Eph 2,19-22
Übersetzung
Eph 2,19-22:19 So seid ihr nun nicht mehr Fremde und Nichtbürger, sondern ihr seid Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen (des) Gottes, 20 erbaut auf dem Fundament der Apostel und Propheten, dessen Eckstein Christus Jesus ist, 21 in welchem [der] ganze Bau zusammengehalten wächst zum heiligen Tempel im Herrn, 22 in welchem auch ihr mit auferbaut werdet zur Wohnung (des) Gottes im Geist.
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Beobachtungen: Ebenso wie die Erinnerung Eph 2,11-13 wird auch der Abschnitt 2,19-22 mit einer direkten Anrede eingeleitet. Es handelt sich also um eine Passage, die für die Adressaten von besonderer Bedeutung ist. Sie widmet sich der neuen Existenz der Adressaten als Bestandteil des Baus der Kirche, und weil das unter dem Aspekt des Heils von so großer Bedeutung ist, ist der ganze Sprachstil feierlich gehalten. Die frühere Existenz als Heiden wird nur zwecks Gegenüberstellung kurz gestreift. Im weitgehend ähnlichen Kolosserbrief findet sich 2,19-22 (wie der gesamte Abschnitt 2,11-22) nicht.
Als "Fremde" gehörten die Adressaten, die einst Heiden waren, der Stadt bzw. dem Staat Gottes (oder: dem Staat Israel) und seiner Bürgerschaft nicht an und standen ihnen auch nicht nahe.
Der Begriff "paroikoi" bezeichnet die Fremden oder die Nachbarn, Anwohner. Das birgt ein Übersetzungsproblem, denn schon der Begriff "xenoi" bedeutet "Fremde" und ist auch am besten mit "Fremde" zu übersetzen. Folglich ist für "paroikoi" eine bedeutungsähnliche Bedeutung zu suchen. Was ist mit der Übersetzung "Nachbar" oder "Anwohner"? Nachbarn bzw. Anwohner waren die Heiden durchaus, denn die Israeliten waren ja von Heiden umgeben. Allerdings klingt "Nachbar" oder "Anwohner" so, als hätten die Adressaten als Heiden schon irgendeine Nähe zum Staat Israel und seiner Bürgerschaft gehabt, als habe es keinen wirklichen Gegensatz gegeben. Der Eindruck führt in die Irre. Zwar mag der Gedanke mitschwingen, dass den Adressaten der Eintritt in Israel und seine Bürgerschaft - über Christus - nicht gänzlich verwehrt war, aber der Gedanke der Fremdheit dürfte doch für die Deutung der "paroikoi" entscheidend sein. Ein Bedeutungsunterschied zwischen "xenoi" und "paroikoi" ist nicht oder kaum zu erkennen, was annehmen lässt, dass es sich um Synonyme handelt, die gemeinsam die Fremdheit betonen. Will man doch von einem leichten Bedeutungsunterschied ausgehen, so dürfte dieser am ehesten darin liegen, dass "xenoi" die Fremdheit bezüglich Stamm und Herkunft beinhaltet, "paroikoi" dagegen den Wohnsitz außerhalb von Israel und von dessen Bürgerschaft. Somit wäre mittels der verschiedenen Aspekte der Fremdheit unmissverständlich dargestellt, dass die Adressaten als Heiden der Bürgerschaft Israels nicht zugehörig waren (vgl. V. 12). Insofern ist, gleich ob man von Synonymen ausgeht oder von einem leichten Bedeutungsunterschied, die Übersetzung "Nichtbürger" (oder: "Ausländer") die passendste, zumal unmittelbar folgend von "Mitbürgern" die Rede ist. Zusätzlich klingt aber auch das "Haus" als Wohn-, Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft an. Als "paroikoi" gehörten die Adressaten in ihrer heidnischen Zeit dieser Hausgemeinschaft, der als Hausvater (vgl. V. 18) Gott vorsteht, nicht an. Auf eine weitere Bedeutung, die der Begriff "paroikoi" theoretisch haben kann, weist Gen 23,4LXX hin. Dort bezeichnet sich Abraham selbst als "paroikos" unter den Hethitern. Abraham lebte zwar unter den Hethitern, war aber selbst keiner und war diesen auch nicht näher verbunden. Vom Blickwinkel Gen 23,4LXX her gesehen könnte man meinen, dass "paroikoi" in Eph 2,19 Heiden bezeichnet, die in einem jüdischen Umfeld, vielleicht sogar in Israel wohnten bzw. wohnen. Diese Bedeutung kommt aber schon deswegen nicht infrage, weil die Adressaten in Kleinasien, im Westen der heutigen Türkei wohnten, und zwar in einem mehrheitlich heidnischen, nicht aber jüdischen Umfeld. Und auf keinen Fall wohnten sie inmitten des Landes Israels. Und weil nicht davon auszugehen ist, dass es vor den Adressaten in deren Umfeld schon größere christliche Gemeinden gegeben hat, werden sie als Heiden auch nicht inmitten von Christen gelebt haben.
Bei den „Heiligen“ handelt sich gemäß frühchristlichem Verständnis nicht um besondere Wundertäter, sondern um alle Christen, die durch ihre Taufe geheiligt worden sind und nun ein neues, heiliges und reines Leben führen (sollten). Die "Heiligen" sind hier als Bürgerschaft gedacht, der man nur unter bestimmten Bedingungen - der Annahme des christlichen Glaubens - beitreten kann.
Die Adressaten sind gegenwärtig zwar "Heilige" (vgl. 1,1), aber sie sind nicht die einzigen und auch nicht die ersten "Heiligen". Das geht aus dem Begriff "sympolitai" ("Mitbürger") hervor, gemäß dem die Adressaten zusammen mit anderen Christen die Bürgerschaft der "Heiligen" bilden. Dass die Adressaten nicht die ersten Christen sind, machen die V. 20-22 deutlich.
Die Formulierung "oikeioi tou theou" ("Hausgenossen [des] Gottes) lässt erkennen, dass das Christentum im Sinne einer Haus-, Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft gedacht ist, deren Hausvater Gott ist (vgl. V. 18). Wenn die Heiligen Hausgenossen sind, dann muss der Hausvater erst recht heilig sein. Umgekehrt: Es ist sicher niemand zum "Haus" des heiligen Gottes zugelassen, der nicht heilig ist.
Weiterführende Literatur: A. T. Lincoln 1987, 605-624 versucht möglichst genau herauszufinden, welche Tendenz der Abschnitt 2,11-22 im Hinblick auf die Beziehung zwischen Kirche und Israel aufweist und welches die Schussfolgerungen daraus für das Verständnis des kanonischen Paulus sind. Er vergleicht seine Deutung mit derjenigen von Markus Barth in dessen Buch "Israel und die Kirche im Brief des Paulus an die Epheser" aus dem Jahr 1959 und fragt abschließend danach, was daraus im Hinblick auf den Dialog zwischen Christen und Juden folgt.
R. Lemmer 1998, 459-495 befasst sich mit der Leib Christi – Metapher im Eph und geht knapp auf folgende Texte ein: 1,20-23; 2,16-22; 3,3-6; 3,9-12; 3,14-21; 4,3-6; 4,12-16; 5,23-30.
Laut W. Schweitzer 1989, 237-264 sei im Spätsommer 1933 die Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Marburg um ein Gutachten zur Einführung des sogenannten "Arierparagraphen" in den evangelischen Landeskirchen in Deutschland gebeten worden. Bei ihrer Ablehnung dieses Vorhabens habe sich die Fakultät unter anderem auf "die volle Einheit zwischen jüdischen und nichtjüdischen Christen in der Kirche, wie sie im NT am eindrücklichsten der Eph entwickelt" berufen. Inzwischen sei die Frage, ob Christen jüdischer Abstammung in unserer Kirche volle Gleichberechtigung haben, hoffentlich endgültig geklärt worden. Wir müssten heute weiter fragen: Wollte der Eph vielleicht darüber hinaus etwas Beachtenswertes über das Verhältnis der Kirche zu Israel sagen? Ergebnis: Die Ablehnung Jesu durch einen beträchtlichen Teil seiner jüdischen Zeitgenossen und die Konflikte der jungen Christenheit mit der Synagoge, die das Leben und Denken des Apostels Paulus so nachhaltig bestimmt hätten, seien für den Eph kein Thema; über jüdische Gegner Jesu schweige er sich aus. Statt dessen sei nur davon die Rede, dass in Christus alle "eins" sein müssten wie ein Leib und dass in dieser neuen Einheit die Heiden keinesfalls benachteiligt seien: Sie seien mit "Israel" gleichberechtigt; darauf liege der Nachdruck. Dem Eph gehe es um das Fundament des christlichen Glaubens in Gottes Wort an Israel: Dieses Fundament wolle der Eph gegen aufkommende christliche Judenfeindschaft sichern. Abschließend skizziert W. Schweitzer die möglichen theologischen Folgerungen in der Gegenwart: a) Die Botschaft von unserer Versöhnung in Christus sei auf unser Verhältnis zu Israel anzuwenden. b) Der Eph enthalte kein genaues dogmatisches und erst recht kein kirchenrechtliches Programm für die eine Kirche aus Juden und Heiden, die er proklamiere. Er stelle uns aber die Aufgabe, für beides sachgemäße Lösungen zu erarbeiten. c) Der Bund, den Gott einst mit Israel geschlossen hat, sei nicht durch den "Neuen Bund" ersetzt worden, sondern bestehe als der "ungekündigte Bund" weiter. d) Der Eph unterscheide nicht zwischen Juden, die Jesus von Nazareth als Christus anerkennen, und solchen Juden, die das nicht tun. Christi Versöhnungswerk schließe alle Juden ein, womit sie auch alle zu der einen Kirche gehörten.
Laut E. Best 1992, 47-60 unterscheide sich das Bild, das der Verfasser des Eph vom Judentum hat, deutlich von dem Bild der Heiden und dem Selbstverständnis der Juden. Allen drei Bildern sei nur Kenntnis und Thematisierung der Beschneidung gemein. Der Verfasser des Eph komme nur auf die Aspekte zu sprechen, die in einem positiven Bezug zum Christentum stehen: Christus als Messias, die Kirche sei daher mit Israel verbunden, sei Adressat der Verheißungen an Israel, die jedoch christlich auf den neuen Bund hin gedeutet würden. Der Gott Israels sei auch der Gott der Christen und die Christen würden ebenso wie die Juden Heilshoffnung haben.
Um der Feinheit und Komplexität des Verhältnisses zwischen der paulinischen Theologie und Eph 2,11-22 gerecht zu werden, sei laut B. H. Dunning 2006, 1-16 nicht nur Kategorien wie "Jude", "Heide" und "Israel" Beachtung zu schenken, sondern auch anderen Kategorien der Identität, die für die narrative Logik des Textes entscheidend seien, nämlich "Bürger", "Fremde" und "Fremdbürger/Mitbürger". Wenn der Verfasser des Eph die Adressaten ausdrücklich als "Heiden" anspreche, so tue er dies zunächst, weil sie Heidenchristen waren. Die Betonung der heidnischen Identität sei allerdings nicht von den Heiden selbst gekommen, sondern liege in der jüdischen Sichtweise und Abgrenzung begründet. Um der Bezeichnung "Heide" auch in den Ohren der heidenchristlichen Adressaten Sinn zu geben, ziehe er die im Römischen Reich allseits verständlichen Kategorie "Fremder" bzw. "Nichtbürger" heran. Demnach seien aus "Fremden" und "Nichtbürgern" "Mitbürger" geworden. Dies mache er anhand paulinischer Theologie deutlich, von der her sich die Betonung der Bezeichnung "Heide" im Eigentlichen erkläre.
M. Y. MacDonald 2004, 419-444 wendet sich gegen die These, dass der Verfasser des Eph kein besonderes Interesse an den zeitgenössischen Juden zeige. Das Gegenteil sei der Fall: Aus 2,11-22 gehe hervor, dass er sehr wohl mit dem Schicksal und Ergehen des jüdischen Volkes befasst ist. M. Y. MacDonald liest den Text auf dem historischen Hintergrund der Herrschaft des Kaisers Domitian. Die fließenden Grenzen und mehrdeutigen Kategorien spiegelten möglicherweise Erfahrungen in der Kirche mit wechselnder Identität wider. Zur Zeit Domitians habe das Schicksal der Glieder der Kirche wohl gewechselt, je nachdem ob sie als Juden, abgefallene Juden oder eindeutig als "Christen" angesehen wurden. Manchmal habe aus der jeweiligen Zuordnung ein Vorteil resultiert. Die Existenz solcher sozialer Dynamiken werde durch eine Untersuchung der Kontaktpunkte zwischen dem Eph und kaiserlicher Ideologie offenbar, die sowohl Elemente der Anpassung als auch - in größerem Maße - des Widerstandes einschlössen.
R. Hurley 2014, 517-537 legt dar, dass die implizierten Leser des Eph symbolisch und materiell schon unter einem theopolitischen Regime lebten, das sich von demjenigen des Römischen Reiches unterscheide. Darüber hinaus unterscheide es sich aber auch von der Bürgerschaft Israels in dem Maße, wie sich Israel durch die Befolgung des Religionsgesetzes und der Beschneidung definiere. Durch seine Art, das materielle und soziale Leben seiner Mitglieder zu organisieren, durch die Anerkennung eines Königs, der nicht der römische Kaiser ist, und durch die Schaffung eines Systems der Zuerkennung von Verdiensten, das sich von dem pyramidenförmigen kaiserlichen unterscheide, bilde die Kirche ganz klar eine Gegenkultur, ein pazifistisches politisches Gebilde. Diese Christen bildeten das Gegenteil der kaiserlichen Konzeption der Machtausübung, wonach derjenige herrsche, der der Natur nach der stärkere ist. Ihre neuen Bande der Zugehörigkeit zu Gott, entfernten sie von ihrer Kultur, in die sie geboren worden sind, und machten sie zu Fremden in ihrem eigenen Land und darüber hinaus zu ausgesuchten Zielscheiben der Mitbürger. Die implizierten Leser des Eph seien zuvörderst Mitglieder des Hauses Gottes und Mitbürger der Heiligen, aber auch Brüder und Schwestern von allen.
Von der Feststellung ausgehend, dass es sich bei rassisch und ethnisch motivierten Feindseligkeiten um das größte soziale Problem der heutigen Zeit handele, geht B. W. Fong 1995, 565-580 der Frage nach, was für Schlussfolgerungen für die Kirche aus Eph 2,11-22 zu ziehen sind. Entscheidend seien die Aspekte der Einheit und des Miteinanders. Die Einheit werde als Harmonie ohne Beseitigung der Unterschiede verstanden. Die Einheit werde in der Kirche sichtbar und sei Folge des versöhnenden Handelns Gottes. Die intensive Feindschaft zwischen Jude und Heide werde durch den Tod Christi ihrer Kraft beraubt, so dass innerhalb der Kirche kein Raum mehr für eine Betonung von Unterschieden sei. Der Friede Christi betreffe jede menschliche Dimension, einschließlich nationaler, sozialer und wirtschaftlicher Grenzen. So komme auch den Unterschieden bezüglich Rasse und Ethnie keine Bedeutung mehr zu. Die Kirche heute müsse dem Beispiel der frühen Kirche folgen, die das Evangelium den Juden und Heiden gleichermaßen gepredigt habe und nicht der Versuchung erlegen sei, sich als jüdische Sekte anzusehen. Wahres Bekenntnis Christi bekräftige das Ende aller Trennung und Feindseligkeiten.
Zur rettenden Aktivität Christi und zur Umwandlung des Menschen "in Christus" gemäß Eph 2,11-22 siehe S. Fowl 2007, 22-40. Einer der Schlüsselaspekte des Textes sei die Versöhnung von sich zuvor feindlich gesinnten Gruppen im Leib Christi. Dabei brauche die eigene nationale, ethnische oder kulturelle Vergangenheit nicht aus dem Gedächtnis ausgelöscht zu werden. Vielmehr gehe es darum, sich der Vergangenheit als einer heidnischen Vergangenheit zu erinnern und die Vergangenheit und Gegenwart dahingehend zu verstehen, wie das Verhältnis zu Israel und zu Gott Israels ist.
R. Penna 1993, 183-198 liest Eph 2,19 und auch Kol 1,21 im Lichte des Gleichnisses vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32): Der Sohn des Vaters ist im fernen, fremden Land seinem Zuhause ein Fremder geworden. Bei seiner Rückkehr wird der Sohn aber von seinem Vater mit offenen Armen empfangen und wieder vollständig in sein Zuhause eingegliedert, wobei der Vater ein großes Fest gibt. Die christliche Existenz nach der Taufe lasse an dieses Fest denken, denn die Christen seien aufgrund der Gnade Gott Vaters keine Fremden mehr und auch nicht bloße Gäste, sondern sie genössen vom Diesseits an vollständigen Zugang zum Leben Gottes.
Zu den Zeitkonzeptionen im Epheserbrief siehe S. Rantzow 2008, die sich auf S. 191-207 mit der metaphorischen Konzeptualisierung monumentaler Zeitstrukturen (Eph 2,19-22) befasst. Die Bauwerksmetaphorik in 2,19-22 konzeptualisiere eine historische Größe, die im und gegen den Fortlauf der Zeit bestehen bleibe. Sie orientiere sich somit an einer anderen Pragmatik als diejenige im Corpus Paulinum. Der Epheserbrief behaupte so die bleibende Monumentalität der Kirche.
Auf das Konzept der Kirche als „Leib Christi“ als Schlüsselelement der paulinischen Theologie geht J. L. Breed 1985, 9-32 ein, wobei die biblischen Schlüsseltexte (S. 22: Eph 2,19-22) und die Schlüsselbegriffe im Mittelpunkt stehen.
R. W. Nel 2015 befasst sich mit Eph 2,11-22 aus Sicht der Obdachlosen der südafrikanischen Stadt Tshwane, und zwar unter dem Gesichtspunkt, welche Rolle städtische Religion bei der Suche nach einem Frieden spielt, der über die reine Abwesenheit von Konflikten im kommunalen Umfeld der Obdachlosen hinausgeht.
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Beobachtungen: Die Genitivkonstruktion "epi tô themeliô tôn apostolôn kai prophêtôn" ("auf dem Fundament der Apostel und Propheten") ist nicht so zu verstehen, dass die Apostel und Propheten auf einem Fundament stehen, das nicht weiter bestimmt ist oder von Jesus Christus gebildet wird. Jesus Christus ist nicht Fundament, sondern Eckstein. Die Genitivkonstruktion besagt vielmehr, dass die Apostel und Propheten das Fundament bilden.
Wenn die Apostel und Propheten das Fundament sind, dann sind sie nicht nur unter zeitlichem Aspekt gesehen die Ersten des Baus, der Kirche, sondern auch unter dem Aspekt der Bedeutung. Den Aposteln und Propheten kommt dauerhaft für den ganzen Bau eine grundlegende, tragende Bedeutung zu. Dabei bleibt offen, ob sich diese Bedeutung auf die Missionstätigkeit, Lehre, Prophetie, Kirchenleitung oder eine sonstige Tätigkeit bezieht.
Wer sind die "Apostel" und "Propheten"? Zunächst einmal stellt sich die Frage, ob es sich um eine Personengruppe handelt oder um zwei Personengruppen. Es findet sich für beide Personengruppen zusammengenommen nur ein Artikel. Geht man aufgrund dieser Beobachtung von einer aus, dann handelt es sich um Apostel, die zugleich Propheten sind, also um Apostel, die prophezeien. Geht man - was wahrscheinlicher ist - davon aus, dass es sich um zwei Personengruppen handelt, die in einem Atemzug genannt werden, dann handelt es sich bei der ersten Personengruppe um Apostel und bei der zweiten um Propheten. Für zwei verschiedene Personengruppen spricht insbesondere 4,11, wo die "Apostel" und "Propheten" mit je einem eigenen Artikel versehen sind. Aber wer ist mit dem Begriff "Apostel" gemeint, und wer mit dem Begriff "Propheten"?
"Apostel" sind der Wortbedeutung nach Gesandte, wobei es sich um Gesandte einer Gemeinde handeln kann, die mit einem bestimmten Auftrag entsandt werden, z. B. zu einer anderen Gemeinde. Eine solch weite Bedeutung liegt hier aber wohl nicht vor, weil den Aposteln fundamentale Bedeutung zukommt. Ein gewöhnlicher Gesandter konnte dagegen z. B. ein bloßer Überbringer eines nicht von ihm selbst verfassten Briefes sein. Nimmt man die fundamentale Bedeutung als Maßstab für die Deutung, dann ist von einer Personengruppe mit besonderem Ansehen auszugehen. Der Eph gibt vor, von Paulus, dem "Apostel Christi Jesu" geschrieben worden zu sein (vgl. 1,1). Demnach dürfte Paulus zu den in 2,20 genannten Aposteln gehören. Dabei dürfte den "Aposteln" das Verständnis der authentischen Paulusbriefe zugrunde liegen. Gemäß diesem Apostelverständnis sind von Jesus Christus zur Mission Entsandte gemeint. Diesen ist bei Verkündigung, Gemeindegründung und -aufbau sowie Lehre besondere Bedeutung zugekommen. Das paulinische Apostelverständnis unterscheidet sich also von dem der Evangelien (speziell von dem des Lukasevangeliums) und der Apostelgeschichte, die nur den Kreis der von Jesus zu dessen Lebzeiten erwählten zwölf Jünger zu den Aposteln zählen (vgl. Lk 6,13; Apg 1,2; nach dem Tode des Judas Iskariot trat gemäß Apg 1,21-26 durch Nachwahl Matthias an dessen Stelle). Paulus gehörte den Evangelien und der Apostelgeschichte nach nicht zu den Aposteln.
Bei den "Propheten" ist zunächst an die Propheten des AT zu denken. Auch wenn diese Juden und nicht Christen waren, kann man sie angesichts der christlichen Deutung ihrer Prophezeiungen auf Jesus Christus hin durchaus als Fundament des Baus der Kirche ansehen. Allerdings verwundert, dass sie nach den "Aposteln" genannt werden, wo diese doch nicht im AT verankert sind. Das spricht eher dafür, dass es sich bei den "Propheten" um Propheten christlichen Glaubens handelt. Zur Zeit des Paulus waren solche Propheten durchaus in den christlichen Gemeinden anzutreffen (vgl. 1 Kor 14,29-33.37; Apg 13,1; 15,32) und ihnen scheint auch ein besonderes Ansehen zugekommen zu sein. Sie empfingen göttliche Offenbarungen und vermittelten sie an die Gemeindeglieder weiter. Der Eph kommt in 3,5-7 noch auf die Rolle der Apostel und Propheten im Hinblick auf die Offenbarung zu sprechen. Die Tatsache, dass vermutlich christliche Propheten gemeint sind, schließt nicht aus, dass auch die atl. Propheten anklingen, ihre von den Christen auf Jesus Christus hin gedeuteten Prophezeiungen.
Der Begriff "akrogôniaios" taucht im NT nur hier und in 1 Pet 2,6 auf. 1 Pet 2,6 zitiert Jes 28,16LXX, wo JHWH von sich sagt, dass er in Zion einen Eckstein, kostbar und auserwählt, legen werde. Und wer ihm vertraue, der werde nicht zuschanden werden. Bei diesem Eckstein handelt es sich in Jes 28,16LXX um einen von JHWH in Zion gelegten Grundstein (Felsboden oder zeremonieller Grundstein). Dabei geht aus dem Text hervor, dass der Eckstein in das Fundament eingefügt oder zumindest mit ihm eng verbunden wird. 1 Pet 2,6 und Eph 2,20 gründen auf Jes 28,16LXX, deuten aber diesen Vers auf Jesus Christus hin. Weil aus Eph 2,21 hervorgeht, dass der Bau noch am Wachsen ist, kann es sich bei dem "akrogôniaios" nicht um einen Schlussstein handeln, der das Gebäude oben im Gewölbe abschließt und das Gesamte zusammenhält. Insofern kommt die Bedeutung, die der Begriff "akrogôniaios" im Testament Salomos (christlich-gnostische apokryphe Schrift, vermutlich um das 3. Jh. herum und damit viel später als der Eph entstanden) 22,7 (vgl. 22,8; 23,2-3) hat, in Eph 2,20 nicht infrage. Aus Eph 2,20-21 geht nur eindeutig hervor, dass der Eckstein nicht mit dem Fundament gleichgesetzt wird, sondern einen eigenen Bestandteil des Baues darstellt. Der wuchtige Eckstein hatte wohl mehrere wichtige Funktionen: Zum einen lastete auf ihm ein Großteil des Gebäudegewichtes (speziell Jerusalemer Tempels, bei dem man fünf Ecksteine ausgegraben hat). Zum anderen setzte er fest, wo Länge und Breite eines Gebäudes zusammentreffen. Anhand des Ecksteines konnte man das Fundament legen und die Mauern ausrichten und errichten. Zu bedenken ist, dass damals kein Architekt einen genauen Plan des Gebäudes vorzeichnete, sondern anhand des Ecksteins vor Ort mit dem Bau begonnen wurde. Und schließlich stabilisierte der Eckstein das Gebäude und hielt es zusammen.
Es ist unklar, wie in V. 20 das Pronomen "autou" zu übersetzen ist. Bezieht sich "autou" auf das "Fundament" ("themelios")? Dann ist der Eckstein ein Bestandteil des Fundamentes, wenn auch ein eigenständiger, und die Übersetzung lautet "...dessen Eckstein Christus Jesus ist,...". Das Pronomen "autou" kann aber auch mit "selbst" übersetzt werden. Die Übersetzung des gesamten genitivus absolutus wäre dann "...wobei Christus Jesus selbst Eckstein ist,...". Bei diesem Verständnis wird Jesus Christus in seiner besonderen Funktion als Eckstein hervorgehoben. Dabei erscheint der Eckstein als vom Fundament unabhängiger Bestandteil des Baus.
Weiterführende Literatur: E. Faust 1993 geht davon aus, dass es sich bei dem Epheserbrief um einen Traktat handele, der sich nach dem Tode des Paulus an Heidenchristen in der ganzen Provinz Asia wendet. Es handele sich bei dem Brief um eine frühe christliche Kontrafaktur gegen ein einflussreiches politisch-soziales Überzeugungssystem, das eine in der Kirche repräsentierte Gruppe (Judenchristen) zu diskriminieren gesucht habe. So erscheine die Kirche unter ihrem Haupt Christus als universale, soziale Gegengröße zum Römischen Reich unter seinem kaiserlichen Haupt. Ausschlaggebend für diese Darstellung durch den judenchristlichen Verfasser seien wahrscheinlich seine Negativerfahrungen mit der Pax Caesaris nach dem Jüdischen Krieg gewesen. Erst späteren Generationen von Kirchenleuten (Melito von Sardes, Origenes, Eusebius von Cäsarea, Paulus Orosius), für deren Gemeinden die Pax Romana keine diskriminierenden Effekte mehr gehabt hätten, sei die problematische Entwicklung einer "politischen Theologie" vorbehalten geblieben, nach der die durch die kaiserliche Pax Romana oktroyierte Einigung der Völker den Boden bereitet habe für die Verbreitung des christlichen Friedensevangeliums. Statt einer Antithetik zwischen dem Friedensstifter Christus und seinem kaiserlichen Pendant fänden wir hier die providentielle Harmonie von Imperium und Evangelium im Zeichen der Pax.
H. Klein 2007, 63-74 geht der Frage nach, was mit der Wendung "Apostel und Propheten" an dieser Stelle gemeint ist. Ergebnis: Der Eph sehe auf die Zeit der Gründung der Gemeinde durch die Apostel und Propheten zurück, die er als eine Institution des Anfangs der Kirche ansehe. Er rede von einem Fundament, das bereits gelegt ist, weil auf ihm aufgebaut wird und der Bau bereits wächst (vgl. 2,21). Der Apostel sei gesandt und seinem Wesen nach Gemeindegründer. Der Prophet dagegen habe eine Geistesgabe. Man müsse davon ausgehen, dass 2,20 die Apostel als Missionare und Gemeindegründer und die Propheten als charismatische Verkündiger beim Aufbau der ersten Gemeinde ansieht. Die Apostel und Propheten seien nicht nur Fundament der Kirche, sondern auch die Richtschnur. Wenn das Fundament gelegt sei, müsse sich der Bau danach richten. Die Grundmaße seien festgelegt. Die Apostel und Propheten seien aber wohl nicht in ihrer Lehre, sondern in ihrer Person - das meine wahrscheinlich in ihrem Glauben und ihrem Lebenswandel - Richtschnur für die wachsende Kirche. Christus sei dagegen (anders als in 1 Kor 3,11) nicht das Fundament der Kirche, sondern der Eckstein, der das Ganze trägt.
Laut K. O. Sandnes 1991, 226-239 handele es sich bei Eph 2,19-3,7 um den einzigen Text des NT, in dem Apostel und Propheten direkt verbunden werden und in dem Paulus als einer ihrer hervorragenden Vertreter gedacht ist. Bei den Propheten handele es sich um christliche Propheten.
R. F. White 1992, 303-320 geht der Frage nach, ob sich aus Eph 2,20 erschließen lässt, ob die Prophetie auch noch heute im kirchlichen Leben zu finden ist, oder ob sie eine historische kirchliche Erscheinung ist. Dabei greift er die Diskussion von Wayne Grudem und Richard Gaffin auf. Gemäß W. Grudem handele es sich bei den "Aposteln und Propheten" um Apostel, die zugleich Propheten seien. Propheten seien im NT aber nicht grundsätzlich Apostel. Mit der Fertigstellung des Fundamentes der Kirche habe zwar die Zeit der Apostel ein Ende gefunden, nicht aber die Zeit der Propheten. Somit habe die Prophetie eine fortdauernde Funktion in der Kirchengeschichte und im kirchlichen Leben. R. Gaffin sei da anderer Meinung: Zwar könne die Wendung "Apostel und Propheten" im von W. Grudem behaupteten Sinne verstanden werden, jedoch sei diese Deutung nicht zwingend. Wahrscheinlicher sei, dass die Propheten zwar mit den Aposteln in enger Beziehung stehen, aber nicht mit diesen identisch sind. Die Propheten hätten zusammen mit den Aposteln bei der Grundlegung der Kirche eine herausragende Rolle gespielt, über die Zeit der Grundlegung hinaus aber keine Funktion mehr gehabt. Insofern gebe es die Prophetie in der heutigen Kirche nicht mehr. R. F. White kommt in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, dass vermutlich R. Gaffin Recht hat.
H. Muszyński 1982, 65-87 bestimmt das reziproke Verhältnis zwischen Christus, dem einzigen Fundament der Kirche (vgl. 1 Kor 3,11), und den Aposteln und Propheten als Fundament der Kirche.
J. Szlaga 1979, 189-198 befasst sich mit den christozentrischen Aspekten der Passage Eph 2,19-22. Christus vereinige und verbinde den Kirchenbau. Er sorge für sein Wachstum und lasse alle Gläubigen am Bau der Kirche teilhaben. Er habe allen Menschen den Zugang zu Gott ermöglicht.
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Beobachtungen: Die Formulierung "pasa oikodomê" verwundert, ist sie doch streng genommen mit "jeder Bau" zu übersetzen. Aber es ist ja nicht von mehreren Bauten - z. B. von verschiedenen Bauten eines großen Tempelkomplexes - die Rede, sondern nur von einem einzigen. Und es ist auch nicht gemeint, dass jeder Bau zusammengehalten wächst zum heiligen Tempel im Herrn, sondern der ganze Bau. Nirgendwo hat der Verfasser des Eph - anders als Paulus in den authentischen Briefen - einzelne Gemeinden im Blick, ihm geht es stets um die ganze Kirche. Insofern kann nur "der ganze Bau" gemeint sein. Das verdeutlicht eine Textvariante die den Artikel "hê" einfügt und somit "pasa hê oikodomê" liest, also "der ganze Bau". Wenn dieser Wortlaut vermutlich eine spätere Korrektur ist, wie ist der vermutlich ursprüngliche, rätselhafte Wortlaut zu erklären? Am plausibelsten ist wohl die Erklärung, dass wir im ursprünglichen Textlaut Koine-Griechisch vorliegen haben. Koine ist "der allgemeine Dialekt" ("hê koinê dialektos"), der zur Zeit der Abfassung der ntl. Schriften im östlichen Mittelmeerraum verbreitet war. Diese Form des Altgriechischen unterschied sich in bestimmten Punkten vom klassischen Altgriechisch, so z. B. in der nicht so streng gesehenen Verwendung des Artikels in der Formulierung "pasa hê oikodomê". Möglich ist als Erklärung auch, dass der abzuschreibende Text dem Schreiber diktiert worden ist. Da der Artikel "hê" so ähnlich ausgesprochen wurde wie der Diphthong "hoi", könnte der Schreiber den Artikel überhört und somit ausgelassen haben.
Das Verb "synarmologeô" kann "zusammenfügen" oder "zusammenhalten" bedeuten. Zusammenfügen würde eher auf die rechte Zusammensetzung der einzelnen Bausteine (= Gemeindeglieder) hinweisen, im Sinne von: Jeder wird seinen Fähigkeiten entsprechend eingesetzt. Allerdings fügt ein Eckstein nicht zusammen, sondern er hält zusammen. Insofern ist hier der Übersetzung "zusammenhalten" der Vorzug zu geben.
Der ganze Bau wird "durch Christus" oder "in Christus" zusammengehalten. Beide Übersetzungen kommen deshalb infrage, weil die Präposition "en" sowohl mit "durch" als auch mit "in" übersetzt werden kann. Die Übersetzung "durch Christus" hat den Vorteil, dass sie optimal zum Bild des Ecksteines passt: Der Bau wird durch ihn zusammengehalten; der Eckstein ist ein Mittel, das der Stabilität des Baus dient. Die Übersetzung "in Christus" hat allerdings auch einen Vorteil: Sie macht deutlich, dass Christus nicht einfach nur wie ein architektonisches Mittel eine stabilisierende Aufgabe erfüllt, sondern auch einen Macht- und Wirkungsbereich darstellt, in dem Heil bewirkt wird.
Das Heil wird sogleich präzisiert: Der Bau wird zusammengehalten und wächst zum heiligen Tempel im Herrn. Es werden also zwei Aspekte genannt, die Gemeindeaufbau ausmachen: Zum einen der Zusammenhalt der Gemeinde, zum anderen das Wachstum der Gemeinde. Bei dem Wachstum der Gemeinde scheint eher an zahlenmäßiges Wachstum gedacht zu sein als an geistliches Wachstum.
Der Bau erwächst nicht zu einem Haus oder Hochhaus oder zu einer Basilika, sondern zu einem Tempel, und zwar zu einem "heiligen Tempel im Herrn". Der Begriff "heilig" macht die Zuordnung des Tempels zum heiligen Gott deutlich. Es ist also nicht von einem menschlichen Konsumtempel die Rede, auch nicht von einem heidnischen Tempel, sondern von einem christlichen Tempel. Dies ist allerdings zu präzisieren.
Was ist unter einem christlichen Tempel zu verstehen? Ein Tempel dient der Verehrung einer Gottheit. Es gab für heidnische Götter Tempel, allerdings sind diese nicht im Blick. Ebenfalls waren den Göttern Israels und später dem allein verehrten Gott JHWH Tempel gewidmet. Der Tempel, der in der Geschichte Israels die größte Bedeutung erlangen sollte, war der Tempel auf dem Berg Zion in Jerusalem, auf den sich auch Jes 28,16LXX bezieht. Weil die Christen in der Frühzeit der Gemeinden ihrem Gott, dem Vater Jesu Christi, keine Tempel errichteten, sondern die Gottesdienste in privaten Häusern abhielten, müssen wir davon ausgehen, dass der Begriff "Tempel" den Tempel auf dem Berg Zion in Jerusalem im Blick hat, der allerdings zum Zeitpunkt der Abfassung des Eph bereits zerstört gewesen sein dürfte. Er ist zwar nicht selbst gemeint, denn er ist jüdisch und nicht christlich, stellt aber sozusagen die geistige Vorlage für das Bild vom "heiligen Tempel im Herrn" dar. Dieser Tempel in Jerusalem war heilig und diente zugleich der Verehrung des "Herrn". Dabei war "Herr" ein Titel für den Gott Israels, JHWH. Der Verfasser modifiziert das Bild vom Tempel in mehrfacher Weise: Erstens ist der Tempel noch im Bau befindlich und wächst weiterhin, weshalb Christus auch nicht der Schlussstein des Tempels sein kann (vgl. Eph 2,20). Zweitens ist nicht klar, ob der Titel "Herr" den Gott Israels meint oder Jesus Christus. Möglicherweise ist die Doppeldeutigkeit beabsichtigt, um beide Deutungsmöglichkeiten offen zu halten. Drittens ist es kein Tempel des Herrn, sondern ein Tempel im Herrn. Zwar mag auch daran gedacht sein, dass der Tempel der Verehrung des Herrn dient, denn die Kirche ist ja schließlich der Ort der Verehrung des Herrn (Gottes und Jesu Christi), jedoch klingt sicherlich noch ein weiterer entscheidender Punkt an: Der Bau, die Kirche samt ihren einzelnen Gliedern, befindet sich im Macht- und Wirkungsbereich des Herrn. Insofern ist sie voll und ganz vom Versöhnungsgeschehen am Kreuz betroffen. Die Vollendung des "heiligen Tempels im Herrn" wird erst in Zukunft erfolgen, wenn er den ganzen Kosmos ausfüllt.
Weiterführende Literatur: Laut T. G. Gombis 2004, 403-418 werde Eph 1,20-2,22 gewöhnlich als eine Erweiterung oder Fortsetzung des Lobpreises und der Danksagung in Eph 1 verstanden und behauptet, dass keine durchdachte theologische Argumentation und noch nicht einmal ein klarer und schlüssiger Gedankengang zu erkennen sei. Das sei aber falsch: Werde der Text im Lichte göttlicher Kriegsideologie gelesen, wie sie uns in Texten des Alten Vorderen Orients begegne (Baal-Zyklen Ugarits, Enuma Elisch) und auch im AT und NT Verwendung finde, dann werde die Argumentation des Eph offenbar: Die Triumphe Christi über die bösen Mächte bestätigten den erhöhten Status des Herrn Christus, der seinen Sieg durch die Verkündigung des Friedens ankündige. So wie die siegreichen vorderorientalischen Gottheiten Tempel oder Paläste besaßen, die zu ihren Ehren errichtet worden waren, würden auch in Eph 2 die Triumphe des erhöhten kosmischen Herrn Christus mittels des Baus des Tempels, der gleichermaßen aus Juden- und Heidenchristen zusammengesetzt sei, in Erinnerung gebracht.
R. H. Suh 2007, 715-733 betrachtet Eph 2 auf dem Hintergrund von Ez 37. Obwohl Ez 37 und Eph 2 ihren je eigenen historischen Hintergrund hätten, sei schon auf den ersten Blick folgende Parallele bezüglich der Kernaussage zu erkennen: Ez 37 sage aus, dass Juda und Israel unter göttlicher Führung eine Einheit werden, wobei das Gesetz (= jüdische Religionsgesetz) beachtet und befolgt werde. Eph 2 sage aus, dass Juden und Christen in der neuen Schöpfung eine Einheit geworden seien, und zwar aufgrund Christi Erlösungswerk, mit dem das Gesetz abgelöst worden sei. R. H. Suh geht dann genauer auf die verbalen, strukturellen und thematischen Parallelen zwischen beiden Texten ein. Als thematische Parallelen, mit denen auch die Parallelen bezüglich der Wortwahl zusammenhängen, nennt er: a) die neue Schöpfung vom Tod zum Leben; b) das Wandeln auf dem Weg des Herrn; c) der Bund; d) der Friede; e) der verheißene Messias aus dem Hause Davids, nämlich Jesus; f) der Tempel als Heiligtum und Wohnort Gottes; g) die Einheit; h) das Volk Gottes; i) der heilige Geist.
D. C. Smith 1989, 207-217 greift die Diskussion über die Frage auf, ob die Qumran-Schriften die bedeutendste Quelle der Spiritualisierung kultischer Sprache, konkret der Darstellung der Kirche als geistlicher Tempel, bilden. Dabei leitet ihn die Feststellung, dass es für eine Infragestellung der Abhängigkeit des NT von Qumran mehr bedürfe als nur des Nachweises, dass die Qumran-Schriften und das NT kultische Sprache verschieden deuten. So existiere ein ganzes Gefüge von Vorstellungen und Begrifflichkeiten im Hinblick auf die Spiritualisierung des jüdischen Tempels. Dieses Gefüge finde sich sowohl in den Schriften aus Qumran als auch in den Schriften des NT. Während die Sprache in verschiedenen atl. Texten verankert sei, gebe es im AT oder in den späteren jüdischen Schriften mit Ausnahme der Qumran-Schriften keinen Ort, wo der Großteil der Sprache und Gedanken zusammen als ein Gefüge auftaucht. Es sei schwierig sich vorzustellen, dass die Verfasser der Qumran-Schriften und die Verfasser der Schriften des NT unabhängig voneinander so ein ähnliches Gefüge von Begriffen zusammengestellt haben könnten, die vom geistlichen Tempel handeln. Folglich müssten entweder die Verfasser des NT von Qumran-Traditionen abhängig sein oder beide auf einer dritte, noch unentdeckte Quelle der Tradition zurückgegriffen haben.
Zum Wortfeld "oikodomê" ("Bau") und "oikodomein" ("bauen/gründen") in Eph 2,11(19)-22 siehe I. Kitzberger 1986, 310-321. Die Verbindung der beiden Bilder vom Wachsen und Bauen in V. 19-22 unterstreiche mit, dass die schon bestehende und gefestigte Größe der Kirche (oikodomê sei hier Ergebnis des Bauens) dennoch unabgeschlossen und dynamisch ist. Dieses weitere Wachstum sei qualitativ-intensiv vorgestellt.
Zum Tempel (naos) bei Paulus siehe B. H. Throckmorton 1982, 497-503, der auf 2 Kor 6,14-7,1; 1 Kor 3,16-17; 1 Kor 6,19 und Eph 2,21 eingeht. Auch er weist auf die Verbindung eines dem Feld entnommenen Bildes ("wachsen") mit einem dem Bauwesen entnommenen Bild ("Bau/bauen") in Eph 2,21 hin.
Laut C. S. Keener 2009, 75-92 würden die meisten Teile der Welt von irgendwelchen ethnischen Konflikten heimgesucht. Er befasst sich mit dem multikulturellen Tempel Gottes, wie er in Eph 2,11-22 zur Sprache komme, und zeichnet nach, wie der Verfasser des Eph nicht nur die frühere paulinische Theologie der ethnischen Versöhnung in Christus weiterentwickelt, sondern auch die von Jesus und Paulus geäußerte Infragestellung der ethnischen Barrieren des Jerusalemer Tempels.
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Beobachtungen: V. 22 bezieht das Gesagte auch auf die Adressaten. Das ist insofern bemerkenswert, als sie Heidenchristen sind (vgl. 2,11; 3,1; 4,17). Heiden(christen) hatten zu dem eigentlichen Tempel in Jerusalem keinen Zugang, durften nur den Hof der Heiden, einen Vorhof, betreten. Dass auch die Heidenchristen am Bau des Tempels bzw. der Wohnung Gottes Anteil haben, also mit den Judenchristen aufgebaut werden, zeigt, dass der Verfasser des Eph jegliche "Trennwand der Mauer", wie sie auch dem Jerusalemer Tempel mit dem verschiedenen Höfen und Bereichen eigen waren, mit Christus niedergerissen sieht (vgl. Eph 2,14). Die Heidenchristen sind allerdings - wie wohl alle Christen - nicht aktiv am Bau beteiligt, sondern sie werden passiv mit auferbaut. Handelnder ist vermutlich Gott selbst, womit das Passiv als passivum divinum zu verstehen ist.
Unter der "Wohnung Gottes" ist keine Wohnung im Sinne einer Miet- oder Eigentumswohnung in einem Haus mit mehreren Parteien zu verstehen. Vielmehr beinhaltet die Formulierung wohl Elemente von zwei verschiedenen Bildern: Wohnung Gottes ist nämlich zum einen der Tempel, zum anderen aber auch die Hausgemeinschaft, deren Hausvater Gott selbst ist. Eph 2,19-22 ist ein Musterbeispiel für den assoziativen Stil des Verfassers des Eph, für die Mehrdeutigkeit zahlreicher von ihm verwendeter Begriffe und das Verweben verschiedener Bilder mit Hilfe von Schlüsselbegriffen. So geht der Verfasser bezüglich der Kirche innerhalb weniger Verse vom Bild der Stadt/Bürgerschaft zum Bild der Hausgemeinschaft und dann zum Bild des Tempels über, um dann wieder auf das Bild von der Hausgemeinschaft anzuspielen. Entscheidende Schlüsselbegriffe für alle Bilder sind "Heiligkeit", "Heilige" und "heilig". Gott ist heilig, die Christen sind Heilige, die ganze Kirche ist heilig und der Geist ist ebenfalls heilig. Heiligkeit bestimmt das gesamte Gedankengut des Eph und ist für das Verständnis der Bilder unerlässlich. Stets ist vorausgesetzt, dass das Heilige und die Heiligen dem heiligen Gott zugeordnet sind: Nur Heilige haben Zutritt zu dem Heiligen, sei es in der Stadt, im "Haus" oder im Tempel. Ebenso nimmt der heilige Gott nur an heiligen Orten Wohnung: in der heiligen Stadt, im heiligen "Haus" oder im heiligen Tempel.
Mit dem "Geist" kann sowohl der menschliche Geist, die Gesinnung, als auch der heilige Geist gemeint sein. Angesichts der Tatsache, dass V. 21 und V. 22 parallel aufgebaut sind, dürfte in V. 22 der heilige Geist gemeint sein. Dieser ist nämlich dem "Herrn" - sei es Gott oder Jesus Christus - zugeordnet. Der heilige Geist ist die Kraft, der die Kirche und einzelnen Christen bewegt. So dürfte auch "im Geist" zu verstehen sein: Der (heilige) Geist als heilvolle Wirkkraft, in deren Wirkbereich sich die im Aufbau befindliche Kirche samt den einzelnen Christen befindet.
"Im Geist" kann sich sowohl auf die "Wohnung (des) Gottes" als auch auf "ihr mit auferbaut werdet" beziehen. Bei ersterem Bezug ist ausgesagt, dass sich die "Wohnung (des) Gottes" im Wirkbereich des heiligen Geistes befindet, bei letzterem, dass der Aufbau im Wirkbereich des heiligen Geistes erfolgt. Bei letzterem Bezug klingt mit, dass der Aufbau durch den heiligen Geist erfolgt, dass der heilige Geist wirkt. Die Präposition "en" kann sowohl mit "in" als auch mit "durch" übersetzt werden. Da der Aufbau von V. 22 parallel zu V. 21 gestaltet ist, liegt jedoch ersterer Bezug näher. Möglicherweise ist die Doppeldeutigkeit aber auch beabsichtigt.
Weiterführende Literatur: Mit der Pneumatologie des Kol und Eph befasst sich V. Balabanski 2010, 173-187. Sie liest den Christushymnus durch die Brille der Stoiker und stellt folgende These auf: Die Kolosser seien mit der stoischen Vorstellung vertraut gewesen, dass der göttliche Geist im gesamten Kosmos wirke; der göttliche Geist bzw. Logos durchdringe alle Dinge und halte alle Dinge zusammen. Der Kol deute diese stoische Kosmologie christologisch. Der göttliche Logos wirke nun in Jesus, in dem auferstandenen Christus, der alle Dinge zusammenhalte. Die Betonung des heiligen Geistes, ohne diesen Geist als denjenigen Christi zu charakterisieren, habe die Kolosser zu kosmischen Spekulationen verführt. Der Kol lehne die stoische Kosmologie der Durchdringung des Kosmos durch den göttlichen Geist/Logos nicht ab, unterstreiche jedoch ihre Verbindung mit Christus. Stoische Vorstellungen fänden sich auch im Eph, in dem der Begriff "pneuma" ("Geist") viel häufiger als im Kol vorkomme, nämlich vierzehnmal statt zweimal. Insbesondere die Vorstellung der "oikeiôsis" ("Zueignung"), die sich auf die Anerkennung und Würdigung einer Sache als zu jemandem zugehörig beziehe, sei ein typisches stoisches ethisches Prinzip. Dieses scheine insbesondere in Eph 2,11-22 stark widerzuhallen. Aber der Schwerpunkt liege nicht mehr auf der Kosmologie, sondern auf der Ethik mit Bezug auf die Kirche.
Literaturübersicht
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