2 Kor 8,7-15
Übersetzung
2 Kor 8,7-15: 7 Aber wie ihr an allem überreich seid, an Glauben und Rede und Erkenntnis und an allem Eifer und der Liebe, die von uns in euch [erweckt worden ist], so sollt ihr auch in diesem Gnadenwerk überreich sein. 8 Ich sage euch [das] nicht als Befehl, sondern weil ich angesichts des Eifers anderer auch die Echtheit eurer Liebe prüfen möchte. 9 Denn ihr kennt ja das Gnadenwerk unseres Herrn Jesus Christus: obwohl er reich war, wurde er um euretwegen arm, damit ihr durch seine Armut reich würdet. 10 Und [so] gebe ich euch in dieser Sache [nur] einen Rat; denn das ist euch nützlich, die ihr nicht nur mit dem Tun, sondern auch mit dem Wollen vorher begonnen habt, [nämlich] voriges Jahr. 11 Jetzt aber führt auch das Tun zu Ende, damit der Bereitwilligkeit auch das Vollenden entspreche, nach dem Maß dessen, was ihr habt. 12 Denn wenn der gute Wille vorhanden ist, so ist er wohlgefällig nach dem, was einer hat, nicht nach dem, was einer nicht hat. 13 [Es soll] ja nicht [so sein], dass anderen Erleichterung, euch aber Bedrängnis [widerfährt], sondern [es soll] zu einem Ausgleich [kommen]. 14 Zum jetzigen Zeitpunkt soll euer Überfluss ihrem Mangel abhelfen, damit auch ihr Überfluss einmal eurem Mangel abhilft, sodass ein Ausgleich entsteht, 15 wie geschrieben steht: "Wer viel [gesammelt hatte], hatte keinen Überfluss, und wer wenig [gesammelt hatte], hatte keinen Mangel.“
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Beobachtungen: Nachdem Paulus in 8,1-6 die Spendenfreudigkeit der armen makedonischen Gemeinden als Vorbild dargestellt hat, versucht er nun in 8,7-15 auch die korinthischen Gemeindeglieder zum großzügigen Spenden und zum Abschluss der Geldsammlung (= Kollekte) für die Jerusalemer Gemeinde bewegen.
Dazu versucht er die Adressaten zunächst wohlgesinnt zu stimmen, indem er sie lobt. Gelobt wird der Reichtum der Korinther, und zwar nicht der finanzielle, sondern derjenige an Gnadengaben. Schon in 1 Kor 1,5 hat Paulus den übergroßen Reichtum der korinthischen Gemeindeglieder an der Rede und an der Erkenntnis gerühmt, in 2 Kor 8,7 kommen nun noch der Glaube, der Eifer und die Liebe hinzu. Wie in 1 Kor 1,5, so bleibt auch hier unklar, worauf sich Rede und Erkenntnis beziehen. Am ehesten ist an das Heilswerk Christi zu denken. Dass Paulus in 2 Kor 8,7 auch den übergroßen Reichtum an Glaube, Eifer und Liebe nennt, hängt wohl damit zusammen, dass sich die Lage innerhalb der korinthischen Gemeinde ebenso gebessert hat wie das Verhältnis zwischen den Gemeindegliedern und Paulus. Zur Zeit der Abfassung des Ersten Korintherbriefes war die Gemeinde zerstritten (vgl. 1 Kor 1,10-17) und hinsichtlich des ethischen Verhaltens gab es einiges zu kritisieren. Dennoch konnte Paulus zumindest die Rede und die Erkenntnis rühmen, weil die Gemeindeglieder, die sich teilweise auf Kosten der anderen sehr in den Mittelpunkt rückten, viel vom mit Christus verbundenen Heilsgeschehen redeten und einiges an Erkenntnis hatten. Allerdings hatte Paulus im Hinblick auf die Rede und die Erkenntnis eine Sache zu rügen, wie er in den folgenden Versen der Kapitel 1-3 deutlich machte: Es geht nicht darum, menschliche Weisheit zu reden und zu erkennen, sondern göttliche Weisheit. Nicht die menschlichen Missionare und das erhabene Gefühl, mit dem heiligen Geist erfüllt zu sein und in Zungen reden zu können, sollen im Mittelpunkt stehen, sondern das Heilswerk Jesu Christi. In 2 Kor 8,7 scheint die Kritik, wie sie zwar nicht aus 1 Kor 1,5, so doch aus den folgenden Aussagen deutlich wurde, nicht mitzuschwingen. Deshalb kann Paulus nun auch den übergroßen Reichtum am Glauben hinzufügen, weil sich Rede und Erkenntnis verstärkt auf das Heilswerk Jesu Christi, das ja Mittelpunkt des Glaubens ist, beziehen.
Im Ersten Korintherbrief fehlte es noch an dem Eifer für den Glauben, zumal der Apostel in der Gemeinde - obwohl er sie selbst gegründet hatte - nicht unumstritten war.
Auch an Liebe mangelte es den korinthischen Gemeindegliedern: Ihr Reden glich daher lautem Getöse und ihre (vermeintliche) Erkenntnis führte dazu, dass die Gemeinde in Gruppen zerfiel und sich einige Gemeindeglieder auf Kosten anderer in den Mittelgrund rückten (vgl. 1 Kor 1,10-17; 11,17-22; 13,1-3; 14). Nun scheint jedoch die Liebe zugenommen zu haben. Sie ist jedoch nicht von selbst gekommen, sondern von Paulus in den Adressaten erweckt worden. Bei welcher Gelegenheit dies geschehen ist, sagt Paulus nicht. In Frage kommen die Predigten, die zur Gemeindegründung geführt haben oder auch Predigten und/oder Ermahnungen eines späteren Besuches oder Briefes.
Varianten zu V. 7 bieten bezüglich der Liebe einen anderen Wortlaut: "von euch in uns“ oder "von euch in euch“. Es geht jedoch nicht darum, dass die Liebe in Paulus von den Korinthern erweckt worden ist, oder darum, dass die die Korinther ihre eigene Liebe selbst erweckt haben, sondern der richtige Sinn dürfte der von Nestle-Aland (27. Aufl.) für ursprünglich gehaltene Wortlaut sein. Auch wenn Paulus den Adressaten gegenüber Liebe empfindet (vgl. 2 Kor 6,11; 7,3), ist in 2 Kor 8,7 doch der Überreichtum an Gnade der Adressaten und nicht derjenige des Apostels im Blick.
Paulus bezeichnet die Geldspende für die Jerusalemer Gemeinde als "charis“, also als eine "Gnade“. Sie ist einerseits von Gott gegeben (vgl. 2 Kor 8,1.5), Freigebigkeit also ein Geschenk Gottes, andererseits ist sie aber auch ein Werk des Menschen. Von daher kann "charis“ auch mit "Gnadenwerk“ übersetzt werden. Wenn Paulus sagt, dass die Adressaten auch in diesem "Gnadenwerk“ überreich sein sollen, so geht daraus hervor, dass es sich auch bei der Rede, der Erkenntnis, dem Glauben und dem Eifer um "charis“ handelt. In 1 Kor 12,4-11 werden u. a. die Rede - gleich ob prophetische Rede oder Zungenrede -, die Erkenntnis und der Glaube in der Reihe der "charismata“ ("Gnadengaben“) aufgeführt. Auch diese werden zwar vom Menschen ausgeführt, sind jedoch eigentlich Gaben Gottes. Wenn das Spenden von Geld nicht in der Reihe der "charismata“ auftaucht, so vielleicht deswegen, weil es weniger eine Gott gegebene Fähigkeit ist als vielmehr eine Handlung, die aus dem Bewusstsein der durch die Taufe bewirkten neuen und geheiligten Existenz entspringt. Vielleicht spielte die Geldspende auch zur Zeit der Abfassung des Ersten Korintherbriefes trotz ihrer Erwähnung in 1 Kor 16,1-4 im Vergleich zur Rede, zur Erkenntnis und zum Glauben noch keine große Rolle.
Weiterführende Literatur: K. J. O’Mahony 2000 liest 2 Kor 8-9 unter rhetorischen Gesichtspunkten, wobei er auch einen Überblick über die bisher vorgebrachten rhetorischen Leseweisen gibt, zu denen auch die umfangreiche Studie H. D. Betz 1993 gehört.
Mit der Zuordnung der Kollektenkapitel 2 Kor 8-9 zur Korinther-Korrespondenz und mit 2 Kor 9, dem Kollektenbrief an die Gemeinden Achaias, befasst sich B. Beckheuer 1997, 120-177.
C. H. Talbert 1989, 359-370 versucht Argumente für die Annahme zu liefern, dass es sich bei 2 Kor 8-9 um einen einheitlichen Gedankengang handele, dessen Anfang und Ende von dem Wort "charis“ (8,1: "Gnade“; 9,15: "Dank“) begrenzt wird, und dass dieser einheitliche Gedankengang eng mit 2 Kor 7 verbunden sei.
Welches Verhältnis zwischen Paulus und seinen Adressaten aus dem Abschnitt 2 Kor 8 zu erschließen ist, thematisiert S. J. Joubert 1992, 101-112.
V. P. Branick 1985, 664-675 versucht aufzuzeigen, dass Paulus’ Aussagen nicht nur apokalyptisch zu interpretieren seien, sondern dass der Apostel auch gegenüber späteren Formen präsentischer Eschatologie offen sei. So erscheine beispielsweise in 2 Kor 8,7 die Gegenwart als Zeit eschatologischer Fülle.
Ausführlich mit der Kollekte für die Gemeinde in Jerusalem befasst sich A. Wodka 2000, der auf S. 177-208 auf 2 Kor 8,6-17 eingeht.
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Beobachtungen: Paulus befiehlt die Geldspende nicht, sondern er möchte die Echtheit der Liebe auch der Adressaten auf die Probe stellen. Bei "anderen“, womit sicherlich auch die Glieder der makedonischen Gemeinden gemeint sind, hat sich die Liebe schon als echt erwiesen. Sie stellen nun das Vorbild für die Korinther dar.
Wenn die Echtheit der Liebe auf die Probe gestellt werden muss, so scheint Liebe nicht automatisch echt zu sein. Aber wie könnte denn unechte Liebe beschaffen sein? Aus V. 8 ist zu schließen, dass Liebe, die sich nicht in Handlungen zugunsten anderer äußert, unecht ist. Daher möchte Paulus sehen, dass sich die Liebe der Korinther - ebenso wie in den makedonischen Gemeinden - auch in der Spende von Geld für die Jerusalemer Gemeinde äußert. Damit wäre die Echtheit der Liebe bezeugt.
Weiterführende Literatur: C. T. Rhyne 1987, 408-413 geht der Frage nach, wie Paulus seine Bitte um eine Geldspende für die Jerusalemer Gemeindeglieder begründet.
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Beobachtungen: Paulus begründet das von den Korinthern geforderte Verhalten theologisch. So stellt auch die Selbsthingabe Jesu Christi zugunsten des Menschen eine "charis“, also "Gnade“ dar. Es handelte sich um ein (Liebes-)Werk zugunsten der Menschen - konkret auch der korinthischen Gemeindeglieder -, denn durch Christi Kreuzestod wurden ihre Sünden gesühnt. Wenn die korinthischen Gemeindeglieder nun ein Gnadenwerk tun sollen, so in dem Bewusstsein, dass das erste und alles entscheidende Gnadenwerk von Christus stammte und auch ihnen zugute kam.
Auch das Gnadenwerk Jesu Christi bringt Paulus mit den Begriffen "reich“ und "arm“ in Verbindung. Wiederum ist nicht das Finanzielle im Blick, sondern Reichtum und Armut im geistlichen Sinn. Dieser geistliche Sinn wird jedoch nicht erklärt, sondern muss erschlossen werden. Am ehesten ist die Erklärung mit Blick auf den späteren Text Phil 2,5-11 möglich: Wenn es heißt, dass Jesus Christus reich war, so dürfte damit dessen Gottgleichheit vor der Menschwerdung gemeint sein, die eine ruhmvolle Existenz darstellte (vgl. Joh 17,5). Mit der Menschwerdung erniedrigte sich Jesus Christus selbst und begab sich ich eine von Entbehrung und von Leid gekennzeichnete Daseinsweise, die schließlich in den Kreuzestod mündete. Dieses Leid und dieser Tod haben wiederum die Menschen reich gemacht, und zwar reich an Gnade. Aus armen Sündern sind nach der Sündenvergebung durch den sühnenden Kreuzestod gnadenreiche Gerechtfertigte geworden. Es gilt nur, an das Heilsgeschehen zu glauben und dementsprechend zu leben. Der rechte Lebenswandel, zu dem auch die Spendenfreudigkeit zugunsten der Jerusalemer Gemeinde gehört, ist Selbsthingabe für Jesus Christus bzw. Gott (vgl. 2 Kor 8,5) und damit die beste Antwort auf die Selbsthingabe Jesu Christi.
Weiterführende Literatur: K.-J. Kuschel 1990, 379-382 meint, dass Paulus in seiner Christologie kein Interesse an Vorzeitaussagen (Vorzeit = Präexistenz) zeige. Dies gelte auch für 8,9: "Reichtum“ sei für Christen das Ergebnis der neuen Schöpfung in Christus. "Reichtum“ sei ein geistliches Reichsein, ein Reichtum an Gaben, die der Geist Christi vermittelt. Diesen Reichtum habe auch Jesus zu seinen Lebzeiten gehabt: Glaube, Rede, Erkenntnis, Eifer und Liebe.
B. Byrne 1997, 308-330 vertritt dagegen die Ansicht, dass die Präexistenz Jesu Christi in der paulinischen Heilslehre durchaus eine bedeutende Rolle spiele. Präexistenz sei dabei nicht nur in einem zeitlichen, sondern vor allem in einem existenziellen Sinne zu sehen: Christus gehört nicht der geschaffenen, zeitlichen Welt an, sondern seine personale, göttliche Existenz transzendiere die zeitlichen und räumlichen Kategorien. Es sei daher auch nicht angemessen, von Präexistenz im Hinblick auf seine Menschlichkeit zu sprechen. Auf S. 320-322 geht B. Byrne auf 2 Kor 8,9 ein. Der Reichtum Christi sei nicht auf dessen irdische Existenz, sondern auf dessen göttliche Existenz vor der Menschwerdung zu beziehen.
M. D. Hooker 1985, 3-17 sieht 2 Kor 5,21 und 8,9 als die beiden am klarsten einen "Austausch“ verdeutlichenden Bibelstellen an. Dabei bedeute "Austausch“ nicht einfach nur, dass die Christen in dem Sinne wie Christus werden, dass sie seinen Status vor Gott teilen; wenn sie zur "Gerechtigkeit Gottes in ihm“ gemacht werden, impliziere das moralische Gerechtigkeit. Gemäß Paulus habe sich das Verhalten der Christen an dem Beispiel Christi zu orientieren.
Insbesondere mit der theologischen Begründung für die geforderte Großzügigkeit befasst sich C. E. B. Cranfield 1989, 105-109. Dabei geht er auch auf die Reichtümer der Christen ein: a) die vom heiligen Geist gegebene Freiheit, an Jesus Christus als auferstandenen und erhöhten "Herrn“ zu glauben; b) die Freiheit, sich als geliebtes Kind Gottes zu wissen; c) ein dem Dasein als Kind Gottes entsprechendes Leben im Gehorsam gegenüber Gott; d) Befreiung vor der Furcht vor dem Leben und den Mitmenschen; e) das Privileg, am Schicksal Jesu teilzuhaben, mitzuleiden; e) ewiges Leben. Diese Reichtümer stünden im Kontrast zu den vergänglichen Reichtümern, denen viele Menschen nachstreben.
R. Brändle 1985, 264-271 fragt nach dem Hintergrund der Worte von V. 9 und versucht, sie mit der von Paulus anvisierten konkreten Situation der Christengemeinde in Korinth in Verbindung zu bringen. Ihm scheint eindeutig, dass die Kollekte für Paulus in erster Linie die Zusammengehörigkeit der heidenchristlichen Gemeinden mit der Muttergemeinde in Jerusalem repräsentieren soll. Dort seien die ersten Zeugen gewesen, sie hätten den Heiden Anteil gegeben an ihren geistlichen Gütern, darum seien diese jetzt schuldig, ihnen in den materiellen Gütern einen Dienst zu leisten (vgl. Röm 15,27).
U. Schoenborn 1988, 207-218 nimmt an, dass es sich bei der Aussage "obwohl er reich war, wurde er um euretwegen arm, damit ihr durch seine Armut reich würdet“ um eine christologische Formel der vorpaulinischen Tradition handele. Paulus akzeptiere den Inhalt der Formel und lese sie unter dem Aspekt der "Gnade“, wobei es sich um einen zentralen Aspekt seiner Theologie handele. Er sehe einen engen Zusammenhang zwischen dem täglichen Leben der Christen und dem zentralen Inhalt des Evangeliums. Dabei setze die Kollekte das gnadenvolle Werk Gottes fort. Es handele sich um einen Akt der christlichen Solidarität, der zur Entlastung und zur Freude der Glaubensgenossen beitrage. Gnade und Geld stünden einander näher als man sich gemeinhin vorstelle.
P. Angstenberger 1997 legt zunächst 8,9 aus und geht dann auf die Rezeptionsgeschichte des Verses zwischen dem zweiten und sechsten Jahrhundert ein.
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Beobachtungen: Wie schon in V. 8 angemerkt, befiehlt Paulus nicht, sondern er gibt nur einen Rat. Dieser Rat orientiert sich an der Nützlichkeit, und zwar an der Nützlichkeit für die Adressaten. Doch worauf bezieht sich der Rat? Es ist kaum anzunehmen, dass der Apostel hier V. 8 einfach nur in anderen Worten wiederholt. Eher dürfte er den Gedanken weiterentwickeln: Er will prüfen, ob die Liebe der Korinther echt ist und sie folglich freigebig sind. Die Spendensammlung läuft seit einiger Zeit und nun rät Paulus dazu, sie auch zu einem Ende zu bringen. Die Verbindung der Ermahnung zur Spendenfreudigkeit mit dem Rat, die Kollekte zu einem Ende zu bringen, lässt darauf schließen, dass sich Paulus nach einer - möglicherweise durch die Missstimmung zwischen ihm und den korinthischen Gemeindegliedern verursachten - Störung der Kollekte nun einen "Schlussspurt“ erhofft.
Aus den Formulierungen in V. 10 klingt Vorsicht heraus. Paulus scheint sich sorgsam davor zu hüten, als jemand zu erscheinen, der den Adressaten etwas befehlen oder gegen ihren Willen aufdrängen will. So betont er nicht nur, dass er nicht einen Befehl erteile, sondern nur einen Rat gebe, sondern er verweist auch darauf, dass mit dem Tun auch der Wille gegeben war und ist.
Der Beginn des Tuns und Wollens der Adressaten lag nach Paulus’ Worten im vorigen Jahr. Will man nun herausfinden, wie lange (inkl. Unterbrechungen) die korinthischen Gemeindeglieder schon mit der Kollekte befasst sind, so sind zunächst zwei Fragen zu klären: a) Welchen Kalender setzt die Zeitrechnung des Paulus voraus? b) Wie lange währt zur Zeit der Abfassung des Briefes schon das gegenwärtige Jahr? Zur ersten Frage: Die römische Zeitrechnung, dem in Grundzügen auch der heute bei uns gebräuchliche Kalender entspricht, lässt das Jahr im Winter mit dem Dezember aufhören und mit dem Januar beginnen. Achaia war zur Zeit der Abfassung des Zweiten Korintherbriefes römische Provinz, und Korinth war als römische Kolonie gegründet worden. Von daher ist anzunehmen, dass Paulus den römischen Kalender im Blick hat. Nach der makedonisch-orientalischen und der jüdischen Zeitrechnung lag jedoch der Jahreswechsel im Herbst. Das spricht dafür, dass Paulus, der ja immerhin gebürtiger Jude ist, in V. 10 eben von diese Zeitrechnung ausgeht. Bezüglich der jüdischen Zeitrechnung gibt es noch eine weitere Erschwernis: So beginnt zwar das zivile Jahr mit dem Monat Tischri (September/Oktober), das religiöse, nach dem auch die Regierungsjahre der Könige Israels/Judas berechnet wurden, dagegen mit dem Monat Nissan (März/April). Dass Paulus angesichts der mehrheitlich heidenchristlichen korinthischen Gemeindeglieder den religiösen jüdischen Kalender im Blick haben sollte, ist jedoch unwahrscheinlich. Zur zweiten Frage: Es gibt keinen eindeutigen Hinweis darauf, in welchem Jahr und/oder Monat der Zweite Korintherbrief verfasst wurde. Da möglich ist, dass es sich bei dem Zweiten Korintherbrief nicht um einen literarisch einheitlichen Brief, sondern um eine Sammlung von Fragmenten verschiedener Briefe handelt, müsste genau genommen auch noch das Jahr und/oder der Monat der Abfassung des Kapitels 8 (oder auch der Kapiel 8-9) erschlossen werden, was noch problematischer ist.
Da klärende Hinweise des Zweiten Korintherbriefs fehlen, ist zu fragen, wann der Erste Korintherbrief verfasst wurde, in dem Paulus das erste Mal in den uns heute erhaltenen Briefen die Kollekte erwähnt. In 1 Kor 16,1-4 mahnt Paulus an, dass es auch in Korinth zu einer Geldsammlung für die Jerusalemer Gemeinde kommen solle. Dabei gibt er auch Anweisungen für die praktische Durchführung. Paulus scheint auf eine Anfrage seitens der Korinther zu antworten. Den Korinthern ist die Durchführung einer Kollekte also vermutlich schon bekannt, doch ist unklar, inwiefern sie selbst sich an ihr beteiligen sollen. Es scheint diesbezüglich Meinungsverschiedenheiten gegeben zu haben. Ob diese im Laufe der ersten Anfänge der gemeindlichen Geldsammlung oder noch vor deren Inangriffnahme aufgekommen sind, ist unklar. Auf jeden Fall dürfte der Beginn der Geldsammlung in Korinth zeitlich mit dem Ersten Korintherbrief in Verbindung zu bringen sein. Ob es noch eine Verzögerung gegeben hat, wissen wir nicht. Da der Erste Korintherbrief vermutlich im Jahre 54 oder 55, und zwar im Frühjahr (vgl. 1 Kor 16,5-9), geschrieben wurde, ist es vom Zeitpunkt der Ermahnung zur Geldsammlung bis zum nächsten Jahreswechsel im Herbst bzw. Winter noch etwa ein halbes bzw. dreiviertel Jahr hin. Zu dieser Zeitspanne muss man diejenige des neuen Jahres hinzuzählen, die bis zu der Abfassung von 2 Kor 8(-9) verstrichen ist. Verstrichen sein kann erst ein Tag, aber auch nahezu das ganze Jahr. Folglich beträgt die gesamte Zeitdauer von der Ermahnung der Korinther zur Geldsammlung auch in ihrer Gemeinde bis hin zu den Ausführungen zur Geldsammlung in 2 Kor 8(-9) mindestens ein halbes Jahr und höchstens ein und dreiviertel Jahre. Da es keinen Hinweis auf einen unmittelbar erfolgten oder bevorstehenden Jahreswechsel gibt, sind die beiden Extreme eher unwahrscheinlich. Die tatsächliche Zeitdauer dürfte also zwischen den beiden Extremen liegen.
Weiterführende Literatur: Gemäß G. Lüdemann 1980, 133-135 sei schwerlich zu entscheiden, nach welchem Kalender Paulus in V. 10 rechnet, nach dem römischen (Jahresbeginn: 1. Januar) oder dem jüdisch-orientalischen (Jahresbeginn: Herbst). Wichtiger als die Lösung dieser Frage sei die Feststellung, dass zwischen dem Anfang der Kollekte in Korinth und dem Zeitpunkt der Abfassung von 2 Kor 8-9 ein Winter liegt. Es sei am wahrscheinlichsten, dass Paulus den auf die Abfassung von 1 Kor 16 folgenden Winter in Ephesus verbracht hat. Von hierher werde er sich im Frühjahr nach Troas begeben haben und habe wohl im Sommer desselben Jahres in Mazedonien Titus wiedergetroffen. Die hierauf folgende Abfassung des Zweiten Korintherbriefs falle dann in den Spätsommer desselben Jahres. Die Wendung "seit dem vorigen Jahr“ beziehe sich dann auf die durch den korinthischen Brief oder durch eine mündliche Nachricht im Frühjahr des vorigen Jahres erfolgte Absichtserklärung der Korinther zur Einsammlung einer Kollekte. Zwischen beiden Zeitpunkten dürften rund 16 Monate liegen. Aus dem Gesagten folge, dass Titus sich den vorigen Winter in Korinth aufgehalten hat und auch den nächsten Winter zwecks Organisation des Abschlusses der Kollekte in Korinth verbringen wird. Paulus halte sich diesen Winter in Mazedonien auf und werde im Frühjahr/Sommer des folgenden Jahres mit makedonischen Brüdern samt deren Kollekte nach Korinth reisen, um die korinthische Kollekte während seines dritten Aufenthaltes in dieser Stadt endgültig sicherzustellen.
Laut B. Beckheuer 1997, 98-100 sei die zeitliche Nachordnung der beiden Kollektenkapitel 2 Kor 8-9 im Anschluss an die Kollektennotiz in 1 Kor 16,1-4 kaum zu bestreiten. Die durch Briefe beglaubigten Kollektenbeauftragten, die in 1 Kor 16,3 angekündigt wurden, hätten längst ihre Tätigkeit aufgenommen. Es werde inzwischen ein Jahr vergangen sein, nachdem Paulus seinen "Kollektenkommissar“ Titus mit zwei Brüdern (evtl. würden in 2 Kor 9,2 zusätzlich noch zwei [?] weitere ungenannte "Brüder“ beauftragt) auf den Weg gebracht hat. Auf diese Entwicklung blickten 2 Kor 8,6 und 9,2 zurück.
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Beobachtungen: Paulus macht deutlich, dass die Bereitwilligkeit und das Tun zwar gut sind, jedoch auch zu einer Vollendung gelangen müssen. Diese mahnt er in V. 11 an.
Weiterführende Literatur: R. S. Ascough 1996, 584-599 legt dar, dass das griechische Verb "epiteleô“ ("vollenden“) nicht nur − wie verschiedentlich behauptet − verwaltungstechnische Bedeutung habe, sondern auch religiöse. In der Antike sei einer der gängigsten Wege, seine Frömmigkeit zu zeigen, die Geldgabe für die verehrte Gottheit gewesen. In mehreren Inschriften werde das Verb "epiteleô“ im Zusammenhang einer religiösen Verpflichtung genannt. Eine religiöse Verpflichtung mahne auch Paulus in 8,1-15 an.
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Beobachtungen: Es kommt nicht auf die Höhe der Spende an sich an, sondern auf die Bereitschaft zur Spende. Es soll niemand mehr geben, als er zu leisten vermag. Warum Paulus dies schreibt, ist unklar, weil es ihm ja gerade um eine großzügige Spende geht, wie der Hinweis (vgl. V. 7) auf die trotz ihrer Armut spendenfreudigen Glieder der makedonischen Gemeinden zeigt. Liegt wie in V. 10 die Sorge des Apostels vor, dass er bei manchen korinthischen Gemeindegliedern wieder als herrisch und übermäßig fordernd erscheinen und somit erneuten Unmut erregen könnte? Oder zögern gar manche korinthischen Gemeindeglieder mit der Spende, weil sie sich schämen, angesichts ihrer finanziellen Lage nicht mehr geben zu können? Letzteres könnte zu einer Reduzierung des gesamten Spendenaufkommens führen, weil manche Gemeindeglieder aufgrund der Scham vielleicht von einer Spende Abstand nehmen. Auch wäre eine Verzögerung des Abschlusses der Geldsammlung möglich, weil die zögernden Gemeindeglieder um Aufschub des endgültigen Abgabetermins bitten, in der Hoffnung, dass sich zwischenzeitlich ihre finanzielle Lage bessert.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: Es geht nicht darum, dass die Korinther in Bedrängnis geraten, denn damit wäre der Sache nicht gedient: Zwar würden die Notleidenden der Jerusalemer Gemeinde durch eine unverhältnismäßige Spende von ihrer Not befreit, doch dafür würden korinthische Christen in Bedrängnis geraten. Nicht die Umkehrung des Loses ist das Ziel des Apostels, sondern ein Ausgleich, der zur Gleichheit führt. Zunächst ist dabei an einen finanziellen Ausgleich zu denken: Die Not armer Jerusalemer Gemeindeglieder soll gelindert werden, ohne dass korinthische Gemeindeglieder in Not geraten. Da aber nicht ausdrücklich von einem finanziellen Ausgleich die Rede ist, kann auch ein Ausgleich gemeint sein, in den geistliche Aspekte einfließen: In Jerusalem ist Jesus für unsere Sünden gekreuzigt worden. Folglich kommt das Heil aus Jerusalem und der dortigen Gemeinde besondere Gnade zu. An dieser Gnade bekommen auch die anderen Gemeinden Anteil, auch die heidenchristlichen. Nun liegt es aber nahe, an einen Ausgleich für diese geistliche Gabe zu denken. Ein solcher Ausgleich könnte materieller Art sein, eben eine Geldsammlung für in Not geratene Jerusalemer Gemeindeglieder. Hinsichtlich dieser Auslegung ist zu bedenken, dass sie sich nicht allein aus dem Ersten und Zweiten Korintherbrief erschließen lässt, sondern dass sie aus einem späteren Brief, dem Römerbrief (15,27), folgt.
Möglich ist auch eine andere Übersetzung von V. 13: "Denn nicht, damit anderen Ruhe [zuteil werde], [widerfährt] euch Bedrängnis, sondern nach Maßgabe der Gleichheit (oder: des Ausgleichs).“ Wäre diese Übersetzung richtig, würde das bedeuten, dass Paulus die Geldsammlung als "Bedrängnis“ bezeichnet. Das wäre insofern verwunderlich, als Paulus sich im Vorhergehenden bemüht hat, die Geldsammlung als freudiges Ereignis darzustellen (vgl. insbesondere V. 2). Daraus ist zu schließen, dass Paulus auch in V. 13 die Kollekte nicht als Bedrängnis ansieht, sondern als eine mit gutem Willen und Freude durchgeführte Geldsammlung zum Zwecke des Ausgleichs.
Weiterführende Literatur: Eine knappe homiletische Studie zu 2 Kor 8,1-9.13-14 bietet G. Aho 1982, 58-60.
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Beobachtungen: Der Ausgleich soll auf Gegenseitigkeit beruhen: Sowohl die Korinther als auch die Jerusalemer helfen mit ihrem "Überfluss“ ("perisseuma“) dem "Mangel“ ("hysterêma“) der Glaubensgenossen aus. Der Austausch kann rein materiell sein, es kann aber auch ein Austausch von Geld gegen Gnade (vgl. V. 13) sein. Beide Interpretationen sind zu bedenken, wobei die rein materielle an erster Stelle stehen soll, weil weder aus 8,7-15 noch aus dem weiteren Zusammenhang des Ersten und Zweiten Korintherbrief hervorgeht, dass die Jerusalemer Gemeindeglieder Gnade statt Geld geben bzw. gegeben haben könnten.
Die rein materielle Interpretation ist wie folgt: Da nicht vorherzusehen ist, wie sich die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umstände in der Zukunft entwickeln, ist nicht gesagt, dass die Christen in Korinth dauerhaft Geber sein werden, die Jerusalemer Christen dagegen dauerhaft Empfänger. Die Lage der Jerusalemer kann sich aus verschiedenen Gründen zum Positiven hin verändern und diejenige der Korinther zum Negativen. In einem solchen Fall könnten die Korinther in Zukunft von Spenden profitieren und die Jerusalemer zu Gebern werden. Dieser Hinweis macht deutlich, dass in Jerusalem - aus welchen Gründen auch immer - anscheinend tatsächlich Gemeindeglieder in finanzielle Not geraten sind (vgl. den Gebrauch des Begriffs "Arme“ in Gal 2,10) und die Spende nicht nur eine reine Ehrengabe oder Entschädigung (z. B. für ihrerseits erfolgte Zugeständnisse oder für besondere Ausgaben) ist. Die besondere Ehre, die der ersten Gemeinde der Christenheit zukommt, kann aber ebenso wie der Entschädigungsgedanke der Grund für den Eifer des Apostels bei der Anordnung, Durchführung und Vollendung der Kollekte sein. Der Eifer kann aber auch schlicht und einfach von der Größe der Not veranlasst sein. Wesentlich ist auf jeden Fall der Gedanke, dass die Kirche eine große Gemeinschaft ist, in der einer dem anderen in der Not hilft. Diese Gemeinschaft umfasst Juden- und Heidenchristen. Ob die Kollekte ein Zeichen der Gemeinschaft aller Christen ist, oder ob sie insbesondere herausstellen will, dass Juden- und Heidenchristen eine Gemeinschaft bilden, ist fraglich.
Die Interpretation, die mit Blick auf Röm 15,27 auch geistliche Aspekte einfließen lässt, ist: Die korinthischen Gemeindeglieder geben von ihrem "Überfluss“ an Geld und helfen dem finanziellen "Mangel“ der Jerusalemer ab. Dafür erhalten sie von deren "Überfluss“ an Gnade, womit ihr eigener "Mangel“ an Heil ausgeglichen wird. Zu beachten ist, dass die Unterschiedlichkeit der Gaben dadurch gemildert ist, dass Paulus die Kollekte in 2 Kor 8 als "Gnadenwerk“ bezeichnet. Sie ist damit mehr als reine Geldgabe und könnte von daher tatsächlich ein passender Ausgleich für die Gnade der Heilsgabe sein.
Interessant ist, dass im Lichte von V. 14 der V. 13 wie eine Aufforderung zu einer großzügigen Spende erscheint, was insbesondere zu V. 7 passt. V. 13 besagt zwar, dass die Korinther nicht über ihr Vermögen zu geben brauchen, doch geht Paulus davon aus, dass ihr Vermögen sehr groß ist, weil bei ihnen laut V. 14 Überfluss herrscht. Folglich können sie großzügig spenden.
Weiterführende Literatur: D. Georgi 1994 geht der wechselvollen Geschichte der Kollekte nach. Er geht davon aus, dass sie zweimal neu aufgenommen worden sei. Im Rahmen der zweiten Neuaufnahme seien der Empfehlungsbrief für Titus und seine Begleiter (2 Kor 8) und der Rundbrief an die Gemeinden Achaias (2 Kor 9) geschrieben worden, die er auf S. 51-79 behandelt.
J. Eckert 1981, 67-80 fragt nach Sinn und Deutung der Jerusalemkollekte. Ergebnis: Die Kollekte sei zum einen Zeichen heilsgeschichtlicher Kontinuität von dem Israel der "Väter“, aus dem Jesus Christus hervorgegangen ist und das die Wurzel der Kirche aus Juden und Heiden ist (Röm 9,5; 11,17-24), hin zu den Judenchristen als heiligem Rest Israels (Röm 9,27-28; 11,1-10) und der Kirche der Heiden- und Judenchristen. Zum anderen sei sie auch Zeichen der in Christus geschenkten Einheit und Gleichheit von Judenchristen und Heidenchristen.
Laut A. Lindemann 2001, 199-216 sei die Kollekte zugunsten der Armen in Jerusalem, gemäß der Aussage des Paulus in Gal 2,10, auf dem sog. "Apostelkonzil“ vereinbart worden. Es handele sich um eine freiwillige, offenbar einmalige Aktion mit primär sozialer Zielsetzung, d. h. es sei wirklich um die materielle Unterstützung von tatsächlich armen Christen in Jerusalem gegangen. Darüber hinaus sei die Kollekte offenbar auch ein Akt der Demonstration kirchlicher Einheit, insbesondere ein Zeichen der Verbundenheit der (überwiegend) heidenchristlichen Gemeinden des paulinischen Missionsgebiets mit der judenchristlichen Urgemeinde in Jerusalem gewesen. Die ausführlichste Erörterung des Kollektenthemas finde sich in 2 Kor 8-9. Dabei spreche die literarkritische Analyse des Briefes für die Annahme, dass es sich bei 2 Kor 8 und 9 um zwei ursprünglich selbstständige Briefe handelt, deren jeweiliges Präskript und Postskript im Zusammenhang der Redaktion des "Zweiten Korintherbriefs“ entfernt wurden, die im übrigen aber weit gehend vollständig erhalten zu sein scheinen. Einiges spreche für die Vermutung, dass der Brief 2 Kor 8 nach Korinth gerichtet war, der eine etwas andere Tendenz zeigende Brief 2 Kor 9 hingegen, wie aus 9,2 hervorgehe, an christliche Gemeinden im übrigen Achaia. Über die zeitliche Abfolge der beiden Briefe lasse sich nichts sagen. Wenn die Annahme zutrifft, dass sich die Briefe an unterschiedliche Adressaten wenden, könnten sie praktisch zeitgleich verfasst worden sein.
R. Iori 1988, 425-438 geht zunächst auf die Bedeutung des griechischen Begriffs "isotês“ ("Gleichheit/Ausgleich“) in der hellenistischen Welt und bei Philo von Alexandrien ein, bevor er sich derjenigen in 2 Kor 8,13-14 zuwendet. Im jüdisch-hellenistischen Denken habe der Begriff eine stark rechtliche Bedeutung und verweise vor allem auf die göttliche Kraft, der die Gleichheit zugeschrieben werde. Paulus kenne diese Vorstellung zwar, mache sie sich jedoch nicht zu eigen. Paulus gebrauche den Begriff eher im moralischen als im philosophischen Sinn: Die "isotês“ folge aus einem christlichen, der Gnade Gottes geöffneten Leben, das auch gegenseitige brüderliche Hilfe erstrebe. Im Zusammenhang von 2 Kor 8,13-14 basiere die Gleichheit auf einem Austausch von Gütern und stelle sich als Werk der Gerechtigkeit dar. Der Austausch umfasse zwei Arten Güter: materielle und spirituelle. Die korinthischen Christen hätten an den spirituellen Gütern der Jerusalemer Gemeinde teil, denn von dort hätten sie ja die Gnade Christi erhalten.
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Beobachtungen: Paulus begründet das Erfordernis des Ausgleichs mit einem Schriftbeleg, wobei er nicht anmerkt, woher dieser entnommen ist. Ihm dürfte Ex 16,18 zugrunde liegen, der im Zusammenhang der Wüstenwanderung des Volkes Israel nach der Flucht aus Ägypten steht. Während dieser Wüstenwanderung wurde den Israeliten von ihrem Gott JHWH wundersamerweise Mann als Speise gegeben. Ex 16,18 besagt nun, dass diejenigen, die viel Manna gesammelt hatten, beim Nachmessen nicht mehr hatten als diejenigen, die wenig gesammelt hatten. Alle hatten genug. Ex 16,18 spricht also ebenso wie 2 Kor 8,15 von einem Ausgleich, nur dass in ersterem Text nicht von einem Ausgleich durch das Tun der Menschen die Rede ist, sondern von einem Ausgleich durch das Tun Gottes. Das Zitat stellt das göttliche Tun nun als Vorbild für menschliches Tun dar, welches allerdings durchaus gottgewirkt ist.
Weiterführende Literatur: Zur Manna-Erzählung im frühen Judentum und zur Gnade und Gegenseitigkeit bei Paulus siehe J. M. G. Barclay 2008, 409-426. Die Gegenseitigkeit sei ein zentrales Element der paulinischen Sozialethik. Die Manna-Erzählung sei Paulus und seinen Zeitgenossen als Paradigma göttlicher Gnade wichtig und nicht nur Paulus finde in der Verteilung des Mannas das Prinzip der Gleichheit wieder.
Literaturübersicht
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