Röm 3,27-31
Übersetzung
Röm 3,27-31:27 Wo [bleibt] nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welche Art Gesetz? [Durch das] der Werke? Nein, sondern durch [das] Gesetz des Glaubens. 28 Wir sind nämlich der Auffassung, dass ein Mensch [allein] aus Glauben gerechtfertigt wird, ohne Gesetzeswerke. 29 Oder ist (der) Gott etwa nur [Gott] der Juden? Nicht auch der Heiden? Doch, auch der Heiden! 30 - jedenfalls wenn (der) Gott [der] Eine ist, der sowohl [die] Beschneidung aus Glauben als auch [die] Unbeschnittenheit durch den Glauben rechtfertigen wird. 31 Setzen wir nun [das] Gesetz außer Kraft durch den Glauben? Mitnichten! Wir richten vielmehr [das] Gesetz auf!
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Beobachtungen: In 3,9-20 hat Paulus dargelegt, dass alle Menschen. Heiden und Sünder gleichermaßen, Sünder sind und deswegen bei dem endzeitlichen Weltgericht eigentlich von Gott bzw. Jesus Christus verurteilt werden müssten. Aufgrund des Haltens der jüdischen Satzungen und Gebote der Tora wird niemand gerecht. Dass die Menschen dennoch im endzeitlichen Weltgericht gerechtfertigt und damit nicht verurteilt werden, liegt einzig und allein an dem stellvertretenden Sühnetod Jesu am Kreuz. Die Menschen werden also unverdient, nur aufgrund göttlicher Gnade gerechtfertigt. Sie müssen das Heilsgeschehen nur glauben und dem Glauben entsprechend leben.
Angesichts dieser Rechtfertigungslehre stellt sich nun die Frage, ob sich die Menschen noch (ihrer Verdienste) rühmen können. Die rhetorische Frage „Wo bleibt nun das Rühmen?“ setzt voraus, dass der Apostel an anderer Stelle schon vom Rühmen gesprochen hat. Tatsächlich hat er dies in 2,17.23 getan. Dort hat er den Juden vorgeworfen, dass sie sich zwar Gottes rühmen und das Religionsgesetz zu halten versuchen, tatsächlich jedoch Gott entehren, weil sie dieses übertreten. Weil niemand das Gesetz erfüllen kann, zeigt es die Sünde auf (vgl. 3,9-20). Folglich gibt es keinerlei Grund zum Selbstruhm.
Paulus greift auch den schon in 2,17.23 erwähnten Begriff „Gesetz“ wieder auf. Dort bezeichnete der Begriff das aus den verschiedensten Satzungen und jüdischen Geboten bestehende jüdische Religionsgesetz. Weil es sich bei dem Befolgen der Satzungen und Gebote um ein Tun handelt, bezeichnet Paulus dies als „Gesetz der Werke“.
Angesichts der negativen Rede vom Gesetz wäre zu erwarten, dass Paulus darauf achtet, den Glauben nicht mit dem Gesetz in Verbindung zu bringen. Entgegen dieser Erwartung spricht er von „Glauben des Gesetzes“. Diese Formulierung lässt annehmen, dass er nicht das Gesetz an sich ablehnt, sondern nur die Art und Weise, wie das Gesetz befolgt wird, nämlich durch das genaue Halten der Satzungen und Gebote. Zu bedenken ist, dass Paulus Jude ist und damit in jüdischem Denken verwurzelt ist. „Weisung“ („Tora“) ist ein Begriff, ohne den jüdisches Leben und damit auch die Sprache der Juden, das Hebräische, nicht zu denken ist. Dass Paulus für die gleiche Sache den Begriff „Gesetz“ benutzt, hängt damit zusammen, dass er von der Septuaginta, einer griechischen Übersetzung des hebräischen biblischen Textes, geprägt ist. Diese Übersetzung übersetzt „Weisung“ mit „Gesetz“, was dem Missverständnis Vorschub leistet, es handele sich bei der Tora um ein Gesetz im engen juristischen Sinne. Paulus übernimmt den Begriff „Gesetz“, füllt ihn jedoch mit anderem Inhalt. Doch was meint Paulus konkret, wenn er in V. 27 vom „Gesetz des Glaubens“ spricht? Meint er eine Ordnung oder Regel, die vom Glauben geprägt ist? Dann könnte der Begriff „Gesetz“ die Kontinuität zwischen dem jüdischen Religionsgesetz und dem alle Menschen betreffenden „Gesetz des Glaubens“ verdeutlichen. Oder meint der Apostel, dass es sich bei dem „Gesetz des Glaubens“ eigentlich um die rechte Erfüllung des jüdischen Religionsgesetzes handelt? Dann wäre das jüdische Religionsgesetz nicht damit erfüllt, dass alle Satzungen und Gebote gehalten werden, sondern dass der stellvertretende Sühnetod Jesu geglaubt wird und der Glaubende sein Leben entsprechend ausrichtet.
Wenn durch das „Gesetz des Glaubens“ das Rühmen ausgeschlossen ist, so bedeutet dies, dass dessen Erfüllung kein Verdienst des Menschen ist, dessen er sich rühmen könnte. Wer dagegen das „Gesetz der Werke“ tut, kann sich - aus Sicht des Apostels irrigerweise - seiner genauen Befolgung der Satzungen und Gebote rühmen.
Die verschiedenen rhetorischen Fragen und kurzen Antworten entsprechen dem Stil einer Diatribe, einer Unterredung mit einem fiktiven Gesprächspartner.
Weiterführende Literatur: O. Mainville 1996, 293-306 vertritt die These, dass die lehrhaften Abschnitte des Römerbriefes so aufgebaut seien, dass sie die grundsätzliche Gleichheit von Heidenchristen und Judenchristen beweisen können, um die Einheit der christlichen Gemeinschaft zu stärken. Die Richtigkeit ihrer These versucht O. Mainville anhand von 3,21-31 aufzuzeigen.
K. Wengst 1998, 139-151 möchte den Text 3,21-31 nicht antijüdisch auslegen. In die traditionellen Schemata werde man dann nicht verfallen, wenn erkannt sei und durchgeführt werde, dass das Thema nicht die Entgegenstellung von göttlicher Gnade und menschlicher Leistung ist. Thema sei vielmehr das vollgültige Hinzukommen der Völker, ohne dass diese durch die Beschneidung auf die ganze Tora verpflichtet werden. K. Wengst möchte sodann den jüdischen Charakter der Argumentation des Paulus erkennen. Dieser gebrauche jüdische Sprachmöglichkeiten und rede mit seiner jüdischen Bibel und ihrer Auslegungstradition. Von daher sollten die Gemeinsamkeiten mit dem Judentum im Blick auf diesen in der Wirkungsgeschichte so wichtig gewordenen Text herausgestellt werden. Natürlich sei auch nach den besonderen Voraussetzungen des Paulus zu fragen, die ihn von der Mehrheit seiner Landsleute unterschieden sein ließen. Aber selbst da wäre möglicherweise Verbindendes zu entdecken.
Gemäß W. S. Campbell 1981, 22-40 stelle 3,21-26 den Kern der paulinischen Theologie im Römerbrief dar. Röm 3 als Gesamtes sei der strukturelle Kern und zugleich Zeugnis der Situation, in die hinein der Brief geschrieben wurde.
G. Lafon 1987, 32-53 merkt an, dass der Begriff „nomos“ („Gesetz“) im Römerbrief bis 2,27 fehle, dann aber zwischen 3,19 und 3,31 gleich elf Mal genannt werde. Danach tauche er erst wieder in 4,13 auf. Die Häufigkeit des Begriffs im Abschnitt 3,19-31 lasse annehmen, dass es sich dabei um eine zusammenhängende Einheit handelt. Das Gesetz, speziell das „Gesetz des Glaubens“, ist denn auch der Gegenstand der Untersuchung von G. Lafon.
J. Lambrecht 1985, 365-369 legt dar, dass das Gesetz der Werke an sich nicht das Rühmen (aufgrund der eigenen Werke) ausschließe. Ausgeschlossen sei das Rühmen in der Realität jedoch deshalb, weil niemand alles Geforderte getan hat bzw. tut. Definitiv ausgeschlossen werde der Ruhm schließlich durch das „Gesetz des Glaubens“.
A. Ito 2003, 237-259 legt dar, dass Paulus davon ausgegangen sei, dass seine Briefe laut der Gemeinde vorgelesen wurden, und zwar in einem Zug ohne Wiederholung und Überspringung einzelner Stellen. Folglich müssten die Briefe beim ersten Hören einen Sinn ergeben haben. Dies bedeute jedoch nicht, dass es unterhalb der Oberfläche nicht einen tieferen Sinn des Verlesenen gegeben hat. Eine oberflächliche und einer tiefer gehende Lesweise müssten zueinander passen und einander ergänzen. Von dieser Perspektive aus versucht A. Ito hinsichtlich der Diskussion zu „Gesetz des Glaubens“ und „Gesetz der Werke“ zu klären, ob ein Bezug zum Gesetz in einem allgemeinen Sinn oder zur Tora vorliegt. Ergebnis: Bei einer tiefer gehende Lesweise sei das „Gesetz der Werke“ auf den Teil der Tora, der sich mit den Werken befasst, zu beziehen, und das „Gesetz des Glaubens“ auf den Teil der Tora, der sich mit dem Glauben Abrahams befasst.
C. Burchard 1997, 341-362 scheint, dass die Tora nach Paulus Gerechtigkeit aus Glauben an Christus nicht nur bezeuge, vorhersehe oder verheiße, sondern auf eine bestimmte Art auch fordere. Die Tora komme in Christus nicht nur zur Erfüllung, sondern auch zu ihrem Recht. C. Burchard versucht das an Röm 3,27-31 und 10,4 zu zeigen. Zu 3,27-31: Man könne schließen, dass Paulus in V. 27 mit „dia nomou pisteôs“ („durch [das] Gesetz des Glaubens“) von der Tora sprach und dass die heute meist abgelehnte Umschreibung von „pisteôs“ mit „die Glauben fordert“ in die richtige Richtung geht. Aber nur das. Erstens brauche der Genitiv auch hier nicht mehr anzugeben als die Materie, über die die Tora etwas bestimmt. Frage man zweitens, wo: jedenfalls auch an den in Kapitel 4 behandelten Stellen.
Mit der Bedeutung der Formulierung „Gesetz des Glaubens“ befasst sich P.-G. Müller 1981, 71-97. Dabei geht er auf das „Gesetz“ bei Paulus, auf den „Glauben“ bei Paulus und auf das Handeln aus Glauben ein. „Glaube“ sei für Paulus zuerst Akt der Bekehrung und damit Hinwendung zum Heil in Christus. Damit sei „Glaube“ für Paulus aber auch der Inhalt des Glaubensaktes, das konkrete Wort vom Evangelium, ja in der Paulusschule der späteren Pastoralbriefe sogar die lehramtliche-kirchenoffizielle Formulierung und sprachliche Fassung des Glaubensinhalts, ein Gedanke von Normativität, wie er schon in der Formel „Gesetz des Glaubens“ in Röm 3,27 anklinge. Der Glaube sei nach Paulus inhaltlich wie von seiner Ausdrucksform her der Beliebigkeit des Einzelnen enthoben und der Norm des von und in Kirche verantworteten Evangeliums übergeben.
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Beobachtungen: In V. 28 fasst Paulus seine Auffassung in einem Satz zusammen: Ein Mensch - gemeint ist: jeder Mensch - wird allein aus Glauben ohne Gesetzeswerke gerechtfertigt. Es bedarf also nicht der genauen Befolgung der Satzungen und Gebote, um bei dem Jüngsten Gericht vor Gott bzw. Jesus Christus als Gerechter dazustehen und nicht verurteilt zu werden.
Weiterführende Literatur: P. R. Gryziec 1997, 16-22 sieht keinen Widerspruch zwischen Röm 2,12-13 und 3,20.28.
M. Bachmann 1993, 1-33 betrachtet die Rechtfertigung unter dem Aspekt der „Werke des Gesetzes“, nicht der „Gerechtigkeit Gottes“. Er vertritt folgende These: Paulus meine mit dem Ausdruck „Werke des Gesetzes“ nicht etwas, was auf der durch das Tun gemäß den Regelungen des Gesetzes markierten Ebene liegt, insbesondere nicht: Gebotserfüllungen, sondern er meine mit dem Syntagma „Werke des Gesetzes“ die Regelungen des Gesetzes selber.
N. Baumert 2005, 153-172 versucht anhand von 3,27 aufzuweisen, dass für 3,20.28 die Bedeutung „aus einem / ohne ein Werke-Gesetz“ („ex ergôn nomou“) nahe liege.
Mit den „Gesetzeswerken“ in den Paulusbriefen und in der Qumranschrift 4QMMT befasst sich R. Penna 1997, 155-176.
G. Burnett 1998, 159-188 befasst sich angesichts neuerer Tendenzen, die kollektiven Aspekte hervorzuheben, mit dem persönlichen Heil. So sei zwar die soziale Funktion des Glaubens im Hinblick auf Israel und die paulinischen Gemeinden herausgestellt worden, doch werde die einseitige Sichtweise der paulinischen Vorstellung vom Wirken des Glaubens nicht gerecht. G. Burnett vertritt die Meinung, dass Paulus mit dem Verhältnis zwischen Judenchristen und Heidenchristen befasst und sein Denken am Bund orientiert sei. Die Logik der Beweisführung der ersten Kapitel weise auf die Bedeutung hin, die die Rede vom persönlichen Heil habe.
M. Theobald 1998, 103-117 macht knappe Anmerkungen aus exegetischer Perspektive zu Kapitel 1 der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GER)“, die auf einer ekklesiologischen Deutung der paulinischen Rechtfertigungslehre, wie sie sich aus dem Römerbrief ergebe und die unübersehbar ökumenische Folgen besitze, fußen. In Röm 3,21-31, der „architektonischen Mitte“ des Briefes, zeige sich: Weder ist der Glaube unbestimmtes Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit, vielmehr präzis Glaube an Jesus Christus, kraft dessen Sühnetod Gottes sündentilgende Rechtfertigung den Glaubenden zuteil wird, noch sind die Werke, die aus dem Vorgang der Rechtfertigung ausgeschlossen sind, unbestimmt irgendwelche vom Menschen geforderte Leistungen, vielmehr präzis die Werke des Gesetzes. M. Theobald sieht im Glauben an Christus das einigende Band aller christlichen Konfessionen.
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Beobachtungen: Paulus ist der Ansicht, dass die Gesetzeswerke ausschließlich für die Juden relevant sind, nicht jedoch für die Heiden. Wäre das Halten des Gesetzes für die Rechtfertigung nötig, dann könnten nur die Juden vor dem endzeitlichen Richter Jesus Christus bzw. Gott bestehen. Die Heiden wären vom Heil ausgeschlossen und die Heidenmission würde nur dann Sinn machen, wenn sich die zu Christus Bekehrten beschneiden lassen und zum Judentum übertreten.
Die Formulierung „Gott der Juden“ spielt auf das Bundesverhältnis Gottes mit seinem Volk Israel an. Tatsächlich ist demnach JHWH der Gott der Juden und die Juden sind dementsprechend sein Volk. Paulus versteht jedoch das Bündnis mit seinem Volk universaler. Seiner Meinung nach ist Gott auch ein Gott der Heiden, denn konstitutiv für das Gottesvolk ist nach paulinischem Verständnis der Glaube an den in der hebräischen Bibel vorausgesagten Messias, Jesus Christus, und das mit diesem verbundene Heilsgeschehen, nicht jedoch allein der äußere Vorgang der Beschneidung und die damit verbundene Verpflichtung zum Halten der Satzungen und Gebote (vgl. 2,28-29).
Weiterführende Literatur: J. Lambrecht 2000, 526-528 befasst sich mit der Logik von 3,29-30.
R. W. Thompson 1988, 543-546 vertritt die Ansicht, dass aus dem Ausschluss des (Selbst-)Ruhms der Einschluss der Heiden(christen) in die Einheit mit denen, die in Christus gerettet werden, resultiere. In 3,27-30 gehe es in erster Linie um den Einschluss der Heiden(christen) und nicht um die Rechtfertigung aus Glauben.
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Beobachtungen: Die paulinische Sprache ist wiederum jüdisch geprägt und ganz konkret auch an die Juden gerichtet. Er bekräftigt seine These, dass Gott auch ein Gott der Heiden ist, indem er Gott als den „Einen“ bezeichnet und damit die Formulierung des jüdischen Glaubensbekenntnisses, des „Schema Jisrael“ („Höre Israel“), aufgreift. Demnach ist Gott „einer“ (vgl. Dtn 6,4). Israel bekennt sich in einer Welt mit vielen Völkern und Göttern zu dem einen wahren Gott. Das bedeutet nicht, dass es im Sinne des Monotheismus nur an die Existenz eines einzigen Gottes glaubt, sondern dass es nur einen einzigen Gott als wahr verehrt und ihm machtvolles Wirken zuschreibt (= Monolatrie).
Auch Paulus ist nicht unbedingt als Monotheist zu verstehen, sondern auch er hält einzig und allein den Gott Israels, den göttlichen Vater des Messias der Juden, Jesus Christus, für wahr im Sinne der Fähigkeit zu machtvollem Handeln. Das machtvolle Handeln benennt Paulus dementsprechend auch in V. 30: Gott wird rechtfertigen. Wenn Gott die Juden und die Heiden rechtfertigen wird, so ist daraus zu schließen, dass kein anderer Gott am Ende der Tage als Richter auftreten und (wie ein Verteidiger) rechtfertigen wird.
Die futurische Verbform zeigt, dass die grundsätzlichen Aussagen des Apostels zur Rechtfertigung in 3,9-20 unter dem eschatologischen Vorbehalt stehen: Die Rechtfertigung ist in der „jetzigen Zeit“ noch nicht endgültig, sondern sie wird erst durch das endzeitliche Weltgericht besiegelt.
Das mit „Beschneidung“ zu übersetzende Substantiv „peritomê“ meint die Juden, das mit „Unbeschnittenheit“ zu übersetzende Substantiv „akrobystia“ die Nichtjuden, „Heiden“ genannt. Sowohl die Juden als auch die Heiden werden gerechtfertigt, Voraussetzung ist allerdings der Glaube.
Unklar ist, warum Paulus unterschiedliche Präpositionen benutzt: zunächst schreibt er „ek“ („aus“), dann „dia“ („durch“). Am nahe liegendsten ist es, den Wechsel als rein stilistischer Natur zu verstehen, denn der Apostel will ja nicht Unterschiede betonen, sondern die Unterschiedslosigkeit der Rechtfertigung von Juden und Heiden hervorheben. Will man in dem Gebrauch verschiedener Präpositionen doch einen Bedeutungsunterschied sehen, so wäre am ehesten an folgenden zu denken: Der Glaube der Juden an den verheißenen Messias, Jesus Christus, ist eine logische Fortsetzung des Glaubens an das in der hebräischen Bibel mit dem Gott Israels verbundene Heilsgeschehen. Die Präposition „ek“ würde auf diese Kontinuität verweisen. Die Heiden dagegen brechen mit ihrer eigenen Tradition: Statt ihren bisherigen heidnischen Göttern bringen sie nun dem Gott Israels ihre Verehrung entgegen. Die Rechtfertigung ist also mit der Bekehrung zu einem anderen Glauben verbunden. Demnach wäre die Präposition „dia“ ein Hinweis auf den Bruch mit der bisherigen Tradition.
Weiterführende Literatur: Mit der paulinischen Theologie im Kontext der heiligen Schriften Israels befasst sich H. Frankemölle 2002, 332-357, der auf S. 346-347 auf Röm 3,29-30 eingeht. Er vertritt die These, dass Paulus keine „biblische“ Hermeneutik und auch keine reflektierte Tora-Hermeneutik – Tora verstanden als die für Paulus heiligen Schriften Israels, die weit über den Pentateuch hinausgingen – entwerfe. Paulus lege die heiligen Schriften nicht aus, sondern rezipiere sie selektiv und aktualisiere die ausgewählten Konzeptionen in seiner adressatenorientierten Theologie. In Röm 3,30 wie auch 1 Kor 8,4 werde das Schema Israel, das zentrale Glaubensbekenntnis aller Juden aus Dtn 6,4 eingespielt – jedoch mit einer Veränderung: Paulus universalisiere ohne Zweifel den auf Israel bezogenen Satz „Höre Israel! Der Herr unser Gott, der Herr ist ein Einziger“. JHWH erscheine als Gott Israels und der Völker.
P.-G. Klumbies 1994, 192-206 überprüft die seiner Meinung nach verbreitete These, dass die Rede von dem Einen Gott das Kontinuum zwischen Altem und Neuem Testament bilde. Trotz mannigfacher Divergenzen im Einzelnen lasse sich eine durchgehende Linie vom atl. Monotheismus über den Gottesglauben Jesu, wie er in der Darstellung der Evangelien zum Ausdruck komme, bis hin zu Paulus beobachten. Im Blick auf das NT führe dies zu dem Urteil, das in den ntl. Schriften dargebotene Gottesverständnis sei im Wesentlichen unoriginell. P.-G. Klumbies kommt zu einem abweichenden Ergebnis: Mit seinem Bekenntnis zum christologisch-rechtfertigungstheologisch interpretierten Gott gelange Paulus zu einem Neuansatz im Reden von Gott. Er entwickle seine Theo-logie aus der Erkenntnis des dem Christusgeschehen innewohnenden Heils heraus. Zu ihrer Entfaltung greife er traditionelle Motive und Vorstellungen sowohl aus dem Bereich des Judentums als auch aus dem des frühen Christentums auf, ohne die damit verbundenen theologischen Konzepte zu teilen. Er führe sie vielmehr seinem christologisch-rechtfertigungstheologischen bzw. soteriologischen Ansatz zu. Eins dieser Motive sei die Rede vom „Einen Gott“ („heis ho theos“).
Könne der Jude das Einzigsein JHWHs nicht denken, ohne das ihm korrespondierende Einzigsein des Volkes, dem er als Jude zugehört, mitzudenken, so könne es Paulus gemäß E. Gräßer 1981, 177-205 nicht mehr denken, ohne das dem Einzigsein Gottes korrespondierende Einzigsein des Sohnes mitzudenken, des „einen Menschen“, durch dessen Gehorsam die Vielen zu Gerechten gemacht werden (vgl. 5,17). Gott sei für Paulus der Gott aller Glaubenden. Und Glaubender könne jeder sein, weil mit Christus der Glaube als Möglichkeit aller gekommen sei (vgl. Gal 3,25). Hinfort laufe die Trennungslinie nicht mehr zwischen Juden und Heiden, sondern zwischen Gesetz und Evangelium.
S. K. Stowers 1989, 665-674 vertritt die Ansicht, dass Paulus in V. 30 nicht rein zufällig oder aus stilistischen Gründen von der Präposition „ek“ zur Präposition „dia“ wechsle. Die Formulierung „dia pisteôs“ („durch Glauben“) beziehe sich konkret auf Jesu sühnendes Leben und Sterben für die Erlösung der Heiden(christen). „Dia pisteôs“ beziehe sich also nicht auch auf die Juden. Anders „ek pisteôs“ („aus Glauben“): Sowohl Juden als auch Heiden hätten Anteil an den Segnungen „aus Glauben“ Abrahams und Jesu, wenn auch nicht auf identische Weise.
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Beobachtungen: V. 31 hilft dabei, V. 27 zu deuten. Das „Gesetz“ wird nicht aufgehoben, sondern aufgerichtet. Paulus spricht nicht vom „Gesetz der Werke“, sondern vom „Gesetz“. Das „Gesetz“ bleibt also von Bedeutung - mehr noch: er richtet es auf, als habe es vorher danieder gelegen. Da nicht zu erschließen ist, dass Paulus mit dem Begriff „Gesetz“ hier entgegen seinem üblichen Sprachgebrauch nicht das jüdische Religionsgesetz meint, ist davon auszugehen, dass er eben von diesem spricht, es jedoch nur auf andere Art und Weise als durch das genaue Halten sämtlicher Satzungen und Gebote erfüllt sieht. Das Aufrichten des Gesetzes wäre nicht als das Einrichten einer neuen Ordnung, sondern als rechter Umgang mit dem jüdischen Religionsgesetz zu verstehen. Der rechte Umgang ist durch zweierlei geprägt: Zum einen geht es nicht um das sorgsame Halten sämtlicher Satzungen und Gebote, sondern um den Glauben, zum anderen ist das Gesetz nicht ausschließlich für die Juden relevant, sondern für Juden und Heiden gleichermaßen.
Was ist nun vermutlich unter dem „Gesetz des Glaubens“ zu verstehen? Grundlegend ist der Glaube, und zwar der Glaube an den von „Gesetz und Propheten“ bezeugten Messias. Der Messias ist ein Heilsbringer, wobei das Heil als Rechtfertigung (oder: Gerechtigkeit) des Menschen zu konkretisieren ist. Weil dieses Heil von Gott kommt, bezeichnet es Paulus als „Gerechtigkeit Gottes“. Diese „Gerechtigkeit Gottes“ bleibt den Menschen nicht verborgen, sondern wird den Menschen offenbar, und zwar in dem Kreuzestod und in der Auferstehung Jesu. Denjenigen, die nicht Augenzeugen des Geschehens sind, wird es durch Predigten verkündigt. Dem Heilsgeschehen gilt es nun zu glauben. Nur dieser Glaube rechtfertigt, nicht jedoch das sorgsame Halten der Satzungen und Gebote. Kein Mensch kann Rechtfertigung bewirken als Jesus Christus allein. Dieser ist das Sühnopfer schlechthin und möglicherweise zugleich Sühneort und der die Sühne vollziehende Hohepriester (vgl. dazu 3,25). Von daher kann man Jesus Christus als die Erfüllung des Gesetzes - des jüdischen Religionsgesetzes! - verstehen. Wer an Jesus Christus glaubt, erfüllt das Gesetz. Allerdings ist der Glaube nicht isoliert von der Lebensführung zu sehen, sondern er zeigt sich in dieser. So kann Paulus sagen, dass das ganze Gesetz durch Nächstenliebe erfüllt wird (vgl. Gal 5,14). Kurz: Das „Gesetz des Glaubens“ ist die Erfüllung des jüdischen Religionsgesetzes durch den Glauben an zusammenhängende Heilsgeschehen. Dieser Glaube geht mit einem von Nächstenliebe geprägten Leben einher.
Weiterführende Literatur: R. W. Thompson 1987, 136-148 setzt sich kritisch mit der These auseinander, dass den griechischen Verben „katargeô“ („aufheben“) und „histanô“ („aufrichten“) in V. 31 hebräische, aus rabbinischen Diskussionen stammende Fachbegriffe zugrunde lägen. Er vertritt die Meinung, dass es sich um gewöhnliche Sprache handele, die nicht auf stereotypem jüdischem, hellenistischem oder rabbinischem Wortgebrauch basiere oder solchem entliehen sei.
Literaturübersicht
[ Hier geht es zur Übersicht der Zeitschriftenabkürzungen ]
Bachmann, Michael; Rechtfertigung und Gesetzeswerke bei Paulus, ThZ 49 (1993), 1-33
Baumert, Norbert; Werke des Gesetzes oder „Werke-Gesetz“?, in: C. Barnbrock, W. Klän [Hrsg.], Gottes Wort in der Zeit, FS V. Stolle, Münster 2005, 153-172
Burchard, Christoph; Glaubensgerechtigkeit als Weisung der Tora bei Paulus, in: C. Landmesser u. a. [Hrsg.], Jesus als die Mitte der Schrift: Studien zur Hermeneutik des Evangeliums (BZNW 86), FS O. Hofius, Berlin 1997, 341-362
Burnett, Gary; Individual and Collective Aspects of Pauline Soteriology in Romans 3, IBS 20 (1998), 159-188
Campbell, W. S.; Romans III as a Key to the Structure and Thought of the Letter, NT 23/1 (1981), 22-40
Frankemölle, Hubert; Die paulinische Theologie im Kontext der heiligen Schriften Israels: „So viele Verheißungen Gottes, in ihm das Ja“ (2 Kor 1.20), NTS 48/3 (2002), 332- 357
Gräßer, Erich; “Ein einziger ist Gott” (Röm 3,30). Zum christologischen Gottesverständnis bei Paulus, in: H. Merklein, E. Zenger [Hrsg.], „Ich will euer Gott werden“: Beispiele biblischen Redens von Gott (SBS 100), Stuttgart 1981, 177-205
Gryziec, P. R.; “Zuczynków Prawa nikt nie może dostąpić usprawiedliwienia” (Rz 3,20) Kwestia spójności Pawłowej krytyki Prawa, RBL 50 (1997), 16-22
Ito, Akio; Nomos (tôn) ergôn and nomos pisteôs. The Pauline Rhetoric and Theology of nomos, NT 45/3 (2003), 237-259
Klumbies, Paul-Gerhard; Der Eine Gott des Paulus – Röm 3,21-31 als Brennpunkt paulinischer Theo-logie, ZNW 85/3-4 (1994), 192-206
Lafon, Guy; Une loi de foi. La pensée de la loi en Romains 3,19-31, RevSR 61/1-2 (1987), 32-53
Lambrecht, Jan; Why is Boasting Excluded? A Note on Rom 3,27 and 4,2, ETL 61/4 (1985), 365-369
Lambrecht, Jan; Paul’s Logic in Romans 3:29-30, JBL 119/3 (2000), 526-528
Mainville, Odette; La doctrine au service de l’éthique. Le cas Rm 3,21-31, in: J. Schlosser [éd.], Paul de Tarse. Congrès de l’ACFEB (Strasbourg, 1995) (LeDiv 165), Paris 1996, 293-306
Müller, Paul-Gerhard; Handeln nach dem “Gesetz des Glaubens” (Röm 3,27), in: Katholisches Bibelwerk [Hrsg.], Bibel im Jahr `82: Umkehr zum Leben, Stuttgart 1981, 71-97
Penna, Romano; Le “opere della Legge” in s. Paolo e 4QMMT, RStB 9/2 (1997), 155-176
Stowers, Stanley Kent; Ek pisteôs and dia tês pisteôs in Romans 3:30, JBL 108/4 (1989), 665- 674
Theobald, Michael; Rechtfertigung und Ekklesiologie nach Paulus, ZThK 95/1 (1998), 103- 117
Thompson, Richard W.; The Alleged Rabbinic Background of Rom 3,31, ETL 63/1 (1987), 136-148
Thompson; Richard W.; The Inclusion of the Gentiles in Rom 3,27-30, Bib. 69 (1988), 543- 546
Wengst, Klaus; „Gerechtigkeit Gottes“ für alle Völker: Ein Versuch, Röm 3,21-31 anders zu lesen, in: K. Wengst u. a. [Hrsg.], Ja und Nein: christliche Theologie im Angesicht Israels, FS W. Schrage, Neukirchen-Vluyn 1998, 139-151