Eph 2,14-18
Übersetzung
Eph 2,14-18 :14 Denn er ist unser Friede. Er hat die beiden zu einem gemacht und die Trennwand der Mauer niedergerissen, die Feindschaft, indem er in seinem Fleisch 1 5 das Gesetz der Gebote mit [den] Satzungen aufhob, damit er die zwei in sich zu einem [einzigen] neuen Menschen erschaffe, Frieden stiftend, 16 und die beiden in einem [einzigen] Leib mit (dem) Gott versöhne durch das Kreuz, indem er in ihm die Feindschaft tötete. 17 Und mit seinem Kommen verkündigte er Frieden euch, den Fernen, und Frieden den Nahen. 18 Denn durch ihn haben wir den Zutritt, alle beide in einem [einzigen] Geist, zum Vater.
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Beobachtungen: Eph 2,14-18 stellt eine Erläuterung des V. 13 dar: "Jetzt aber seid ihr in Christus Jesus, die ihr einst fern wart, nahe gekommen in dem Blut (des) Christi." Das Nahekommen war keine Aktivität der ehemals heidnischen Adressaten, sondern Gottes und/oder Jesu Christi. Die Adressaten waren passiv. Die V. 14-18 erläutern nun, wie sich die Aktivität Jesu Christi gestaltete. Im weit gehend ähnlichen Kolosserbrief finden sie sich (wie der gesamte Abschnitt 2,11-22) nicht.
Christus bringt nicht nur den Frieden, sondern er selbst ist der Friede. Dabei lässt die Formulierung "unser Friede" anklingen, dass er der Friede sowohl der Judenchristen als auch der Heidenchristen ist. Eingeschlossen sind auf jeden Fall der Verfasser des Eph selbst als auch die Adressaten. Die Adressaten sind Heidenchristen (vgl. 2,11; 3,1; 4,17), der Verfasser des Eph bezeichnet sich selbst als Paulus (vgl. 1,1). Wenn er Paulus ist, dann ist er Judenchrist. Wenn er sich nur als Paulus ausgibt, aber nicht dieser ist, dann ist zumindest seine Sichtweise die eines Judenchristen. Dass "unser" sich nicht nur auf die Judenchristen bezieht, sondern auch auf die Heidenchristen, geht unmissverständlich aus dem Folgenden hervor.
Christus, der Friede, ist das zentrale Thema der V. 14-18, wie die viermalige Verwendung des Begriffes "eirênê" ("Friede") beweist.
Das Neutrum "ta amphotera" ("die beiden") zeigt an, dass zwei Einheiten, zwei Menschengruppen im Blick sind und nicht die den beiden Einheiten bzw. Menschengruppen zugehörigen einzelnen Menschen. "Die beiden" waren zwei voneinander verschiedene und getrennte Menschengruppen. Diese hat Christus zu Einem, zu einer einzigen Einheit bzw. Menschengruppe gemacht.
Der Begriff "to mesotoichon" kommt in der Bibel nur hier vor und bedeutet "die Zwischenwand/Trennwand"). "Ho phragmos" ist die Umfriedung, der Zaun oder die Mauer. Die Genitivkonstruktion "to mesotoichon tou phragmou" ist also wörtlich mit "die Zwischenwand/Trennwand der Umfriedung/Mauer" oder "die Zwischenwand/Trennwand des Zaunes" zu übersetzen. Sinngemäß handelt es sich zwar um eine trennende Umfriedung oder Mauer oder um einen trennenden Zaun, jedoch gehen aus der wörtlichen Übersetzung präziser die einzelnen Aspekte hervor: Es handelt sich um eine Umgrenzung, die zwei Menschengruppen zu zwei Einheiten macht. Diese Umgrenzung trennt, und zwar undurchlässig wie eine Wand. Dass Heiden ein besonderes Interesse am Judentum zeigen oder gar Juden werden konnten, kommt hier nicht in den Blick, denn die Betonung liegt auf dem Trennenden.
Es ist möglich, dass der Verfasser des Eph den Tempel in Jerusalem vor Augen hatte, bei dem der Hof der Heiden, der einen Vorhof zum eigentlichen Tempel bildete, strikt vom Hof der Israeliten und dem Frauenhof getrennt war. Zumindest zieht er in V. 21 das Bild vom Tempel für seine theologischen Aussagen heran.
Die Präposition "en" kann mit "durch" oder "in" übersetzt werden. Die Wendung "en tê sarki autou" kann folglich mit "durch sein Fleisch" oder "in seinem Fleisch" übersetzt werden. Dabei ist "Fleisch" ein Heilsbegriff, der das am Kreuz für die Sünden der Menschen dahingegebene Fleisch Christi meint. Dieses Fleisch bezeichnet zum einen das zum Heil führende Mittel, zum anderen einen Raum (vgl. "in Christus"), in dem heilsames Wirken am Menschen geschehen ist und geschieht.
Es ist fraglich, ob "in seinem Fleisch (oder: durch sein Fleisch)" zum vorhergehenden Satz (V. 14) oder zum folgenden Satz (V. 15) gehört. Entscheidet man sich für ersteren Bezug, dann lautet der Übergang von V. 14 zu V. 15 wie folgt: "Er hat die beiden zu einem gemacht und die Trennwand der Mauer, die Feindschaft, in seinem Fleisch niedergerissen, indem er das Gesetz der Gebote mit den Satzungen außer Kraft setzte,...". Entscheidet man sich für letzteren Bezug, dann lautet der Übergang wie folgt: "Er hat die beiden zu einem gemacht und die Trennwand der Mauer niedergerissen, die Feindschaft, indem er in seinem Fleisch das Gesetz der Gebote mit den Satzungen außer Kraft setzte, ... (oder: ... und die Trennwand der Mauer, die Feindschaft, niedergerissen, ...) ". Und schließlich ist auch nicht ausgeschlossen, dass "die Feindschaft" ebenfalls zu V. 15 gehört. Dann lautet die Übersetzung "Er hat die beiden zu einem gemacht und die Trennwand der Mauer niedergerissen, indem er in seinem Fleisch die Feindschaft, das Gesetz der Gebote mit den Satzungen, außer Kraft setzte, ..." lautet. Bei dieser Zuordnung und Übersetzung wäre die Feindschaft mit dem "Gesetz der Gebote mit den Satzungen" gleichgesetzt.
Weiterführende Literatur: E. Faust 1993 geht davon aus, dass es sich bei dem Epheserbrief um einen Traktat handele, der sich nach dem Tode des Paulus an Heidenchristen in der ganzen Provinz Asia wendet. Es handele sich bei dem Brief um eine frühe christliche Kontrafaktur gegen ein einflussreiches politisch-soziales Überzeugungssystem, das eine in der Kirche repräsentierte Gruppe (Judenchristen) zu diskriminieren gesucht habe. So erscheine die Kirche unter ihrem Haupt Christus als universale, soziale Gegengröße zum Römischen Reich unter seinem kaiserlichen Haupt. Ausschlaggebend für diese Darstellung durch den judenchristlichen Verfasser seien wahrscheinlich seine Negativerfahrungen mit der Pax Caesaris nach dem Jüdischen Krieg gewesen. Erst späteren Generationen von Kirchenleuten (Melito von Sardes, Origenes, Eusebius von Cäsarea, Paulus Orosius), für deren Gemeinden die Pax Romana keine diskriminierenden Effekte mehr gehabt hätten, sei die problematische Entwicklung einer "politischen Theologie" vorbehalten geblieben, nach der die durch die kaiserliche Pax Romana oktroyierte Einigung der Völker den Boden bereitet habe für die Verbreitung des christlichen Friedensevangeliums. Statt einer Antithetik zwischen dem Friedensstifter Christus und seinem kaiserlichen Pendant fänden wir hier die providentielle Harmonie von Imperium und Evangelium im Zeichen der Pax.
R. H. Suh 2007, 715-733 betrachtet Eph 2 auf dem Hintergrund von Ez 37. Obwohl Ez 37 und Eph 2 ihren je eigenen historischen Hintergrund hätten, sei schon auf den ersten Blick folgende Parallele bezüglich der Kernaussage zu erkennen: Ez 37 sage aus, dass Juda und Israel unter göttlicher Führung eine Einheit werden, wobei das Gesetz (= jüdische Religionsgesetz) beachtet und befolgt werde. Eph 2 sage aus, dass Juden und Christen in der neuen Schöpfung eine Einheit geworden seien, und zwar aufgrund Christi Erlösungswerk, mit dem das Gesetz abgelöst worden sei. R. H. Suh geht dann genauer auf die verbalen, strukturellen und thematischen Parallelen zwischen beiden Texten ein. Als thematische Parallelen, mit denen auch die Parallelen bezüglich der Wortwahl zusammenhängen, nennt er: a) die neue Schöpfung vom Tod zum Leben; b) das Wandeln auf dem Weg des Herrn; c) der Bund; d) der Friede; e) der verheißene Messias aus dem Hause Davids, nämlich Jesus; f) der Tempel als Heiligtum und Wohnort Gottes; g) die Einheit; h) das Volk Gottes; i) der heilige Geist.
A. T. Lincoln 1987, 605-624 versucht möglichst genau herauszufinden, welche Tendenz der Abschnitt 2,11-22 im Hinblick auf die Beziehung zwischen Kirche und Israel aufweist und welches die Schussfolgerungen daraus für das Verständnis des kanonischen Paulus sind. Er vergleicht seine Deutung mit derjenigen von Markus Barth in dessen Buch "Israel und die Kirche im Brief des Paulus an die Epheser" aus dem Jahr 1959 und fragt abschließend danach, was daraus im Hinblick auf den Dialog zwischen Christen und Juden folgt.
Laut W. Schweitzer 1989, 237-264 sei im Spätsommer 1933 die Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Marburg um ein Gutachten zur Einführung des sogenannten "Arierparagraphen" in den evangelischen Landeskirchen in Deutschland gebeten worden. Bei ihrer Ablehnung dieses Vorhabens habe sich die Fakultät unter anderem auf "die volle Einheit zwischen jüdischen und nichtjüdischen Christen in der Kirche, wie sie im NT am eindrücklichsten der Eph entwickelt" berufen. Inzwischen sei die Frage, ob Christen jüdischer Abstammung in unserer Kirche volle Gleichberechtigung haben, hoffentlich endgültig geklärt worden. Wir müssten heute weiter fragen: Wollte der Eph vielleicht darüber hinaus etwas Beachtenswertes über das Verhältnis der Kirche zu Israel sagen? Ergebnis: Die Ablehnung Jesu durch einen beträchtlichen Teil seiner jüdischen Zeitgenossen und die Konflikte der jungen Christenheit mit der Synagoge, die das Leben und Denken des Apostels Paulus so nachhaltig bestimmt hätten, seien für den Eph kein Thema; über jüdische Gegner Jesu schweige er sich aus. Statt dessen sei nur davon die Rede, dass in Christus alle "eins" sein müssten wie ein Leib und dass in dieser neuen Einheit die Heiden keinesfalls benachteiligt seien: Sie seien mit "Israel" gleichberechtigt; darauf liege der Nachdruck. Dem Eph gehe es um das Fundament des christlichen Glaubens in Gottes Wort an Israel: Dieses Fundament wolle der Eph gegen aufkommende christliche Judenfeindschaft sichern. Abschließend skizziert W. Schweitzer die möglichen theologischen Folgerungen in der Gegenwart: a) Die Botschaft von unserer Versöhnung in Christus sei auf unser Verhältnis zu Israel anzuwenden. b) Der Eph enthalte kein genaues dogmatisches und erst recht kein kirchenrechtliches Programm für die eine Kirche aus Juden und Heiden, die er proklamiere. Er stelle uns aber die Aufgabe, für beides sachgemäße Lösungen zu erarbeiten. c) Der Bund, den Gott einst mit Israel geschlossen hat, sei nicht durch den "Neuen Bund" ersetzt worden, sondern bestehe als der "ungekündigte Bund" weiter. d) Der Eph unterscheide nicht zwischen Juden, die Jesus von Nazareth als Christus anerkennen, und solchen Juden, die das nicht tun. Christi Versöhnungswerk schließe alle Juden ein, womit sie auch alle zu der einen Kirche gehörten.
Laut C. S. Keener 2009, 75-92 würden die meisten Teile der Welt von irgendwelchen ethnischen Konflikten heimgesucht. Er befasst sich mit dem multikulturellen Tempel Gottes, wie er in Eph 2,11-22 zur Sprache komme, und zeichnet nach, wie der Verfasser des Eph nicht nur die frühere paulinische Theologie der ethnischen Versöhnung in Christus weiterentwickelt, sondern auch die von Jesus und Paulus geäußerte Infragestellung der ethnischen Barrieren des Jerusalemer Tempels.
Eine exegetisch-theologische und rezeptionsgeschichtliche Studie zu den Versöhnungsaussagen des NT bietet H.-J. Findeis 1983, der sich im die S. 446-537 umfassenden Abschnitt „Die Versöhnung der Menschheitsgruppen Juden und Heiden in der Kirche mit Gott“ mit Eph 2,11-18 befasst.
Auf Grundlage bereits erschienener Arbeiten wagt G. Wilhelmi 1987, 145-152 einen erneuten Versuch, in den V. 14-18 Überarbeitung und ursprüngliches liturgisches Fragment voneinander zu trennen oder zumindest die rhythmischen Strukturen dieses Abschnittes stärker herauszuarbeiten. Ergebnis: Bei den V. 14-16 handele es sich um einen vom Verfasser des Eph aufgenommenen und christologisch kommentierten Hymnus. V. 17 gehöre nicht in den Hymnus und nehme den Gedankengang des Verfassers aus 2,11-13 wieder auf. Nicht entschieden sei mit diesem Ergebnis die Frage nach der religionsgeschichtlichen Heimat des Hymnus, ob er also eher einem gnostischen oder einem jüdischen Hintergrund zuzuschreiben ist. Sie müsse zunächst offenbleiben.
E. Best 1992, 53-69 befasst sich mit dem dogmatischen und liturgischen Material im Eph unter den Fragestellungen, wie der Verfasser des Eph es aufgegriffen und bearbeitet hat und welches die Gründe dafür sind. Auf S. 61-64 geht er auf 2,14-18 ein und befasst sich mit den Versuchen von Auslegern, die (angeblich) zugrunde liegende Vorlage zu rekonstruieren. Die Versuche setzten voraus, dass sich der Verfasser des Eph einer Technik bedient hat, die derjenigen bei der Übernahme von Passagen aus dem Kolosserbrief widerspricht.
Laut E. Best 1992, 47-60 unterscheide sich das Bild, das der Verfasser des Eph vom Judentum hat, deutlich von dem Bild der Heiden und dem Selbstverständnis der Juden. Allen drei Bildern sei nur Kenntnis und Thematisierung der Beschneidung gemein. Der Verfasser des Eph komme nur auf die Aspekte zu sprechen, die in einem positiven Bezug zum Christentum stehen: Christus als Messias, die Kirche sei daher mit Israel verbunden, sei Adressat der Verheißungen an Israel, die jedoch christlich auf den neuen Bund hin gedeutet würden. Der Gott Israels sei auch der Gott der Christen und die Christen würden ebenso wie die Juden Heilshoffnung haben.
Zu den Zeitkonzeptionen im Epheserbrief siehe S. Rantzow 2008, die sich auf S. 168-190 mit dem Entstehen der Kirche am Kreuz (Eph 2,14-18) befasst. Die Darstellung gewesener Zeit in Eph 2,14-18 sei durch die Metapher des neu geschaffenen Organismus geprägt, innerhalb welcher die in sich kohärenten Metaphern des Gesetzeszaunes, der Versöhnung von Juden und Heiden vor Gott sowie des Kreuzes die historische Entstehung des Christentums zeigen. Diese christliche Identität sei auf Zukunft und Dauer angelegt.
G. Sellin 1992, 85-107 befasst sich ungewöhnlichen Genitiven im Epheserbrief. Der extensive Gebrauch von adnominalen Genitivkonstruktionen gelte schon seit langem als markante Stileigentümlichkeit des Eph. Ganz allgemein lasse sich dieses Phänomen der urchristlichen Sprache durch den Einfluss der semitischen Syntax erklären. Diese Erklärung könne jedoch nicht bei allen Genitivbildungen befriedigen, gerade nicht bei den kompliziertesten und merkwürdigsten. Diese stellt G. Sellin vor und untersucht die Eigenheiten. In 2,14 handele es sich bei "to mesotoichon tou phragmou" um einen genitivus appositivus mit epexegetischer Funktion: "die Trennmauer, nämlich der Zaun". Im Kontext hätte "mesotoichon" ("Trennmauer") als das semantisch tragende Nomen genügt. Warum wird dieses aber noch durch das semantisch viel schwächere "Zaun" ergänzt? Zum einen liege ein gebräuchlicher Parallelismus zugrunde, zum anderen werde die Tora, mit der Israel sich als geschützt vor den Heiden, den Sündern verstehe, in rabbinischen Belegen "Zaun" genannt.
Einen kurzen Überblick über die neuere Geschichte der Auslegung von Eph 2,14-16 gibt M. S. Moore 1982, 163-168. Er gliedert sie in Ansätze, die von einer formkritischen Analyse, einem gnostischen mythologischen Hintergrund und von hymnischen Hintergründen ausgehen.
R. W. Nel 2015 befasst sich mit Eph 2,11-22 aus Sicht der Obdachlosen der südafrikanischen Stadt Tshwane, und zwar unter dem Gesichtspunkt, welche Rolle städtische Religion bei der Suche nach einem Frieden spielt, der über die reine Abwesenheit von Konflikten im kommunalen Umfeld der Obdachlosen hinausgeht.
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Beobachtungen: V. 15 nennt drei Begriffe, die mit dem Religionsgesetz der Juden, der Tora (= Weisung) zu tun haben: Der erste Begriff ist "nomos", der gewöhnlich die Gesamtheit des jüdischen Religionsgesetzes meint, an das sich Juden halten müssen. Der zweite Begriff, "entolê" ist etwas spezifischer und meint das einzelne Gebot. So besteht das jüdische Religionsgesetz aus einer Vielzahl Gebote. Und schließlich findet sich als dritter Begriff "dogma", das durchaus verschiedene Bedeutungen haben kann, von denen hier die Bedeutung "Gebot / Verordnung / Satzung" am wahrscheinlichsten ist. Dabei ist unklar, ob es sich um einzelne Satzungen, um Detailbestimmungen der Gebote handelt, oder um die Form, wie die Gebote festgelegt worden sind. So könnte der Begriff "dogma" auf königliche bzw. kaiserliche Erlasse hinweisen (vgl. 4 Makk 4,23-26; Dan 6,13LXX; Lk 2,1; Apg 17,7), wobei JHWH, der Gott Israels, der König wäre.
Stellt die Aussage von Eph 2,15 einen Widerspruch zu Röm 3,31 dar, wo Paulus klar und deutlich schreibt, dass der Glaube das Gesetz nicht aufhebt? Man kann von einem Widerspruch ausgehen und diesen damit begründen, dass der Verfasser des Eph nicht mit Paulus identisch sei und aus einer späteren Warte der verstärkten Trennung des Christentums vom Judentum schreibe. Man kann aber auch die Meinung vertreten, dass die Wendung "das Gesetz der Gebote mit den Satzungen" nicht das gesamte jüdische Religionsgesetz meine, sondern nur ganz bestimmte Teile des jüdischen Religionslebens, insbesondere die in besonderem Maße von Einzelbestimmungen geprägten kultischen Gebote. Speziell diese hätten die Trennung der Juden bzw. Judenchristen von den Heiden bzw. Heidenchristen verursacht. Und schließlich kann man auch vorbringen, dass nur die Gesetzlichkeit und Äußerlichkeit (insbesondere der kultischen Rituale) aufgehoben werde, der moralische Aspekt des jüdischen Religionsgesetzes jedoch seine Gültigkeit behalte. Bei der Unklarheit, welche der Deutungen denn richtig ist, bleibt eins festzuhalten: Entscheidend geht es um die Heilsrelevanz. Und für das Heil ist gemäß dem Verfasser des Eph einzig und allein das Kreuzesgeschehen entscheidend. In dieser Hinsicht kommt "dem Gesetz der Gebote mit den Satzungen" keine Relevanz zu; es ist somit also aufgehoben. So kann man auch Paulus in Röm 10,4 verstehen, wo es heißt: "Denn des Gesetzes Ende ist Christus zur Gerechtigkeit für jeden, der glaubt." Diese Deutung (und auch Übersetzung) des Verses ist zwar nicht die einzig mögliche, aber doch eine, die keinen Widerspruch zu Röm 3,31 entstehen lässt.
Mit der "Aufhebung" des Gesetzes kommt es nicht zu einer Leere, sondern zu einem anderen Heilsverständnis: Das Heil kommt nicht mehr durch die Befolgung des "Gesetzes der Gebote mit den Satzungen", sondern geschieht "in Christus" ("in sich"). Das jüdische Religionsgesetz verliert so seine existenzielle Bedeutung. An seine Stelle tritt Christus.
Worauf bezieht sich "en autô" ("in ihm/sich")? Das Bezugswort muss ein Maskulinum oder ein Neutrum sein, weshalb "sarx" ("Fleisch", V. 14) nicht infrage kommt. "Haima" ("Blut", V. 13) kommt zwar theoretisch als Bezugswort infrage, ist jedoch von "en autô" zu weit entfernt. Der Begriff "sôma" ("Leib") ist zwar ein Neutrum, findet sich aber erst in V. 16 und scheidet somit ebenfalls als Bezugswort aus. Gleiches gilt für das Maskulinum "stauros" ("Kreuz"). Somit ist anzunehmen, dass sich "en autô" auf Christus selbst bezieht, was die Übersetzung "in sich" passender erscheinen lässt. Diese Deutung liegt auch der Variante "en heautô" ("in ihm selbst / in sich") zugrunde.
Im Heilsgeschehen kommt es zu einer radikalen Wandlung des Menschen. Diesen existenziellen Wandel von - im existenziellen Sinne - Toten zu Lebendigen hat Eph 2,1-7 bereits beschrieben. Dieser Wandel ist zum einen radikal, was durch das Adjektiv "neu" verdeutlicht wird, zum anderen auf das Handeln Christi zurückzuführen. Nicht der Mensch wandelt sich selbst, sondern er wird gewissermaßen verwandelt, zu einer neuen Existenz geschaffen. Diese Schöpfung lässt deutlich erkennen, dass "in Christus" einen Macht- und Wirkbereich bezeichnet, in dem Christus die Macht hat, Heil zu wirken.
Der von Christus gestiftete Friede ist zweifach: Zum einen bezieht er sich darauf, dass zwei Menschengruppen (Heiden und Juden), die sich einst feindlich gegenüber standen, eins werden. Dieser Aspekt kommt in V. 15 zur Sprache. Zum anderen bezieht er sich auf die Versöhnung mit Gott, die in V. 16 im Mittelpunkt steht. Der zweifache Friede setzt den christlichen Glauben voraus. Indem Heiden und Juden zum christlichen Glauben kommen und so in den Macht-, Wirk- und Heilsbereich Christi eintreten, wird ihre Existenz von Christus bestimmt. Aus Heiden werden Heidenchristen und aus Juden werden Judenchristen. Die Vergangenheit als Heide und Jude hat damit keine Bedeutung mehr, Heidenchristen und Judenchristen sind allesamt Christen und werden so eins.
Weiterführende Literatur: M. Y. MacDonald 2004, 419-444 wendet sich gegen die These, dass der Verfasser des Eph kein besonderes Interesse an den zeitgenössischen Juden zeige. Das Gegenteil sei der Fall: Aus 2,11-22 gehe hervor, dass er sehr wohl mit dem Schicksal und Ergehen des jüdischen Volkes befasst ist. M. Y. MacDonald liest den Text auf dem historischen Hintergrund der Herrschaft des Kaisers Domitian. Die fließenden Grenzen und mehrdeutigen Kategorien spiegelten möglicherweise Erfahrungen in der Kirche mit wechselnder Identität wider. Zur Zeit Domitians habe das Schicksal der Glieder der Kirche wohl gewechselt, je nachdem ob sie als Juden, abgefallene Juden oder eindeutig als "Christen" angesehen wurden. Manchmal habe aus der jeweiligen Zuordnung ein Vorteil resultiert. Die Existenz solcher sozialer Dynamiken werde durch eine Untersuchung der Kontaktpunkte zwischen dem Eph und kaiserlicher Ideologie offenbar, die sowohl Elemente der Anpassung als auch - in größerem Maße - des Widerstandes einschlössen.
R. Hurley 2014, 517-537 legt dar, dass die implizierten Leser des Eph symbolisch und materiell schon unter einem theopolitischen Regime lebten, das sich von demjenigen des Römischen Reiches unterscheide. Darüber hinaus unterscheide es sich aber auch von der Bürgerschaft Israels in dem Maße, wie sich Israel durch die Befolgung des Religionsgesetzes und der Beschneidung definiere. Durch seine Art, das materielle und soziale Leben seiner Mitglieder zu organisieren, durch die Anerkennung eines Königs, der nicht der römische Kaiser ist, und durch die Schaffung eines Systems der Zuerkennung von Verdiensten, das sich von dem pyramidenförmigen kaiserlichen unterscheide, bilde die Kirche ganz klar eine Gegenkultur, ein pazifistisches politisches Gebilde. Diese Christen bildeten das Gegenteil der kaiserlichen Konzeption der Machtausübung, wonach derjenige herrsche, der der Natur nach der stärkere ist. Ihre neuen Bande der Zugehörigkeit zu Gott, entfernten sie von ihrer Kultur, in die sie geboren worden sind, und machten sie zu Fremden in ihrem eigenen Land und darüber hinaus zu ausgesuchten Zielscheiben der Mitbürger. Die implizierten Leser des Eph seien zuvörderst Mitglieder des Hauses Gottes und Mitbürger der Heiligen, aber auch Brüder und Schwestern von allen.
J. Joosten 2005, 95-102 legt dar, dass laut V. 15 nicht das Gesetz an sich aufgehoben sei, sondern nur bestimmte Gebote. Es seien vor allem diejenigen Gebote aufgehoben, die den sozialen Kontakt zwischen Juden und Nichtjuden, insbesondere die Tischgemeinschaft, begrenzen.
C. J. Roetzel 1983, 81-89 sieht in der Formulierung "en dogmasin" ("in Satzungen", "mit [den] Satzungen", "aus Satzungen bestehend") einen Zusatz eines späteren Redaktors. Der Verfasser des Eph habe einen Hymnus, der von kosmischer Versöhnung handelte, aufgenommen und 2,15a mit dem Gedanken der Versöhnung von Judenchristen und Heidenchristen hinzugefügt. Gemäß dem Verfasser des Eph sei mit dem Kommen Christi die herkömmliche Unterscheidung zwischen dem himmlischen Menschen und dem irdischen Menschen überwunden. Damit seien auch die Gebote, die dem "alten Menschen" bzw. "irdischen Menschen" zugehörig seien, obsolet. Er habe sich mit dieser Vorstellung in paulinischer Tradition gesehen. Ein späterer Redaktor jedoch, der mit positiven Aussagen des Paulus über das jüdische Religionsgesetz vertraut gewesen sei, habe die Aussageabsicht des Verfassers des Eph missverstanden. Er habe mit Blick auf den Kolosserbrief mit seiner negativen Bewertung bestimmter Satzungen die Worte "en dogmasin" hinzugefügt und so deutlich machen wollen, dass zwischen dem grundsätzlich heiligen, gerechten und guten Gesetz (vgl. Röm 7,12) und den asketischen Lehren menschlicher Gebote, die Christus aufgehoben habe, zu unterscheiden sei. So sei ein verwirrender Text entstanden.
R. Williams 1989, 481-490 macht deutlich, dass mit dem Tod Christi gewöhnlich der Aspekt der Versöhnung, der Überwindung der Feindschaft verbunden und im Hinblick auf 2,14-18 dieser Aspekt betont werde. Zu kurz komme jedoch dabei der Aspekt der Aufhebung des Gesetzes und des exklusiven Bundes zwischen Gott und seinem Volk (Israel), also der Grundlagen der Identität. Für die Christen sei das Evangelium von der Auferstehung Grundlage der Identität. Für Gott sei - wie die Auferstehung und damit verbunden neues Leben zeige - keine Niederlage endgültig. So sollten sich auch Christen mit ihren Niederlagen und ihrem Scheitern versöhnen, denn diese Versöhnung sei ein Schritt hin zur Versöhnung zwischen Menschen.
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Beobachtungen: "Tous amphoterous" ("die beiden") ist ein Maskulinum, wogegen "ta amphotera" in V. 14 ("die beiden") ein Neutrum ist. In V. 16 sind also nicht zwei ganze Menschengruppen im Sinne von zwei Einheiten im Blick, sondern die Menschen als solche treten in den Vordergrund.
Der Leib ist vermutlich auf die Kirche zu beziehen: So ist nach dem Kirchenverständnis des Verfassers des Eph die Kirche ein Leib und Christus dessen Haupt (vgl. 4,15-16; ähnlich auch Kol 1,18). Der Begriff "Leib" klingt aber auch an den Leib Christi an, dem bei der Kreuzigung Leid zugefügt worden und der für die Sünden der Menschen dahingegeben worden ist. "In einem [einzigen] Leib" besagt so zum einen, dass die Versöhnung im Rahmen der einen Kirche geschehen ist, zum anderen, dass die Versöhnung durch das Kreuzigungsgeschehen ("durch das Kreuz") erfolgt ist. Ohne Christi Tod am Kreuz müssten die sündigen Menschen der gerechten Bestrafung durch Gott beim Jüngsten Gericht entgegen zittern.
Wie schon in V. 15 stellt sich die Frage, worauf sich "en autô" ("in ihm/sich") bezieht. Das Bezugswort muss auch hier ein Maskulinum oder ein Neutrum sein, weshalb "sarx" ("Fleisch", V. 14) nicht infrage kommt. "Haima" ("Blut", V. 13) kommt zwar theoretisch als Bezugswort infrage, ist jedoch von "en autô" zu weit entfernt. "Sôma" ("Leib") ist zwar ein Neutrum und näher an "en autô" gelegen, ist jedoch nicht das nächstliegende Bezugswort. Näher an "en autô" gelegen ist das Maskulinum "stauros" ("Kreuz"). Somit ist anzunehmen, dass sich "en autô" auf "stauros" bezieht, also "im Kreuz" gemeint ist. Auch ein Bezug auf Christus selbst kommt infrage. Gibt man diesem den Vorzug, dann lautet die Übersetzung besser "in sich" als "in ihm". Letzterer Bezug liegt auch der Variante "en heautô" ("in ihm selbst / in sich") zugrunde. Theologisch gesehen gehören Christus und das Kreuz untrennbar zusammen.
In V. 14 meinte die "Feindschaft" die Feindschaft zwischen Heidentum und Judentum; mit V. 16 ist jedoch ein Fortschritt im Gedankengang erfolgt; nun steht die Versöhnung mit Gott im Blick. Die "Feindschaft", von der in V. 16 die Rede ist, dürfte sich somit auf die Feindschaft zwischen dem sündigen Menschen, der fern von Christus ist, und Gott beziehen.
Bei dem Partizip "apokteinas" ist ein Partizip Aorist und wörtlich mit "getötet habend" zu übersetzen. Es wird ein vorzeitiges Geschehen ausgesagt. Das Geschehen kann der Versöhnung durch das Kreuz vorausgegangen sein und somit besagen, dass das Töten der Feindschaft die Versöhnung durch das Kreuz bewirkt hat. Die Übersetzung wäre dann "..., indem er in ihm die Feindschaft tötete". Das Geschehen kann aber auch von der Gegenwart des Verfassers des Eph aus gesehen vorzeitig sein, dabei eine Folge der Versöhnung aussagen. Die Übersetzung wäre dann "... und durch das Kreuz in ihm die Feindschaft tötete".
Beim Töten der Feindschaft handelt es sich um eine Handlung, und zwar eine siegreiche. Auf den ersten Blick könnte man meinen, die Kreuzigung Jesu sei ein passives Erleiden und Sterben gewesen und der Tod Jesu letztendlich eine Niederlage, mit der der Traum vom starken messianischen Heilsbringer erloschen ist. Der Verfasser des Eph stellt diese scheinbare Niederlage aber als einen Sieg dar, in der der Christus (= Messias), der (vorübergehend) Tote, die Feindschaft tötet.
Weiterführende Literatur: Um der Feinheit und Komplexität des Verhältnisses zwischen der paulinischen Theologie und Eph 2,11-22 gerecht zu werden, sei laut B. H. Dunning 2006, 1-16 nicht nur Kategorien wie "Jude", "Heide" und "Israel" Beachtung zu schenken, sondern auch anderen Kategorien der Identität, die für die narrative Logik des Textes entscheidend seien, nämlich "Bürger", "Fremde" und "Fremdbürger/Mitbürger". Wenn der Verfasser des Eph die Adressaten ausdrücklich als "Heiden" anspreche, so tue er dies zunächst, weil sie Heidenchristen waren. Die Betonung der heidnischen Identität sei allerdings nicht von den Heiden selbst gekommen, sondern liege in der jüdischen Sichtweise und Abgrenzung begründet. Um der Bezeichnung "Heide" auch in den Ohren der heidenchristlichen Adressaten Sinn zu geben, ziehe er die im Römischen Reich allseits verständlichen Kategorie "Fremder" bzw. "Nichtbürger" heran. Demnach seien aus "Fremden" und "Nichtbürgern" "Mitbürger" geworden. Dies mache er anhand paulinischer Theologie deutlich, von der her sich die Betonung der Bezeichnung "Heide" im Eigentlichen erkläre.
Zur Feindschaft in 2,14-18 siehe J. Thomas 1984, 83-96. Der gnädige Gott mache durch Christus die Feindschaft des Menschen zunichte. So weise er den Weg zur Versöhnung.
R. Lemmer 1998, 459-495 befasst sich mit der Leib Christi – Metapher im Eph und geht knapp auf folgende Texte ein: 1,20-23; 2,16-22; 3,3-6; 3,9-12; 3,14-21; 4,3-6; 4,12-16; 5,23-30.
Laut P. Garuti 2015, 592-608 lasse die Vorstellung von Eph 2,14-16 (und 5,2), dass Christus in seinem Fleisch oder durch sein Fleisch die Feindschaft zwischen Juden und Heiden beseitigt und die beiden Gruppen so zu einem einzigen neuen Menschen erschaffen habe, an einen Opferritus zur Schließung eines Bundes als Hintergrund denken. Aber welchem Vorbild könnte diese Vorstellung folgen? Ein atl. Vorbild komme nicht infrage, denn im AT werde den Israeliten jedes Bündnis mit Nichtjuden (Heiden) und auch jeder gemeinsame Opferritus mit den Nichtjuden (Heiden) verboten. P. Garuti vermutet hinter der Vorstellung zum einen eine polemische Anspielung auf die vom Römischen Reich propagierte Pax augusta und ihrer Riten oder eine christliche Version der vom Kaiser Claudius gewollten Ausdehnung des römischen Bürgerrechtes auf zahlreiche Provinzstädte. Zum anderen sei aber als Hintergrund auch ein typisch frühchristliches gemeinsam eingenommenes Mahl, konkret das eucharistische Mahl, zu vermuten.
Von der Feststellung ausgehend, dass es sich bei rassisch und ethnisch motivierten Feindseligkeiten um das größte soziale Problem der heutigen Zeit handele, geht B. W. Fong 1995, 565-580 der Frage nach, was für Schlussfolgerungen für die Kirche aus Eph 2,11-22 zu ziehen sind. Entscheidend seien die Aspekte der Einheit und des Miteinanders. Die Einheit werde als Harmonie ohne Beseitigung der Unterschiede verstanden. Die Einheit werde in der Kirche sichtbar und sei Folge des versöhnenden Handelns Gottes. Die intensive Feindschaft zwischen Jude und Heide werde durch den Tod Christi ihrer Kraft beraubt, so dass innerhalb der Kirche kein Raum mehr für eine Betonung von Unterschieden sei. Der Friede Christi betreffe jede menschliche Dimension, einschließlich nationaler, sozialer und wirtschaftlicher Grenzen. So komme auch den Unterschieden bezüglich Rasse und Ethnie keine Bedeutung mehr zu. Die Kirche heute müsse dem Beispiel der frühen Kirche folgen, die das Evangelium den Juden und Heiden gleichermaßen gepredigt habe und nicht der Versuchung erlegen sei, sich als jüdische Sekte anzusehen. Wahres Bekenntnis Christi bekräftige das Ende aller Trennung und Feindseligkeiten.
Zur rettenden Aktivität Christi und zur Umwandlung des Menschen "in Christus" gemäß Eph 2,11-22 siehe S. Fowl 2007, 22-40. Einer der Schlüsselaspekte des Textes sei die Versöhnung von sich zuvor feindlich gesinnten Gruppen im Leib Christi. Dabei brauche die eigene nationale, ethnische oder kulturelle Vergangenheit nicht aus dem Gedächtnis ausgelöscht zu werden. Vielmehr gehe es darum, sich der Vergangenheit als einer heidnischen Vergangenheit zu erinnern und die Vergangenheit und Gegenwart dahingehend zu verstehen, wie das Verhältnis zu Israel und zu Gott Israels ist.
Wenn es möglich sei, dass Juden und Heiden durch Christus in einem einzigen Leib versöhnt werden, dann müsse laut F.-J. Steinmetz 1988, 227-232 eine solche Versöhnung auch für die vielen verschiedenen Gruppen in der heutigen Kirche möglich sein. Der Leib Christi, d. h. die Gemeinde Jesu Christi, existiere nicht um seiner selbst willen, sondern zur Ehre Gottes und für die Welt. Er manifestiere sich selbst im Dialog. Der Leib Christi schließe alle Völker in der einen Gemeinde Christi ein, die wachse und sich ausdehne.
Mit dem Verb „katallassô“ („versöhnen“) in der antiken griechischen Literatur mit Bezug zu den paulinischen Briefen befasst sich S. E. Porter 1994, der auf S. 163-189 auf Kol 1,20.22 und Eph 2,16 eingeht. Im Hinblick auf die anderen Vorkommen des Verbs in den paulinischen Briefen gebe es sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede. Einerseits werde wiederholt das Werk Christi als Versöhnung stiftend erwähnt und in Kol 1,20 gebe es zumindest einen indirekten Hinweis auf Gott als Mittler der Versöhnung. Andererseits liege jedoch in Eph 2,16 - insbesondere im Hinblick auf Gott - auf der Feindschaft weniger Betonung. In Kol 1,20.22 werde weniger direkt ausgesagt, dass Gott das Ziel der Versöhnung sei. Schließlich sei bezüglich der beiden Texte bemerkenswert, dass im Unterschied zu den anderen paulinischen Passagen in erster Linie Jesus Christus und nicht Gott als Mittler der Versöhnung erscheine.
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Beobachtungen: Worauf beziehen sich das Kommen und das Verkündigen des Friedens? Beziehen sie sich auf die Menschwerdung Christi sowie Christi Dienst und Verkündigung auf Erden? Oder beziehen sie sich auf Christi Kreuzestod und Auferstehung von den Toten? Oder ist die Verkündigung des Auferstandenen und gen Himmel Gefahrenen durch die vom heiligen Geist bewegten Jünger gemeint? Der Aorist weist auf ein in der Vergangenheit abgeschlossenes Ereignis hin, das sich nicht ständig wiederholt hat.
Es wurde Frieden den "Fernen" und den "Nahen" verkündigt. Zu den Fernen gehören bzw. gehörten die Adressaten, die Heiden waren. Zu Lebzeiten kann Christus diesen nicht verkündigt haben, denn Jesus Christus ist nie in die heidnische Welt hinausgegangen und nie nach Ephesus oder in eine andere Gegend der heutigen Türkei gekommen. Das gilt auch für die Zeit zwischen Christi Auferstehung und Himmelfahrt. Da hat er ausschließlich zu seinen Jüngern, zu Juden gesprochen. Erst nach Christi Himmelfahrt und Pfingsten wurde das Evangelium auch zu den Heiden getragen. Allerdings ist bei der Mission genau genommen nicht Jesus Christus gekommen, sondern es waren die Missionare. Jesus Christus ist nur im Evangelium gekommen, als Inhalt des Evangeliums. Und Jesus ist nur aufgrund seines Heilswirkens Inhalt des Evangeliums, nicht weil er schöne Worte gemacht hat oder ein guter Mensch war. Das Heilswirken findet seinen Höhepunkt im Kreuzigungsgeschehen. Die sprachliche Verkündigung oblag und obliegt als ständiges Geschehen den Missionaren, Jesus Christus dagegen verkündigte durch seinen Kreuzestod, also durch ein einmaliges, in der Vergangenheit liegendes Heilsgeschehen.
Der Inhalt von V. 17 gründet auf einer Kombination von atl. Aussagen. So heißt es in Jes 57,19: "Friede, Friede denen in der Ferne und denen in der Nähe, spricht JHWH; ich werde/will sie heilen." Entstanden ist der Vers am Ende des Babylonischen Exils. Bei den "Fernen" handelt es sich um die, die sich noch im Babylonischen Exil befinden, bei den "Nahen" um diejenigen, die bereits nach Israel zurückgekehrt sind. Mit dem "Frieden" ist wohl die geschichtliche Wende gemeint, bei der der Perserkönig Kyros denen im Exil die Rückkehr ermöglicht hat. Der Verfasser des Eph aktualisiert diesen Vers auf das Christentum hin und bezieht die "Fernen" auf die Heiden - ganz konkret auch und die "Nahen" auf die Juden. Die Heiden sind insofern "Ferne" und die Juden insofern "Nahe", als die Heiden dem Gott Israels (= Gott Vater, der Vater Jesu) fern sind und die Juden ihm nahe stehen. Diejenigen, die die geschichtliche Wende verkünden, sind gemäß Jes 52,7 Übermittler der frohen Botschaft, Verkündiger des Friedens. Der Verfasser des Eph bezieht diesen Vers auf den Frieden bewirkenden Kreuzestod Christi und auf das Evangelium, das von diesem Heilsgeschehen handelt. Diese Deutung auf Jesus Christus hin legte auch Jes 9,5-6 nahe, wo von der Geburt des messianischen Herrschers aus dem Hause David die Rede ist, der u.a. als "Friedensfürst" tituliert wird. Der Verfasser des Eph deutet Jesus als den verheißenen Messias, und das Verständnis, dass er ein "Friedensfürst" ist, liegt Eph 2,17 zugrunde.
Unklar ist, worauf sich in V. 17 der Friede bezieht, auf den Frieden zwischen den Heidenchristen und Judenchristen oder auf den Frieden zwischen Gott und den Heidenchristen und Judenchristen. Vermutlich ist beiderlei Art Friede im Blick.
Weiterführende Literatur: Laut T. G. Gombis 2004, 403-418 werde Eph 1,20-2,22 gewöhnlich als eine Erweiterung oder Fortsetzung des Lobpreises und der Danksagung in Eph 1 verstanden und behauptet, dass keine durchdachte theologische Argumentation und noch nicht einmal ein klarer und schlüssiger Gedankengang zu erkennen sei. Das sei aber falsch: Werde der Text im Lichte göttlicher Kriegsideologie gelesen, wie sie uns in Texten des Alten Vorderen Orients begegne (Baal-Zyklen Ugarits, Enuma Elisch) und auch im AT und NT Verwendung finde, dann werde die Argumentation des Eph offenbar: Die Triumphe Christi über die bösen Mächte bestätigten den erhöhten Status des Herrn Christus, der seinen Sieg durch die Verkündigung des Friedens ankündige. So wie die siegreichen vorderorientalischen Gottheiten Tempel oder Paläste besaßen, die zu ihren Ehren errichtet worden waren, würden auch in Eph 2 die Triumphe des erhöhten kosmischen Herrn Christus mittels des Baus des Tempels, der gleichermaßen aus Juden- und Heidenchristen zusammengesetzt sei, in Erinnerung gebracht.
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Beobachtungen: V. 18 setzt voraus, dass weder die Heiden noch die Juden Zutritt zu Gott hatten bzw. haben. Zutritt zu Gott setzt Versöhnung mit Gott voraus. Die Heiden mit ihrem sündigen Lebensstil sind Gottes Zorn verfallen (vgl. Eph 2,1-3.12). Die Juden mögen zwar nicht so lasterhaft wie die Heiden sein, haben jedoch ein anderes Problem: Sie versuchen sich durch möglichst genaues Befolgen des jüdischen Religionsgesetzes Gottes Wohlwollen zu verdienen. Das ist aber nicht möglich, weshalb auch die Juden "Kinder des Zorns" sind (vgl. Eph 2,3.5.8-9). Das jüdische Religionsgesetz stellt nicht nur eine "Trennwand der Mauer" zwischen den Juden und Heiden dar, sondern auch zwischen Juden und Gott, denn die Unmöglichkeit des Haltens des "Gesetzes der Gebote mit den Satzungen" macht das Unvermögen offenbar und verbietet den Zutritt zu dem heiligen Gott. Nur durch Christus haben die Heiden und Juden Zutritt zu Gott.
"Hoi amphoteroi" ("die beiden / alle beide") ist ein Maskulinum, wogegen "ta amphotera" in V. 14 ("die beiden") ein Neutrum war. Wie in V. 16 sind also nicht zwei ganze Menschengruppen im Sinne von zwei Einheiten im Blick, sondern die Menschen als solche treten in den Vordergrund.
Der "Geist" kann den menschlichen Geist, die Gesinnung, meinen, oder auch den heiligen Geist. Heiden und Juden sind völlig verschieden gesinnt und haben zudem mit dem heiligen Geist nichts zu tun. Sobald sie aber den christlichen Glauben annehmen und "in Christus" eintreten, wird ihre Gesinnung gleich, nämlich christlich. Ebenfalls wird der heilige Geist zu einer Wirkkraft. Diese wirkt auf Heidenchristen und Judenchristen gleichermaßen, die somit "in einem [einzigen] Geist" sind.
Gott wird als "Vater" bezeichnet, wobei unklar ist, ob er hier als Vater Jesu Christi gesehen wird oder als Vater der Christen. Beide Bedeutungen klingen an. Dass Gott ein Vater ist, spielt im folgenden Abschnitt 2,19-22 eine große Rolle, wo Gott als Hausvater erscheint und die Christen als zur Hausgemeinschaft gehörig.
Es fällt auf, dass alle drei Personen der Trinität - Vater (Gott), Sohn (Jesus Christus) und heiliger Geist - am Erlösungsgeschehen Anteil haben. Dies haben sie in ihrer ganz spezifischen Funktion: Mit Gott erfolgt die Versöhnung, wobei die Initiative der Versöhnung mit den Menschen von Gott ausgeht, dem Urheber der Heilsgeschichte. Jesus Christus ist das Mittel der Versöhnung und der Erlösung des Menschen, in seinem Macht- und Wirkbereich spielen sich Versöhnung und Erlösung ab. Der heilige Geist ist ebenfalls eine Wirkkraft, die das Leben der Christen und gesamten Kirche und deren Beziehung zu Gott prägt.
Weiterführende Literatur: Mit der Pneumatologie des Kol und Eph befasst sich V. Balabanski 2010, 173-187. Sie liest den Christushymnus durch die Brille der Stoiker und stellt folgende These auf: Die Kolosser seien mit der stoischen Vorstellung vertraut gewesen, dass der göttliche Geist im gesamten Kosmos wirke; der göttliche Geist bzw. Logos durchdringe alle Dinge und halte alle Dinge zusammen. Der Kol deute diese stoische Kosmologie christologisch. Der göttliche Logos wirke nun in Jesus, in dem auferstandenen Christus, der alle Dinge zusammenhalte. Die Betonung des heiligen Geistes, ohne diesen Geist als denjenigen Christi zu charakterisieren, habe die Kolosser zu kosmischen Spekulationen verführt. Der Kol lehne die stoische Kosmologie der Durchdringung des Kosmos durch den göttlichen Geist/Logos nicht ab, unterstreiche jedoch ihre Verbindung mit Christus. Stoische Vorstellungen fänden sich auch im Eph, in dem der Begriff "pneuma" ("Geist") viel häufiger als im Kol vorkomme, nämlich vierzehnmal statt zweimal. Insbesondere die Vorstellung der "oikeiôsis" ("Zueignung"), die sich auf die Anerkennung und Würdigung einer Sache als zu jemandem zugehörig beziehe, sei ein typisches stoisches ethisches Prinzip. Dieses scheine insbesondere in Eph 2,11-22 stark widerzuhallen. Aber der Schwerpunkt liege nicht mehr auf der Kosmologie, sondern auf der Ethik mit Bezug auf die Kirche.
Literaturübersicht
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