Auslegung und Bibliographie zur Bibel


Römerbrief

Brief des Paulus an die Römer

Röm 2,25-29

Studieren Sie die Bibel! Hier finden Sie einen Einstieg in die wissenschaftliche Auslegung von Bibeltexten mit Literaturangaben.

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Jede Seite enthält eine Übersetzung des jeweiligen Bibeltextes, sowie Beobachtungen (Vorbereitung der Auslegung), Hinweise zu weiterführender Literatur und eine abschließende Literaturübersicht.

Röm 2,25-29



Übersetzung


Röm 2,25-29:25 Denn Beschneidung nützt zwar, wenn du [das] Gesetz tust; wenn du aber Übertreter des Gesetzes bist, ist deine Beschneidung Vorhaut geworden. 26 Wenn nun [umgekehrt] die Vorhaut die Rechtsforderungen des Gesetzes beachtet, wird dann nicht seine Vorhaut als Beschneidung gewertet werden? 27 Und die von der Natur gegebene Vorhaut, die das Gesetz erfüllt, wird dich, der du bei Buchstabe und Beschneidung Übertreter des Gesetzes bist, richten. 28 Es ist nämlich nicht derjenige Jude, der es im Sichtbaren ist, und es ist auch nicht diejenige Beschneidung, die im Sichtbaren am Fleisch [vollzogen worden ist], 29 sondern derjenige ist Jude, der es im Verborgenen ist, und Beschneidung des Herzens [ist diejenige] durch [den] Geist und nicht durch [den] Buchstaben. Dessen Lob kommt nicht von Menschen, sondern von (dem) Gott.



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V. 25


Beobachtungen: In Röm 2,17-24 hat Paulus kritisiert, dass sich die Juden zwar als Lehrmeister in Fragen ihres Religionsgesetzes aufspielen, aber selbst die Satzungen und Gebote nicht halten. Eng mit der Gesetzesbefolgung ist die Beschneidung der Vorhaut des Gliedes der jüdischen Knaben verbunden. In 2,25-29 geht Paulus nun auf die Frage ein, ob die Beschneidung zu einer Rechtfertigung am Tag des endzeitlichen Gerichts („Jüngstes Gericht“) vor Gott führt.

Dabei spricht Paulus wie in 2,17-24 ein fiktives „Du“ an. Die Anrede eines fiktiven Gesprächspartners ist typisch für die Diatribe („diatribê“ = „Unterredung“), eine von rhetorischen Fragen, Zitaten und Sprüchen, ironischen Aussagen, fiktiven Reden, Paradoxien sowie Antithesen und Parallelismen geprägte Unterredung. Dabei ist jedoch nur der Gesprächspartner an sich fiktiv, nicht jedoch dessen Gedankengut. Dieses ist durchaus real und dürfte Paulus bei verschiedenen Begegnungen mit Menschen begegnet sein.


Grundsätzlich nützt die Beschneidung im Hinblick auf das endzeitliche Gericht, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass das Gesetz getan und nicht nur gehört und gelehrt wird. Wenn ein Jude das Gesetz übertritt, wird seine Beschneidung zur Vorhaut. Bei diesen Aussagen ist zu berücksichtigen, dass Paulus davon ausgeht, dass kein Mensch in der Lage ist, sämtliche Satzungen und Gebote zu halten. Folglich wird auch niemand durch das Gesetz gerecht (vgl. Gal 2,16; 3,11).


Bei dem Begriff „Beschneidung“ klingt Gerechtigkeit vor Gott mit, bei „Vorhaut“ Verurteilung. Hinter ersterem Begriff verbergen sich die (männlichen) Juden, die ja beschnitten sind, hinter letzterem die (männlichen) die Nichtjuden, die ja unbeschnitten und damit im Besitz der Vorhaut sind. Wenn bei Gesetzesübertretung die Beschneidung zur Vorhaut geworden ist, dann bedeutet dies, dass der beschnittene Mensch, der gegen das Religionsgesetz verstößt, vor Gott dasteht wie ein unbeschnittener Mensch: Er hat die Verurteilung zu erwarten.


Weiterführende Literatur: Sprachliche, kontextuelle, inhaltliche und textgeschichtliche Beobachtungen führen W. O. Walker 1999, 533-552 zu der Schlussfolgerung, dass mindestens 1,19-2,1, vermutlich aber darüber hinausgehend 1,18-2,29 ein nichtpaulinischer Einschub sei.


S. K. Stowers 2003, 351-369 vertritt die Ansicht, dass in Röm 2,1-4,2 sowohl (feierliche) Anreden als auch „prosôpopoiia“ und Dialoge vorkämen. „Prosôpopoiia“ seien durch geschriebene oder gesprochene Worte gekennzeichnet, die eine bestimmte Person oder einen erkennbaren Charaktertyp nachahmen. Die meisten „prosôpopoiia“ seien von den Adressaten damals vermutlich ohne Probleme erkannt worden. 2,1-16 und 2,17-29 seien (feierliche) Anreden, die den nachfolgenden Dialog (3,1-8; desweiteren: 3,27-4,2) einleiten. Sie dürften die „prosôpopoiia“ für die damaligen Leser kenntlich gemacht haben.


R. Penna 1990, 111-117 untersucht zwei Thesen bezüglich des Abschnitts 1,18-2,29: a) Der Abschnitt gebe die Praxis und den Inhalt der Missionspredigt des Apostels wieder. b) Der Abschnitt nehme jüdische Schemata und Inhalte auf, womit er weder eigentümlich paulinisch noch christlich sei. R. Penna sieht den Inhalt – mit Ausnahme von 2,16b – als nicht spezifisch christlich an. Den christlichen Charakter erhalte dieser erst durch seinen Rahmen und seine Funktion.


Gemäß T. H. Tobin 1993, 298-318 habe Paulus polarisiert, wobei zwischen ihm und der christlichen Gemeinde in Jerusalem aufgrund seiner Theologie ein Graben entstanden sei. Um die Auseinandersetzung zu entschärfen, habe er herauszustellen versucht, dass seine umstrittenen Thesen zur Sündhaftigkeit von Juden und Heiden tatsächlich in den jüdischen Schriften und in der jüdischen Theologie gründen. Diese Strategie versucht T. H. Tobin anhand von 1,18-3,20 nachzuweisen.


In Röm 2 werde laut J. D. G. Dunn 1991, 295-317 immer klarer, dass Paulus die jüdische Annahme einer nationalen Aussonderung und Privilegierung zu entkräften sucht. Die Annahme, die dem typisch jüdischen Verständnis und der Praxis der Bundesgesetzlichkeit zugrunde liege und am deutlichsten in der herausragenden Bedeutung der Beschneidung ihren Ausdruck finde, betrachte er als gleichsam „unter der Macht der Sünde“ (3,9) und als Gottes Zorn unterworfen (1,18), gleich wie die anderen Sünden kreatürlicher Anmaßung, wie sie (von den Juden) gewöhnlich mit den Heiden verbunden würden. Angesichts der Macht der Sünde und dem Gericht Gottes sei der Besitz des Gesetzes kein Schutz (2,12-16), Bundesstatus keine Sicherheit (2,17-24), stelle Beschneidung keine Garantie dar (2,25-29).


C. R. Holladay 2003, 429-460 untersucht, wie hellenistisch-jüdische Autoren, darunter auch Paulus, ethnische Identität thematisieren. Dabei beleuchtet er auch die verwendete Terminologie.


G. P. Carras 1992, 183-207 deutet Röm 2 wie folgt: Es handele sich weder um eine propagandistische Verunglimpfung der Juden, noch würde das gesamte Judentum charakterisiert. Vielmehr würden jüdische Ideale diskutiert, wobei die Diskutierenden zwei Juden seien, die verschiedene Sichtweisen einnehmen. Einer der beiden verurteile die anderen Menschen, sei der „Kritiker“. Er nehme für sich in Anspruch, von Gott anders behandelt zu werden als die Nichtjuden. Ihm gebühre eine gnädige Behandlung seitens seines Gottes. Paulus nehme die andere Sichtweise ein, werfe dem „Kritiker“ vor, gegen die eigenen Glaubensüberzeugungen zu verstoßen, indem er für sich andere Maßstäbe der Beurteilung beanspruche. Die Juden hätten zwar eine herausragende Stellung inne, doch sei das nicht so zu deuten, dass Nichtjuden vom Heil ausgeschlossen sind. Der Gott der Juden handele und beurteile gerecht und unparteiisch. Auch bezüglich der Beschneidung seien die Sichtweisen des „Kritikers“ und des Apostels verschieden: Der „Kritiker“ behaupte, dass die Beschneidung ein Zeichen und Symbol des Bundes Gottes mit Abraham sei. Paulus dagegen sei der Meinung, dass nicht der Ritus an sich entscheidend sei, sondern dessen metaphorische Bedeutung: die Beziehung zu Gott und die Erfüllung aller Bedingungen.


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V. 26


Beobachtungen: V. 26 geht auf den umgekehrten Sachverhalt ein: Der unbeschnittene Nichtjude beachtet die Rechtsforderungen des jüdischen Religionsgesetzes. In diesem Fall - das ist der rhetorischen Frage, die mit „Ja“ zu beantworten ist, zu entnehmen - wird die Vorhaut als Beschneidung gewertet. Die Wertung erfolgt in der Zukunft, also vermutlich beim endzeitlichen Gerichtstag. Wer werten wird, schreibt Paulus nicht, doch dürfte er an Gott oder Jesus Christus denken. Ausgesagt ist also in V. 26, dass der Unbeschnittene, der Nichtjude, der Verurteilung am endzeitlichen Tag des Gerichts entgehen kann, sofern er die Rechtsforderungen des Gesetzes beachtet. Dass den Nichtjuden dies grundsätzlich möglich ist, geht aus 1,32 hervor. Allerdings können sie ebenso wenig wie die Juden sämtliche Satzungen und Gebote halten.


Das jüdische Religionsgesetz besteht aus verschiedenen „dikaiômata“. Gemeint sind hier wohl „Rechtssatzungen“ oder „Rechtsforderungen“ (vgl. Röm 1,32; 8,4), also Satzungen oder Forderungen mit gesetzlichem Charakter.


Weiterführende Literatur: R. Bergmeier 2006, 26-40 befasst sich mit der Gesetzeserfüllung ohne Gesetz und Beschneidung. Dabei macht er Beobachtungen zu Röm 2,12-16.25-29 und legt diese Passagen aus.


T. Schreiner 1993, 131-155 geht davon aus, dass Werke des Gesetzes für die Rechtfertigung erforderlich sind. Er legt dar, dass Paulus in 2,17-24 behaupte, dass die Beschneidung und der Besitz des Gesetzes für die Juden wertlos seien, wenn sie das Gesetz nicht befolgen. In diesem Fall seien sie dem Gericht Gottes unterworfen. Juden und Heiden, die den (heiligen) Geist nicht besitzen, seien nicht in der Lage, das Gesetz zu befolgen, ganz im Gegensatz zu den Heiden, die durch den Geist verwandelt worden sind. Von solchen verwandelten Heiden, den Heidenchristen, sprächen 2,7.10.26-29. Diese Auslegung widerspreche nicht 3,20, wonach aufgrund von Werken des Gesetzes niemand gerechtfertigt wird. 3,20 sei nämlich an diejenigen gerichtet, die meinen, sie könnten nur durch das Halten des Gesetzes, also ohne das Wirken des Geistes, gerechtfertigt werden. Nicht durch das Halten des Gesetzes werde der Geist und die Rechtfertigung erlangt, sondern durch den Glauben.


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V. 27


Beobachtungen: Die Vorhaut ist von der Natur gegeben, und zwar den Nichtjuden genauso wie den Juden. Die Vorhaut ist also an sich nichts Schlechtes, ebenso wie die Beschneidung an sich nichts Gutes ist. Die Beschneidung verändert den naturgegebenen Zustand des Menschen. Sie hat symbolische Bedeutung, denn sie kennzeichnet einen Menschen nach außen hin als Angehörigen des Volkes Israel. Mit dieser Kennzeichnung ist die Verpflichtung verbunden, die Satzungen und Gebote zu halten, die sich in der hebräischen Bibel, konkret in der Tora, finden. Nur wenn der Verpflichtung nachgekommen wird, ist die Beschneidung etwas Positives.


Der „Vorhaut“ steht eine mit „Du“ angesprochene Person gegenüber. Dieses „Du“ verstößt gegen das Gesetz, und zwar bei „Buchstabe und Beschneidung“. Der Gesetzesübertreter ist also ein Jude, denn Juden zeichnet aus, dass sie beschnitten sind und sich an den Wortlaut („Buchstaben“) des schriftlich verfassten Religionsgesetzes zu halten haben.


Der durch die Präposition „dia“ eingeführte Genitiv gibt hier vermutlich die Begleitumstände des Handelns an, womit die Übersetzung „bei Buchstabe und Beschneidung“ lauten dürfte. Die instrumentale Bedeutung, wonach das Handeln durch Buchstabe und Beschneidung erfolgt, kommt hier wohl nicht in Frage.


Die „von der Natur gegebene Vorhaut“, die das Gesetz erfüllt, wird den Juden, der das Gesetz übertritt, richten. Die Gesetzeserfüllung berechtigt also zum Gericht, nicht die Beschneidung oder die Unterstellung unter das Gesetz an sich. Daher sind Juden im Gericht nicht besser gestellt als die Nichtjuden. Dass es sich bei den Richtenden nur um Christen und nicht um Heiden (im Sinne von Nichtjuden und Nichtchristen) handeln kann, geht aus dem Wortlaut nicht hervor. Das Richten findet in der Zukunft, vermutlich am endzeitlichen Tag des Gerichts statt, und dürfte angesichts des Fehlverhaltens der Angeklagten als Verurteilen zu verstehen sein.


Weiterführende Literatur: G. Lafon 1986, 321-340 arbeitet nach einigen Anmerkungen zur Abgrenzung des Abschnittes 2,12-27 dessen Gedankengang heraus.


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V. 28/29


Beobachtungen: Nach jüdischem Selbstverständnis ist es eine Auszeichnung, beschnitten und damit Jude zu sein. Paulus dagegen hält die Beschneidung und das Judesein an sich noch nicht für eine Auszeichnung. Nicht das Äußerliche zeichnet seiner Meinung nach aus, sondern das Verborgene. Bezüglich des Judeseins ist mit dem „Verborgenen“ vermutlich das Befolgen des Gesetzes im Blick. Dieses ist nicht ohne weiteres erkenntlich, was daran liegen dürfte, dass es nicht mit der Befolgung des Wortlautes („Buchstaben“) sämtlicher Satzungen und Gebote gleichzusetzen ist.

Gleiches gilt für die Beschneidung: Nicht die äußerliche Beschneidung am Fleisch, also die operative Entfernung der Vorhaut des Gliedes, ist entscheidend, sondern die Beschneidung des Herzens. Die Beschneidung ist nicht nur als rein äußerlicher Vorgang zu verstehen und auch nicht als Vorgang, der zum buchstabengetreuen Halten der Satzungen und Gebote verpflichtet, sondern als „Beschneidung des Herzens“, und zwar durch den (oder: in dem) „Geist“.


Paulus konkretisiert nicht weiter, um was für einen Geist es sich handelt. Daher kann auch nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass es sich um den heiligen Geist handelt, der das christliche Leben prägt. Es lässt sich nur sagen, dass der Geist die Beschneidung des Herzens bewirkt (instrumentale Deutung der Präposition „en“) oder dass die Beschneidung des Herzens im Wirkungsbereich des Geistes erfolgt (lokale Deutung der Präposition „en“). Wie auch immer: Der Geist ist eine Wirkmacht, die das Leben des wahren Juden, an dem die wahre Beschneidung vollzogen wurde, prägt.


Das Herz ist der Sitz des Denkens und Wollens. Eine „Beschneidung des Herzens“ ist also eine Prägung des gesamten Denkens und Wollens, ja des gesamten Lebens, im Sinne des wahren Judeseins. Die prägende Kraft des wahren Juden ist der Geist, nicht der Buchstabe.


Während für die Menschen typisch ist, dass sie nach dem Sichtbaren urteilen, ist für Gott das Urteil nach dem Verborgenen typisch. Folglich ist es Gott, der den wahren Juden und den wahren Beschnittenen lobt, nicht der Mensch. Auf das Lob Gottes kommt es schließlich auch an, nicht auf das Lob der Menschen.


Weiterführende Literatur: A. Ito 1995, 21-37 liest Röm 2 auf dem Hintergrund von Dtn 27-30. Die deuteronomistischen Segnungen und Flüche bildeten den Rahmen des Abschnittes. Die „Heiden“, die von Natur aus die Forderungen des Gesetzes tun (vgl. 2,14), seien wahrscheinlich Heidenchristen. Die Verurteilung der Juden beruhe auf deren Versagen, als ganze Nation das gesamte Gesetz zu befolgen. Angesichts der Gesetzesübertretungen (vgl. 2,21-23) könne man sagen, dass sich die Juden in einem Zustand des Exils befinden. Zu 2,29: Der Vers spiele auf Dtn 30,6 an. Paulus gebe Röm 2 deshalb keinen spezifisch christlichen Charakter, weil er vermeiden wolle, dass sich die Heidenchristen in Rom angesichts der Juden rühmen.


Laut E. P. Sanders 1983, 125-132 falle die Bedeutung auf, die Paulus dem Tun in Röm 2 beimisst. Das Bestehen auf dem rechten Tun sei an sich noch nicht unpaulinisch, doch sei die Fixierung auf das Tun des Gesetzes ungewöhnlich und gebe die jüdische Sichtweise wider. 1,18-2,29 sei am besten als synagogaler Vortrag zu verstehen. Zwei Punkte würden allerdings nicht recht zu einer rein jüdischen Sichtweise passen: Erstens gebe es – anders als V. 28 annehmen lasse – keine unbeschnittenen Juden, zweitens sei die Forderung, dass die Heiden für das Erlangen der Gerechtigkeit das gesamte Gesetz halten müssen, nicht typisch jüdisch. Da die nicht wirklich zu einem synagogalen Vortrag passenden Punkte aber auch nicht typisch paulinisch seien, sei nicht anzunehmen, dass Paulus der Verfasser ist. In 2,12-15 habe Paulus wohl Traditionsmaterial aufgenommen, wobei unklar sei, was genau ursprünglich mit „Gesetz“ gemeint war. Was den Punkt der unbeschnittenen Juden betrifft, so sei auf die von Philo von Alexandrien aufgenommene innerjüdische Debatte zu verweisen, wonach ein Teil der Juden die Ansicht vertritt, dass „Beschneidung“ darin bestehe, das Gesetz zu halten. Diese Meinung gleiche der in 2,25-29 vertretenen Position, die zwar nicht rabbinisch sei, aber durchaus als jüdisch angesehen werden könne.


D. Boyarin 1994 vergleicht Paulus‘ theologische Aussagen und die allegorische Abhandlung von Philo von Alexandrien über die Beschneidung (Spec. Leg. 1,1-11; Migr. Abr. 89-93) und stellt eine gewisse Nähe zwischen Paulus und dem hellenistischen Judentum, insbesondere Philo, fest. J. M. G. Barclay 1998, 536-556 setzt sich mit dieser Feststellung auseinander, sieht jedoch klare Unterschiede. 2,28-29 lasse keinen hellenistischen Einfluss erkennen, wie überhaupt die hermeneutische Revolution des Apostels mit keiner zeitgenössischen Form des Judentums übereinstimme.


J. D. G. Dunn 1999, 174-193 geht der Frage nach, inwiefern sich Paulus selbst als Jude versteht. Ergebnis: Paulus sei gebürtiger Jude, doch verstehe er sein Judesein als innerlich, nicht äußerlich. Er messe der Beschneidung und den Speisegeboten keine besondere Bedeutung bei. Auch betone er nicht die völkischen Aspekte des Judentums und den Gedanken der Abgrenzung des erwählten Volkes. Paulus sei Diasporajude. Er sei im historischen und religiösen Erbe seines Volkes verankert, habe sich jedoch den Erfordernissen infolge der göttlichen Offenbarung angepasst.


B. Ehler 1986, 80-86 geht im Rahmen der Thematisierung von E. Käsemanns Frage nach der Mitte der Schrift auf die Unterscheidung von „Buchstabe“ und „Geist“ in Röm 2,25-29 ein.

S. Westerholm 1984, 229-248 untersucht, welche Überzeugungen der Buchstabe-Geist-Antithese seitens Paulus und seiner Ausleger zugrunde liegen. Er vertritt die Ansicht, dass die Antithese nichts mit paulinischer Hermeneutik zutun habe. Keinesfalls gehe es um die rechte oder falsche Art und Weise, die heilige Schrift zu lesen. Eher gehe es um die Verpflichtungen des Menschen Gott gegenüber.


X. Jacques 1981, 414-421 befasst sich mit 2,14-16 und 2,26-29. Er geht der Frage nach dem Bezug des menschlichen Gewissens/Bewusstseins, des Gewissens/Wissens des Heiden, zu Christus nach, und zwar nicht nur im Hinblick auf das Wissen über Gottes Willen, sondern auch im Hinblick auf dessen Erfüllung und das Heil. Ergebnis: In dem Maße, wie der Heide nicht das Zeugnis seines Gewissens/Bewusstseins begrenze, öffne er sich durch dieses Zeugnis für die neue Wirklichkeit des Menschen und der Welt in Christus. In dem Maße, wie er auf diese antworte, empfange er in ihr die heiligende Kraft des Geistes. Indem das menschliche Gewissen/Bewusstsein Christus entdeckt, entdecke es gleichzeitig seine natürlichen Grenzen, seine Sünde und die Liebe Gottes, die das Gewissen/Bewusstsein erneuere. Es werde für den Menschen zum Zeugen eines Erfordernisses, das ihn über sich selbst hinausträgt, weil es sich aus der Tiefe seines Seins erhebt, umgewandelt durch die Gnade und den Ruf Gottes.



Literaturübersicht


Barclay, John M. G.; Paul and Philo on Circumcision: Romans 2.25-29 in Social and Cultural Context, NTS 44/4 (1998), 536-556

Bergmeier, Roland; Gesetzeserfüllung ohne Gesetz und Beschneidung, in: D. Sänger, M. Konradt [Hrsg.], Das Gesetz im frühen Judentum und im Neuen Testament (NTOA 57), Göttingen 2006, 26-40

Boyarin, Daniel; A Radical Jew: Paul and the Politics of Identity (Contraversions; 1), Berkeley, California 1994

Carras, G. P.; Romans 2,1-29: A Dialogue on Jewish Ideals, Bib. 73/2 (1992), 183-207

Dunn, James D. G.; What Was the Issue between Paul and “Those of the Circumcision”?, in M. Hengel, U. Heckel [Hrsg.], Paulus und das antike Judentum (WUNT 58), Tübingen 1991, 295-317

Dunn, James D. G.; Who Did Paul Think He Was? A Study of Jewish Christian Identity, NTS 45/2 (1999), 174-193

Ehler, Bernhard; Die Herrschaft des Gekreuzigten: Ernst Käsemanns Frage nach der Mitte der Schrift (Beiheft zur ZNW 46), Berlin 1986

Holladay, Carl R.; Paul and His Predecessors in the Diaspora. Some Reflections on Ethnic Identity in the Fragmentary Hellenistic Jewish Authors, in: J. T. Fitzgerald et al. [eds.], Early Christianity and Classical Culture (NT.S 110), FS A. J. Malherbe, Leiden 2003, 429-460

Ito, Akio; Romans 2: A Deuteronomistic Reading, JSNT 59 (1995), 21-37

Jacques, Xavier; La conscience et le Christ. Lettre aux Romains 2,14-16.26-29, Chr 28/112 (1981), 414-421

Lafon, Guy; La production de la loi. La pensée de la loi en Romains 2,12-27, RSR 74/3 (1986), 321-340

Penna, Romano; Rm 1,18-2,29 tra predicazione missionaria e prestito ambientale, RicStBib 2/2 (1990), 111-117

Sanders, Ed P.; Paul, the Law, and the Jewish People, Minneapolis 1983

Schreiner, Thomas; Did Paul believe in Justification by Works? Another Look at Romans 2, BBR 3 (1993), 131-155

Stowers, Stanley Kent; Apostrophe, Prosopopoiia and Paul’s Rhetorical Education, in: J. T. Fitzgerald et al. [eds.], Early Christianity and Classical Culture (NT.S 110), Leiden 2003, 351-369

Tobin, Thomas H.; Controversy and Continuity in Romans 1:18-3:20, CBQ 55/2 (1993), 298- 318

Walker, William O.; Romans 1.18-2.29: A Non-Pauline Interpolation?, NTS 45/4 (1999), 533-552

Westerholm, Stephen; Letter and Spirit: The Foundation of Pauline Ethics (Rom 2.29; Rom 7.6; 2 Cor 3.6), NTS 30/2 (1984), 229-248


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