Kol 4,15-17
Übersetzung
Kol 4,15-17 : 15 Grüßt die Geschwister in Laodizea - (und) besonders Nympha und ihre Hausgemeinde. 16 Und wenn der Brief bei euch vorgelesen worden ist, sorgt dafür, dass er auch in der Gemeinde der Laodizeer vorgelesen wird und dass ihr eurerseits den aus Laodizea zu lesen bekommt. 17 Und sagt Archippus: "Achte auf den Dienst, den du im Herrn übernommen hast, dass du ihn erfüllst!"
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Beobachtungen: „Geschwister“ meint hier nicht leibliche Geschwister, sondern Glaubensgeschwister, nämlich Christinnen und Christen. Bei dem Substantiv „adelphoi“ handelt es sich zwar um eine maskuline Form, die zunächst mit „Brüder“ zu übersetzen ist, jedoch sind hier vermutlich auch die „Schwestern“ eingeschlossen. Dass diese unkenntlich bleiben, liegt an der männerzentrierten Sprache, die gemischtgeschlechtliche Gruppen als reine Männergruppen erscheinen lässt.
Warum ist nicht davon die Rede, dass auch die "Geschwister" in Hierapolis gegrüßt werden sollen, wo doch Hierapolis in 4,13 erwähnt worden ist? Dort hatte es geheißen, dass sich Epaphras "große Mühe gibt um euch und die in Laodizea und die in Hierapolis". Die wahrscheinlichste Erklärung ist, dass Epaphras' Mühe um die Hierapolitaner mit einer ganz persönlichen engen Verbindung zu diesen zu begründen ist. Epaphras ist zwar einer von den Kolossern, was aber nicht heißt, dass auch die Gemeinde in Kolossä als Ganze zu den Hierapolitanern eine enge Verbindung haben muss. Die Verbindung zu den Glaubensgenossen in Laodizea scheint stärker zu sein.
Unklar ist, ob die neben den Geschwistern in Laodizea genannte Person "Nympha" oder "Nymphas" heißt. "Nympha" ist ein Frauenname, "Nymphas" ist ein Männername. Im griechischen Text findet sich der Akkusativ "Nymphan". Bei einer Frau wird der Akzent auf dem "u" gesetzt, bei einem Mann auf dem "a". Weil sich in den ältesten Handschriften keine Akzente finden, kann uns bei diesen die Akzentsetzung nicht bei der Bestimmung des Geschlechtes der Person helfen. Helfen kann allerdings das Possessivpronomen, das deutlich macht, wem die Hausgemeinde gehört bzw. wer das Haupt der Hausgemeinde ist. Bezüglich des Possessivpronomens sind sich die Handschriften aber nicht einig. Der sehr alte und gewichtige Codex Vaticanus sowie einige Minuskeln (und einige wenige auf dieser Lesart basierende Übersetzungen) bieten das Possessivpronomen "autês", das feminin ist und sich auf eine Frau bezieht, die demnach "Nympha" hieße. Eine recht große Zahl Textzeugen, die jedoch großenteils dem unter textkritischen Gesichtspunkten minderwertigen Mehrheitstext angehören, bietet das Possessivpronomen "autou", das maskulin ist und sich auf einen Mann bezieht, der demnach "Nymphas" hieße. Eine ganze Reihe anderer Textzeugen bietet das Possessivpronomen "autôn", das ein Plural ist und sowohl ein Maskulinum, Femininum oder Neutrum sein kann. Somit lässt sich im Hinblick auf diese Textzeugen nur sagen, dass sich das Possessivpronomen auf eine Mehrzahl Menschen bezieht, wobei diese Mehrzahl sowohl die "Geschwister in Laodizea" als auch "Nympha/Nymphas" samt mindestens einer weiteren, nicht genannten Person (Ehemann/Ehefrau, Freunde) sein können. Neben dem großen textkritischen Gewicht des Codex Vaticanus spricht insbesondere die Tatsache, dass man in der frühen Kirche dazu neigte, die Bedeutung der Frauen in den Gemeinden zu schmälern, für die Ursprünglichkeit des Namens "Nympha". Möglicherweise schlägt sich in den Varianten die Ansicht nieder, dass eine Frau - zumindest eine Frau alleine - nicht Vorsteherin einer Hausgemeinde gewesen sein kann.
Sofern der Name "Nympha" lautet und es sich somit um eine Frau handelt, stellt sich die Frage, warum nicht (auch) ihr Mann namentlich genannt wird. Ist Nympha unverheiratet, geschieden oder eine Witwe?
Die Konjunktion "kai", deren Grundbedeutung "und" ist, kann steigernde Bedeutung haben: "und auch", "und noch dazu" oder "und besonders". Übersetzt man "kai" mit "und", dann gehören Nympha(s) und ihre/seine Hausgemeinde nicht zur Gemeinde in Laodizea, sondern sind in einem anderen Ort ansässig. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass es ausschließlich um Grüße an die Gemeinde und einzelne Gemeindeglieder in Laodizea geht und nicht um Grüße an Christen außerhalb. Somit gehören Nympha(s) und ihre/seine Hausgemeinde vermutlich zur Gemeinde in Laodizea und werden in besonderem Maße gegrüßt. Wenn dem so ist, hat "kai" hier steigernde Bedeutung. Theoretisch wäre es auch möglich, das erste "kai" und das zweite zusammen mit "sowohl ... als auch" zu übersetzen. Dann wäre die Übersetzung von V. 15 "Grüßt die Geschwister in Laodizea, sowohl Nympha als auch ihre Hausgemeinde". Das würde jedoch bedeuten, dass die Gemeinde in Laodizea nur aus Nympha(s) und ihrer/seiner Hausgemeinde besteht, was wohl auszuschließen ist und eine andere Formulierung bedingt hätte.
Nympha(s) wird nur in Kol 4,15 erwähnt, weshalb wir nichts weiter über diese Person sagen können, als was in diesem Vers ausgesagt wird.
Die Formulierung "kai tên kat' oikon autês ekklêsian" ist genau genommen mit "und die Gemeinde in ihrem/seinem Haus" - kurz: "und ihre/seine Hausgemeinde" - zu übersetzen. Sie macht deutlich, dass sich die frühen Christen nicht in Kirchenräumen, sondern in privaten Häusern trafen und Gottesdienst feierten, wobei das Haus einer Hausherrin oder einem Hausherrn unterstand. Da sich der Begriff "Haus" auch auf die Hausgemeinschaft beziehen kann, die eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft war, ist davon auszugehen, dass der Hausgemeinde als Kern die Hausgemeinschaft angehörte. Die Formulierung in V. 15 erwähnt keine weiteren Hausgemeinden in Laodizea. Wenn wir davon ausgehen, dass sich die Hausgemeinde der Nympha bzw. des Nymphas in Kolossä befand, so gab es in Laodizea mindestens eine Hausgemeinde. Neben dieser Hausgemeinde gab es aber weitere Christen. Entweder gehörten diese keiner Hausgemeinde an, trafen sich also nicht zum Gottesdienst, oder - was wahrscheinlicher ist - es gab in Laodizea mindestens eine weitere Hausgemeinde.
Weiterführende Literatur: Laut H.-J. Klauck 1989, 17 trage in V. 15 eine Hausgemeinde den Namen einer Frau, die offensichtlich als Gastgeberin und Leiterin fungiere. Die Textüberlieferung habe daran Anstoß genommen und statt des Frauennamens Nympha den Männernamen Nymphas gelesen. Aber Nympha sei neben Priska, Phoebe, Apphia, Lydia u. a. ein weiterer Beweis für die tätige Mitarbeit der Frau in der christlichen Hausgemeinde.
Zur Textüberlieferung von Kol 4,15 insbesondere seitens des sog. Westlichen Textes siehe M. Grosso 2011, 4-5, der darauf hinweist, dass vor dem 7. Jh. meist keine Akzente gesetzt worden seien. Finden sie sich doch, so seien sie als spätere Zufügungen anzusehen und ließen keine Aussage zur ursprünglichen Bedeutung des Textes zu. Mit Blick auf den V. 15 sei bei einer ganzen Reihe Textzeugen das Bestreben zu erkennen, die Bedeutung der Frau im Urchristentum zu schmälern. Was die Textfassungen der zum sog. Westlichen Text gehörigen Majuskel 06 (D = Codex Claromontanus) in den Versen Kol 3,11.14.18;4,15 angehe, so lasse sich eine solche frauenfeindliche Tendenz nicht feststellen.
G. Röhser 2009, 129-150 sieht den Schluss 4,7-17 als Schlüssel für die Antwort auf die Frage nach den Entstehungsverhältnissen des Kol an. Eine genaue Analyse der Epistolaria (= alle Angaben bezüglich der Umstände, die den Brief als solchen notwendig und sinnvoll machen) ergebe deutliche Hinweise auf eine nachpaulinische Verfasserschaft dieses Schreibens. Insbesondere die Angaben über Paulusmitarbeiter in ihren Beziehungen ließen eine beginnende Hierarchisierung erkennen, die es in den authentischen Paulusbriefen so noch nicht gebe. Die Situation ohne und nach Paulus bringe es mit sich, dass dessen Rolle und das Verhältnis der zurückbleibenden Mitarbeiter sowohl zu ihm als auch zu den zurückbleibenden paulinischen Gemeinden intensiv reflektiert und geklärt werden muss. Dies geschehe in den Epistolaria des Kol in einer differenzierten und sorgfältigen Weise.
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Beobachtungen: V. 16 spricht aber nicht von mehreren Gemeinden oder Hausgemeinden, sondern nur von einer, nämlich der "Gemeinde der Laodizeer". Bedeutet das, dass sich die Hausgemeinde der Nympha bzw. des Nymphas nicht in Laodizea befindet? Dann wären alle Christen Laodizeas Mitglied einer einzigen Gemeinde oder Hausgemeinde. Oder ist "ekklêsia" in V. 16 im Sinne von "Ortsgemeinde" zu verstehen, zu der Nympha(s) und ihre/seine Hausgemeinde ebenso wie die weiteren - evtl. ebenfalls einer Hausgemeinde angeschlossenen - Christen Laodizeas gehören? Oder ist mit der "Gemeinde der Laodizeer" die Hausgemeinde der/des Nympha(s) gemeint?
Das Verb "anagi(g)nôskô" kann sowohl mit "vorlesen" als auch mit "lesen" übersetzt werden. Insofern bleibt offen, ob der Kol bei den Kolossern vorgelesen oder gelesen wird. Ebenfalls bleibt offen, ob der Kol auch in der Gemeinde der Laodizeer vorgelesen oder gelesen werden soll. Unter praktischen Gesichtspunkten ist am wahrscheinlichsten, dass der Brief erst der versammelten Gemeinde vorgelesen wird. Dann kann der Brief auch nochmal nachgelesen oder auch noch von nicht anwesenden Gemeindegliedern gelesen werden. Auf diese Weise wird allen Gemeindegliedern ermöglicht, den Wortlaut des Briefes zu erfahren. Bei verschiedenen Hausgemeinden könnte der Brief in den verschiedenen Hausgemeinden vorgelesen und/oder gelesen werden. Auch wenn sich bezüglich des Briefes aus Laodizea statt einer passiven Verbform ("anagnôsthê" = "vorgelesen/gelesen wurde/wird") eine aktive ("anagnôte" = "vorlest/lest") findet, dürfte bei dem Brief aus Laodizea nicht anders verfahren werden als bei dem Kol. Es ist also wohl nicht davon auszugehen, dass der Brief aus Laodizea nur von den Gemeindegliedern selbst gelesen (aktiv!), nicht aber vorgelesen wird (passiv!). Vielmehr dürfte es so sein, dass die aktive Verbform aussagt, dass die kolossischen Gemeindeglieder den Brief aus Laodizea zu lesen bekommen sollen. Das bedeutet, dass es ihnen ermöglicht werden soll, den Brief sowohl vorzulesen als auch zu lesen.
Die Erwähnung eines Briefes aus Laodizea, der nicht erhalten und dessen Wortlaut auch nicht überliefert ist, zeigt, dass nicht nur Paulus und seine "Schüler" Briefe schrieben, und dass die erhaltenen oder zumindest in Teilen überlieferten Briefe nicht den gesamten Briefverkehr abbilden. Der Briefverkehr zwischen den Gemeinden dürfte viel umfangreicher gewesen sein als uns die wenigen in der Bibel enthaltenen Briefe glauben machen.
Wörtlich ist mit "... und dass auch ihr den aus Laodizea zu lesen bekommt" zu übersetzen. Diese Übersetzung ist aber doppeldeutig: Sie kann aussagen, dass nicht nur in der Gemeinde der Laodizeer der Kol verlesen werden soll, sondern dass umgekehrt auch die Gemeinde der Kolosser den Brief aus Laodizea zu lesen bekommen soll. Sie kann aber auch aussagen, dass nicht nur andere Gemeinden den Brief aus Laodizea zu lesen bekommen sollen, sondern auch die Gemeinde in Kolossä. Erstere Aussage ist sicherlich richtig. Ob darüber hinaus aber auch die zweite richtig ist, ist fraglich. Insofern ist es sinnvoll, die Doppeldeutigkeit zu vermeiden, indem z. B. die Übersetzung "und dass ihr eurerseits den aus Laodizea zu lesen bekommt" gewählt wird. Dass der Kol auch in Laodizea vorgelesen bzw. gelesen werden soll, kann vielleicht (auch) damit erklärt werden, dass die dortige Gemeinde ebenso von Irrlehrern bedroht ist wie die in Kolossä.
Die Formulierung "den [Brief] aus Laodizea" lässt offen, wer den Brief verfasst hat. Streng genommen wird nämlich nur ausgesagt, dass sich derzeit in Laodizea ein Brief befindet, den auch die Kolosser zu lesen bekommen sollen. Ist der Brief in Laodizea verfasst worden oder vom Verfasser des Kol oder von einem anderen nicht aus Laodizea stammenden Verfasser? Wenn der Brief in Laodizea verfasst worden ist, stellt sich die Frage, wer ihn in Laodizea verfasst hat. Ein Mitglied oder mehrere Mitglieder der Gemeindeleitung? Wenn der Brief vom Verfasser des Kol oder von einem anderen nicht aus Laodizea stammenden Verfasser stammt, wäre der Brief ursprünglich (auch) für die Gemeinde in Laodizea bestimmt gewesen und wird nun an andere Gemeinden - mindestens an die in Kolossä - weitergereicht, damit auch diese von dem Wortlaut Kenntnis bekommen. Über den Inhalt des Briefes erfahren wir nichts. Da verschiedene Aspekte des Kol wie die paulinische Verfasserschaft oder Namen möglicherweise fingiert sind, ist nicht ausgeschlossen, dass auch der Brief fingiert ist. Auch er kann dazu dienen, Authentizität und großes Gewicht des Kol glauben zu machen.
Weiterführende Literatur: G. Vleugels, J. C. Coetzee 1999, 65-79 befassen sich zunächst mit der Frage, mit welchem Brief der aus Laodizea zu identifizieren ist. Vorgebracht worden seien folgende Möglichkeiten: mit dem noch existierenden lateinischen Brief an die Laodizeer; mit einem Brief von Paulus an die Laodizeer, der verlorengegangen ist; mit einem Brief von den Laodizeern an Paulus; mit dem Epheserbrief. G. Vleugels, J. C. Coetzee halten keine dieser Möglichkeiten für richtig; der Brief sei mit dem Philemonbrief zu identifizieren. Der in V. 17 genannte Archippus habe sich wohl nicht in Kolossä aufgehalten, denn sonst hätte sich Paulus direkt an ihn wenden können. Vielmehr sei anzunehmen, dass sich Archippus in der Umgebung von Kolossä aufgehalten hat, wobei am ehesten an Laodizea zu denken sei. Die Christen in Laodizea hätten sich vermutlich im Haus des Philemon versammelt.
R. F. Collins 1984, 365-370 vermutet, dass Paulus` Ermahnung auf dem Hintergrund der Loslösung der christlichen Kirche von der jüdischen Synagoge zu verstehen sei. Den jüdischen Brauch, im Gottesdienst Passagen aus der Bibel vorzulesen, hätten die Christen zwar übernommen, doch gehe die Kirche u. a. in Thessalonich allmählich eigene Wege. Dafür sei auch Paulus’ Forderung, eine Schrift eines christlichen Autors (er selbst!) zu verlesen, ein Hinweis. Kol 4,16 unterstütze diese Vermutung: Die Apostelbriefe seien mehr als nur Gelegenheitsschriften an einzelne Gemeinden gewesen.
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Beobachtungen: Archippus wird in einem engen Bezug zur Gemeinde in Laodizea genannt, was darauf hinweist, dass er der Gemeinde in Laodizea angehört. Weil das aber nicht ausdrücklich gesagt wird, kann er auch der Gemeinde in Kolossä angehören - dann wäre aber eine direkte Anrede zu erwarten - oder in einem anderen Ort wohnen. Ein Archippus taucht auch in Phlm 2 auf, wobei dieser als "unser Mitstreiter", also als "Mitstreiter" des Paulus und evtl. noch weiterer Missionare, bezeichnet wird. Außer der Namensgleichheit gibt es aber keine Belege dafür, dass es sich bei den beiden Personen namens Archippus um dieselbe Person handelt. Aufgrund der zahlreichen Namensübereinstimmungen zwischen dem Phlm und dem Kol ist dies aber durchaus möglich. Man kann aber auch annehmen, dass der Kol zwar als Verfasser Paulus nennt, aber tatsächlich nicht von diesem verfasst worden ist. So wie der Name des Paulus die Echtheit des Schreibens verbürgen soll, können durchaus auch die vielen Namensübereinstimmungen Echtheit vermitteln. Durch die Übernahme von Namen und Situation des Phlm bekommt der Kol einen authentischen Charakter und sein Inhalt das Gewicht eines echten Paulusbriefes.
Es bleibt offen, um was für einen Dienst es sich handelt. Wenn Archippus ihn "übernommen" hat, bedeutet das, dass er ihm nicht unter Zwang aufgetragen wurde, sondern dass Archippus mit der Übernahme mehr oder weniger einverstanden war, vielleicht sogar um die Übernahme gebeten hat. Somit kann erwartet werden, dass er ihn erfüllt. Es handelt sich um einen Dienst, den Archippus "im Herrn" ("en kyriô") - gemeint dürfte sein: im Macht- und Heilsbereich des "Herrn", Jesu Christi oder Gottes - übernommen hat. Es handelt sich also um einen christlichen Dienst, der allerdings nicht genauer bestimmt wird. Die "Diakonie" im Sinne eines sozial geprägten Dienstes hat sich erst im Laufe der Kirchengeschichte ausgeprägt, weshalb man hier nicht ohne Weiteres von einer solchen ausgehen kann. Den Gemeindegliedern in Kolossä und dem Archippus dürfte klar sein, um was für einen Dienst es sich genau handelt, weshalb der Verfasser des Kol nichts weiter zu erklären braucht. Ob "im Herrn" auch meint, dass Archippus den Dienst vom "Herrn" übertragen bekommen hat oder der Dienst vom "Herrn" autorisiert ist, ist fraglich.
Warum wird Archippus ermahnt, dass er den Dienst erfüllen soll? Handelt es sich um eine vorsorgliche Ermahnung, um Nachlässigkeit vorzubeugen? Oder ist Paulus bzw. dem Verfasser des Kol zu Ohren gekommen, dass Archippus den Dienst nachlässig ausführt? Hat die Nachlässigkeit etwas mit mangelnder Standfestigkeit gegenüber der im Kol angesprochenen Irrlehre zu tun?
Weiterführende Literatur: Laut V. Balabanski 2015, 131-150 werde oft angenommen, dass Philemon, Apphia und Philemons Hauskirche in Kolossä zu verorten seien. Dabei wundere man sich darüber, dass im Kol kein Gruß an Philemon zu finden ist. Diese Annahme und Verwunderung basiere jedoch auf der irrigen Annahme, dass der Kolosserbrief und der Philemonbrief für die zeitgleiche Versendung abgefasst worden seien. Die fehlerhafte Logik sei wie folgt: Bezüglich Archippus werde angenommen, dass er (gemäß Phlm 1-2) am gleichen Ort wie Philemon sei. In Verbindung mit der Annahme, dass sich Archippus in oder nahe Kolossä aufhalte (vgl. Kol 4,17), komme man zu dem Ergebnis, dass Philemon und seine Hauskirche in Kolossä zu verorten seien. Diese Schlussfolgerung sei zwar möglich, aber keinesfalls zwingend, weil der Kol und der Phlm zwei verschiedene Briefe mit zwei verschiedenen Szenarien und zwei verschiedenen Entstehungszeiten bzw. Versandzeiten seien. Ähnlich kurzschlüssig gehe man bezüglich Onesimus vor: Onesimus werde zu seinem Herrn Philemon zurückgesandt (vgl. Phlm 12). Und Onesimus werde (gemäß Kol 4,9) zusammen mit Tychikus als dessen Begleiter nach Kolossä geschickt. Daraus werde geschlossen, dass Philemon in Kolossä wohnhaft sei. Das sei ebenfalls möglich, aber ebenfalls aus den genannten Gründen keine zwingende Schlussfolgerung. Der Kol sei weder an Philemon noch an Apphia noch an Philemons Hauskirche gerichtet. V. Balabanski geht davon aus, dass der Phlm in der frühen Phase seiner Gefangenschaft in Rom verfasst worden sei, vielleicht 60 n Chr. Philemon, Apphia und Philemons Hauskirche seien in Italien zu verorten, vielleicht sogar in Rom. Der Kol dagegen sei von Timotheus verfasst worden, und zwar ein oder zwei Jahre nach dem Phlm, und richte sich an die Kolosser.
Zum Bild von der Gemeinschaft der Gläubigen als einer "Hausgemeinschaft" ("oikos") mit Gott als pater familias an der Spitze siehe B. Heininger 2009, 57-64, der insbesondere auf die Hausverwaltung Gottes (oikonomia tou theou) und die Begriffe "Mitsklave" ("syndoulos") und "Diener" ("diakonos") im NT eingeht.
Literaturübersicht
[ Hier geht es zur Übersicht der Zeitschriftenabkürzungen ]
Balabanski, Vicky; Where is Philemon? The Case for a Logical Fallacy in the Correlation of the Data in Philemon and Colossians 1.1-2; 4,7-18, JSNT 38/2 (2015), 131-150
Collins, Raymond F.; „…that this letter be read to all the brethren.“, in: R. F. Collins [ed.], Studies on the First Letter to the Thessalonians (BETL 66), Leuven 1984, 365-370 (= LS 9/2 [1982], 122-127)
Grosso, Matteo; The Diversification of Colossians' Text and Women's Status in the Early Church, TC 16 (2011), 1-5
Heininger, Bernhard; Soziale und politische Metaphorik im Kolosserbrief, in: P. Müller [Hrsg.], Kolosser-Studien (BThSt 103), Neukirchen-Vluyn 2009, 55-82
Klauck, Hans-Josef; Die Hausgemeinde als Lebensform im Urchristentum, in: H.-J. Klauck [Hrsg.], Gemeinde – Amt – Sakrament. Neutestamentliche Perspektiven, Würzburg 1989, 11-28
Röhser, Günter; Der Schluss als Schlüssel. Zu den Epistolaria des Kolosserbriefes, in: P. Müller [Hrsg.], Kolosser-Studien (BThSt 103), Neukirchen-Vluyn 2009, 129-150
Vleugels, Gie; Coetzee, J. Christi; De brief uit Laodicea: Identificatie van dit aanbevolen geschrift (Kol 4:16), IDS 33/1 (1999), 65-79