3 lässt erkennen, dass Paulus bzw. der Verfasser des Kol derzeit keine Möglichkeit zur Verkündigung des Evangeliums hat. Daher ist davon auszugehen, dass er im Gefängnis durch Fesseln gebunden ist. Diesen Sachverhalt bringt die Übersetzung "gefesselt" (oder: "in Fesseln", "im Gefängnis") am besten zum Ausdruck. Der Grund für die Gefangenschaft ist das "Geheimnis (des) Christi", also die Predigt des Evangeliums mit dem als Geheimnis verstandenen Christus als Inhalt.

Letztendliches Ziel des in V. 3 erbetenen Gebetes ist nicht die Befreiung des Paulus (und Timotheus) bzw. des Verfassers des Kol aus der Gefangenschaft, sondern die Ermöglichung der weiteren Verkündigung des Evangeliums durch den bzw. die Gefangenen. Die Befreiung aus der Gefangenschaft ist die Voraussetzung dafür.


Weiterführende Literatur: Zur Fürbitte im Kol und im Eph schreiben F. Schnider, W. Stenger 1987, 79-80: Mit der Fürbitte, die beide Briefe enthalten, solle erreicht werden, dass der gefangene Apostel dennoch offen das "Geheimnis Christi" (Kol 4,3) bzw. "das Geheimnis des Evangeliums" (Eph 6,19) "bekanntmachen" kann. Doch unterschieden sich Kol und Eph auch. Sei im Kol das Ziel der erbetenen Fürbitte der Gemeinde für den Apostel, dass, obwohl er selbst gefangen ist, sich wenigstens eine Tür für das Wort auftue, dass der Apostel also Gelegenheit für seine Evangeliumsverkündigung erhalte, so solle im Eph durch die Fürbitte der Gemeinde dem Apostel "ein Wort beim Öffnen seines Mundes" gegeben werden, er solle also Offenbarungsempfänger bleiben, um so das Geheimnis des Evangeliums bekanntmachen zu können. Dass er "in Ketten" ist, hindere diese Bekanntgabe nicht. Vielmehr sei er gerade "in Ketten" "Gesandter" des Evangeliums, in seiner gefesselten Existenz offenbare er dessen Geheimnis.


M. Bockmuehl 1988, 489-494 weist darauf hin, dass die bisherigen Textausgaben eine von neun Minuskeln und einigen antiken Textausgaben gebotene Variante übersehen hätten, die in V. 3 statt "di' ho" ("um dessentwegen") "dio" ("weswegen") lese. Damit stelle nicht ein Relativpronomen ("ho") einen alleinigen Bezug auf das "Geheimnis" ("mystêrion"; ein Neutrum) her, sondern der Bezug werde auf den gesamten vorhergehenden Gedanken ausgeweitet, nämlich die Sorge um die "Tür für das Wort", die das Weitersagen des Geheimnisses ermögliche. Somit sei Paulus nicht nur wegen des Geheimnisses Christi gebunden, sondern die Gefangenschaft werde mit dem kerygmatischen Auftrag in Beziehung gesetzt. Die Verkündigung und die diesbezüglichen Verpflichtungen begründeten zusammen die Offenbarung des Geheimnisses.


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V. 4


Beobachtungen: Die Verkündigung wird als Offenbarung des "Geheimnisses (des) Christi" verstanden (vgl. 1,25-26; 2,2-3). Es ist aber "nur" der erste Schritt der Offenbarung, denn die gemeinsame Offenbarung Christi und der Christen steht noch aus und wird erst in - nicht genauer bestimmter - Zukunft geschehen (vgl. 3,4).

Im Gegensatz zu den gemeinhin als echt anerkannten paulinischen Briefen und auch Kol 3,4, wo das passivum divinum (Passiv, bei dem vorausgesetzt ist, dass Gott der Handelnde ist) benutzt oder Gott ausdrücklich als Handelnder genannt wird, erscheint in 4,4 Paulus bzw. der Verfasser des Kol selbst als Offenbarer. Bedeutet das eine Aufwertung der Person des Paulus?


Das Verb "laleô" bedeutet zunächst einmal ganz allgemein "reden", "sprechen", "sagen" oder "berichten". Da es in V. 3-4 nicht um eine Rede, um ein Gespräch oder einen nüchternen Bericht eines profanen Sachverhaltes geht, sondern um Verkündigung, also um sprachliche Verbreitung einer frohen Botschaft, dürfte hier die Übersetzung "weitersagen" am besten passen.

Dieses Weitersagen der frohen Botschaft erfolgt nicht aus freien Stücken nach Lust und Laune, sondern erscheint als eine Verpflichtung. Selbst wenn in V. 3 mit der Bindung eine Bindung durch Fesseln im Gefängnis gemeint sein sollte, wird doch auch die Verkündigung selbst mit Bindung in Verbindung gebracht. Die Bindung dürfte am ehesten durch die Berufung durch Jesus Christus zur Verkündigung des Evangeliums, des "Geheimnisses (des) Christi", erfolgt sein. Aufgrund der Berufung zur Verkündigung "muss" Paulus bzw. der Verfasser des Kol das "Geheimnis (des) Christi" offenbaren bzw. weitersagen. Auch ist möglich, dass sich der Verfasser des Kol - ganz unabhängig von einer Berufung - dazu gedrängt sieht, das Evangelium weiterzusagen.


Fraglich ist, worauf sich die einen Finalsatz einleitende Konjunktion "hina" ("damit") bezieht. Gibt sie wie das "hina" des ersten Finalsatzes (V. 3) ein Ziel des von den Kolossern erbetenen Gebetes an? Im ersten Finalsatz ist das Ziel genannt worden, dass das Weitersagen des Evangeliums wieder ermöglicht werden soll. Der zweite Finalsatz (V. 4) würde dementsprechend das Ziel nennen, dass Paulus bzw. der Verfasser des Evangeliums das Geheimnis Christi so offenbart, wie er es weitersagen muss. Es geht also nicht nur um das Weitersagen, sondern um die Offenbarung eines Geheimnisses und zudem um die Verpflichtung zum Weitersagen. Bezieht man die Konjunktion "damit" ("hina") auf den ersten Finalsatz, dann ergeben sich innerhalb dessen zwei Bezugsmöglichkeiten, und zwar auf das Öffnen der Tür und auf die Gefangenschaft (oder: Bindung an die Verkündigung). Bei einem Bezug auf das Öffnen der Tür würde dieses nicht nur das Weitersagen des Geheimnisses (Christi) ermöglichen, sondern auch die Offenbarung. Bei einem Bezug auf die Gefangenschaft (oder: Bindung) wäre ausgesagt, dass diese die Offenbarung ermöglicht. Die Verbform "phanerôso" ("ich offenbare") ist ein Singular und legt einen Bezug auf die Bindung oder Gefangenschaft nahe, denn die Gefangenschaft (oder: Bindung) bezieht Paulus auf sich alleine und nicht wie das Öffnen der Tür möglicherweise auch auf eine weitere Person, nämlich Timotheus. Ein Bezug auf die Gefangenschaft würde bedeuten, dass diese der Offenbarung dient. Das ist aber unwahrscheinlich, denn wie soll in Gefangenschaft Offenbarung erfolgen, die V. 4 doch so eng mit dem Weitersagen verknüpft? Ein Weitersagen ist aber in Gefangenschaft unmöglich oder - sofern Besucher zugelassen werden - zumindest erschwert. Mehr Sinn ergibt es, wenn man die Bindung nicht als Gefangenschaft, sondern als Bindung an die Verkündigung versteht. Dann wäre ausgesagt, dass die Bindung der Offenbarung dient.


Es fällt auf, dass die Gefangenschaft nicht positiv oder negativ beurteilt wird, sondern nur neutral als Tatsache erwähnt. Weder wird zu einem Bekenntnis des christlichen Glaubens aufgerufen, das geradewegs ins Gefängnis und schlimmstenfalls in den Tod führt, noch wird die Gefangenschaft kritisiert. Es wird nur festgestellt, dass die Gefangenschaft hinderlich für das Weitersagen und für die Offenbarung des "Geheimnisses (des) Christi" ist. Das wird allerdings als ein schwer wiegendes Manko angesehen, denn dem Verfasser des Kol geht es an erster Stelle darum, dass der Glaube an Christus verbreitet wird, bis er schließlich die ganze Welt erfüllt. Hier zeigt sich ein Grundzug, der auch für die Deutung der V. 5-6 maßgeblich ist: Die Christen sollen ihren Glauben bekennen. Das kann auch dazu führen, dass sie ins Gefängnis geworfen werden. Wünschenswert ist das aber nicht, weil das ein Hindernis für die Verbreitung des christlichen Glaubens mittels der Verkündigung ist. Optimal ist Handeln und Reden eines Christen also, wenn es bekennend ist, aber nicht unnötig Widerstand entfacht und schließlich dazu führt, dass durch Gefangenschaft oder gar Tod die weitere Verbreitung des Christentums erschwert wird.


Weiterführende Literatur:


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V. 5


Beobachtungen: Der "Wandel" bezeichnet den Lebenswandel, also die Art und Weise zu leben. "Wandel in Weisheit" ist als ein von Weisheit geprägter Lebenswandel gemeint sein. In V. 4 bezieht sich der "Wandel in Weisheit" konkret auf den Umgang mit den "Außenstehenden". Es dürfte also gemeint sein, dass sich die Adressaten gegenüber den Außenstehenden weise verhalten sollen.

Mit der "Weisheit" ist hier nicht menschliche Klugheit, auch nicht eine kluge Theorie oder geistreiche Philosophie gemeint. Es dürfte auch nicht gemeint sein, dass die Adressaten sorgsam abwägen sollen, inwieweit sie sich den Verhaltenserwartungen der nichtchristlichen Mehrheit der Bevölkerung anpassen. Vielmehr dürfte die Weisheit geistlicher Art sein und mit geistlicher Einsicht verbunden sein (vgl. 1,9). Die christliche "Haustafel" (3,18-4,1) mag man zwar als eine Anpassung christlichen Verhaltens an die Erwartungen der nichtchristlichen Umwelt ansehen, der Verfasser des Kol sieht dies jedoch anders: Die Mahnungen der "Haustafel" sind für ihn wahrhaft christlich und das angemahnte Verhalten soll "im Herrn" erfolgen. Nicht die nichtchristliche Umwelt soll den christlichen Glauben und die christlichen Verhaltensmaßstäbe formen, sondern der christliche Glaube und die christlichen Verhaltensmaßstäbe sollen sich ausbreiten und schließlich den Kosmos füllen. Das schließt nicht aus, dass in konkreten Fällen - wie bei der "Haustafel" - nichtchristliche Verhaltensmaßstäbe christlich gedeutet werden, wenn dies für ein reibungslosen Zusammenleben mit den Nichtchristen und bessere Rahmenbedingungen der christlichen Mission förderlich ist.


Der Verfasser des Kol geht davon aus, dass es Menschen gibt, die "drinnen" sind, und solche, die "draußen" sind. Da er sich in Glaubensfragen an die Kolosser wendet, dürfte sich das "Drinnen" und das "Draußen" auf den Glauben beziehen. Die, die "draußen" sind - also die "Außenstehenden" -, sind die, die nicht zur christlichen Gemeinschaft gehören, also die Nichtchristen. Diese sind nicht nur außerhalb der christlichen Gemeinschaft, sondern auch außerhalb des Macht- und Heilsbereiches Christi.


Unklar ist, wie das Verb "exagorazô" bzw. "exagorazomai" zu verstehen ist. Es kommt im NT nur in Gal 3,13 und 4,5 sowie in Kol 4,5 und Eph 5,16 vor. In Gal 3,13 und 4,5 bedeutet es "loskaufen / freikaufen". Dabei geht es um einen Loskauf / Freikauf vom Fluch des Gesetzes bzw. Gesetz. Das bedeutet, dass die Christen nicht mehr den Satzungen und Geboten des Gesetzes - gemeint ist die Tora (= Weisung; die fünf Bücher Mose) - unterworfen sind. Aus Sicht des Verfassers des Kol erlangt man durch den Glauben an Christus das Heil, nicht durch das Halten der Satzungen und Gebote des Gesetzes. Ähnlich könnte auch die Bedeutung in Kol 4,5 sein: Die Adressaten sollen die "Zeit" loskaufen, d. h. aus einer Beschaffenheit befreien, die nicht zum Heil führt. In der - vom Verfasser des Kol her gesehen - gegenwärtigen Zeit ist das Christentum noch eine Minderheitenreligion, auch wenn sie sich in der Ausbreitung befindet. Die Mehrheit glaubt an heidnische Götter und auch das Judentum spielt eine Rolle. Diese Religionen stellen aber nicht Christus in den Mittelpunkt des Glaubens und führen nach Ansicht des Verfassers des Kol somit nicht zum Heil. Diese Bedeutung scheint auch Eph 5,16 zugrunde zu liegen, wo es als Begründung für das "Loskaufen / Freikaufen der Zeit" heißt: "denn die Tage sind böse".

Nun bezeichnet "kairos" ("Zeit") jedoch gewöhnlich nicht ein Zeitalter - ein solches könnte ja der Heillosigkeit unterworfen sein - und auch keinen Zeitverlauf oder beliebigen Zeitpunkt, sondern die "rechte Zeit". Es ist also ein Zeitpunkt oder eine Zeitspanne gemeint, der bzw. die für ein Geschehen oder eine Handlung geeignet ist. Der Zeitpunkt oder die Zeitspanne kann auch derjenige bzw. diejenige sein, in dem bzw. in der sich ein von Gott vorgesehenes Ereignis abspielt. In Ausnahmefällen wie Eph 1,10 (vgl. Gal 4,4) kann aber "kairos" auch bedeutungsgleich mit "chronos" sein und einfach nur "Zeit" meinen, ohne dass diese als "recht" charakterisiert wird. Geht man trotz der Möglichkeit, dass auch in Kol 4,5 eine Ausnahme vorliegt, von der Bedeutung "rechte Zeit" aus, dann stellt sich die Frage, wie die Aufforderung "kauft die rechte Zeit los / frei" zu verstehen ist. Es könnte gemeint sein, dass derzeit die richtige Zeit ist, um die Welt aus dem unheilvollen Zustand loszukaufen, und zwar durch die Verbreitung des Christentums. Nun ist nicht zu erkennen, dass der Verfasser des Kol Leiden oder gar Tod für den Glauben verlangt. Auch übermäßiger Askese steht er kritisch gegenüber, insbesondere wenn sie aus fehlgeleiteten religiösen Motiven geleistet wird (vgl. Kol 2,16-23). Er fordert also nicht, dass die Gläubigen im wörtlichen oder übertragenen Sinn gekreuzigt werden und damit Christus nachfolgen, durch dessen Kreuzigung ja der Loskauf der gläubigen Menschen vom Gesetz erfolgt ist. Der Verfasser des Kol mahnt aber ein Verhalten und Reden an, das dem christlichen Glauben angemessen ist und zu dessen Ausbreitung und Stärkung führt.

Mit dem Loskauf / Freikauf der (rechten) Zeit könnte auch ausgesagt sein, dass die Christen diese Zeit nutzen sollen, und zwar zur Verbreitung und Stärkung des Glaubens. Diese Deutung passt sehr gut zur "rechten Zeit". Gegen sie spricht jedoch, dass es keinen Beleg dafür gibt, dass das Verb "exagorazô" bzw. "exagorazomai" "nutzen" bedeutet. Allerdings muss das Präfix "ex" nicht unbedingt übersetzt werden, sondern man kann "exagorazomai" wie "agorazomai" mit "kaufen" übersetzen. "Kaufen" ließe sich so verstehen, dass die Adressaten die Zeit in Besitz nehmen und nutzen sollen. Oder man deutet das Präfix "ex" im Sinne von "vollständig". Dann wäre die Übersetzung "kauft die Zeit vollständig!", was bedeuten könnte: "Nehmt die Zeit vollständig in Besitz und nutzt sie!". In Dan 2,8LXX findet sich schließlich noch eine weitere Bedeutung des Verbs "exagorazô" bzw. "exagorazomai": "Zeit gewinnen". Dass diese Bedeutung jedoch auch in Kol 3,5 vorliegt, ist unwahrscheinlich, denn es ist nicht zu erkennen, was "gewinnt die (rechte) Zeit" bedeuten sollte. Dass es darum geht, ein negatives Ereignis herauszuzögern und für etwas Zeit zu gewinnen, ist nicht zu erkennen.

Bei der Verbform "exagorazomenoi" handelt es sich um ein Partizip. Die wörtliche Übersetzung lautet also "loskaufend / freikaufend". Das Partizip folgt direkt auf einen Imperativ, was eine Übersetzung als Imperativ nahe legt ("kauft los! / kauft frei!"). Das Partizip kann aber auch einfach ein zeitgleiches Geschehen, den Rahmen des Wandels in Weisheit ("während ihr die Zeit loskauft / freikauft") ausdrücken oder das Mittel oder die Art und Weise des Wandels in Weisheit ("indem ihr die Zeit loskauft / freikauft"). Und schließlich kann auch die Folge des Wandels in Weisheit ausgedrückt sein: "so kauft ihr die Zeit los / frei".


Weiterführende Literatur: Mit dem christlichen Leben gemäß dem Kol befasst sich H. W. House 1994, 440-454. Zu 3,12-4,6: Das neue Leben der Christen, das ja auf ihren Status "in Christus" gegründet sei, bedeute, dass jede Beziehung und jede Aktivität nach dem Modell Christi erfolgen soll.


Zur Zeitsouveränität als neue Ermöglichung erfüllten Menschseins siehe A. Auer 1991, 439-444. Nach einer Klärung der Begriffe "Zeit" und "Souveränität" geht er der Frage nach, was nun die Formeln von Zeitsouveränität und vom Auskaufen der Zeit eigentlich meinen. Er versucht eine Auslegung in drei Richtungen: Chancen nutzen; Begrenztheiten hinnehmen; Erfüllungen auskosten. Lebenszeit sei christlich verstanden Heilszeit.


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V. 6


Beobachtungen: Anders als in V. 3 ist in V. 5 bezüglich des Begriffes "logos" nicht ohne Weiteres von der Bedeutung "Wort" im Sinne von "Evangelium" auszugehen. Zwar hat auch hier der Begriff einen missionarischen Charakter, jedoch redet hier nicht einer zu (gewöhnlich) schweigenden Zuhörern, sondern es geht um eine Unterhaltung. Es ist jedoch keine gewöhnliche Unterhaltung, bei der beide Gesprächspartner auf einer Ebene stehen und gleichermaßen über verschiedene Dinge reden und Meinungen und Argumente austauschen. Vielmehr ist hier Gespräch mit missionarischem Charakter im Blick: Ein Christ spricht mit einem (oder auch mehreren) Nichtchristen. Dabei versucht der Christ den (oder die) Nichtchristen von der Richtigkeit seines Glaubens zu überzeugen. Aus Sicht des Verfassers des Kol geht es also um Verbreitung des richtigen Glaubens. Dabei muss der Christ nicht unbedingt durch eigenes missionarisches Bestreben in die Gesprächssituation gekommen sein. Er kann auch von einem Christen auf sein Christsein angesprochen werden und sich dadurch unvermittelt in einer solchen Situation sehen. In dieser gilt es, die richtigen Worte zu sagen, zum eigenen Glauben zu stehen und dessen Richtigkeit überzeugend zu vermitteln.


"En chariti" ist wörtlich mit "in/mit Gnade" oder "in/mit Dankbarkeit" zu übersetzen. In Kol 3,16 findet sich die Formulierung ebenfalls, wobei sie an dieser Stelle wohl mit "in/mit Dankbarkeit" oder mit "dankbar" zu übersetzen ist. Kommt diese Übersetzung auch in 4,6 infrage? Die Danksagung spielt im ganzen Kolosserbrief eine große Rolle und wird auch in 4,2 ausdrücklich angemahnt. Aber wird auch in V. 6 die Bedeutung der Dankbarkeit in besonderem Maße herausgestellt? Eindeutig lässt sich zunächst einmal nur sagen, dass es um einen angemessen Umgang mit den Nichtchristen geht. Die V. 5-6 sind von der Annahme her geschrieben, dass der rechte Umgang nicht leicht ist und ein Christ im Umgang mit einem Nichtchristen durchaus ins Schleudern kommen kann. Also brauchen die christlichen Adressaten Anhaltspunkte, von welcher Grundlage aus der rechte Umgang erfolgt. V. 5 hat bereits ein erstes wichtiges Element erwähnt: die "Weisheit". Die "Weisheit" war auf den gesamten Lebenswandel bezogen. Das zweite Element, die "charis", wird in V. 6 genannt. Wäre dieser Begriff in V. 6 mit "Dankbarkeit" zu übersetzen, dann würde die Dankbarkeit zu einer angemessenen "Antwort" gegenüber den Nichtchristen führen. Sicherlich ist es richtig und hilfreich, wenn die Christen für das Heilsgeschehen dankbar sind und Gott dafür auch danken. Auch können sie den Dank durchaus im Gespräch mit einem Nichtchristen zum Ausdruck bringen. Allerdings scheint die Dankbarkeit zu einem gelungenen Gespräch mit einem Nichtchristen weniger beitragen zu können als die facettenreichere "Gnade". Das spricht dafür, "en chariti" in V. 6 mit "in Gnade" oder "durch Gnade" zu übersetzen. Dabei mag aber die Bedeutung "in/mit Dankbarkeit" ebenfalls mitschwingen.

Es sind wohl zwei Aspekte der Gnade zu beachten: Zum einen das Woher der Gnade, zum anderen die Wirkung der Gnade. "Gnade" ist ein Begriff, der (implizit) auf Gott verweist (vgl. 1,6). Der Christ bekommt nicht von einem professionellen Rhetoriker gesagt, wie er zu reden hat, und er verlässt sich auch nicht auf sein eigenes rhetorisches Geschick. Vielmehr ist es Gott, der ihm aufgrund seiner Gnade die Rede eingibt. Insofern erfolgt die Rede durch die Gnade (Gottes). Außerdem erfolgt sie in der Gnade (Gottes), weil der Christ auf diesen engen rhetorischen Spielraum festgelegt ist. Es ist also nicht vorgesehen, dass der Christ über diesen hinausgeht und sich Rat bei einem professionellen Rhetoriker holt oder sich auf sein eigenes rhetorisches Geschick verlässt. Die menschliche Unterstützung dürfte auf die Vermittlung der rechten Theologie begrenzt sein, wie sie seitens Paulus und seiner Mitarbeiter bzw. seitens des Verfassers des Kol erfolgt. Die Gnade bewirkt - dies ist der zweite Aspekt - eine treffende Rede. Sie ist auch gewinnend, weil ohne Überzeugungskraft keine friedfertige Verbreitung des Glaubens erfolgen kann. Außerdem kann die Rede auch freundlich sein, wobei eine Übersetzung von "en charis" mit "freundlich" sicherlich zu kurz greift, weil eine treffende und gewinnende Rede durchaus auch mal energisch sein kann.


Das Salz würzt, konserviert (insbesondere Speisen) und reinigt (z. B. verschmutzte Haushaltsgegenstände). Hier ist mindestens die würzende Kraft des Salzes im Blick. Dabei ist "mit Salz gewürzt" nicht eine scharfe Rede gemeint, wie wir heute bei einer solchen von "gepfeffert" sprechen. Eine scharfe Rede wäre kaum eine gewinnende Rede. Es dürfte viel mehr gemeint sein, dass die Rede bei aller Freundlichkeit und Ausrichtung auf den individuellen "Gesprächspartner" nicht lasch und glaubensarm sein soll, sondern bekennend. Vielleicht sind auch noch die konservierende und reinigende Wirkung im Blick - konservierend insofern, als sich die Rede nicht anbiedert, sondern den christlichen Charakter wahrt, und reinigend, weil bekennende Rede dazu beiträgt, dass die Welt von Befleckungen durch Christusferne und damit verbunden unchristliches Verhalten und Reden gereinigt wird.


Der missionarische Charakter wird dadurch deutlich, dass der Christ im Gespräch "antwortet". Es kann sich dabei um Antworten auf Fragen handeln, aber auch um Entgegnungen auf Einwände. Der Nichtchrist erscheint nicht als ein Gesprächspartner im eigentlichen Sinne, denn dann wäre im Gespräch die Richtigkeit seiner Ansicht und Argumente abzuwägen. Und es müsste auch in Erwägung gezogen werden, dass der Nichtchrist vielleicht doch Recht hat. All das scheint aber ausgeschlossen zu sein.


Die Nichtchristen erscheinen nicht als eine homogene Masse, sondern als eine Vielzahl von Individuen mit je eigenen Ansichten, Fragen und Einwänden. Insofern geht der Verfasser des Kol auch nicht davon aus, dass es eine Patentlösung für alle Gespräche gibt, die die Christen anwenden könnten. Vielmehr müssen sie in jedem Gespräch auf den jeweiligen "Gesprächspartner" individuell eingehen. Dabei kann der Christ nicht nach eigenem Gutdünken mit dem "Gesprächspartner" reden, will er mit der Verbreitung des Glaubens Erfolg haben, sondern es gibt eine Vorgabe, wie die Rede sein muss. Die zielführende Rede ist also nicht einfach, sondern sie bedarf der Gnade, die richtigen Worte zu finden. Und weil sie der Christ nicht von alleine findet, bedarf er der Gnade Gottes, dass dieser ihm zur richtigen Rede verhelfe.

Der Infinitiv "eidenai" ("wissen") kann final im Sinne von "dass ihr wisst" und "damit ihr wisst" verstanden werden. Es muss aber nicht unbedingt eine Absicht, ein Ziel ausgedrückt sein, sondern es kann auch einfach nur die Folge ausgedrückt sein, womit die Übersetzung "und so wisst ihr" wäre. Schließlich kann der Infinitiv auch absolut mit imperativischem Charakter verstanden und mit "und wisst... !" oder "und lernt... !" übersetzt werden. Diese letzte Deutung krankt aber daran, dass in ihr mitschwingt, dass die Christen aus eigener Kraft heraus den richtigen Ton treffen könnten.


Weiterführende Literatur: Zu den Anweisungen des Paulus bezüglich des Glaubenszeugnisses der Christen in einer mehrheitlich nichtchristlichen Gesellschaft und bezüglich des von Gottes Weisheit geprägten Umganges mit Nichtchristen siehe J. P. Sweeney 2002, 449-461.



Literaturübersicht


Auer, Alfons; "Kaufet die Zeit aus!" Zeitsouveränität als Ermöglichung erfüllten Menschseins, in: J. J. Degenhardt [Hrsg.], Die Freude an Gott – unsere Kraft, FS. O. B. Knoch, Stuttgart 1991, 439-444

Bockmuehl, Markus; A Note on the Text of Colossians 4:3, JTS 39/2 (1988), 489-494

House, H. Wayne; The christian Life according to Colossians, BS 151/604 (1994), 440-454

Schnider, Franz; Stenger, Werner; Studien zum neutestamentlichen Briefformular (NTTS 11), 1987

Sweeney, James P.; The Priority of Prayer in Colossians 4:2-4, BS 159/3 (2002), 318-333

Sweeney, James P.; Guidelines on Christian Witness in Colossians 4:5-6, BS 159/4 (2002), 449-461

Yates, Roy; The Christian Way of Life: The Paraenetic Material in Colossians 3:1-4:6, EvQ 63/3 (1991), 241-251


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