Gal 3,1-5
Übersetzung
Gal 3,1-5:1 O, ihr unverständigen Galater, wer hat euch verhext, denen [doch] Jesus Christus vor [die] Augen hingeschrieben wurde als Gekreuzigter? 2 Dies allein will ich von euch erfahren: Habt ihr aufgrund [der] Werke des Gesetzes den Geist empfangen oder aufgrund [des] Hörens der Glaubenspredigt? 3 Seid ihr dermaßen unverständig? Im Geist habt ihr begonnen - wollt ihr jetzt im Fleisch vollenden? 4 So Gewaltiges habt ihr vergeblich erlebt? Wirklich vergeblich! 5 Der euch den Geist gewährt und Machterweise unter euch wirkt, [tut er das] aufgrund [der] Werke des Gesetzes oder aufgrund [des] Hörens der Glaubenspredigt?
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Beobachtungen: Paulus spricht nach seinem autobiographischen Exkurs 1,10-2,21 die Galater wieder direkt an. Es handelt sich nicht um eine neutrale Anrede, sondern um eine Anklage. Diese ist von einer Vielzahl rhetorischer Fragen geprägt, die die Unbegreiflichkeit des Handelns der Galater verdeutlichen. Unbegreiflich ist es insofern, als allein der die Sünden der Menschen sühnende Kreuzestod Jesu Christi die Gläubigen vor Gott gerecht macht und nicht das Gesetz, also das genaue Befolgen der jüdischen Satzungen und Gebote. Dies hat Paulus im vorangehenden Bericht von dem „antiochenischen Zwischenfall“ und der Zurechtweisung von Kephas unterstrichen (vgl. 2,11-21).
Paulus bezeichnet die Galater als „unverständig“. Die Unverständigkeit meint keine grundsätzliche Dummheit, sondern eine Unverständigkeit in heilsrelevanten Dingen. Sie haben nicht wirklich verinnerlicht, dass die Rechtfertigung vor Gott allein durch das Verlassen auf das mit Jesus Christus verbundene Heilsgeschehen erfolgen kann. Daher lassen sie sich von Predigern vereinnahmen, die die Heilsrelevanz des Gesetzes verkündigen.
Die Unverständlichkeit des Verhaltens der Galater verdeutlicht der Apostel mittels des Verbs „baskainô“, das mit „verzaubern“ zu übersetzen ist. Rational lässt sich das Verhalten der Galater nicht erklären, weshalb sie „verzaubert“ sein müssen. Allerdings gibt die neutrale Übersetzung „verzaubert“ nicht wirklich den negativen Beiklang des Verbs wider. Noch ungeeigneter ist die Übersetzung „bezaubert“, die an ein positives Geschehen im Sinne von „verzücken“ denken lässt. Aus der Sicht des Apostels ist das Geschehen aber alles andere als positiv, weshalb sich die Übersetzung „verhext“ am ehesten anbietet.
Nicht gesagt ist, wer die Galater verhext hat. Das spielt hier auch keine Rolle. Vermutungen, dass Paulus seinen Gegnern dämonische Kräfte unterstellen oder die Dämonen selbst am Werk sehen könnte, sind reine Spekulation. Es lässt sich nur sagen, dass Prediger, deren Verkündigungsinhalt sich von dem des Paulus erheblich unterscheidet (vgl. 1,7), bei den Galatern eine Wandlung hinsichtlich der Bewertung der Heilsbedeutung der Satzungen und Gebote der hebräischen Bibel (= AT), konkret der Tora, bewirkt haben
Wenn Paulus sich fragt, ob die Galater verhext sind, dann bedeutet das, dass er eigentlich davon ausgeht, dass sie es besser wissen müssten. Den Grund, warum sie es besser wissen müsste, nennt er sogleich: Jesus Christus wurde ihnen vor die Augen hingeschrieben. Das Verb „prographô“ ist genau genommen mit „vor ... hinschreiben“ zu übersetzen. Doch was könnte vor die Augen der Galater geschrieben worden sein? Zunächst ist an die Briefe des Apostels zu denken, die ja geschrieben waren und den Gemeindegliedern - zumindest den vorlesenden - vor Augen waren. Doch welche Bedeutung hat das „vor die Augen Hinschreiben“? Auf die richtige Spur mag die Beobachtung führen, dass in der Antike Schreiben von normativer Bedeutung wie Erlasse und Verordnungen öffentlich, also „vor die Augen“, hingeschrieben wurden. Damit waren die Erlasse und Verordnungen, der heutigen Veröffentlichung im Gesetzblatt ähnlich, rechtskräftig. Im Hinblick auf die Briefe würde dies bedeuten, dass sie eine Norm setzten, die das Leben der Bekehrten veränderte. Allerdings ist einzuwenden, dass die erste Phase der Verkündigung nicht auf schriftlichem Wege über Briefe erfolgte, sondern auf mündlichem Wege durch die persönliche Predigt. Dass Menschen bekehrt wurden und sich schließlich taufen ließen, womit die Gültigkeit der neuen, christlichen Normen für die Bekehrten besiegelt wurde, ist also weniger auf die Briefe als vielmehr auf die mündliche Verkündigung zurückzuführen. Daraus ist zu schließen, dass Paulus mit der Formulierung „vor die Augen hinschreiben“ die Rechtskräftigkeit des Verkündigten meint. Das Verkündigte muss nicht wirklich geschrieben worden sein, wie V. 2 bestätigt.
Möglich ist auch die Deutung, dass Paulus in seinen Predigten oder auch Briefen Jesus Christus öffentlich als Gekreuzigten ausgemalt habe. Diese Auslegung stellt weniger die Normativität des Gepredigten als vielmehr die Ausmalung/Darstellung des Predigtinhaltes in den Vordergrund.
Weiterführende Literatur: Zur Logik des Gedankengangs von 3,1-5 siehe R. B. Hays 1983, 196-198.
T. Thatcher 1987, 301-310 meint, dass der Text Gal 3,1-18 nicht angemessen verstanden werde, wenn man ihn als linearen Handlungsablauf ansieht. Vielmehr sei der Aspekt des „Raums“ zu beachten. Der Abschnitt stelle nicht eine Heilsgeschichte, sondern einen geheiligten „Raum“ dar.
D. F. Tolmie 2002, 209-225 versucht sich 3,1-14 mittels einer rhetorischen Analyse zu nähern, die sich von dem gewohnten Ansatz unterscheide. Würden meist antike rhetorische Kategorien auf den Galaterbrief übertragen, so versuche D. F. Tolmie die paulinische rhetorische Strategie in Begriffen des „grounded theoretical approach“ zu analysieren.
Ausführlich mit der Funktion der Schriftzitate 3,1-14 im Hinblick auf die Argumentation gegen das Gesetz befasst sich A. H. Wakefield 2003.
H. R. Lemmer 1992, 359-388 befasst sich mit der Erinnerung an die Geisterfahrungen der Leser seitens des Autors als Bestandteil seiner Überzeugungsstrategie. Dabei geht er auch der argumentativen und rhetorischen Situation nach. Abschließend geht er konkret auf 3,1-6 ein, und zwar auf die Überzeugungsstrategien und –topoi, die Vortragselemente und den Inhalt der Argumentation.
P. Borgen 1994, 220-225 legt dar, dass sowohl in Gal 3,1-5 als auch in Apg 15,5-9 Erfahrungen des Hörens des Evangeliums, des Glaubens und des Geistempfangs als entscheidendes Argument gegen die Notwendigkeit der Beschneidung von Heidenchristen angeführt würden. Diese Beobachtung unterzieht er einer weiteren Analyse. P. Borgen verweist auf Parallelen zwischen den Aussagen des Paulus und den Berichten des Verfassers der Apostelgeschichte, Lukas. Letzterer habe die traditionelle Überlieferung in seine Berichte eingebaut und im Rahmen seiner eigenen Sicht der Geschichte gedeutet. Dabei sei Lukas in geringerem Maße als Paulus auf die Kreuzigung Jesu fixiert und spreche mehr christologische und soteriologische Punkte an, die für die supranationale Perspektive des Kontextes relevant sind.
D. Sänger 2009, 619-640 legt dar, dass der Begriff „Galater“ nicht nur auf die Bevölkerung der im zentralanatolischen Anatolien gelegenen Landschaft Galatien bezogen werden könne. Zwar sei die Landschaft Galatien (Nordgalatien) das ursprüngliche Siedlungsgebiet der aus dem Westen eingedrungenen keltischen Vorfahren der Galater, jedoch seien auch die Einwohner in den städtischen Zentren Nordgalatiens zur Zeit des Paulus keine Galater im nationalen Sinne mehr gewesen. Wir hätten vielmehr von einer Mischbevölkerung auszugehen, ähnlich wie im provinzgalatischen Süden. Sowohl die im Norden als auch die im Süden der römischen Provinz Galatien (provincia Galatia) lebenden Menschen hätten in ihrer Gesamtheit als „Galater“ bezeichnet werden können. Damit die vorwurfsvolle Anrede ihre Wirkung nicht verfehlte, hätten sich die Adressaten auch nicht vollständig als Galater fühlen müssen, denn zu einer Brüskierung der Getadelten habe weniger das Nomen „Galater“ als vielmehr das Adjektiv „unverständig“ führen können. D. Sänger macht deutlich, dass mit der Lokalisierung der Empfänger des Briefes in Südgalatien, wie auch er selbst sie für wahrscheinlich hält, zwar meist eine Frühdatierung des Galaterbriefes einhergehe, ein solcher Schluss sich jedoch nicht zwangsläufig ergebe. Tatsächlich sei der Galaterbrief nach dem Ersten und dem Zweiten Korintherbrief (mindestens 8-9) zu datieren.
S. Eastman 2001, 69-87 merkt an, dass sich das Verb „baskainô“ („verhexen“) nur in Gal 3,1 in den Paulusbriefen finde. Sie vertritt die These, dass Gal 3,1-5 an den Fluch über die belagerten und hungernden Eltern in Dtn 28,53-57, wo in 28,54LXX die Formulierung „baskainô tô ophthalmô“ („einen missgünstigen/bösen Blick werfen auf“) auftaucht, denken lasse. Auch bezüglich der Thematik und der Bildersprache gäbe es Übereinstimmung zwischen beiden Texten. Das Bild der gierigen und geizigen Eltern passe zu den Missionaren, die in die galatischen Gemeinden eingefallen sind. Gal 3,1 diene als Einführung in die Themen seiner Argumentation in Gal 3-4: den Fluch des Gesetzes im Kontrast zum Segen Abrahams; die Erlösung vom Fluch durch den gekreuzigten Christus; die Berufung zur Freiheit im Kontrast zur Sklaverei unter der Sünde, dem Gesetz und den „Elementen“; die versklavte Mutter im Kontrast zur freien Mutter, die ihre Kinder für die Freiheit gebiert. Schon in 3,1-5 erscheine das „Evangelium“ der in die Gemeinden eingedrungenen Missionare als ein „schlechtes Elternteil“, das die Kinder nie zur vollen Reife gelangen lässt.
Laut J. H. Elliott 1990, 262-273 sei die Vorstellung vom „bösen Blick“ und den zerstörerischen Kräften dessen Inhabers in der Antike allgegenwärtig gewesen. Das griechische Verb „baskainô“ sei in der hellenistischen Welt der Begriff für das Schädigen und Betören mit dem „bösen Blick“ (vgl. J. H. Neyrey 1988, 72). Im galatischen Konflikt spiele die Beschuldigung und Gegen-Beschuldigung mit dem „bösen Blick“ eine größere Rolle als gemeinhin angenommen. Zum „bösen Blick“ in der hellenistischen und jüdischen Antike siehe auch B. W. Longenecker 1999, 93-96.
J. H. Neyrey 1988, 72-100 vertritt die These, dass Paulus das Verb „baskainô“ im formalen Sinn als eine Anschuldigung, dass jemand die Galater verhext habe, benutze. Das bedeute, dass Paulus behauptet, dass die falschen Lehrer, die in Galatien „ein anderes Evangelium“ verbreiten, entweder selbst der Satan oder vom Satan besessene und kontrollierte Personen sind. In dieser Hinsicht würde Paulus mit den anderen Autoren des NT die allgemeine Vorstellung der aktiven Gegenwart des Satans und der Dämonen in der Welt teilen. 3,1 sei mit 2 Kor 11,3.13-15 zu vergleichen. Dort beschuldige Paulus seine Rivalen, die „Überapostel“ in Korinth, dass sie der Satan seien, der sich als Engel des Lichts verstellt.
B. S. Davis 1999, 194-212 legt dar, dass das griechische Verb „prographô“ entweder als „zuvor schreiben“ oder „öffentlich schildern/kundtun“ gedeutet werde. B. S. Davis hält erstere Deutung für abwegig. Weder verweise Paulus auf ein früheres Schreiben noch berufe er sich auf Prophezeiungen der hebräischen Bibel. Letztere Deutung dagegen sei im Grundsatz richtig, doch hätten die Ausleger bisher noch keine zufriedenstellende Deutung des Verbs im Zusammenhang geliefert. „Vor Augen“ sei nicht so zu deuten, dass Paulus unter den Galatern Bilder des gekreuzigten Christus verteilt habe, die als vorbeugender Schutz vor dem „bösen Blick“ dienen sollten. Auch sei nicht anzunehmen, dass Paulus den Galatern das Evangelium mittels des Theaters gepredigt hat. Ebenso habe Paulus keine eucharistische Feier im Blick. Vielmehr beziehe sich Paulus auf die Zeit, in der er den Galatern das Evangelium predigte, wobei er vor deren Augen den gekreuzigten Christus ausgemalt habe. V. 1 sei möglicherweise als Anspielung auf die Mysterienreligionen zu verstehen, die sich den Bereich des Magischen angeeignet hätten, doch lasse sich eine solche Anspielung nicht auf das paulinische Evangelium an sich beziehen. Verschiedentlich werde die Meinung vertreten, dass die bildliche Sprache in V. 1 rein metaphorisch zu verstehen sei. B. S. Davis folgt dieser Meinung nicht. Vielmehr sei der visuelle Aspekt des Verbs „prographô“ folgendermaßen zu deuten: Paulus verkörpere den gekreuzigten Christus, der in ihm gemäß 2,19-21 lebe. Er verkörpere ihn insbesondere in der für das Evangelium erlittenen Verfolgung.
Laut L. Bormann 2008, 101-112 fordere Paulus in Gal 3,1 wie in keinem anderen seiner Briefe die visuelle Imagination der Leser voraus. Die für Paulus ungewöhnliche Intensität der visuellen Vorstellung führe zu dem Punkt, auf den es ihm ankommt. Er wolle bei seinen Lesern innere Bilder entstehen lassen, die mit den Bildern konkurrieren können, die sie vor Augen haben. Paulus wolle die Bilder durchbrechen, die die Ordnungsstrukturen der Welt definieren, indem er das Bild des Gekreuzigten vor Augen stellt. Wenn der schmähliche Kreuzestod Jesu Ausdruck seiner Loyalität zu Gott ist, dann könne diese Loyalität nicht gleichzeitig in den Ordnungskategorien Jude/Grieche (Nichtjude), Sklave/Freigeborener oder Mann/Frau zum Ausdruck kommen.
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Beobachtungen: Das griechische Verb „manthanô“ bedeutet „lernen“, so wie der Schüler von dem Meister lernt. Etwas abgeschwächter kann in V. 2 auch „erfahren“ übersetzt werden, wobei das Schüler-Lehrer-Verhältnis in den Hintergrund tritt.
Die einleitende Formulierung „Dies allein ...“ stellt eine Betonung dar. Paulus ist also insbesondere daran gelegen zu lernen/erfahren, was den Geistempfang der Adressaten bewirkt hat.
Ein wirkliches Interesse ist jedoch nicht anzunehmen, da die Frage rhetorischer Art ist. Paulus weiß also schon, dass der Geistempfang nicht aufgrund von Werken des Gesetzes, also aufgrund der genauen Befolgung der jüdischen Satzungen und Gebote, erfolgt ist, sondern aufgrund von „akoê pisteôs“.
Der Ausdruck „akoê pisteôs“ kann mit „Gehörtes des Glaubens“ oder aber auch mit „Hören des Glaubens“ übersetzt werden. Zu ersterer Übersetzung: Das Gehörte ist die Predigt, womit die verdeutlichende Übersetzung „Predigt des Glaubens“ oder „Glaubenspredigt“ wäre. Die „Glaubenspredigt“ hatte die Heilsbedeutung der Kreuzigung Jesu Christi als zentralen Inhalt und/oder zielte auf den Glauben ab. Sie stellte die Voraussetzung dafür dar, dass die Galater überhaupt die frohe Botschaft hören, Christen werden und den (heiligen) Geist empfangen konnten. Zu letzterer Übersetzung: Da man den Glauben an sich nicht hören kann, ist verdeutlichend „Hören der Glaubenspredigt“ zu übersetzen. Ohne dieses Hören wäre die Glaubenspredigt vergebens gewesen. Mit ihm muss allerdings eine gläubige Annahme des Verkündigten verbunden gewesen sein, denn sonst wäre sicherlich keine Bekehrung der Galater zum Christentum und kein Empfang des (heiligen) Geistes erfolgt. Es zeigt sich, dass wahrscheinlich beide Übersetzungen und Deutungen zusammengenommen richtig sind, da sie jeweils einen wesentlichen Aspekt wiedergeben: Für den Empfang des (heiligen) Geistes war zum einen die Glaubenspredigt seitens des Apostels Paulus erforderlich, zum anderen aber auch das Hören und gläubige Aufnehmen der Glaubenspredigt seitens der Galater.
Weiterführende Literatur: W. Dumbrell 1992, 91-101 meint, dass die Frage nach dem Wesen der Rechtfertigung für Paulus zentral im Hinblick auf die Frage, was christliche Identität begründet, sei. Er widmet sich in seinem Aufsatz insbesondere Gal 2,11-21; Gal 3; Röm 3,21-31 und Röm 4,1-8.
H. Räisänen 1980, 63-83 (vgl. 1983, 162-191) vertritt die Ansicht, dass Paulus den Lesern ein völlig falsches Bild des jüdischen Gesetzes gebe. Der scharfe Gegensatz zwischen den Gesetzeswerken und dem Christusglauben lasse annehmen, dass Paulus Gesetzeswerke und Christusglaube als konkurrierende Heilswege verstehe. Die Juden nähmen an, dass die Gesetzeswerke zum Heil führten, die Christen dagegen vertrauten auf den Christusglauben. Gemäß H. Räisänen (vgl. E. P. Sanders 1977, 75.422-423) sähen die Juden das Gesetz aber keineswegs als Heilsmittel an. Gottes Gnade, wie er sich in der Einrichtung des Bundes zeige, gehe dem Gehorsam des Menschen voraus. Das Befolgen des Gesetzes seitens des Menschen sei der Ausdruck seines Willens, im Bund zu bleiben, also nicht als gesetzliches Verdienst zu verstehen. Paulus missverstehe dagegen das Gesetz als Heilsmittel. E. P. Sanders 1983, 17-48 dagegen vertritt die Ansicht, dass Paulus keineswegs das Gesetz als Heilsweg missverstehe. Hong, I.-G. 1994, 164-182 knüpft an E. P. Sanders an und versucht zu zeigen, dass aus der Sichts des Apostels das Gesetz nicht der jüdische Heilsweg, sondern vielmehr die Verpflichtung des Sinaibundes sei. Aus Gal 3,1-14 (insbesondere 3,10-13) gehe hervor, dass Gesetzesgehorsam nicht das Bemühen des Menschen, vor Gott bestehen zu können, sei, sondern die rechte Antwort auf die Gnade Gottes, wie sie sich im Bund geäußert hat.
M. Bachmann 1993, 1-33 betrachtet die Rechtfertigung unter dem Aspekt der „Werke des Gesetzes“, nicht der „Gerechtigkeit Gottes“. Er vertritt folgende These: Paulus meine mit dem Ausdruck „Werke des Gesetzes“ nicht etwas, was auf der durch das Tun gemäß den Regelungen des Gesetzes markierten Ebene liegt, insbesondere nicht: Gebotserfüllungen, sondern er meine mit dem Syntagma „Werke des Gesetzes“ die Regelungen des Gesetzes selber.
Laut L. F. Ladaria 1980, 111-115 werde von den Auslegern der Parallelismus zwischen Gal 2,16 und 3,2.5 gewöhnlich übersehen. Er sei für das Verständnis der paulinischen Rechtfertigungslehre von besonderer Bedeutung. Eine sorgfältige Analyse zeige, dass die Rechtfertigung durch den Glauben und die Gabe des Geistes identisch sind.
Zur Auslegungsgeschichte von Gal 3,2 und Röm 10,14-17 siehe G. Gewalt 1986, 45-64.
Wie das Hören, so sei gemäß S. K. Williams 1989, 82-93 auch der Glaube sowohl aktiv als auch passiv. Passiv sei er insofern, als das Wort, das nicht von einem selbst stammt, angenommen wird. Weil die Annahme des Wortes aber mit bewusstem Einsatz, mit einer tatkräftigen Hingabe an den verkündigten Gott erfolge, sei der Glaube auch aktiv. Beide Aspekte seien in der Formulierung „akoê pisteôs“ („Hören des Glaubens“) enthalten.
D. Hunn 2006, 23-33 geht der Frage nach, ob die Formulierung „pistis Christou“ in Gal 2,16 im Sinne von „Glaube an Christus“ oder im Sinne von „Treue Christi“ zu deuten ist. Dabei argumentiert sie in zwei Schritten: Zunächst legt sie dar, dass sich „akoê pisteôs“ in Gal 3,2.5 auf den Glauben der Galater beziehe und „gläubiges Hören“ bedeute. Dann bringt sie Gal 3,2.5 und 2,16 in Verbindung und kommt zu dem Ergebnis, dass „pistis Christou“ in 2,16 den menschlichen Glauben meine.
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Beobachtungen: Paulus stellt mit einer weiteren Frage nochmals heraus, dass das Verhalten der Galater, das seiner Verkündigung widerspricht, für ihn nicht nachvollziehbar ist. Den Beginn des galatischen Gemeindelebens, der auf seine Verkündigung zurückging, bezeichnet er als Beginn „im Geist“. Dabei führt er in 3,1-5 nicht aus, was ein Leben „im Geist“ ausmacht. Darauf kommt er erst in den weiteren Ausführungen des Galaterbriefes zu sprechen, vor allem in 5,16-26.
Dem Beginn „im Geist“ ist stellt Paulus die Vollendung „im Fleisch“ entgegen. Der griechische Begriff „sarx“ ist zunächst wertneutral und meint nichts weiter als den fleischlichen Körper der Lebewesen, speziell der Menschen. Folglich kann der Apostel in 2,20 sagen „Was ich jetzt im Fleisch lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn (des) Gottes“. Christen sind also trotz ihres Glaubens wie die Heiden und Juden in ihrem Leben an den fleischlichen Körper gebunden. Auch in 2,16, wo es heißt, dass aus Werken des Gesetzes kein Fleisch gerecht werde, ist der Begriff „Fleisch“ zunächst wertneutral zu verstehen. Allerdings ist zu bedenken, dass das „Fleisch“ auch Verführungen und Begierden ausgesetzt ist. Liest man 2,15-21 und 3,1-5 also im Licht des Abschnittes 5,16-21, so kann die Vollendung „im Fleisch“ auch als ein Fortsetzen des „christlichen“ Lebens in Lastern und in körperlichen Begierden verstanden werden. Gegen eine solch negative Bewertung des Begriffs „Fleisch“ in 3,3 spricht jedoch, dass Paulus das von Lastern und körperlichen Begierden geprägte Leben als sündiges und damit typisch heidnisches Leben ansieht (vgl. 2,15). Nicht der Rückfall der galatischen Christen in heidnische Zeiten ist jedoch Hintergrund des Galaterbriefes, sondern die Gefahr, dass die Adressaten Predigern, die die Heilsrelevanz des Gesetzes verkündigen, auf den Leim gehen. Das typisch jüdische Leben sieht Paulus jedoch nicht als sündig an, sondern als von dem Gesetz, d. h. von den Satzungen und Geboten der hebräischen Bibel (= AT) geprägt. Wenn Paulus in 3,3 also vom Vollenden „im Fleisch“ spricht, dann meint er vermutlich nicht eine Fortsetzung des „christlichen“ Lebens in Sünde. Vielmehr sieht Paulus die Gefahr, dass die Adressaten ein Leben führen, das nicht vom Evangelium, also der frohen Botschaft vom mit Christus verbundenen Heilsgeschehen, und somit auch nicht vom (heiligen) Geist geprägt ist, sondern von Satzungen und Geboten.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: „Tosoutos“ bedeutet „so Großes“, „so Gewaltiges“ oder „so Vieles“. Das Verb „paschô“ ist mit „erleben“, „erleiden“ oder „erfahren“ zu übersetzen. Somit kann V. 4a aussagen, dass die Adressaten so Großes/Gewaltiges/Vieles vergeblich erlitten, dass sie so Großes/Gewaltiges/Vieles vergeblich erlebten oder dass sie so Großes/Gewaltiges/Vieles vergeblich erfuhren. Erstere Deutung setzt voraus, dass Paulus auf Leidenserfahrungen der Adressaten in einer feindlich gesinnten nichtchristlichen Umgebung anspielt. Allerdings gibt es weder in 2,1-21 noch in 3,1-5 einen Hinweis auf Bedrängnisse und Leiden der galatischen Gemeinden. Nicht Verfolgungen irgendeiner Art sind Thema des Galaterbriefes, sondern die Tatsache, dass die Galater Gefahr laufen, statt des Glaubens an das Evangelium die jüdische Gesetzlichkeit als grundlegend für das Heil anzusehen. Folglich dürfte sich „tosoutos“ eher auf die gewaltigen Erlebnisse beziehen, die mit der Annahme der Heilsbotschaft verbunden sind. Dazu gehören der Geistempfang, die Fähigkeit zur prophetischen und ekstatischen Rede, die Fähigkeit zur Auslegung der ekstatischen Rede, die Fähigkeit zur Unterscheidung der Geister und die Fähigkeit zu heilen (vgl. 1 Kor 12,6-11). Man kann „tosoutos“ auch auf das Evangelium beziehen, das Paulus verkündigt hat. Dieses hätten die Adressaten dann vergeblich erfahren.
„Groß“ oder „gewaltig“ ist das Evangelium im Hinblick auf seine Bedeutung für die Menschen: Diese müssen nämlich nicht mehr (vergeblich) versuchen, durch das genaue Befolgen von Satzungen und Geboten und durch eigene Sündenopfer ihre Rechtfertigung vor Gott zu erlangen, sondern brauchen nur gläubig den die Sünden der Menschen sühnenden Tod Jesu Christi und die Überwindung des Todes durch die Auferstehung anzunehmen. Dieser Glaube führt nicht nur zum ewigen Leben im Jenseits, sondern auch zu einem erneuerten Leben im Diesseits, was die Bedeutung des Evangeliums wahrhaftig „gewaltig“ erscheinen lässt.
Die Formulierung „ei ge kai“ dürfte als Bekräftigung im Sinne von „wirklich / in der Tat“ zu verstehen sein. Man kann sie als Einleitung einer rhetorischen Frage oder auch eines Ausrufes (vgl. obige Übersetzung) verstehen.
Das griechische Wort „eikê“ bedeutet „vergeblich“, und zwar in dem Sinn, dass etwas zu nichts führt oder dass etwas planlos/unüberlegt geschieht. Ersterer Sinn ergibt mit Blick auf V. 4 folgende Deutung: Das Erfahren des Evangeliums oder die geistgewirkten Erlebnisse nützen den galatischen Christen nichts, wenn sie die Hoffnung auf ihr Heil schließlich doch auf das Halten von Satzungen und Geboten setzen und letztendlich vor Gott nicht gerechtfertigt sind. Hinsichtlich dieser Deutung ist zu bedenken, dass nur das Erfahren und gläubige Annehmen des verkündigten Evangeliums heilsrelevant ist. Der Geistempfang und die daraus resultierenden Erlebnisse sind eine Folge des Glaubens an das Evangeliums; den Erlebnissen selbst kommt keine Heilsrelevanz zu. So steht auch ein Mensch, der „nur“ an das Evangelium glaubt, aber nicht prophetisch oder in Zungen redet oder Wunder tut, vor Gott gerechtfertigt da. Letzterer Sinn von „vergeblich“ würde für V. 4 besagen: Haben die Galater tatsächlich „so Gewaltiges“ erfahren oder erlebt, ohne dass der Glaube an das Evangelium entscheidend gewesen sein sollte? Dann wäre das Wirken Gottes (oder: Jesu Christi; des heiligen Geistes) ohne Plan erfolgt.
Weiterführende Literatur:
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Beobachtungen: In V. 5 ist von Erlebnissen die Rede, nicht vom Erfahren des Evangeliums. Das spricht dafür, dass in V. 4 „so Gewaltiges“ auf Erlebnisse zu beziehen ist, denn V. 5 setzt den Gedankengang von V. 4 unmittelbar fort. Da die Erlebnisse, die aus dem Glauben an das Evangelium resultieren, selbst nicht unerlässlich für die Rechtfertigung vor Gott sind, kann sich „vergeblich“ zunächst nicht auf die Rechtfertigung beziehen. Vielmehr geht es in V. 5 darum, dass der Wirkende nicht planlos wirkt. Wenn den Adressaten der Geist gewährt wurde und unter ihnen Machttaten gewirkt wurden, dann nur deshalb, weil sie die Glaubenspredigt gehört und auch gläubig angenommen haben. Diese Tatsache ist nun jedoch durchaus im Hinblick auf die Rechtfertigung bedeutsam: Verlassen sich die Adressaten auf das Halten von Satzungen und Geboten, so wird das Geistwirken ebenso aufhören wie die Machttaten. Da das Geistwirken und die Machttaten aus dem Glauben an das Evangelium entspringen, zeigen sie die Rechtfertigung vor Gott an. Hören sie auf, so ist auch die Rechtfertigung vor Gott gefährdet.
Wer ist „der euch den Geist gewährt und Machterweise (‘dynameis’) unter euch wirkt“? Da Paulus insbesondere Gott Wirkmacht zuschreibt (vgl. 1 Kor 12,6; Phil 2,13), ist am ehesten daran zu denken, dass es Gott ist, der wirksam war. Auch Jesus Christus schreibt Paulus Wirkmacht zu, doch tut er dies vor allem hinsichtlich seines eigenen Wirkens an den Heiden (vgl. Röm 15,18-19).
Gott gewährt den Geist und wirkt die Machterweise unter den Galatern dauerhaft, wie die präsentischen Partizipien zeigen; allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Gläubigen ihre Rechtfertigung vor Gott allein auf den Glauben an das gehörte, von Paulus verkündigte Evangelium gründen.
Bei den „dynameis“ kann es sich um „Fähigkeiten“, „Kräfte“ oder „Mächte“ handeln. So spricht Paulus in Röm 15,19 von der Fähigkeit/Kraft/Macht, Zeichen und Wunder zu tun. Auch in 1 Kor 12,28-29 erwähnt Paulus „dynameis“, wobei hier bestimmte Fähigkeiten im Blick sind. In 1 Kor 12,10 ist von „energêmata dynameôn“ („Machttaten“) die Rede, wobei es sich wahrscheinlich um Wundertaten handelt. Entsprechend dürften auch die Fähigkeiten, die der Apostel in 1 Kor 12,28-29 im Blick hat, Wunderkräfte meinen. Heilungsgaben mögen dazu gehören, werden jedoch sicherlich eher eine untergeordnete Rolle spielen. Heilungsgaben sind nämlich gemäß 12,9-10 und 12,28 eine eigene Geistesgabe. Eine Konkretisierung der Wunderkräfte ist problematisch. In Gal 3,5 stehen nun jedoch nicht Fähigkeiten im Mittelpunkt, sondern es geht um das Wirken Gottes (oder: Jesu Christi). Voraussetzung für das Wirken ist Kraft oder Macht. Von daher ist gut möglich, dass der Begriff „dynameis“ in diesem Vers Fähigkeiten oder Taten bezeichnet, in denen sich die Kraft/Macht Gottes zeigt. Die passende Übersetzung wäre dann „Machterweise“. Zu den Machterweisen gehört es, wenn Christen zu Wundern fähig sind und diese auch tun.
Weiterführende Literatur:
Literaturübersicht
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Bachmann, Michael; Rechtfertigung und Gesetzeswerke bei Paulus, ThZ 49 (1993), 1-33
Borgen, Peder; Jesus Christ, the Reception of the Spirit, and a Cross-national Community, in: J. B. Green et al. [eds.], Jesus of Nazareth: Lord and Christ, Carlisle 1994, 220-225
Bormann, Lukas; Visuelle Kommunikation des Evangeliums, oder: Wie Paulus den Galatern das Evangelium ins Gehirn schießen wollte (Gal 3,1), in: J. Kügler, L. Bormann [Hrsg.], Töchter (Gottes). Studien zum Verhältnis von Kultur, Religion und Geschlecht, Münster 2008, 101-112
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Hays, Richard B.; The Faith of Jesus Christ: An Investigation of the Narrative Substructure of Galatians 3,1-4,11 (SBL Dissertation Series; 56), Chico 1983 (= The Faith of Jesus Christ: The Narrative Structure of Galatians 3:1-4:11. Second Edition [The Biblical Resource Series], Grand Rapids, Michigan 2002)
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