Röm 3,21-26
Übersetzung
Röm 3,21-26:21 Nun aber ist ohne Gesetz [die] Gerechtigkeit Gottes offenbar geworden, bezeugt von dem Gesetz und den Propheten, 22 und zwar [die] Gerechtigkeit Gottes durch [den] Glauben an Jesus Christus für alle Glaubenden. Denn es gibt keinen Unterschied: 23 Alle haben nämlich gesündigt und entbehren der Herrlichkeit (des) Gottes, 24 werden umsonst gerechtfertigt durch seine Gnade aufgrund des Loskaufs, der durch Christus Jesus [geschehen ist], 25 welchen Gott als Sühneopfer hinstellte - durch Glauben - kraft seines Blutes, zu[m] Erweis seiner Gerechtigkeit, um des Erlasses der Sünden willen, die zuvor geschehen waren 26 unter dem Langmut (des) Gottes - zum Erweis seiner Gerechtigkeit in der jetzigen Zeit, auf dass er gerecht sei und denjenigen rechtfertige, der aus Glauben an Jesus lebt.
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Beobachtungen: In 1,18 - 3,20 hat Paulus dargelegt, dass Heiden und Juden als Sünder unter dem Zorn Gottes sind. Im Hinblick auf die Juden hat er unterstrichen, dass auch die Beschneidung und damit zusammenhängend das Befolgen sämtlicher Satzungen und Gebote des jüdischen Gesetzes den Juden keine Rechtfertigung vor Gott bringt, weil es unmöglich ist, alle Satzungen und Gebote zu halten. In 3,21-31 - eingeleitet durch „nun aber“ - geht Paulus darauf ein, wodurch in Wahrheit die Rechtfertigung vor Gott erfolgt. In 3,21-26 stellt er den sühnenden Kreuzestod als Grund aller Sündenvergebung hin.
Die Formulierung „ohne Gesetz“ leitet von den Aussagen, wodurch die Rechtfertigung der Menschen nicht erfolgt, zu den Aussagen über, was die Sündenvergebung begründet. Die Sündenvergebung erfolgt „ohne Gesetz“, d. h. den Satzungen und Geboten, die in der Tora (erste fünf Bücher Mose: Genesis bis Deuteronomium) niedergeschrieben sind, kommt im Hinblick auf die Sündenvergebung keine Bedeutung zu.
Die „Gerechtigkeit Gottes“ ist hier vermutlich nicht im Sinne des streng gemäß den menschlichen Taten - also gerecht - richtenden Gottes zu verstehen, sondern meint wahrscheinlich eine Gerechtigkeit, die von Gott kommt. Gott ist es, der rechtfertigt. Diese Gerechtigkeit ist offenbar geworden. Das Verb im Perfekt macht deutlich, dass ein vergangenes Offenbarungsgeschehen - vermutlich der sühnende Kreuzestod Jesu - Bedeutung für die Gegenwart hat. Jesu Kreuzigung und Auferstehung von den Toten sind zwar nach der Abfassung der Bücher der hebräischen Bibel erfolgt, doch wird dieses spätere Geschehen schon in ihr bezeugt. Paulus nennt „Gesetz“ und „Propheten“, d. h. an dieser Stelle meint er mit dem „Gesetz“ nur die Tora, evtl. auch die Schriften (Psalmen, Ijob usw.), nicht jedoch die Propheten. Tora, Propheten und Schriften (nicht zu verwechseln mit der Formulierung „biblische Schriften“, die alle Schriften der hebräischen bzw. griechischen Bibel meint) sind die drei Bestandteile der hebräischen Bibel. Das „Gesetz“ und die Propheten bezeugen schon das spätere Offenbarungsgeschehen. Paulus liest also die hebräische Bibel auf das mit Jesus Christus verbundene Offenbarungsgeschehen hin. Dass die „Schriften“ (hebr.: „ketuvim“) nicht eigens aufgeführt werden, mag damit zusammenhängen, dass der Apostel in ihnen das Offenbarungsgeschehen nicht bezeugt sieht. Es kann aber auch sein, dass das „Gesetz“ und die „Propheten“ (wie in Mt 5,17 u. a.) die gesamte hebräische Bibel meinen. Der König David, auf den ein Teil der Psalmen ausdrücklich zurückgeführt wird, könnte als Prophet verstanden werden, sodass die Psalmen (und auch die anderen den Schriften zugehörigen biblischen Bücher) als prophetische Schriften angesehen werden. Möglich ist aber auch, dass die Psalmen und anderen Schriften als Gesetzesauslegung verstanden und somit dem „Gesetz“ zugeschlagen werden.
Unklar ist auch, in welchem Umfang „Gesetz“ und „Propheten“ das Offenbarungsgeschehen bezeugen. Sind sie in Gänze Zeuge oder nur im Hinblick auf einzelne Verse? Und, falls letzteres richtig ist: Welche Verse können denn als Zeugen gelten?
Das Zeugnis von „Gesetz“ und „Propheten“ begründet, dass Paulus auch in den mehrheitlich an Heidenchristen gerichteten Briefen verschiedentlich Zitate aus der hebräischen Bibel (= AT) anbringt, obwohl die Heidenchristen ja von dem jüdischen Religionsgesetz und der rabbinischen Auslegung nicht betroffen sind. Die hebräische Bibel ist insofern für die Heidenchristen von Belang, als sie auf das mit Jesus Christus verbundene Heilsgeschehen hinweist. Folglich dürften auch die Missionspredigten das Zeugnis des „Gesetzes“ und der „Propheten“ heranziehen. Dabei sind die Missionspredigten, die den Menschen, die nicht Augenzeugen des Heilsgeschehens sind, dieses verkündigen, in gewisser Weise selbst ein Teil des Offenbarungsgeschehen: Ohne sie bliebe vielen Menschen das Offenbarungsgeschehen unbekannt und damit verborgen.
Weiterführende Literatur: Gemäß H. Giesen 2009, 115-146 führe Paulus in Röm 1,18-3,20 den Nachweis, dass alle, Juden und Nichtjuden, unter der Sünde sind. Bevor Paulus von der neuen heilsgeschichtlichen Situation durch die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes spreche, fasse er die Unheilssituation der Menschen vor Christus in 3,19-20 kurz zusammen. Vor diesem dunklen Hintergrund könne die ganze Tragweite der folgenden Aussagen erst recht begriffen werden.
W. C. Carter 1989, 54-68 untersucht zunächst die Absicht des Römerbriefes. Auch wenn die Lage schwer zu bestimmen sei, sei anzunehmen, dass Spannungen zwischen Judenchristen und Heidenchristen in Rom (und Jerusalem) den Hintergrund bildeten. Auf diesem Hintergrund liest W. C. Carter nun 3,21-26 und legt dar, wie Paulus die Spannungen zu lindern versuche.
O. Mainville 1996, 293-306 vertritt die These, dass die lehrhaften Abschnitte des Römerbriefes so aufgebaut seien, dass sie die grundsätzliche Gleichheit von Heidenchristen und Judenchristen beweisen können, um die Einheit der christlichen Gemeinschaft zu stärken. Die Richtigkeit ihrer These versucht O. Mainville anhand von 3,21-31 aufzuzeigen.
Eine ausführliche Studie zum tatsächlichen Aussagegehalt von 3,21-26, der bisher keinesfalls hinreichend geklärt sei, bietet D. A. Campbell 1992.
K. Wengst 1998, 139-151 möchte den Text 3,21-31 nicht antijüdisch auslegen. In die traditionellen Schemata werde man dann nicht verfallen, wenn erkannt sei und durchgeführt werde, dass das Thema nicht die Entgegenstellung von göttlicher Gnade und menschlicher Leistung ist. Thema sei vielmehr das vollgültige Hinzukommen der Völker, ohne dass diese durch die Beschneidung auf die ganze Tora verpflichtet werden. K. Wengst möchte sodann den jüdischen Charakter der Argumentation des Paulus erkennen. Dieser gebrauche jüdische Sprachmöglichkeiten und rede mit seiner jüdischen Bibel und ihrer Auslegungstradition. Von daher sollten die Gemeinsamkeiten mit dem Judentum im Blick auf diesen in der Wirkungsgeschichte so wichtig gewordenen Text herausgestellt werden. Natürlich sei auch nach den besonderen Voraussetzungen des Paulus zu fragen, die ihn von der Mehrheit seiner Landsleute unterschieden sein ließen. Aber selbst da wäre möglicherweise Verbindendes zu entdecken.
Gemäß W. S. Campbell 1981, 22-40 stelle 3,21-26 den Kern der paulinischen Theologie im Römerbrief dar. Röm 3 als Gesamtes sei der strukturelle Kern und zugleich Zeugnis der Situation, in die hinein der Brief geschrieben wurde.
J. A. Ziesler 1982, 356-359 führt die Dichte des Textes 3,21-26 teils darauf zurück, dass es sich bei ihm um eine „Wasserscheide“ handele: Es werde zum einen das Vorhergehende zusammengefasst, zum anderen aber auf Folgendes hingewiesen. Ein anderer Grund für die Dichte des Textes se wohl, dass dieser eine traditionelle Vorlage enthält, die Paulus zitiert und erweitert. J. A. Ziesler untersucht den Text im Zusammenhang der gesamten Argumentation und versucht zumindest auf die wichtigsten strittigen Detailfragen einzugehen.
Die Dichte des Textes betont auch D. Hill 1982, 31-44 der einige wenige Punkte auf Ähnlichkeiten zwischen der „Gerechtigkeit Gottes“ bei Paulus und dem „Reich Gottes“ in der Lehre Jesu hin untersucht.
J. Woyke 2001, 185-206 befasst sich mit der Bedeutung von „nyni de“ („Nun aber“) in Röm 3,21. Dabei nennt er zunächst drei Auslegungsvarianten: Die weitaus meisten Exegeten verstünden das „nyni de“ als Signal einer epochalen Wende, was nur selten unprätentiös als durch das Christusgeschehen bzw. Gottes Gerechtigkeit bestimmte Jetztzeit beschrieben, häufiger aber eschatologisch qualifiziert und in heilsgeschichtlichem Rahmen gedeutet werde, z. T. mit Rückgriff auf die Zwei-Äonen-Vorstellung der frühjüdischen Apokalyptik. Zusätzlich zu der Gegenüberstellung mit Röm 1,18-3,20 implizierten die meisten Kommentatoren in Übersetzung und Auslegung auch eine temporale Zuordnung von Röm 3,21a zu V. 21b im Sinne von „einst in der Schrift verheißen – jetzt erfüllt“. Für einige wenige Ausleger liege der temporale Aspekt in dem durch „pephanerôtai“ („ist offenbart worden“) angezeigten Geschichtlichwerden der Gerechtigkeit Gottes im Christusgeschehen, welches durch „nyni de“ zeitlich fixiert werde als Ereignis, das an einem ganz bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit stattgefunden hat. J. Woyke unterzieht die Auslegungsvarianten einer Prüfung und legt anschließend seine eigene, abweichende Deutung vor: „Nyni de“ besitze in Röm 3,21 ausschließlich rhetorische Funktion und markiere dabei einerseits die erläuternde Affirmation der Hauptthese von Röm 1,17 und signalisiere andererseits die Einführung eines die Argumentation von Röm 1,18-3,20 entscheidend durchbrechenden, neuen Aspektes.
F. Belli 2002, 413-426 legt dar, dass sich in Röm 1,1-3; 3,21 und 16,25-27 Paulus auf die Schrift beziehe, um die Glaubwürdigkeit seines Diskurses herauszustellen. Die Schrift bezeuge das Christusgeschehen lediglich indirekt. Nicht die Schrift erkläre das Christusgeschehen, sondern das Christusgeschehen erkläre die Schrift.
Laut D.-A. Koch 1991, 177 nehme Paulus Gesetz und Propheten dafür in Anspruch, dass sie selbst die kritische Sicht des Gesetzes, die sich für Paulus als Konsequenz aus dem Christusgeschehen ergibt, bezeugen. Damit setze sich Paulus natürlich in diametralen Gegensatz zur zeitgenössischen jüdischen Schriftinterpretation, die ja für ihn selbst früher ebenfalls fraglos gültig gewesen sei.
G. Lafon 1987, 32-53 merkt an, dass der Begriff „nomos“ („Gesetz“) im Römerbrief bis 2,27 fehle, dann aber zwischen 3,19 und 3,31 gleich elf Mal genannt werde. Danach tauche er erst wieder in 4,13 auf. Die Häufigkeit des Begriffs im Abschnitt 3,19-31 lasse annehmen, dass es sich dabei um eine zusammenhängende Einheit handelt. Das Gesetz, speziell das „Gesetz des Glaubens“, ist denn auch der Gegenstand der Untersuchung von G. Lafon.
M. Soards 1985, 104-109 stellt zunächst die beiden gängigen Deutungen des Ausdrucks „Gerechtigkeit Gottes“ als genitivus subiectivus und als genitivus obiectivus – von ihr „genitive of authorship“ genannt – einander gegenüber. Dann gibt sie einen Überblick über die Diskussion. Anschließend geht sie kurz auf die einzelnen Texte ein, in denen der Ausdruck vorkommt. Er drücke Gottes rettende Macht aus und sei diesbezüglich ein Schlüsselbegriff paulinischer Theologie.
R. L. Omanson 2004, 339-348 untersucht die Bedeutung des Ausdrucks „Gerechtigkeit Gottes“ („dikaiosynê theou“) im Römerbrief. Er sei auf dem Hintergrund der atl. Vorstellung von Gottes Bundestreue seinem Volk gegenüber zu verstehen. Zur Deutung des Ausdrucks siehe auch R. L. Omanson 2004, 144-146.
R. B. Hays 1980, 107-115 vertritt die Ansicht, dass die Deutung von „dikaiosynê theou“ („Gerechtigkeit Gottes“) als Gottes Heil schaffende Macht ohne jeden Verweis auf Qumranschriften oder „apokalyptisches“ Gedankengut als richtig erwiesen werden könne. Derartiges Belegmaterial könne zwar bei einem Vergleich von Interesse sein, doch seien als Beweis hinsichtlich der Richtigkeit der These Röm 3 und Ps 143 entscheidend.
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Beobachtungen: Das griechische Substantiv „pistis“ kann „Vertrauen“ oder „Glaube“ bedeuten. Der Genitiv „Iêsou Christou“ kann als genitivus subiectivus oder als genitivus obiectivus gedeutet werden. In ersterem Fall wäre es Jesus Christus selbst, der Glauben/Vertrauen hatte, in letzterem Fall wären es die Menschen, die Jesus Christus vertrauen bzw. an ihn glauben. Folgende zwei Deutungsmöglichkeiten legen sich also nahe: a) Durch das Vertrauen Jesu Christi wurde die Gerechtigkeit Gottes offenbar. Doch auf was hat Jesus vertraut? Darauf, dass die Ereignisse gemäß dem Heilsplan seines Vaters, Gott, ablaufen und die Menschen schließlich durch seinen Kreuzestod und seine Auferweckung von den Toten vor dem Verderben gerettet werden? b) Damit die Gerechtigkeit Gottes den einzelnen Menschen auch tatsächlich vor dem Verderben retten kann, bedarf es des Glaubens der Menschen an Jesus Christus, d. h. an das mit diesem zusammenhängende Heilsgeschehen. Die beiden Deutungen schließen sich nicht unbedingt gegenseitig aus: Wer an das mit Jesus Christus verbundene Heilsgeschehen glaubt, befindet sich in der Nachfolge Jesu Christi, der Gott vertraut hat. Der Glaube ist kein verdienstliches Werk, sondern wird von Jesus Christus gewirkt. Der Christ lebt nicht sich selbst, sondern Jesus Christus lebt in ihm (vgl. Gal 2,19-20).
Die Gerechtigkeit Gottes ist eine Tatsache, die von keinem Glauben abhängt. Allerdings werden nicht alle Menschen gerechtfertigt, sondern nur die Glaubenden. Nur für sie ist die Gerechtigkeit Gottes.
Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Glaubenden Juden oder Nichtjuden sind. Der Glaube entscheidet über das Heil, nicht die Beschneidung und Gesetzestreue.
Weiterführende Literatur: M. Theobald 1998, 103-117 macht knappe Anmerkungen aus exegetischer Perspektive zu Kapitel 1 der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GER)“, die auf einer ekklesiologischen Deutung der paulinischen Rechtfertigungslehre, wie sie sich aus dem Römerbrief ergebe und die unübersehbar ökumenische Folgen besitze, fußen. In Röm 3,21-31, der „architektonischen Mitte“ des Briefes, zeige sich: Weder ist der Glaube unbestimmtes Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit, vielmehr präzis Glaube an Jesus Christus, kraft dessen Sühnetod Gottes sündentilgende Rechtfertigung den Glaubenden zuteil wird, noch sind die Werke, die aus dem Vorgang der Rechtfertigung ausgeschlossen sind, unbestimmt irgendwelche vom Menschen geforderte Leistungen, vielmehr präzis die Werke des Gesetzes. M. Theobald sieht im Glauben an Christus das einigende Band aller christlichen Konfessionen.
Einen kurzen Überblick über die bisher vorgebrachten Deutungen der Formulierung „pistis Iêsou Christou“ gibt H. Boers 1993, 101-109 (vgl. A. J. Hultgren 1980, 248-253; R. L. Omanson 2004, 148-149): a) das Vertrauen / der Glaube Jesu Christi (genitivus subiectivus); b) Glaube an Jesus Christus (genitivus obiectivus); c) der Jesus Christus entsprechende Glaube des Christen (genitivus qualitatis); d) Jesus Christus als vertrauenswürdiger Erbe, der allen Christen am Erbe Anteil gibt (Deutung mit Blick auf das fidei commissum des römischen Erbrechts). Laut H. Boers sei nicht nur eine Deutung richtig, sondern die Formulierung „pistis Iêsou Christou“ sei im Sinne aller Deutungen zu verstehen.
R. A. Harrisville III 1994, 233-241 legt dar, dass der Ausdruck “pistis theou” bei den Kirchenvätern als genitivus obiectivus aufgefasst werde.
A. J. Hultgren 1980, 248-263 vertritt die Ansicht, dass es sich bei der Formulierung „pistis Iêsou Christou“ um einen genitivus qualitatis handele. Es sei nicht der Glaube Jesu Christi gemeint und auch nicht nur der Glaube an Jesus Christus, sondern der auf dem Vertrauen Jesu Christi beruhende Glaube des Christen an Jesus Christus, der sich in der Verkündigung des Evangeliums zeige. Vgl. R. B. Hays 1991, 724-727: Christi Vertrauen sei die Quelle des Heils; die entsprechende Antwort der Christen sei der Glaube.
L. T. Johnson 1982, 77-90 verteidigt die These, dass „pistis Iêsou Christou“ in 3,22 den gehorsamen Glauben bzw. das gehorsame Vertrauen Jesu Christi meine, der/das die Grundlage für die gläubige Antwort anderer sei.
Ähnlich S. K. Williams 1987, 431-447, der unterstreicht, dass Paulus, wenn er von der „pistis Christou“ spricht, Christus als Quelle des Glaubens verstehe. Christus sei nicht Objekt des Glaubens, sondern er selbst vertraue gänzlich auf Gott und gehorche diesem. Solches Vertrauen und solcher Glaube sei auch für die Christen, die Nachfolger Christi, charakteristisch.
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Beobachtungen: Paulus begründet, warum es unter den Glaubenden - seien es Heidenchristen oder Judenchristen - keinen Unterschied gibt: Alle haben sie gesündigt. Es gibt also niemanden, der nicht gesündigt hat, und folglich auch niemanden, der sämtliche Satzungen und Gebote des jüdischen Religionsgesetzes halten konnte.
Die Sünde und das Fehlen der Herrlichkeit Gottes steht in einem engen Zusammenhang. Einen solchen Zusammenhang sehen auch zahlreiche apokryphe Texte wie die Apokalypse des Mose (20,1; 21,6), die syrische Baruchapokalypse (51,1.3; 54,15.21), die griechische Baruchapokalypse (4,16), das äthiopische Henochbuch (50,1; 62,15-16) und das vierte Esrabuch (7,122-125) und darüber hinaus auch verschiedene Qumranschriften (1QS 4,22-23; CD 3,20; 1QH 17,15). Mit der Herrlichkeit Gottes werden unschuldiges Dasein im Sinne der „Gerechtigkeit“, Licht und ewiges Leben in Verbindung gebracht.
Biblischerseits erscheint der von Gott geschaffene Mensch als „Bild Gottes“ (vgl. Gen 1,26-28), wobei seine Herrlichkeit von Gott stammt (vgl. Ps 8,6). Auch bei der „Herrlichkeit Gottes“, von der Paulus spricht, handelt es sich vermutlich um eine von Gott gegebene Herrlichkeit. Darüber hinaus hat der Apostel aber wahrscheinlich auch im Blick, dass die sündigen Menschen Gottes Herrlichkeit nicht erkennen und ihm folglich nicht die gebührende Verehrung entgegenbringen (vgl. Röm 1,18-32).
Weiterführende Literatur: Nach der Darlegung des von der Formulierung „entbehren der Herrlichkeit (des) Gottes“ herrührenden exegetischen Problems, vertritt S. Voigt 1987, 243-269 die Meinung, dass die Lösung darin liege, 3,23 als Zusammenfassung der Aussagen 1,18-3,20 zu sehen. Dann versucht er zu erklären, wie Paulus die Formulierung „entbehren der Herrlichkeit (des) Gottes“ verstanden haben könnte, und zählt sieben Schlussfolgerungen auf.
B. C. Blackwell 2010, 285-308 legt dar, dass Paulus in Röm 3,23 die universale Sündhaftigkeit des Menschen in rätselhafter Weise als einen Mangel an „Herrlichkeit Gottes“ beschreibe. Ausleger hätten diesen Mangel an „Herrlichkeit Gottes“ in verschiedenen Kontexten zu verorten versucht: antike Diskurse über Ehre; antike jüdische Adamtraditionen; Paulus‘ ethischer Diskurs. B. C. Blackwell geht der Rede von „Herrlichkeit“ im Römerbrief nach. Es zeige sich, dass „Herrlichkeit“ nicht nur ein erhöhtes Maß an Ehre, sondern auch Unversehrtheit meine. Somit beziehe sich der Mangel an „Herrlichkeit“ in 3,23 auf Sterblichkeit und Scham als Folge der Sünde.
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Beobachtungen: Die Sündenvergebung geht nicht auf ein menschliches Werk zurück, sondern wird umsonst, also als unverdientes Geschenk gegeben. Es geht einzig und allein auf die Gnade Gottes zurück.
Die Sündenvergebung ist mit einem konkreten Ereignis verbunden, der „apolytrôsis“. Dieser Begriff bezeichnet in weltlichen Texten den Loskauf aus der Gefangenschaft. Einen speziellen Fall des Loskaufs kennt das antike israelitische Familienrecht: Wenn ein Israelit sich aufgrund der nicht mehr rückzahlbaren Schulden an einen Fremden selbst verkauft hat, soll ihn sein nächster Verwandter mit dem eigenen Vermögen loskaufen (vgl. insbesondere Lev 25,47-55). Im religiösen Sinn bedeutet der Begriff „Erlösung“, wobei diese nicht unbedingt in Zusammenhang mit einem „Lösegeld“ zu sehen ist. Allerdings kann man die Hingabe des Lebens Jesu Christi durchaus als ein „Lösegeld“ verstehen, das die Menschen aus der Macht der Sünde befreit. Aufgrund dieser Befreiung sind die Menschen nicht mehr dem Zorn Gottes und dem ewigen Tod verfallen. Deutet man den Loskauf auf dem Hintergrund des israelitischen Familienrechts, so erscheint Gott bzw. Jesus Christus als nächster Verwandter. Den römischen Adressaten des Briefes dürfte die Vorstellung von Gefangenschaft und Befreiung vertraut sein, denn unter ihnen dürften sich nicht wenige Sklaven und Freigelassene befinden.
Weiterführende Literatur: Gemäß D. Zeller 2006, 57-69 habe die von R. Bultmann und E. Käsemann angeregte These weithin Zustimmung erfahren, dass Paulus in 3,24-26 ein geprägtes Traditionsstück verwerte. Es handele sich nicht um ein Zitat, sondern um vielleicht liturgische Formulierungen, die Paulus in seinen Gedankengang einbaue. In einem Dankgebet erwarte man keine Reflexionen über die Notwendigkeit, an Christus ein Exempel der Gerechtigkeit zu statuieren. Hier sei alles auf den Heilserweis abgestellt. Wir sähen in der jüdischen Tradition einen Widerstreit zwischen der Gerechtigkeit Gottes gegenüber allen Geschöpfen, die sich im strafenden Richten äußern könne, die der Fromme auch an seinem eigenen Leib, das Volk Israel in seiner Geschichte erfahren könne, und der Gerechtigkeit, sprich Loyalität des Bundesgottes, der immer schon für sein Volk Partei ergriffen habe. Von ihm erhoffe der Beter Langmut, Vergebung, während die Feinde oder die Ungerechten abgestraft würden. Von daher wäre es also möglich, dass dem Judentum nahe stehende Christen die Erlösung in Christus auch als Verwirklichung der Bundestreue Gottes verstanden und in einem liturgischen Text besangen. Paulus liege im Kontext von 3,21-31 an der Universalität des Heilsangebots. D. Zeller hält das traditionsgeschichtliche Modell trotz aller bei manchen Auslegern aufgekommenen Zweifel immer noch für eine plausible Erklärung, besonders was die unterschiedlichen Nuancen von „Gerechtigkeit“ angehe.
Z. I. Herman 1985, 240-278 befasst sich zunächst mit dem Zusammenhang von 3,21-26 und der Herkunft der paulinischen Lehre von der Rechtfertigung, geht dann auf einige Schlüsselbegriffe der Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes ein und fragt schließlich danach, ob es sich bei 3,24-26 um eine vorpaulinische Tradition handelt. Bezüglich dieser Frage kommt er zu dem Ergebnis, dass nicht einfach davon ausgegangen werden könne, dass Paulus einfach eine bereits existierende Tradition aufgenommen hat, auch wenn einige Elemente dieser Verse möglicherweise auf eine solche Tradition zurückgingen.
Gemäß J. Adam 2009, 283-298 greife Röm 3,21-26 das Thema von Röm 1,16-17 auf und führe es argumentativ weiter. Trotz und gerade wegen der universalen Sündenverfallenheit ausnahmslos aller Menschen werde diesen die heilvolle Rechtfertigung Gottes geschenkweise und allein aus Gnaden zuteil. Diese in der Gabe des Glaubens bereits präsentisch verwirklichte Erlösung und alle Sünden vergebende Tat habe Gott selbst im stellvertretenden Sühnetod Jesu Christi am Kreuz ein für allemal vollzogen und sich darin als der zutiefst seiner eigenen Gerechtigkeit entsprechende und darum den Gottlosen selbst rechtfertigende Gott erwiesen.
Laut J. M. Bassler 2003, 24-33, sei die Gnadentheologie des Heidenapostels nicht als „sola scriptura“ im strengen Sinne zu verstehen, sondern als Gnade und Gericht den Werken entsprechend. Darin unterscheide er sich nicht von seinen jüdischen Zeitgenossen. Damit stellten sich folgende Fragen: In welcher Hinsicht sind Paulus‘ Sichtweisen der Gnade eigentümlich? Und gegen welche Sichtweisen ist seine höchst polemische Rede von der Gnade gerichtet? Ergebnis: Paulus habe die Gnade nicht als ein statisches Konzept verstanden. Von der Annahme ausgehend, dass er vor seiner Begegnung mit Christus die Sichtweisen des Judentums des 1. Jh.s. teilte, sei anzunehmen, dass er schon eine lebendige Vorstellung von Gnade hatte. Seine Christuserfahrung habe ihm das Kreuz als neuen Gnadenort offenbart, was sein Verständnis von der Verbindung zwischen Gnade und menschlichem Leiden verändert habe. Seine Vorstellung von der menschlichen Verwundbarkeit der Sünde gegenüber sei vertieft worden und damit auch sein Verständnis von der Macht der vergebenden Gnade. Der durch seine Heidenmission entstandene Konflikt habe seine Augen für die radikale Eingeschlossenheit der Gnade geöffnet. Gnade sei eindeutig am wachsenden Rand der paulinischen Theologie gewesen.
Eine eingehende Auseinandersetzung mit P. Stuhlmachers Auslegung von 3,24-26 bietet R. A. Argall 1984.
Laut S. Finlan 2004, 164-169 seien „Sklavenkauf“ und „Freilassung eines Sklaven (manumissio)“ die Hauptbedeutungen des Begriffs „apolytrôsis“ („Loskauf“). Bei der Erlösung werde die Zahlung durch ein Leben ersetzt.
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Beobachtungen: V. 25 geht nicht auf den finanziellen, sondern auf den religiösen Aspekt des Loskaufs ein. Jesus Christus erscheint hier als ein vor aller Augen öffentlich hingestelltes (oder: als ein beabsichtigtes) „hilastêrion“. Genau genommen handelt es sich dabei um eine Bezeichnung für verschiedene mit der Sühne in Zusammenhang stehende Gegenstände. In der Septuaginta ist allerdings meist ein ganz konkreter Gegenstand gemeint: der „Gnadenstuhl“. Auch in Hebr 9,5 handelt es sich bei dem „hilastêrion“ um den „Gnadenstuhl“. Dabei handelt es sich um einen goldenen Aufsatz auf der Bundeslade im Allerheiligsten (vgl. Ex 25,17-22). Dieser Aufsatz diente als Sockel für zwei Cherubim, rechts und links, die zwischen sich den unsichtbaren Thron Gottes trugen. An diesem „Gnadenstuhl“ vollzog der Hohepriester am Versöhnungstag die jährliche Entsühnung des Volkes (vgl. Lev 16). Dazu sprengte er vor diesen Aufsatz zweimal siebenfach das sühnende Tierblut. Die Verbindung des „Gnadenstuhls“ mit Entsühnung und Blut legt nahe, dass Paulus Jesus Christus hier als „Gnadenstuhl“ versteht. Dagegen spricht jedoch, dass Jesus Christus selbst es ist, dessen Blut fließt. Er ist nicht der Ort, an dem das Blut vergossen wird. Außerdem geschieht die Entsühnung nicht versteckt im Allerheiligsten des Tempels, sondern vor den Augen aller. Und schließlich ist fraglich, inwieweit den meist heidenchristlichen Adressaten des Briefes das Entsühnungsritual am Versöhnungstag bekannt ist. Die mehrdeutige Wortwahl und die (scheinbaren) Widersprüche führen zu dem Ergebnis, dass Paulus möglicherweise sowohl an den „Gnadenstuhl“ als auch an das Sühneopfer denkt: Jesus Christus ist es, der die Versöhnung vollzieht, sei es als Ort der Versöhnung, als Sühneopfer oder als der opfernde Priester. Auch in Hebr 7-10 wird Jesus Christus sowohl als Sühneopfer als auch als Hohepriester dargestellt. In diesem Zusammenhang wird auch der „Gnadenstuhl“ erwähnt (vgl. 9,15).
Der Einschub „durch Glauben“ kann darauf hinweisen, dass das Sühneopfer nur aufgrund des Vertrauens Jesu Christi zustande gekommen ist, aber auch so interpretiert werden, dass die Wirksamkeit des Sühneopfers den Glauben des Menschen voraussetzt (vgl. V. 22). Da V. 25 von Jesus Christus spricht, liegt es näher, die griechische Formulierung „dia pisteôs“ im Sinne von „auf Grund von [Jesu Christi] Vertrauen“ oder „auf Grund von [Jesu Christi] Treue“ zu verstehen. Die Tatsache, dass in V. 22 eindeutig der Glaube als für die Rechtfertigung notwendige Voraussetzung angesehen wird, spricht dagegen eher für die Deutung „aus Glauben [des Menschen]“. Dass sich die Bedeutung des Begriffs „pistis“ in V. 25 von derjenigen in V. 22 unterscheiden sollte, ist kaum anzunehmen.
Mit dem öffentlichen Hinstellen Jesu Christi (= Christi Jesu) als Sühneopfer hat Gott seine Gerechtigkeit erwiesen. Dabei handelt es sich sicherlich nicht um streng nach Werken richtende Gerechtigkeit, sondern um gnädig von Gott gewährte Vergebung der Sünden. Schließlich hat Gott seinen Sohn als Sühneopfer um des Erlasses der Sünden willen hingestellt.
Der ausdrückliche Hinweis auf den Sündenerlass zeigt, dass dieser ein wichtiger Aspekt des Sühneopfers ist. Ein weiterer wichtiger Aspekt, die Besänftigung des Gotteszorns, wird dagegen nicht eigens hervorgehoben. Das lässt daran zweifeln, dass Paulus der Besänftigung des Gotteszorns hier gleiches Gewicht wie der Sündenvergebung beimisst.
Weiterführende Literatur: J. D. K. Ekem 2007, 75-93 nimmt in seinem Aufsatz Röm 3,25a in den Blick und erstrebt einen Dialog zwischen dem griechischen Text samt seiner palästinischen und hellenistischen Weltsicht und Übersetzungen in verschiedene europäische und ghanaische Sprachen samt ihren soziologischen, linguistischen und theologischen Eigenheiten. Ein solcher Dialog ermögliche es, die Bedeutung von 3,25a unter interkulturellen und intertextuellen Gesichtspunkten zu beleuchten.
Mit der Taufe und Gerechtigkeit im Römerbrief (3,25; 4,25; 6) befasst sich U. Schnelle 1983, 65-92. Er geht davon aus, dass drei Faktoren die paulinische Argumentation im Römerbrief beeinflussten: a) Die noch nicht lange zurückliegenden Konflikte in Galatien und Korinth. b) Die Auseinandersetzungen zwischen Heiden- und Judenchristen in Rom. c) Gedankliche Probleme der eigenen Theologie.
C. Schluep 2005 befasst sich mit der metaphorischen Redeweise, mittels derer Paulus vom Tod Jesu spreche. Sühne (Röm 3,21-26), Versöhnung (2 Kor 5,18-21), Fluch und Loskauf (Gal 3,10-14) seien solche Metaphern, die das, was am Kreuz geschehen ist, in je eigener Art zur Sprache bringen. Woher stammen sie? In welche Kontexte sind sie eingebettet? Wie sind sie strukturiert, wie interagieren sie untereinander? C. Schluep weist auf, dass es sich nicht um soteriologische Einzelaussagen, sondern um ein Netzwerk mit deutlichem Fokus handele: dem Ort des Christus, der Leben gnädig gewährt. Die metaphorische Sprache beschreibe aber diesen Ort nicht nur, sondern bewege den Menschen dorthin. Neben einer ausführlichen Exegese der drei Haupttexte – Röm 3,21-26 ist auf S. 65-145 Thema – liege der Schwerpunkt der Arbeit denn auch darin, diese Bewegungsrichtung für die Gegenwart fruchtbar zu machen, aufzuzeigen, was diese soteriologischen Metaphern, die auf unterschiedliche Weise das „für mich“ ausdrücken, heute bedeuten können – auch in der kirchlichen Praxis.
Zur Sühnetheologie von 3,25, die auf den gesamten Römerbrief ausstrahle, siehe T. Söding 2005, 377-383: Der Zorn Gottes decke die tödliche Kraft der Sünde auf; die Gerechtigkeit, die zur Rechtfertigung der Sünder aus dem Glauben führe, offenbare aber noch viel mehr den Heilswillen Gottes in seinem Zorn und über ihn hinaus. Der Tod des Gekreuzigten entspreche dem Zorn Gottes über die Sünde; als Sühne aber verwinde er den Tod der Sünde; der auferstandene Gekreuzigte sei die rettende Gerechtigkeit Gottes in Person.
Mit dem stellvertretenden Sühnetod Christi befasst sich H. Hübner 1993, 80-93, der dabei den stellvertretenden Tod aus phänomenologischer und theologischer Sicht thematisiert und den kultisch-alttestamentlichen Hintergrund von Röm 3,25 anspricht.
Laut C. Breytenbach 1986, 696-704 könne 3,25 nicht als Beweis dafür herangezogen werden, dass Paulus Jesu Tod für uns/alle als Opfer deutete.
Laut T. J. Do 2009, 641-657 sei der Begriff „hilastêrion“ im Sinne von „Sühne“ zu verstehen. Christi Opfertod sei ein sühnender Tod, sei Gottes eigener Akt der Liebe und Vergebung.
W. Schenk 1994, 553-567 vertritt folgende Ansicht: Weder von der Septuaginta noch von Philo her sei „hilastêrion“ Sühnopfer oder Sühnemittel, sondern der Ort der Gegenwart Gottes, der Gnade Gottes. Jesus werde gerade nicht mit den Manipulationen des Priesters verglichen, sondern sei gewissermaßen selbst schon der die Gnade Gottes darstellende Ort der Gegenwart Gottes. So sei auch 3,25 ein Beleg für das Fehlen eines Sühnopfers in Paulus‘ Soteriologie.
N. S. L. Fryer 1987, 99-116 zählt zunächst die verschiedenen deutschen und englischen Übersetzungen des Begriffs „hilastêrion“ in V. 25 auf. Er untersucht, ob es sich bei dem Begriff um ein Adjektiv oder um ein Substantiv handelt und welches die beste Übersetzung ist. Ergebnis: Es handele sich um ein Substantiv, und zwar um ein Neutrum im Akkusativ. Die passendste Übersetzung sei „mercy seat“ (oder: „propitiatory covering“).
Da alle „hilastêrion“-Belege im Pentateuch der Übersetzung von „kapporät“ dienen, lege es sich gemäß T. Knöppler 2001, 113-117 nahe, auch in Röm 3,25 mit dem Wort „hilastêrion“ den Sühneort bezeichnet zu sehen, nämlich nach Ex 25,17-22; Lev 16,2 die goldene Platte auf der Bundeslade als den Ort der Präsenz JHWHs, wo er thront und wo er erscheint. Im Blick sei dabei also nicht ein bloßer Kultgegenstand, sondern theologisch der Ort, an dem irdischer und himmlischer Bereich einander berühren. Nicht Gott, sondern der Mensch bedürfe der Sühne. Die von Gott gnädig gewährte Sühne vollziehe sich im Tod Jesu Christi; in seinem Sterben ereigne sich der eschatologische Jom Kippur. Gott habe Jesus Christus als den dem Glauben zugänglichen Sühneort eingesetzt. An diesem Ort ereigne sich die volle Gottesgegenwart. Ähnlich M. Gaukesbrink 1999, 229-233; vgl. H.-J. Klauck 1983, 112-113.
Anders S. Schreiber 2006, 88-110: Paulus benutze nicht die Modelle „Sühnetod“ und „Opfer“ zur Deutung und der Begriff „hilastêrion“ enthalte auch höchstens indirekt eine Anspielung auf den Jom Kippur. Stattdessen spiele Paulus mit dem Begriff in Röm 3,25 absichtlich auf die vielfältige Praxis der Weihegeschenke an. Gott drehe die Verhältnisse in der Beziehung zu den Menschen total um, gebe selbst – im Sterben seines Repräsentanten „Christus“ (als Titel zu verstehen) – alles für die Menschen.
Laut B. W. Longenecker 1993, 478-480 werde weithin angenommen, dass Paulus innerhalb von 3,24-26 eine frühe christliche Formel benutze. Auch wenn nicht ganz klar sei, wo die Formel beginnt und wo sie endet, sei doch nicht daran zu zweifeln, dass 3,25a ein Teil dieser Formel ist und nicht ein von Paulus selbst vorgenommener Einschub. Der Begriff „pistis“ („Glaube/Treue/Vertrauen“) beziehe sich ebenso wie die Begriffe „hilastêrion“ („Sühneort/Sühneopfer“) und „haima“ („Blut“) nicht auf Gott, sondern auf Jesus Christus und dessen Tod am Kreuz.
R. Penna 2009, 99-123 befasst sich mit den Schwierigkeiten bei der Deutung des Begriffs "paresis". Dieser komme im gesamten NT nur hier vor, in der gesamten Septuaginta kein einziges Mal. Hinzu komme, dass der Begriff ebenso "Duldsamkeit/Geduld" wie auch "Erlass/Verzeihung" bedeuten könne. Dass hier letztere Bedeutung, der mehr Gewicht zukomme, vorliegt, lasse sich aus einer bisher vernachlässigten Inschrift aus der ionischen Stadt Kolophon und aus dem gesamten Denken des Paulus bezüglich des auf Christus beruhenden Erlösungsgeschehens schließen.
Zum Gedankengang von Röm 3,19-20 und 3,25b-26 siehe J. Lambrecht 2009, 733-737.
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Beobachtungen: Die traditionelle Verseinteilung trennt „unter dem Langmut (des) Gottes“ vom vorigen Vers, was einen Bezug zu V. 26 nahe legt. Tatsächlich bezieht sich jedoch „unter dem Langmut (des) Gottes“ auf V. 25. Ausgesagt ist, dass die Sünden vor der Kreuzigung und Auferstehung Jesu unter dem Langmut Gottes geschehen waren.
Der Hinweis auf den Langmut Gottes macht deutlich, dass die Sünden geschehen waren, ohne dass es seitens Gottes eine nennenswerte Reaktion gegeben hatte. Eine solche Reaktion hätte eine angemessene Bestrafung der Sünden oder auch eine frühere Entsühnung der Menschen durch Jesus Christus sein können.
Der Kreuzestod und die Auferstehung Jesu sind zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt (kairos) erfolgt. Mit diesem Geschehen wurden die Sünden der Vergangenheit gesühnt. Da der Erweis der Gerechtigkeit Gottes jedoch nicht nur in der Vergangenheit, sondern in der „jetzigen Zeit“ erfolgt, gilt die Sündenvergebung auch den nach dem Kreuzestod und die Auferstehung Jesu Lebenden.
Ist schon aus dem Vorhergehenden deutlich geworden, dass für die gnädige Vergebung der Sünden des einzelnen Menschen dessen Glaube erforderlich ist, so wird in V. 26 noch eine weitere Einschränkung gemacht: Gerechtfertigt wird, der aus Glauben – in V. 26 ist „pistis“ wohl gleich wie in V. 22 zu deuten - lebt. Die Lebensführung muss also dem Glauben entsprechen.
Diese Einschränkung verdeutlicht, dass der Langmut Gottes angesichts begangener Sünden keinen völligen Verzicht auf Strafe darstellt. Diesen kann nur erhoffen, wer glaubt und aus diesem Glauben lebt. Alle anderen Menschen dürften am Weltende mit der Vergeltung nach Werken konfrontiert werden, wobei unklar ist, in welchem Maße auch sie mit der Gnade Gottes rechnen können.
Weiterführende Literatur: Gemäß J. Smolík 1983, 198-200 seien in V. 21 das „Jetzt“ und das „offenbar werden“, in V. 26 das „in der gegenwärtigen Zeit“ zu beachten. Sie verliehen den Worten des Apostels einen eschatologischen oder gar apokalyptischen Sinn: Gottes Gerechtigkeit im Sinn der rettenden Treue Gottes zu seinem Wesen und Wort erwiesen sich am Jüngsten Tag bei der endgültigen Rettung der Sünder. Die Gerechtigkeit Gottes sei nur zusammen mit dem Kreuz und der Auferstehung richtig zu verstehen.
J. D. G. Dunn 2008, 351-366 hält die Formel „ek pisteôs“ für den Schlüssel zur Deutung von „pistis Christou“. „Ek pisteôs“ bedeute „aus Glauben“. Die „pistis“-Sätze des Paulus bezögen sich gewöhnlich auf den Akt des Glaubens, auf das Hören des Evangeliums und auf die gläubige Antwort darauf. Anders als R. B. Hays 1983 annehme, sei also nicht das Vertrauen oder die Treue Jesu gemeint, sondern der Glaube an die Heilsbotschaft.
G. Burnett 1998, 159-188 befasst sich angesichts neuerer Tendenzen, die kollektiven Aspekte hervorzuheben, mit dem persönlichen Heil. So sei zwar die soziale Funktion des Glaubens im Hinblick auf Israel und die paulinischen Gemeinden herausgestellt worden, doch werde die einseitige Sichtweise der paulinischen Vorstellung vom Wirken des Glaubens nicht gerecht. G. Burnett vertritt die Meinung, dass Paulus mit dem Verhältnis zwischen Judenchristen und Heidenchristen befasst und sein Denken am Bund orientiert sei. Die Logik der Beweisführung der ersten Kapitel weise auf die Bedeutung hin, die die Rede vom persönlichen Heil habe.
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